Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (5. Kammer) - 5 Sa 571/13

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz -Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 17. Oktober 2013, Az. 7 Ca 576/13, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zahlung von Ausgleichsbeträgen zum tariflichen Stundenlohn und entsprechend höheren Zuschlägen für Nacht-, Mehr- und Sonntagsarbeit.

2

Der 1968 geborene Kläger ist seit 01.11.2007 bei der Beklagten als Busfahrer beschäftigt. Seine monatliche Arbeitszeit beträgt 180 Stunden. Auf das Arbeitsverhältnis findet ein Haustarifvertrag Anwendung, der in einer Anlage die Stundenvergütung vom 01.08.2010 bis 31.03.2011 wie folgt staffelte:

3

Betriebszugehörigkeit

Vergütung pro Stunde

Anfangslohn

€ 10,10

2 Jahre

€ 10,60

4 Jahre

€ 11,11

ab dem 5. Jahr

€ 11,49

4

Die Tarifvertragsparteien vereinbarten in der Tarifrunde 2011 im Hinblick auf die beabsichtigte Einführung des VAV-Tarifvertrags (Tarifvertrag der Vereinigung der Arbeitgeberverbände Rheinland-Pfalz e.V.) ua. die Umstellung der Lohnstaffel entsprechend der Systematik des VAV-Tarifvertrags. Der Kläger war Mitglied der ver.di-Tarifkommission. Die Lohnstaffel und die Stundenvergütung wurden ab 01.04.2011 bis 31.03.2012 wie folgt geändert:

5

Betriebszugehörigkeit

Vergütung pro Stunde

0 - 2 Jahre

€ 10,60

3 - 6 Jahre 3

€ 11,11

7 - 9 Jahre

€ 11,50

ab dem 10. Jahr

€ 11,71

6

"(Fußnote 3): Durch die Umwandlung der Lohnstaffel in die VAV Systematik entsteht in dieser Lohnstufe ein Nachteil. Um diesen auszugleichen, wird die Differenz von € 0,38 pro Stunde zwischen dem ursprünglich ab dem 5. Jahr geltenden Stundenlohn von €11,49 und dem jetzigen Betrag von € 11,11 ausgeglichen. Dieser Zuschlag gilt auch als Grundlage für die Berechnung von sonstigen Zuschlägen (z.B. Überstunden)."

7

Die Stundenvergütung wurde ab 01.04.2012 bis 31.05.2013 wie folgt geändert:

8

Betriebszugehörigkeit

Vergütung pro Stunde

0 - 2 Jahre

€ 10,82

3 - 6 Jahre 3

€ 11,34

7 - 9 Jahre

€ 11,74

ab dem 10. Jahr

€ 11,95

9

"(Fußnote 3): Durch die Umwandlung der Lohnstaffel in die VAV Systematik entsteht in dieser Lohnstufe ein Nachteil. Um diesen auszugleichen, wird die Differenz von € 0,15 pro Stunde zwischen dem ursprünglich ab dem 5. Jahr geltenden Stundenlohn von € 11,49 und dem jetzigen Betrag von € 11,34 ausgeglichen. Dieser Zuschlag gilt auch als Grundlage für die Berechnung von sonstigen Zuschlägen (z.B. Überstunden)."

10

Die Beklagte zahlt dem Kläger einen Stundenlohn von € 11,34. Der Kläger vollendete am 01.11.2012 das fünfte Beschäftigungsjahr. Deshalb verlangt er ab 01.11.2012 einen Ausgleichsbetrag von € 27,00 monatlich (€ 0,15 x 180 Std.). Er begehrt weiter ab 01.11.2012 Nacht-, Mehr- und Sonntagsarbeitszuschläge iHv. 25 % auch auf den Ausgleichsbetrag von € 0,15 pro Stunde, die er mit 3,75 Cent errechnet. Für die Monate bis 30.04.2013 macht er Zahlungsansprüche geltend, für die Zeit ab 01.05.2013 stellt er Feststellungsanträge.

11

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 17.10.2013 Bezug genommen.

12

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

13

die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 27,00 brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.12.2012 zu zahlen,

14

die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 0,24 brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.12.2012 zu zahlen,

15

die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 27,00 brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.01.2013 zu zahlen,

16

die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 0,49 brutto und € 0,31 brutto jeweils nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.01.2013 zu zahlen,

17

die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 27,00 brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.02.2013 zu zahlen,

18

die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 27,00 brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.03.2013 zu zahlen,

19

die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 27,00 brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.04.2013 zu zahlen,

20

die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 0,11 brutto und € 0,16 brutto jeweils nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.04.2013 zu zahlen,

21

die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 27,00 brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.05.2013 zu zahlen,

22

die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 0,24 brutto und € 0,13 brutto nebst jeweils Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.05.2013 zu zahlen,

23

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an ihn beginnend ab dem Abrechnungsmonat Mai 2013 jeweils monatlich weitere € 27,00 zu seinem Gehalt zu zahlen, bis er in das 7. Betriebszugehörigkeitsjahr fällt oder aufgrund einer Tariflohnerhöhung einen Stundenlohn von € 11,49 erhält,

24

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm für jede geleistete Stunde Nachtarbeit 3,75 Cent zusätzlich zu vergüten, bis er in das 7. Betriebszugehörigkeitsjahr fällt oder aufgrund einer Tariflohnerhöhung einen Stundenlohn von € 11,49 erhält,

25

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm für jede geleistete Stunde Mehrarbeit 3,75 Cent zusätzlich zu vergüten, bis er in das 7. Betriebszugehörigkeitsjahr fällt oder aufgrund einer Tariflohnerhöhung einen Stundenlohn von € 11,49 erhält,

26

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm für jede geleistete Stunde Sonntagsarbeit 3,75 Cent zusätzlich zu vergüten, bis er in das 7. Betriebszugehörigkeitsjahr fällt oder aufgrund einer Tariflohnerhöhung einen Stundenlohn von € 11,49 erhält.

27

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

28

die Klage abzuweisen.

29

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 17.10.2013 abgewiesen und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, die Leistungs- und Feststellungsanträge seien zwar zulässig, aber insgesamt unbegründet. Es fehle an einer Anspruchsgrundlage. Aus der Fußnote 3) zur Lohnstaffel des Haustarifvertrags könne der Kläger keinen Anspruch herleiten. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 10 bis 13 des erstinstanzlichen Urteils vom 17.10.2013 Bezug genommen.

30

Gegen das am 19.11.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 19.12.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 20.02.2014 verlängerten Begründungsfrist mit am 20.02.2014 eingegangenem Schriftsatz begründet.

31

Der Kläger macht zur Begründung der Berufung im Wesentlichen geltend, das Argument des Arbeitsgerichts, durch die Fußnote 3) sollten nur die Arbeitnehmer privilegiert werden, die im Zeitpunkt des Eintritts der Änderung der Lohnstaffel im Jahr 2011 Lohneinbußen erlitten hätten, überzeuge nicht. Dann würde die Regelung nur den Arbeitnehmern zugute kommen, die am 01.04.2011 noch keine sieben, aber bereits vier Jahre betriebszugehörig gewesen, dh. die zwischen dem 31.03.2004 und dem 31.03.2007 eingestellt worden seien. Beim Tarifabschluss 2012 sei die Fußnote 3) noch einmal aufgenommen worden. Damit könnten in diesem Jahr nur die Arbeitnehmer profitieren, die bis 31.03.2008 eingestellt worden seien. Hätten die Tarifvertragsparteien tatsächlich nur die Arbeitnehmer bedenken wollen, die zum Zeitpunkt der Neuregelung am 01.04.2011 bereits in der höchsten Entgeltstufe waren und eine Lohneinbuße erlitten hätten, hätten sie dies anders formulieren müssen. Nicht aber wie hier: pauschal alle, die gegenüber der ursprünglichen Regelung bis 2011 schlechter stehen. Außerdem sei es in diesem speziellen Kontext, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts, nicht sinnlos, eine Lohnstufe mit einer Betriebszugehörigkeit von 3-6 Jahren einzuführen und gleichzeitig den Arbeitnehmern nach einer Betriebszugehörigkeit von 5 Jahren bereits das höhere ältere Stufenentgelt zahlen. Denn diese Tarifverträge seien als systematische Vorbereitung des Wechsels in die Tarifstruktur des VAV gedacht und allein dafür gemacht worden. Insofern sei von den Tarifvertragsparteien beabsichtigt worden, die Lohnstaffel bereits vorzeitig der VAV-Struktur angleichen, um nach Einführung des VAV-Tarifs nicht höher zu liegen und dann für einzelne Lohngruppe Nullrunden verhandeln zu müssen. Bei dieser Umstellung habe sich lediglich in einer Lohnstufe durch die ausdifferenzierte Betriebszugehörigkeit die Lohndifferenz ergeben, die in seinem Fall unstreitig sei. Bei einem Systemwechsel sei dies nicht immer vermeidbar. Dies habe für die Dauer der Geltung des Haustarifvertrags ausgeglichen werden sollen. Es sei von vornherein absehbar gewesen, welchem Arbeitnehmerkreis die Ausgleichszahlung nach Fußnote 3) im Laufe der vier Jahre bis zur Umstellung auf den VAV-Tarif zugutekommen konnte.

32

Dieser Punkt sei auch Gegenstand der Tarifverhandlungen am 18.05.2011 gewesen. Die anwesenden Mitglieder der ver.di-Tarifkommission hätten ihn gegenüber dem Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite angesprochen. Ihnen sei die konkrete Auskunft erteilt worden, dass bspw. in seinem Fall und im Fall des Klägers D. (Az. 5 Sa 83/14) die Fußnote 3) eine entsprechende Ausgleichszahlung regele. An seinem Beispiel sei erläutert worden, dass er zwar ab November 2011 noch den Stundenlohn von € 11,11 erhalte, aber bis zur nächsten tariflichen Erhöhung einen Ausgleichsbetrag von € 0,38 pro Stunde und danach von € 0,15 pro Stunde. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt des Schriftsatzes des Klägers vom 19.02.2014 Bezug genommen.

33

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,

34

das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 17.10.2013, Az. 7 Ca 576/13, abzuändern und nach den Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.

35

Die Beklagte beantragt,

36

die Berufung zurückzuweisen.

37

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 25.03.2014, auf die Bezug genommen wird, als zutreffend. Die Berufung sei bereits unzulässig, weil sie nicht ordnungsgemäß begründet worden sei. Der Kläger habe sich mit dem Urteil des Arbeitsgerichts nicht hinreichend auseinandergesetzt. Die Berufung sei aber auch unbegründet. Das Arbeitsgericht habe die Fußnote 3) der Anlage zum Tarifvertrag rechtsfehlerfrei ausgelegt.

38

Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

39

Die gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und ausreichend begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO). Das Arbeitsgericht hat die Berufung ausdrücklich zugelassen.

II.

40

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

41

1. Die Klageanträge sind zulässig. Das gilt auch für die Feststellungsanträge. Das für eine Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche gesonderte Feststellungsinteresse ist gegeben, wenn - wie vorliegend - durch das Urteil eine sachgerechte und einfache Erledigung der einschlägigen Streitfragen zu erreichen ist und das streitige Rechtsverhältnis der Parteien abschließend geklärt werden kann. Es ergibt sich für den Kläger ferner daraus, dass der festzustellende Anspruch mindestens teilweise auf einen in der Zukunft liegenden Zeitraum gerichtet ist; bei Klagen auf zukünftige Leistung gemäß §§ 257 bis 259 ZPO ist die Feststellungsklage der Leistungsklage gegenüber nicht subsidiär. Der Kläger kann zwischen diesen Klagen und der Feststellungsklage wählen, zumal die Klage nach § 259 ZPO an besondere Voraussetzungen geknüpft ist (vgl. BAG 07.06.2006 - 4 AZR 272/05 - Rn. 17, AP TVG § 1 Nr. 37).

42

2. Die Zahlungsanträge zu 1) bis 10) sind nicht begründet. Der Kläger hat für die Monate von November 2012 bis einschließlich April 2013 keinen Anspruch auf Zahlung eines Ausgleichsbetrags von jeweils € 27,00 (€ 0,15 x 180 Std.), mithin insgesamt € 162,00 brutto. Er kann für diese Monate auch keine höheren Zuschläge für Nacht-, Mehr- und Sonntagsarbeit in einer Gesamthöhe von € 1,68 brutto verlangen.

43

Die Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, nämlich Fußnote 3) zur Lohnstaffel des Haustarifvertrags, liegen nicht vor. Dies ergibt die Auslegung der tarifvertraglichen Normen.

44

Beide Parteien sind an den Haustarifvertrag gebunden. Die Beklagte ist Tarifvertragspartei, der Kläger ist Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ver.di.

45

a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Berufungskammer folgt, den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebende Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 28.08.2013 - 10 AZR 701/12 - Rn. 13 mwN, Juris).

46

b) In Anwendung dieser Grundsätze ergibt bereits die Auslegung des Wortlauts der Fußnote 3), dass nur die Arbeitnehmer eine Ausgleichszahlung erhalten sollten, die im Zeitpunkt der Änderung der Lohnstaffel ab 01.04.2011 durch die Absenkung ihres Stundenlohns von € 11,49 auf € 11,11 ansonsten eine unmittelbare Lohneinbuße von € 0,38 pro Stunde erlitten hätten. Zu diesem Arbeitnehmerkreis zählte der Kläger nicht. Sein Tariflohn erhöhte sich durch die Änderung der Lohnstaffel ab 01.04.2011 von € 10,60 auf € 11,11 um € 0,51 pro Stunde.

47

Die tarifvertraglich zum 01.04.2011 vereinbarte Umstellung der früheren Lohnstaffel, die nach 2, 4 und 5 Jahren der Betriebszugehörigkeit eine Steigerung des Stundenlohns vorsah, in eine neue Lohnstaffel, die nach 3, 7 und 10 Jahren eine Steigerung vorsieht, hatte zum 01.04.2011 zur Folge, dass ein tarifgebundener Arbeitnehmer, der am 31.03.2011 das 5. Jahr der Betriebszugehörigkeit vollendet hatte, eine Lohneinbuße von € 0,38 pro Stunde erlitten hätte. Damit es zu keiner Absenkung des Arbeitsentgelts (bei mtl. 180 Std. um € 91,90 brutto), sondern zu einer "Nullrunde" kam, haben die Tarifvertragsparteien für diese Arbeitnehmer in der Fußnote 3) für die zwölf Monate vom 01.04.2011 bis 31.03.2012 eine Ausgleichszahlung von € 0,38 pro Stunde und für die Zeit ab 01.04.2012 von € 0,15 pro Stunde vereinbart.

48

Wie das Arbeitsgericht im Ergebnis und der Begründung seiner Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, war die Fußnote 3) zu den ab 01.04.2011 bzw. ab 01.04.2012 geltenden Lohntabellen nach ihrem eindeutigen Wortlaut ausschließlich für die Arbeitnehmer der Beklagten gedacht, die am 01.04.2011 bereits eine Betriebszugehörigkeit von fünf Jahren vollendet hatten und daher im letzten Steigerungsintervall der abgelösten Lohnstaffel vom 01.08.2010 waren.

49

Auch die Systematik des Tarifvertrags spricht nicht für das vom Kläger vertretene Auslegungsergebnis. Das Arbeitsgericht führt zutreffend aus, dass die vom Kläger gewünschte Auslegung des Haustarifvertrags im Ergebnis darauf hinausläuft, dass zu der neuen Lohnstufe bei einer Betriebszugehörigkeit von 3 bis 6 Jahren durch die Fußnote 3) eine zusätzliche Lohnstufe für Arbeitnehmer ab dem 5. Jahr der Betriebszugehörigkeit geschaffen worden wäre. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass die Tarifvertragsparteien eine derartige Lohnstufe in die Regelung "hineingeschrieben" und nicht als Ausgleichszahlung in einer Fußnote vereinbart hätten. Es sollte nach dem neuen Haustarifvertrag mit Wirkung ab 01.04.2011 ab dem 5. Jahr der Betriebszugehörigkeit keine Steigerung des Stundenlohns mehr erfolgen.

50

Weder der Gesamtzusammenhang noch die Tarifgeschichte, auf die ohnehin nur bei - hier nicht bestehenden - Auslegungszweifeln ergänzend zurückzugreifen ist, geben Anlass, an diesem Ergebnis zu zweifeln. Die Tarifvertragsparteien haben in der Tarifrunde 2011 neue Steigerungsintervalle im Hinblick auf die beabsichtigte Einführung des VAV-Tarifvertrags (Tarifvertrag der Vereinigung der Arbeitgeberverbände Rheinland-Pfalz e.V.) vereinbart. Sie wollten deshalb die Lohnstaffel entsprechend der Systematik des VAV-Tarifvertrags umstellen.

51

Im Verhältnis zweier zeitlich aufeinanderfolgender gleichrangiger Tarifnormen gilt das Ablösungsprinzip. Tarifliche Bestimmungen stehen stets unter dem Vorbehalt, durch tarifliche Folgeregelungen verschlechtert oder aufgehoben zu werden. Das gilt grundsätzlich sogar für bereits entstandene und fällig gewordene, noch nicht abgewickelte Ansprüche im Sinne sog. wohlerworbener Rechte (st. Rspr. vgl. BAG 15.04.2008 - 9 AZR 159/07 - Rn. 50 mwN, NZA-RR 2008, 586). Die Tarifvertragsparteien haben es grundsätzlich selbst in der Hand, die ablösende Wirkung durch zeitlich spätere Tarifverträge einzuschränken; die ablösende Wirkung erfolgt nur insoweit, als es die Tarifnormgeber beabsichtigen. Dabei ist jedoch im Grundsatz von einer Ablösung dann auszugehen, wenn ein bestimmter Komplex insgesamt neu geregelt wird. Abweichungen hiervon müssen die Tarifvertragsparteien im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit mit besonderer Bestimmtheit und Deutlichkeit vereinbaren (BAG 19.09.2007 - 4 AZR 670/06 - Rn. 34 mwN, AP TVG § 1 Auslegung Nr. 202).

52

Vorliegend haben die Tarifvertragsparteien die Steigerungsintervalle der Lohnstaffel in der Tarifrunde 2011 neu geregelt. Die Arbeitnehmer haben ab dem 5. Jahr der Betriebszugehörigkeit keinen Anspruch auf eine Lohnsteigerung mehr. Der Kläger hatte kein Anwartschaftsrecht oder einen vergleichbaren rechtlich geschützten Besitzstand, ab dem 5. Jahr seiner Betriebszugehörigkeit eine Lohnerhöhung auf € 11, 49 zu erzielen. Vielmehr ergibt sich aus dem Ablösungsprinzip, nach dem die jüngere tarifliche Regelung der älteren vorgeht, dass eine Tarifnorm immer unter dem Vorbehalt steht, durch eine tarifliche Folgeregelung verschlechtert oder aufgehoben zu werden.

53

Es kann dahinstehen, ob die bestrittene Behauptung des Klägers zutrifft, ihm sei als Mitglied der Tarifkommission während der Tarifvertragsverhandlungen im Jahr 2011 anhand seines konkreten Falls die Auskunft erteilt worden, dass er zwar ab Vollendung des 5. Beschäftigungsjahrs am 01.11.2012 noch einen Stundenlohn von € 11,11 erhalte, jedoch bis zur nächsten tariflichen Erhöhung einen Ausgleichsbetrag von € 0,38 und danach von € 0,15 pro Stunde. Dass der Kläger persönlich Kenntnis von den Tarifverhandlungen hatte, weil er Mitglied der Tarifkommission war, ist für die Auslegung nicht von Belang, denn der vom Kläger behauptete Regelungswille der Tarifvertragsparteien hat in der Fußnote 3) keinen Niederschlag gefunden.

54

Wegen der weitreichenden Wirkung von Tarifnormen auf die Rechtsverhältnisse von Dritten, die an den Tarifvertragsverhandlungen nicht beteiligt waren, kann im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit der Wille der Tarifvertragsparteien nur dann berücksichtigt werden kann, wenn er in den tariflichen Normen einen Niederschlag gefunden hat. Die den Normen des Tarifvertrags Unterworfenen müssen erkennen, welchen Regelungsgehalt die Normen haben und können nicht auf Auskünfte ihrer Koalitionen verwiesen werden.

55

Entgegen der Ansicht des Klägers lässt sich dem eindeutigen Wortlaut der Fußnote 3) nicht entnehmen, dass alle Mitarbeiter, die am 01.04.2011 bei der Beklagten beschäftigt waren, im 5. und 6. Jahr ihrer Betriebszugehörigkeit einen sog. "Nachteilsausgleich" erhalten sollen, wenn sich nach der alten Staffel der tarifliche Stundenlohn auf € 11,49 erhöht hätte. Vielmehr wurde eine Ausgleichszahlung nur für die Arbeitnehmer vorgesehen, die nach dem alten Tarifvertrag bereits einen Stundenlohn von € 11,49 hatten, so dass sich ihr Lohn ab 01.04.2011 ansonsten um € 0,38 pro Stunde bzw. ab 01.04.2012 um € 0,15 verringert hätte.

56

3. Auch die Feststellungsanträge zu 11) bis 14) des Klägers sind unbegründet.

57

Wie oben dargelegt, liegen die Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, nämlich der Fußnote 3) zur Lohnstaffel des Haustarifvertrags, auch für die Zeit ab Mai 2013 nicht vor. Die Beklagte ist deshalb nicht verpflichtet, dem Kläger ab Mai 2013 monatlich einen Ausgleichsbetrag von € 27,00 (€ 0,15 x 180 Std.) oder zusätzliche Zuschläge von 3,75 Cent (25 % auf € 0,15) für Nacht-, Mehr- oder Sonntagsarbeit zu zahlen bis er das 7. Jahr der Betriebszugehörigkeit erreicht oder aufgrund einer Tariflohnerhöhung einen Stundenlohn von € 11,49 erhält.

III.

58

Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen, weil sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist, § 97 Abs. 1 ZPO.

59

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

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