Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (5. Kammer) - 5 Sa 384/16

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 21. Juli 2016, Az. 6 Ca 1037/15, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs und darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis fortbesteht oder dem Kläger ein Wiedereinstellungsanspruch zusteht.

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Die Beklagte betreibt eine freie Reparaturwerkstatt für Pkw und Lkw. Der 1957 geborene, verheiratete Kläger war seit August 1974 bei der Beklagten als kaufmännischer Angestellter zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 3.658,00 EUR beschäftigt. Mit Schreiben vom 27.03.2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.10.2015. Im Kündigungsschreiben führte sie aus, sie sehe sich zu diesem Schritt aufgrund der beabsichtigten Schließung des Lagers zum 31.10.2015 gezwungen. Mit Schreiben vom 28.05.2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2015. Die zweite Kündigung stützte sie auf ihren Entschluss, den Betrieb aus wirtschaftlichen Gründen zum 31.12.2015 vollständig stillzulegen. Der Kläger erhob gegen beide Kündigungen im Vorprozess (Az. 6 Ca 272/15) rechtzeitig Kündigungsschutzklage. Im Kammertermin des Arbeitsgerichts schlossen die Parteien am 16.07.2015 im Vorprozess folgenden

3

"Vergleich

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1. Die Parteien sind darüber einig, dass das klägerische Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung (Schließung des Lagers) vom 27.03.2015 zum 30.11.2015 ein Ende finden wird.

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2. Die Parteien sind darüber einig, dass der Kläger ab sofort von der Verpflichtung zur Erbringung seiner Arbeitsleistung bei Fortzahlung der regulären Vergütung bis zum Beendigungszeitpunkt unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche und eventuelle Freizeitausgleichsansprüche freigestellt wird.

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3. Die Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger ein wohlwollendes qualifiziertes Zeugnis … zu erteilen. …

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4. Ferner verpflichtet sich die Beklagte, dem Kläger seine Arbeitspapiere … zu übermitteln.

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5. Damit ist der Rechtsstreit und sind sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung wechselseitig erledigt."

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Mit Schreiben vom 11.11.2015 erklärte der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegenüber der Beklagten die Anfechtung des abgeschlossenen Vergleichs. Nach Zurückweisung mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde wiederholte er die Anfechtung am 26.11.2015. Er führte zur Begründung aus, der Kläger habe den Prozessvergleich abgeschlossen, weil die Beklagte eine Betriebsschließung zum 31.12.2015 angekündigt habe. Wegen eines Monats habe er nicht weiter streiten wollen. Er habe jetzt in Erfahrung gebracht, dass der Betrieb weitergeführt werde. Der Kläger fühle sich getäuscht, so dass er den Vergleich aus allen in Betracht kommenden Rechtsgründen anfechte und sich höchst hilfsweise auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufe. Er hätte den Vergleich bei wahrer Kenntnis der Sachlage nie abgeschlossen, insbesondere wegen der langjährigen Beschäftigung nicht ohne Abfindungsregelung. Er bestehe daher auf einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, eine einvernehmliche Regelung komme allenfalls in Betracht, wenn ihm eine angemessene Abfindung angeboten werde.

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Mit Klageschrift vom 11.12.2015 machte der Kläger vor dem Arbeitsgericht das vorliegende (neue) Verfahren anhängig. Nach Abschluss eines Teilvergleichs streiten die Parteien nicht mehr über die Zahlung des Weihnachtsgeldes für 2015.

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Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

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festzustellen dass das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Beklagten über den 30.11.2015 hinaus fortbesteht.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hat erstinstanzlich vorgetragen, sie habe im Mai 2015 den endgültigen Entschluss gefasst, den Betrieb zum 31.12.2015 zu schließen. Im Verlauf des Vorprozesses und auch bei Abschluss des Prozessvergleichs vom 16.07.2015 habe ihr Stilllegungsentschluss fortbestanden. Am 30.07.2015 habe sie sich mit dem Arbeitnehmer W., dem sie ebenfalls zum 31.12.2015 gekündigt hatte, in einem Prozessvergleich (im Rechtsstreit 7 Ca 374/15) auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2015 geeinigt. Dort sei die Betriebsschließung, anders als hier, ausdrücklich als Beendigungsgrund aufgenommen worden. Anfang August 2015 seien die Arbeitnehmer, die sich nach Ausspruch der Kündigung arbeitssuchend gemeldet haben, an ihren Geschäftsführer herangetreten, um ihn zu fragen, ob nicht doch eine Fortsetzung des Betriebes möglich sei, wenn sie dauerhaft auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld verzichteten und ein höheres Eigenengagement erbrächten. Sie habe im Anschluss eine betriebswirtschaftliche Prüfung auf der Grundlage angestellt, dass der Kläger und der Arbeitnehmer W. ausscheiden. Auf ihre Nachfrage habe W. am 20.08.2015 schriftlich erklärt, dass er auch bei einer Betriebsfortführung auf eine Wiedereinstellung verzichte. Sie habe dann Ende August 2015 entschieden, den Betrieb vorerst über den 31.12.2015 hinaus fortzusetzen und abzuwarten, ob das gezeigte Engagement der Mitarbeiter sich auch dauerhaft positiv auf die Entwicklung des Unternehmens auswirke.

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Das Arbeitsgericht hat die Feststellungsklage mit Urteil vom 21.07.2016 abgewiesen. Die Klage sei zwar zulässig, aber unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei zum 30.11.2015 durch die seinerzeit ausgesprochene Kündigung der Beklagten, bestätigt durch den Prozessvergleich vom 16.07.2015, beendet worden. Die vom Kläger erklärte Anfechtung greife nicht durch. Der Kläger habe letztlich auch keinen Wiedereinstellungsanspruch. Es sei nicht von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage auszugehen. Die Beklagte habe zwar ihre Betriebsschließungsabsicht revidiert. Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger bestehe gleichwohl nicht mehr.

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Gegen das am 29.07.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 29.08.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 28.09.2016 eingegangenem Schriftsatz begründet.

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Er macht geltend, ihm stehe zumindest nach den Regeln zum Wegfall der Geschäftsgrundlage ein Wiedereinstellungsanspruch gegen die Beklagte zu. Die Kündigung vom 27.03.2015 wegen angeblicher Schließung des Lagers zum 31.10.2015 sei nicht gerechtfertigt gewesen. Nachdem die Beklagte erklärt habe, dass sie ihren Betrieb zum 31.12.2015 stilllegen werde, habe er keinen Grund mehr darin gesehen, den Kündigungsschutzprozess weiterzuführen. Zur Geschäftsgrundlage des Vergleichs sei von beiden Parteien die Schließung des gesamten Betriebs gemacht worden. Er habe keine Notwendigkeit mehr darin gesehen, noch weiter über die Wirksamkeit der ersten Kündigung zu streiten, weil die Beklagte im Prozessverlauf die zweite Kündigung wegen Betriebsstilllegung ausgesprochen habe. Für ihn sei es nur noch um zwei Monate der Beschäftigung gegangen. Zur Vermeidung einer umfangreichen Beweisaufnahme habe er dann den Prozessvergleich geschlossen. Hätte er gewusst, dass die Beklagte den Betrieb nicht stilllege, hätte er eine Entscheidung im Prozess herbeigeführt, weil eine betriebsbedingte Kündigung allein aufgrund der Schließung des Lagers nicht gerechtfertigt gewesen wäre. Ein Festhalten am Vergleich würde für ihn zu einem untragbaren Ergebnis führen. Die Beklagte habe ihn über die angeblich vorhandene Stilllegungsabsicht vorsätzlich getäuscht. Das Vorgehen der Beklagten, um einen unliebsame Arbeitnehmer, der auf seine Rechte - wie etwa die Zahlung von Weihnachts- und Urlaubsgeld gepocht habe - loszuwerden, sei mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin nicht mehr zu vereinbaren. Sie habe unter Vorspiegelung der Stilllegungsabsicht im Kündigungsschutzprozess einen Vergleich erwirkt, um anschließend den Betrieb ohne die Arbeitnehmer, die sie von Anfang an nur loswerden wollte, fortzuführen.

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Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,

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das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 21.07.2016, Az. 6 Ca 1037/15, abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Beklagten über der 30.11.2015 hinaus fortbesteht.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften sowie den Inhalt der zur Information des Gerichts beigezogenen Akte 6 Ca 272/15 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

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Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.

II.

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Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht nicht stattgegeben. Das Arbeitsgericht hat jedoch verkannt, dass der vom Kläger zuletzt noch gestellte Klageantrag unzulässig ist. Mit dieser Maßgabe war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

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1. Die Abweisung der Klage - soweit sie in der zweiten Instanz angefallen ist - als unzulässig verstößt nicht gegen das Verbot der reformatio in peius (§ 528 ZPO). Das Verschlechterungsverbot greift grundsätzlich nicht, wenn das erstinstanzliche Verfahren wegen eines von Amts wegen zu beachtenden, nicht behebbaren Verfahrensmangels unzulässig war. Die Abweisung der Klage als unbegründet hat dem Kläger keine erhaltenswerte Rechtsposition verschafft. Das Berufungsgericht kann deshalb eine von der ersten Instanz sachlich abgewiesene Klage im Falle des Fehlens von Verfahrensvoraussetzungen regelmäßig als unzulässig abweisen (vgl. BGH 21.10.2016 - V ZR 230/15 - Rn. 30; BGH 05.03.2009 - IX ZR 141/07 - Rn. 15 mwN).

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2. Der Antrag auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 30.11.2015 hinaus fortbesteht, ist wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig.

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a) Streiten die Parteien über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs, ist dieser Streit jedenfalls dann im Ausgangsverfahren auszutragen, wenn der Vergleich nicht allein aus Gründen unwirksam ist, die erst nach seinem Abschluss entstanden sind. Einer neuen Klage, mit der das ursprüngliche Prozessziel bei unverändert gebliebenem Streitgegenstand weiterverfolgt werden soll, steht das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) entgegen, weil der unwirksame Prozessvergleich nicht zur Beendigung des Ursprungsverfahrens geführt hat. Werden hinsichtlich eines Prozessvergleichs sowohl anfängliche als auch nachträgliche Mängel geltend gemacht, ist die Klärung seiner Wirksamkeit im Ausgangsverfahren herbeizuführen (vgl. BAG 24.09.2015 - 2 AZR 716/14 - Rn. 16, 17 mwN). Die anderweitige Rechtshängigkeit ist ein Prozesshindernis, das grundsätzlich von Amts wegen zu berücksichtigen ist (vgl. BAG 20.02.2014 - 2 AZR 864/12 - Rn. 36 mwN).

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b) Im Streitfall hat der Kläger den Prozessvergleich, den er mit der Beklagten am 16.07.2015 im Vorprozess (Az. 6 Ca 272/15) abgeschlossen hat, mit zwei Erklärungen vom 11.11.2015 und 26.11.2015 "aus allen in Betracht kommenden Gründen, einschließlich der arglistigen Täuschung" angefochten. Im Vorprozess hat der Kläger gegen die zwei betriebsbedingten Kündigungen der Beklagten vom 27.03. zum 31.10.2015 (wg. Schließung des Lagers) und vom 28.05. zum 31.12.2015 (wg. beabsichtigter Betriebsschließung) fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben und zusätzlich beantragt, festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht. Die Frage, ob der Prozessvergleich vom 16.07.2015 rechtswirksam ist und damit die verfahrensrechtliche Wirkung der Prozessbeendigung Bestand hat, ist durch Fortsetzung des Ursprungsverfahrens zu klären.

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c) Zwar wendet sich der Kläger nicht nur gegen die Wirksamkeit der beiden betriebsbedingten Kündigungen vom 27.03. und 28.05.2015 und die Wirksamkeit des Prozessvergleichs vom 16.07.2015, den er insbesondere wegen arglistiger Täuschung iSd. § 123 Abs. 1 BGB über die beabsichtigte Betriebsstilllegung angefochten hat. Er begehrt ausweislich der Berufungsbegründung auch seine Wiedereinstellung, weil die Beklagte den Betrieb unstreitig nicht zum 31.12.2015 stillgelegt hat; freilich ohne einen eigenständigen Wiedereinstellungsantrag zu stellen. Der Sache nach ist ein Wiedereinstellungsantrag auf die Annahme eines Angebots zum Abschluss eines Arbeitsvertrages zu den bisherigen Bedingungen und damit auf die Abgabe einer Willenserklärung zu richten (vgl. APS/Kiel 5. Aufl. KSchG § 1 Rn. 757 mwN). Hierbei handelt es sich typischerweise um einen Hilfsantrag, der für den Fall gestellt ist, dass das Arbeitsverhältnis beendet wurde. Nur dann stellt sich die Frage einer „Wiedereinstellung“ (vgl. BAG 08.05.2008 - 6 AZR 517/07 - Rn. 17).

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Grundsätzlich ist der Streit darüber, ob nach Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs dessen Geschäftsgrundlage weggefallen ist, nicht in dem alten, sondern in einem neuen Prozess auszutragen (vgl. BAG 28.06.2000 - 7 AZR 904/98 - Rn. 9). Jedenfalls dann, wenn - wie im Streitfall - hinsichtlich eines Prozessvergleichs sowohl anfängliche als auch nachträgliche Mängel geltend gemacht werden, ist das Ursprungsverfahren fortzusetzen. Für diese Auffassung spricht schon, dass bei einer Anfechtung der Ursprungsprozess sowieso fortgesetzt werden muss und die Anfechtung vorrangig zu prüfen ist (vgl. Reinfelder NZA 2013, 62, 67).

III.

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Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

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Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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