Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (7. Kammer) - 7 Sa 66/17

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Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsrechts Koblenz vom 10. Januar 2017 (Az. 12 Ca 1376/16) abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger auch über den 1. Juni 2014 hinaus nach der Entgeltgruppe E 09 T des jeweils einschlägigen Entgelttarifvertrages für die chemische Indus-trie West in Verbindung mit dem für das Land Rheinland-Pfalz geltenden bezirklichen Entgelttarifvertrag mit den sich aus dem Firmen-bezogenen Verbandstarifvertrag für die C. vom 12. Mai 2014 in Verbindung mit dem Überleitungstarifvertrag zwischen der C. und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie vom 12. Mai 2014 ergebenden Modifikationen zu vergüten.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits (1. und 2. Instanz) zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger aufgrund einer individualvertraglichen Zusage nach der Entgeltgruppe E 09 T des Bundesentgelttarifvertrags für die chemische Industrie West vom 18. Juli 1987 in der Fassung vom 30. September 2004 (im Folgenden: BETV) mit den Modifikationen durch einen firmenbezogenen Verbands- sowie Überleitungstarifvertrag zu vergüten ist.

2

Die Beklagte ist auf dem Gebiet der Verarbeitung und Entwicklung hochwertiger flexibler Packstoffe tätig und führender Erzeuger von Verpackungen für Lebensmittel und Hersteller von Folien. Sie beschäftigt am Standort C.-Stadt circa 250 Mitarbeiter. Im dortigen Betrieb existiert ein Betriebsrat.

3

Der Kläger ist seit dem 2. Januar 1996 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern beschäftigt. Er war ausweislich seines mit der "Z." geschlossenen Arbeitsvertrages vom 2. Januar 1996 (Bl. 5 d. A.) zunächst als "Packer" im Formbetrieb I tätig. Als "Einstell-Lohn" ist "Tariflohn nach Entgelt-Gruppe E-01" angegeben. Die Arbeitsvertragsparteien haben die Geltung der "maßgeblichen Tarifverträge der Chemischen Industrie" vereinbart. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2007 (Bl. 6 d. A.) übertrug die Beklagte dem Kläger mit Wirkung zum 1. Januar 2008 die Funktion als "Abteilungsverantwortlicher Interne Logistik". In diesem Schreiben heißt es:

4

"wir freuen uns, Ihnen ab dem 01.01.2008 die Funktion als

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Abteilungsverantwortlicher Interne Logistik

6

zu übertragen.

7

Verbunden damit ist eine Umgruppierung in die Entgeltgruppe E09T zzgl. einer Vorarbeiterzulage in Höhe von 10%. Ihr monatliches Bruttoentgelt setzt sich dann folgendermaßen zusammen:

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Entgeltgruppe E09 T nach 4 TJ: 

€ 2.850,00

Vorarbeiterzulage 10%:

€ 285,00

Funktionszulage           

€ 100,00

Gesamt:           

€ 3.235,00

9

Aufgrund unserer Standortsicherungsvereinbarung und der zu erwartenden Tariferhöhung werden das Tarifentgelt sowie die Vorarbeiterzulage Anfang 2008 entsprechend angepasst.

10

Wir freuen uns auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit und bitten, uns die beiliegende Kopie dieses Schreibens unterschrieben zum Zeichen Ihres Einverständnisses zurückzugeben."

11

Im Jahr 2013 führte die Beklagte Verhandlungen mit der IG BCE zu den künftigen tariflichen Regelungen. Die IG BCE informierte die Mitarbeiter der Beklagten durch öffentliche Aushänge der Tarifkommission der IG BCE vom 2. Juli 2013 und vom 21. August 2013 über die geplanten Einschnitte im Bereich der Personalkosten durch eine Tarifvertragslösung.

12

Mit Schreiben vom 17. Dezember 2013 (Bl. 7 d. A.) wandte sich die Beklagte wie folgt an den Kläger:

13

"Änderung Verantwortlichkeiten

14

(...)
ab dem 01.01.2014 werden Sie vorübergehend zeitweise oder ständig, unabhängig von der mit Ihnen arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit, als Ver- und Entsorger eingesetzt.

15

Dies geschieht aufgrund der organisatorischen Änderungen ab diesem Datum in der Produktion.

16

Wir beziehen uns hierbei auf die Regelung in § 11 Ziffer b) der Arbeitsordnung, wonach Sie, wenn betriebliche Belange es erfordern, auch mit anderen zumutbaren Tätigkeiten betraut werden können, als die, für die Sie eingestellt oder mit denen Sie längere Zeit beschäftigt wurden. Hieraus werden Ihnen keine finanziellen Nachteile entstehen.

17

Ab dem 01.01.2014 entfällt Ihre Funktion als Schichtverantwortlicher bzw. stellvertretender Schichtverantwortlicher und die damit verbundene Funktionszulage. Selbstverständlich werden Sie damit auch von Ihren Unternehmerpflichten entbunden.

18

Die Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag vom 10.12.2013 ist damit hinfällig."

19

Seit dem 1. Januar 2014 ist der Kläger als Ver- und Entsorger eingesetzt.

20

Unter dem 12. Mai 2014 schlossen der Bundesarbeitgeberverband Chemie e. V. und der Arbeitgeberverband Chemie Rheinland-Pfalz e. V. einerseits und die IG BCE und die IG BCE, Landesbezirk Rheinland-Pfalz/Saarland, andererseits rückwirkend ab dem 15. Dezember 2013 einen "firmenbezogenen Verbands-tarifvertrag für die C. gemäß Fußnote 1 Abs. 3 zum Manteltarifvertrag vom 24. Juni 1992 i.d.F. vom 16. April 2008“ (im Folgenden: FVTV) für die Beklagte, der bis zum 31. Dezember 2018 Geltung haben soll. Dieser sieht unter anderem vor, dass für die Beschäftigen der Beklagten ein um 9 % abgesenkter Tarifvertrag zur Anwendung kommt (vgl. § 4 Abs. 1). Zudem soll sich die Zuweisung der Tätigkeiten auf die im BETV definierten Entgeltgruppen aus der Betriebsvereinbarung über eine Eingruppierungsrichtlinie und die Überleitung auf die neue Entgeltstruktur vom 12. Mai 2014 zwischen dem Betriebsrat und der Beklagten ergeben (§ 3). Wegen des Inhalts des FVTV im Übrigen wird auf Bl. 114 ff. d. A. Bezug genommen.

21

An demselben Tag schlossen die Beklagte und die IG BCE zur weiteren Ergänzung einen "Überleitungstarifvertrag" (im Folgenden: Ü-TV) mit Wirkung zum 15. Dezember 2013.

22

Zur Anpassung der Eingruppierung der Mitarbeiter der Beklagten schlossen die Beklagte und der Betriebsrat der Beklagten sodann am 30. Juni 2014 mit Wirkung zum 12. Mai 2014 eine "Betriebsvereinbarung über eine Eingruppierungsrichtlinie und die Überleitung auf die neue Entgeltstruktur" (im Folgenden: BV) ab. Wegen deren Inhalts wird auf Bl. 11 ff. d. A. Bezug genommen.

23

Die Beklagte informierte mit Schreiben vom Ende Mai 2014 ihre Mitarbeiter über die Geltung des neuen firmenbezogenen Tarifvertrages. Dem Schreiben waren individuelle Vertragsergänzungsangebote zur Eingruppierung entsprechend der Betriebsvereinbarung zur Eingruppierungsrichtlinie sowie zur Geltung des neuen Tarifvertrages beigefügt. Danach sollte der Kläger ab dem 1. Juni 2014 in der Funktion als "Mitarbeiter Ver- und Entsorgung" unter Zugrundelegung der Entgeltgruppe 03 weiter arbeiten. Die Vertragsangebote unterschrieb er nicht.

24

Gleichwohl wurde der Kläger in die Entgeltgruppe E 03 eingruppiert und nach dem BETV in Verbindung mit den sich aus dem FVTV und dem Ü-TV ergebenden Modifikationen vergütet. Die seit dem 1. Februar 2014 geltende Tariflohnerhöhung von 3,7 % zahlte die Beklagte nicht. Die Gehaltsdifferenz zwischen den Entgeltgruppen E 09 T und E 03 nach dem BETV in Verbindung mit den sich aus dem FVTV und Ü-TV ergebenden Modifikationen beträgt beim Kläger rund 1.300 €.

25

Mit Schreiben vom 30. Mai 2014 (Bl. 9 f. d. A.) machte der Kläger eine weitere Vergütung nach der Entgeltgruppe E 09 T des BETV auch über den 1. Juni 2014 hinaus geltend.

26

Zunächst hat der Kläger vor dem Arbeitsgericht Koblenz unter dem Az. 12 Ca 2402/14 Klage erhoben und in diesem Rechtsstreit zuletzt unter anderem beantragt, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn auch über den 1. Juni 2014 hinaus nach Entgeltgruppe E 09 T des jeweils einschlägigen Entgelttarifvertrags für die chemische Industrie, zuletzt des BETV in Verbindung mit dem für das Land Rheinland-Pfalz geltenden bezirklichen Entgelttarifvertrag zu vergüten. Diese Klage wurde rechtskräftig abgewiesen (Arbeitsgericht Koblenz, Urteil vom 3. Dezember 2014, Az. 12 Ca 2402/14).

27

Mit seiner am 27. April 2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn auch über den 1. Juni 2014 hinaus nach der Entgeltgruppe E 09 des BETV in Verbindung mit den sich aus dem FVTV und Ü-TV ergebenden Modifikationen zu vergüten.

28

Er war unter anderem der Ansicht, die Beklagte habe ihn gemäß Vereinbarung vom 14. Dezember 2007 in die Entgeltgruppe E 09 eingruppiert. Mit diesem Schreiben sei ihm die Tätigkeit eines Abteilungsverantwortlichen Interne Logistik übertragen worden. Hiermit habe die Beklagte die Zusage der Vergütung nach der Entgeltgruppe E 09 verbunden. Insoweit sei sein arbeitsvertraglicher Tätigkeitsbereich geändert worden. Die Beklagte sei insoweit nicht berechtigt gewesen, ihm durch einfache Ausübung ihres Direktionsrechts eine Tätigkeit als Ver- und Entsorger zuzuweisen. Die Tätigkeit eines Abteilungsverantwortlichen Interne Logistik stelle im Vergleich zur Tätigkeit als Ver- und Entsorger im Bereich der Logistik eine Vorgesetztentätigkeit dar. Sie sei bei der Beklagten deutlich höher eingruppiert (gewesen) als eine Tätigkeit als Ver- und Entsorger.

29

Eine Vergütung nach der Entgeltgruppe E 09 T habe die Beklagte ihm mit Schreiben vom 17. Dezember 2013 nochmals ausdrücklich zugesagt.

30

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

31

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn auch über den 1. Juni 2014 hinaus nach der Entgeltgruppe E 09 T des Bundesentgelttarifvertrages für die Chemische Industrie West in Verbindung mit dem für das Land Rheinland-Pfalz geltenden bezirklichen Entgelttarifvertrag mit den sich aus dem firmenbezogenen Verbandstarifvertrag für die C. vom 12. Mai 2014 in Verbindung mit dem Überleitungstarifvertrag zwischen der C. und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie vom 12. Mai 2014 ergebenden Modifikationen zu vergüten.

32

Die Beklagte hat beantragt,

33

die Klage abzuweisen.

34

Sie war der Ansicht,
die Klage sei bereits wegen entgegenstehender materieller Rechtskraft unzulässig. Das vorhergehende Verfahren vor dem Arbeitsgericht Koblenz betreffe denselben Streitgegenstand wie das vorliegende Verfahren. Daher sei eine noch-malige Entscheidung über die bereits festgestellte Rechtsfolge nicht zulässig. Der Klageantrag sei nach wie vor derselbe. Dass der Kläger die Feststellung nun nicht mehr lediglich auf den BETV in Verbindung mit dem Bezirks-Entgelttarifvertrag, sondern auf alle für sie geltenden Tarifverträge stütze, sei unschädlich, denn weder der FVTV noch der Ü-TV definiere selbstständig Entgeltgruppen. Diese seien nach wie vor im BETV geregelt. Die BV konkretisiere lediglich die Tätigkeiten, welche den Entgeltgruppen des BETV zuzuordnen seien. In den vorherigen Verfahren habe der Kläger zum einen festgestellt haben wollen, dass er nach der Entgeltgruppe E 09 T zu vergüten sei und zusätzlich dazu, dass FVTV und Ü-TV auf ihn nicht anwendbar seien und ihn somit auch die Tariflohnabsenkung nicht treffe. Der Kläger formuliere den Antrag nun in korrekter Weise, da auch FVTV und Ü-TV auf sein Arbeitsverhältnis anwendbar seien. Inhaltlich ändere die Formulierung allerdings nichts an seinem Begehren. Auch unter Heranziehung des Lebenssachverhalts trete keine Veränderung des Streitgegenstands ein. Der Sachvortrag für den modifizierten Neuantrag sei im Wesentlichen bereits im ersten Verfahren vorgetragen worden. Soweit der Kläger nunmehr weiter ausführe, dass sich eine solche individualvertragliche Verpflichtung neben dem Arbeitsvertrag vor allem aus dem Schreiben vom 14. Dezember 2007 bzw. dem Schreiben vom 17. Dezember 2013 ergeben würde, ergebe sich daraus kein neuer Lebenssachverhalt, sondern lediglich eine neue bisher nicht vorgetragene Anspruchsbegründung. Insbesondere bei Feststellungsklagen werde der Begriff Sachverhalt auch weit verstanden, um zu verhindern, dass Lebenszusammenhänge auseinander gerissen würden. Im Übrigen wären diese neu hervorgebrachten Tatsachen für diesen Prozess bereits präkludiert, da sie bereits im ersten Verfahren bekannt gewesen seien.

35

Die Beklagte hat vorgetragen, es bestehe kein Anspruch auf Vergütung aus individualvertraglicher Abrede.

36

Die Vereinbarung vom 14. Dezember 2007 stelle keine entsprechende Zusage dar, dass dem Kläger losgelöst von einem Anlass und in Absehung der Tarifsystematik des BETV eine bestimmte Eingruppierung habe zugesichert werden sollen. Die Übernahme einer Abteilungsverantwortlichkeit sei kein Kriterium, das im Rahmen des BETV für eine Eingruppierung maßgeblich wäre. Eine Funktionszulage entfalle in dem Moment, in dem diese Funktion nicht mehr ausgeübt werde. Mit der ständigen Rechtsprechung sei davon auszugehen, dass die bloße Bezeichnung einer Vergütungsgruppe im Arbeitsvertrag oder in der Eingruppierungszusage nicht dahin auszulegen sei, dass dem Arbeitnehmer ein eigenständiger Anspruch auf diese Vergütung zustehen solle.

37

Auch aus der Formulierung im Schreiben vom 17. Dezember 2013 "Hieraus werden Ihnen keine finanziellen Nachteile entstehen" ergebe sich keine Zusage auf unbeschränkte Gewährung der vom Kläger begehrten Eingruppierung. Gemäß der Betreffzeile und dem Wortlaut des Schreibens handele es sich um eine Mitteilung zur vorübergehenden Änderung der Verantwortlichkeit und Tätigkeit. Die Beklagte habe damit nur ihr Direktionsrecht ausgeübt. In diesem Kontext sei auch der Satz "Hieraus werden Ihnen keine finanziellen Nachteile entstehen" zu sehen. Das Wort "Hieraus" bringe eindeutig zum Ausdruck, dass sich die Garantie für die Vergütung lediglich auf die konkret beschriebene vorübergehende Einsatzänderung beziehe. Eine darüber hinaus gehende, für alle erneuten Änderungen ebenfalls geltende Garantie sei gerade nicht ausgesprochen worden. Diesbezüglich lägen auch keine besonderen Umstände und Anhaltspunkte vor. Künftige erneute Änderungen der Tätigkeiten würden die Bedingungen des vorübergehenden Einsatzes als Ver- und Entsorger nicht mehr betreffen und damit zu einer (erneuten) Anpassung der Eingruppierung gemäß der Tarifautomatik führen.

38

Um das Schreiben vom 17. Dezember 2013 als Angebot für eine Vergütung nach Entgeltgruppe E 09 T qualifizieren zu können, müsste zumindest als essentialia negotii die konkrete Vergütung darin enthalten sein. Aus der bloßen Aussage "Hieraus werden Ihnen keine finanziellen Nachteile entstehen" lasse sich nicht ab-leiten, wie der Kläger nun vergütet werden solle. Darüber hinaus spreche diese Aussage auch nicht dafür, dass die Beklagte die Anwendbarkeit der Tarifverträge für das Arbeitsverhältnis des Klägers habe ausschließen wollen. Die Aussage sei vielmehr vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Beklagte im Rahmen des Umstrukturierungsprozesses ihre Mitarbeiter zunächst vergütet habe wie zuvor; dies jedoch nur befristet bis zu dem Abschluss der neuen Tarifwerke.

39

Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhalts im Übrigen und des erstinstanz-lichen Vorbringens der Parteien wird ergänzend auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl 203 ff. d.A.) verwiesen.

40

Das Arbeitsgericht Koblenz hat die Klage durch Urteil vom 10. Januar 2017 abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt, der Feststellungsantrag sei zulässig. Nach dem für das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren geltenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff werde der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt. Bereits der hiesige Klageantrag sei ein anderer und nicht ein "Weniger" zu den bereits rechtskräftig abgewiesenen Anträgen in dem Rechtsstreit Arbeitsgericht Koblenz Az. 12 Ca 2402/14. Der Kläger habe gegen die Beklagte aber keinen Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe E 09 T des BETV in Verbindung mit den sich aus dem FVTV in Verbindung mit dem Ü-TV ergebenden Modifikationen. Ein solcher Anspruch ergebe sich weder aus den kollektivrechtlichen Regelungen noch aus einer für den Kläger günstigeren individualvertraglichen Vereinbarung. Eine solche günstigere individualvertragliche Vereinbarung sei nicht in dem Schreiben der Beklagten vom 14. Dezember 2007 zu sehen. Dieses stelle keine konstitutive Eingruppierungszusage dar. Auch aus der Formulierung in dem Schreiben der Beklagten vom 17. Dezember 2013 („Hieraus werden Ihnen keine finanziellen Nachteile entstehen“) lasse sich keine Zusage auf unbeschränkte Gewährung der vom Kläger begehrten Entgeltgruppe herleiten. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts (Bl. 212 ff. d. A.) Bezug genommen.

41

Das genannte Urteil ist dem Kläger am 19. Januar 2017 zugestellt worden. Er hat hiergegen mit einem am 16. Februar 2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt und diese mit am 15. März 2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

42

Zur Begründung der Berufung macht der Kläger nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des Schriftsatzes vom 15. September 2017, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 240 ff., 302 f. d. A.), zusammengefasst geltend,

43

entgegen der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts Koblenz habe er aus individualvertraglicher Vereinbarung sowie aus individualvertraglicher Zusage einen Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltgruppe E 09 T.

44

Bereits das Schreiben der Beklagten vom 14. Dezember 2007 stelle eine einsei-tige ausdrückliche Zusage der Vergütung nach der Entgeltgruppe E 09 T für ihn dar. Die Tätigkeit eines Abteilungsverantwortlichen Interne Logistik sei bei der Beklagten deutlich höher eingruppiert (gewesen) als eine Tätigkeit als Ver- und Entsorger. Genau vor diesem Hintergrund habe die Beklagte ihm dann auch mit dem Schreiben vom 17. Dezember 2013 mitgeteilt, dass er zwar als Ver- und Entsorger eingesetzt werde, dass ihm hieraus jedoch keine finanziellen Nachteile entstehen würden. Aus dem Schreiben folge eine klare und ausdrückliche Zusage der Beklagten an ihn, dass sich an seiner Vergütung nach der Entgeltgruppe E 09 T durch die Änderung seiner Tätigkeit, nämlich die Übertragung einer niedriger zu bewertenden Tätigkeit als Ver- und Entsorger, nichts ändern werde. Er hätte ansonsten auch die Tätigkeit als Ver- und Entsorger nicht übernommen. Er hätte keinerlei Veranlassung gehabt, sein Arbeitsentgelt freiwillig derart stark zu re-duzieren. Unter Berücksichtigung der unstreitigen Tatsache, dass sich seine Tätigkeit seit dem Jahr 2014 nicht geändert habe, hätte das Arbeitsgericht bei zu-treffender Rechtsanwendung der Klage stattgeben müssen.

45

Seine ursprüngliche Tätigkeit als Abteilungsverantwortlicher Interne Logistik entspreche nach der neuen Eingruppierungssystematik nach der BV der Tätigkeit eines Teamleiters. Gemäß der dortigen Anlage 2 würden Teamleiter aktuell in die Entgeltgruppe E 12 T eingruppiert.

46

Aus dem Schreiben vom 17. Dezember 2013 folge nicht, dass es sich bei der Zusage/Garantie der Beklagten nur um eine vorübergehende Regelung habe handeln sollen. Vielmehr sei in dem Schreiben auch ausdrücklich ausgeführt, dass es sich auch um eine ständige Regelung habe handeln können. Nachfolgend habe die Beklagte ihn seit nunmehr fast vier Jahren ununterbrochen als Ver- und Entsorger eingesetzt.

47

Der Kläger beantragt,

48

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 10. Januar 2017 (Az. 12 Ca 376/16) abzuändern und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn auch über den 1. Juni 2014 hinaus nach der Entgeltgruppe E 09 T des jeweils einschlägigen Entgelttarifvertrages für die chemische Industrie West in Verbindung mit dem für das Land Rheinland-Pfalz geltenden bezirklichen Entgelttarifvertrag mit den sich aus dem Firmenbezogenen Verbandstarifvertrag für die C. vom 12. Mai 2014 in Verbindung mit dem Überleitungstarifvertrag zwischen der C. und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie vom 12. Mai 2014 ergebenden Modifikationen zu vergüten.

49

Die Beklagte beantragt,

50

die Berufung zurückzuweisen.

51

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe des Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 22. Mai 2017, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 257 ff. d. A.).

52

Das vorliegende Verfahren betreffe denselben Streitgegenstand wie das Ver-fahren Az. 12 Ca 2402/14. Daher sei eine nochmalige Entscheidung über die bereits festgestellte Rechtsfolge nicht zulässig.

53

Die Berufung sei darüber hinaus auch unbegründet. Ein Anspruch auf Vergütung aus individualvertraglicher Abrede bestehe nicht. Aus dem Schreiben vom 14. Dezember 2007 selbst ergebe sich keine konstitutive Eingruppierungszusage. Es fehle an einer Zusage mit dem Inhalt, dass dem Kläger losgelöst von einem Anlass und in Absehung der Tarifsystematik des BETV eine bestimmte Eingruppierung zugesichert werden sollte. Die Übernahme einer Abteilungsverantwortlichkeit sei kein Kriterium, das im Rahmen des BETV für eine Eingruppierung maßgeblich wäre. Eine Funktionszulage entfalle in dem Moment, in dem diese Funktion nicht mehr ausgeübt werde.

54

Auch aus der Formulierung in ihrem Schreiben vom 17. Dezember 2013 "Hieraus werden Ihnen keine finanziellen Nachteile entstehen" ergebe sich keine Zusage auf unbeschränkte Gewährung der vom Kläger begehrten Entgeltgruppe. Der Aussagekern dieses Schreibens betreffe die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit für einen bestimmten Zeitraum und damit die Ausübung des Direktionsrechts, wie sich allein bereits aus dem Bezug auf die Arbeitsordnung, die definitiv keine Regelungen zum Entgelt enthalte, ergebe. Der zeitliche Aspekt betreffe den vorübergehenden Einsatz des Klägers, der sich erst hinterher als dauerhaft herausgestellt habe. Damit habe das Schreiben keine Aussage zur Vergütung bei einem dauerhaften Einsatz auf der gleichen Stelle treffen können. Auch die weiteren Formulierungen in diesem Schreiben bezögen sich nur auf einen vorübergehenden und nicht auf einen dauerhaften Einsatz. Bereits die Passage "vorübergehend zeitweise oder ständig" zeige, dass zu einem dauerhaften Einsatz nichts habe geregelt werden sollen. Das Wort "vorübergehend" beziehe sich sowohl auf "zeitweise" als auch auf "ständig". Bewusst sei kein Komma zwischen "vorübergehend" und den folgenden Worten "zeitweise oder ständig" gesetzt worden. "Vorübergehend" betone in diesem Zusammenhang, dass die Beklagte gerade keine Aussage für die Zukunft oder zu dauerhaften Einsätzen habe treffen wollen. Dies decke sich auch mit dem Sinn und Zweck des Schreibens. Aufgrund der Ungewissheit in der Planung und aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation hätte sie zu keinem Zeitpunkt eine Aussage zur künftig unveränderlichen Eingruppierung der betroffenen Mitarbeiter getroffen.

55

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Sitzung vom 27. September 2017 (Bl. 309 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

56

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

B.

57

Die Berufung des Klägers ist auch begründet.

I.

58

Wie das Arbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat, ist die Klage insbesondere nicht wegen entgegenstehender materieller Rechtskraft (§ 322 Abs. 1 ZPO) unzulässig. Im vorliegenden Rechtsstreit wird nicht derselbe Streitgegenstand erneut zur Entscheidung gestellt, der Gegenstand der Entscheidung im Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Koblenz mit dem Az. 12 Ca 2402/14 war. Die rechtskräftige Klageabweisung in dem Vorprozess steht der neuen Klage mit einem anderen Streitgegenstand nach Auffassung der Kammer nicht entgegen.

59

Anknüpfungspunkt für die objektiven Grenzen der Rechtskraft ist ausschließlich der Streitgegenstand, über den im Erstprozess tatsächlich entschieden wurde. Wird dieser in einem neuen Verfahren als Vor- oder Hauptfrage erneut zur Entscheidung gestellt, so hindert die Rechtskraft das Gericht an einer abweichenden Beurteilung bzw. macht den Prozess unzulässig (ne bis in idem; BGH, Urteil vom 24. Januar 2008 - VII ZR 46/07 - NJW-RR 2008, 762 Rz. 13; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl. 2016, Vorbem. zu § 322 Rn. 35, jeweils m. w. N.). Unzulässig ist deshalb eine erneute Klage, deren Streitgegenstand mit dem eines rechtskräftig entschiedenen Rechtsstreits identisch ist.

60

Der Streitgegenstand der vorliegenden Klage ist mit dem des Vorprozesses nicht identisch.

61

Nach dem für das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren geltenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den dort gestellten Antrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, (Klageantrag) und den ihm zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet, (Klagegrund) bestimmt (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 1993 - VIII ZR 103/92 - NJW 1993, 2684, 2685). Der Streitgegenstand erfasst alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden, den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtungsweise zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht unterbreitet hat (BAG, Urteil vom 26. Juni 2013 - 5 AZR 428/12 - NZA 2013, 1262, 1264 Rn. 16; vom 13. Dezember 2011 - 1 AZR 508/10 - NZA 2012, 876, 877 Rz. 21, jeweils m. w. N.). Ob die einzelnen Tatsachen dieses Lebenssachverhalts von den Parteien vorgetragen worden sind oder nicht und ob die Parteien die im Vorprozess nicht vorgetragenen Tatsachen des Lebensvorgangs damals bereits kannten oder hätten vortragen können, ist nicht erheblich. Infolgedessen gehört zur Rechtskraftwirkung nicht nur die Präklusion der im Vorprozess vorgetragenen Tatsachen, sondern auch die der nicht vorgetragenen Tatsachen, sofern diese nicht erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Prozess entstanden sind, sondern bei natürlicher Anschauung zu dem im Vorprozess vorgetragenen Lebenssachverhalt gehören (BGH, Urteil vom 24. Januar 2008 - VII ZR 46/07 - NJW-RR 2008, 762 Rz. 15, jeweils m. w. N.). Der zugrundeliegende Lebenssachverhalt ist nicht identisch mit dem Tatbestand des Urteils (§ 313 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Dieser muss nämlich einerseits nicht alles vorprozessuale Geschehen enthalten, das zum Sachverhalt gehört, während er andererseits die Anträge und Prozessgeschichte wiedergibt, die nicht zum Sachverhalt gehören (Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl. 2016, Einl. II Rn. 27).

62

Ein klageabweisendes Urteil nach einer Leistungs- oder positiven Feststellungsklage stellt fest, dass die streitige Rechtsfolge unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt aus diesem Lebenssachverhalt hergeleitet werden kann, mag auch das Gericht die rechtlichen Gesichtspunkte nicht vollzählig geprüft haben. Zu einer Einschränkung der Rechtskraft kann es aber ausnahmsweise dann kommen, wenn das Gericht in der klageabweisenden Entscheidung ausdrücklich sagt, dass es einen oder mehrere rechtliche Gesichtspunkte nicht geprüft hat, etwa weil der Kläger verlangt hatte, die streitgegenständliche Rechtsfolge nur unter ganz bestimmten Gesichtspunkten zu prüfen oder sie unter bestimmten Gesichtspunkten nicht zu prüfen. Stets ist es aber erforderlich, dass das Gericht einen rechtlichen Gesichtspunkt bewusst ausgespart hat (Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl. 2016, Vorbem. zu § 322 Rn. 42). Ein solches Aussparen kann sich auch ohne ausdrücklichen Vorbehalt im Einzelfall im Wege der Auslegung des Urteils ergeben.

63

Der Kläger hat im vorliegenden Verfahren formal keinen identischen, sondern einen anderen Klageantrag gestellt als im vorangegangenen Rechtsstreit. Dem neuen Klageantrag liegt außerdem nicht nur der bisherige, sondern ein erweiterter und damit anderer Lebenssachverhalt zugrunde.

64

Im vorangegangenen Rechtsstreit mit dem Az. 2 Ca 2402/14 (ArbG Koblenz) hat der Kläger zuletzt unter anderem beantragt, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn auch über den 1. Juni 2014 hinaus nach Entgeltgruppe E 09 T des jeweils einschlägigen Entgelttarifvertrags für die chemische Industrie, zuletzt des BETV in Verbindung mit dem für das Land Rheinland-Pfalz geltenden bezirklichen Entgelttarifvertrag zu vergüten. Demgegenüber beantragt er im vorliegenden Rechtsstreit, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn auch über den 1. Juni 2014 hinaus nach der Entgeltgruppe E 09 T des jeweils einschlägigen Entgelttarifvertrages für die chemische Industrie West in Verbindung mit dem für das Land Rheinland-Pfalz geltenden bezirklichen Entgelttarifvertrag mit den sich aus dem FVTV in Verbindung mit dem Ü-TV ergebenden Modifikationen zu vergüten.

65

Diese zuletzt beantragte Feststellung, dass er auch über den 1. Juni 2014 hinaus nach Entgeltgruppe E 09 T FVTV in Verbindung mit dem Ü-TV zu vergüten sei, ist auch nicht lediglich ein "Weniger" zu den im vorangegangenen Verfahren abgewiesenen Anträgen. Der Kläger hat auch nicht nur ohne Veränderung des Streitgegenstands eine wechselnde Anspruchsbegründung vorgenommen. Im Vorprozess hat der Kläger lediglich seine Eingruppierung in Entgeltgruppe E 09 T nach dem BETV verlangt und die Anwendbarkeit des FVTV, des Ü-TV und der BV gänzlich in Abrede gestellt. Die Feststellung seiner Eingruppierung nach dem FVTV in Verbindung mit dem Ü-TV sowie der BV hat er bereits formal nicht einmal hilfsweise beantragt.

66

Der FVTV regelt auch nicht nur eine Entgeltabsenkung (§ 4 FVTV), sondern enthält in seinem § 3 weiter die Regelung, dass sich die für die Beklagte, Standort C.-Stadt und das Lager in Y-Stadt jetzt und zukünftig geltende Zuweisung der Tätigkeiten auf die im BETV definierten Entgeltgruppen aus der BV ergibt. Die Eingruppierung richtet sich damit nach einem abweichenden Tarifsystem und ist nicht nur an den Vorgaben des BETV zu messen, sondern auch an denjenigen des FVTV (vgl. nur LAG-Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. April 2016 - 7 Sa 281/15 - BeckRS 2016, 69976 Rz. 43). Die Tarifsituation hat sich geändert, so dass die materielle Rechtskraft des Urteils im Vorprozess einer neuen und gegebenenfalls anderslautenden gerichtlichen Entscheidung darüber nicht entgegensteht, ob die Tätigkeit des Klägers der Entgeltgruppe E 09 T des BETV mit den Modifikationen durch den FVTV, den Ü-TV und der BV entspricht (vgl. zur Reichweite der materiellen Rechtskraft BAG, Urteil vom 18. Mai 1977 - 4 AZR 18/76 - AP BAT §§ 22, 23 Nr. 97). Zwar verbleibt es bei den im BETV definierten Entgeltgruppen. Gemäß § 3 FVTV soll sich aus der BV jedoch die "jetzt und zukünftig geltende Zuweisung der Tätigkeiten" auf diese Entgeltgruppen ergeben. Im Zuge dessen haben Arbeitgeber und Betriebsrat sich auch auf genauer definierte Stellenbeschreibungen, die darauf aufbauende Eingruppierungsrichtlinie und eine Überleitung der jetzigen Entgelte auf die neue Struktur (Präambel der BV) geeinigt.

67

Außerdem hat das Arbeitsgericht im vorangehenden Verfahren ausdrücklich klargestellt, dass es die Frage der zutreffenden Eingruppierung nicht geprüft hat: „Die Klägerseite kann nicht die Feststellung verlangen, nach der Entgeltgruppe E09T des Entgelttarifvertrages für die chemische Industrie Vergütung zu erhalten. Sie hat bereits keinen Anspruch auf die tarifvertragliche Vergütung einschließlich der Entgelterhöhung von 3,7 %, da ein derartiger Vergütungsanspruch durch die Tarifabsenkung gemäß § 4 Abs. 1 des FVTV in Verbindung mit § 2 Abs. 3 Ü-TV in Höhe von 9 % rückwirkend zum 01.02.2014 gekürzt wurde. Insoweit finden die Bundestarifverträge und die Bezirksentgelttarifverträge gerade keine uneingeschränkte Anwendung, sondern kommen gemäß § 2 FVTV nur insoweit zur Anwendung, wie in den Bestimmungen des FVTV hiervon nicht abgewichen wird. Da der mit dem Klageantrag zu 1 verfolgte Anspruch bereits aus diesem Grund unschlüssig ist, kommt es auf die weitere Frage der richtigen Eingruppierung nicht mehr an" (S. 15 in 12 Ca 2402/14 vom 3. Dezember 2014).

II.

68

Die Klage ist auch begründet. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger aufgrund einer individualvertraglichen Zusicherung im Schreiben vom 14. Dezember 2007 Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe E 09 T hat. Jedenfalls steht ihm aufgrund einer einzelvertraglichen Zusicherung im Schreiben der Beklagten vom 17. Dezember 2013 ein Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe E 09 T auch über den 1. Juni 2014 hinaus zu.

69

Nach den auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren kollektivrechtlichen Regelungen ist die Tätigkeit des Klägers als "Mitarbeiter/in Ver- und Entsorgung ", die der Kläger seit dem 1. Januar 2014 ausübt, zutreffend nach Entgeltgruppe E 03 eingruppiert. Haben die Arbeitsvertragsparteien jedoch eine für den Arbeitnehmer günstigere eigenständige Entgeltregelung über die maßgebende Entgeltgruppe getroffen, ist diese Entgeltregelung insoweit vorrangig (§ 4 Abs. 3 TVG; vgl. BAG, Urteil vom 21. August 2013 – 4 AZR 656/11 – NZA 2014, 561, 564 Rz. 31).

70

Mit Schreiben der Beklagten vom 17. Dezember 2013 hat die Beklagte sich nach Auffassung der Kammer verpflichtet, an den Kläger unabhängig von dessen konkreter Tätigkeit und der sich hieraus ergebenden Eingruppierung beginnend mit dem 1. Januar 2014 weiterhin Vergütung entsprechend seiner bisherigen Tätigkeit zu zahlen. Aufgrund der Tätigkeit als Mitarbeiter Ver- und Entsorgung soll er keine niedrigere Vergütung erhalten als bislang. Er hat daher weiterhin Anspruch auf die eingeklagte bisherige Vergütung entsprechend der Entgeltgruppe E 09 T. Das ergibt die Auslegung des Schreibens der Beklagten vom 17. Dezember 2013.

71

Nach §§ 133, 157 BGB sind Willenserklärungen und Verträge so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten, wobei vom Wortlaut auszugehen ist. Zur Ermittlung des wirk-lichen Willens der Parteien sind auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Vor allem sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Im Zweifel ist der Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und zu einem den Interessen beider Vertragspartner gerecht werdenden Ergebnis führt. Haben alle Beteiligten eine Erklärung übereinstimmend in demselben Sinn verstanden, so geht der wirkliche Wille dem Wortlaut des Vertrags und jeder anderweitigen Interpretation vor und setzt sich auch gegenüber einem völlig eindeutigen Vertragswortlaut durch (BAG, Urteil vom 14. Dezember 2016 – 7 AZR 717/14 - juris Rz. 17; vom 22. Juli 2014 – 9 AZR 1066/12 – NZA 2014, 1330, 1331 Rz. 13 m. w. N.).

72

Im Schreiben vom 17. Dezember 2013 hat die Beklagte erklärt: "Hieraus werden Ihnen keine finanziellen Nachteile entstehen". "Hieraus" bezieht sich grammatikalisch auf den vorangegangenen ersten Satz des dritten Absatzes, der lautet: "Wir beziehen uns hierbei auf die Regelung in § 11 Ziffer b) der Arbeitsordnung, wonach Sie, wenn betriebliche Belange es erfordern, auch mit anderen zumutbaren Tätigkeiten betraut werden können, als die, für die Sie eingestellt oder mit denen Sie längere Zeit beschäftigt wurden." Um das Betrauen mit welcher konkreten Tätigkeit es geht, ergibt sich aus dem ersten Absatz des Schreibens, der lautet: "ab dem 01.01.2014 werden Sie vorübergebend zeitweise oder ständig, unabhängig von der mit Ihnen arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit, als Ver- und Entsorger eingesetzt". Dem Kläger sollten also keine finanziellen Nachteile daraus entstehen, dass er nicht mehr - wie bis einschließlich Dezember 2013 - als Abteilungsverantwortlicher Interne Logistik, sondern (vorübergehend zeitweise oder ständig) als Ver- und Entsorger eingesetzt wurde. Dementsprechend hat die Beklagte dem Kläger auch über den 1. Januar 2014 hinaus weiter das bisherige Entgelt nach E 09 T gezahlt.

73

Auch die Beklagte geht davon aus, dass es sich um eine Garantie für die Vergütung handelt, die sich auf die konkret beschriebene vorübergehende Einsatzänderung bezieht. Diese Auslegung entspricht auch dem Interesse der Parteien. Während der Kläger daran interessiert war, auch bei einer Veränderung seiner Tätigkeit weiterhin Vergütung nach der bisherigen Entgeltgruppe zu erhalten, ging das Interesse der Beklagten im Dezember 2013 zunächst dahin, den Kläger mit einer veränderten, niedriger als bislang eingruppierten Tätigkeit tatsächlich zu beschäftigen, ohne mit dem Kläger darüber streiten zu müssen, ob die Zuweisung dieser Tätigkeit durch Ausübung ihres Direktionsrechts möglich ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten bedurfte es nicht der konkreten Angabe einer Entgeltgruppe im Schreiben vom 17. Dezember 2013, da die bisherigen Bezüge des Klägers zweifelfrei ermittelt werden können und zwischen den Parteien nicht im Streit standen.

74

Die Beklagte hat ihre Zusicherung im Schreiben vom 17. Dezember 2013 nicht zeitlich bis zum Abschluss der Verhandlungen über den FVTV, den Ü-TV und die BV begrenzt. Der Wortlaut des Schreibens vom 17. Dezember 2013 enthält keinen Hinweis auf eine solche zeitliche Begrenzung. Sie ist dem Wortlaut nach insbesondere nicht ausdrücklich begrenzt auf die Zeitspanne bis zum Abschluss der Verhandlungen über einen firmenbezogenen Verbandstarifvertrag. Zwar spricht das Schreiben von einem vorübergehenden zeitweisen oder ständigen Einsatz als Ver- und Entsorger, die Beklagte hat jedoch nicht behauptet, ihr Direktionsrecht zwischenzeitlich erneut wirksam ausgeübt und damit den aus ihrer Sicht vorübergehenden Zustand beendet und durch eine dauerhafte Tätigkeitszuweisung ersetzt zu haben. Auch eine einvernehmliche Einigung der Parteien über eine dauerhafte Übertragung der Tätigkeit als Ver- und Entsorger mit entsprechender Vergütung ist nicht zustande gekommen, da der Kläger die von der Beklagten Ende Mai 2014 angebotene Vertragsergänzung nicht angenommen hat.

75

Der Kläger konnte auch nicht aus den Umständen entnehmen, dass ihm nur in der Zeit bis zum Abschluss des FVTV, des Ü-TV und der BV durch die Zuweisung der Tätigkeit als Mitarbeiter Ver- und Entsorgung keine finanziellen Nachteile ent-stehen sollten. Das ergibt sich nach Auffassung der Kammer bereits daraus, dass durch den FVTV, den Ü-TV und durch die BV die dauerhafte Zuweisung einer anderen - nach einer niedrigeren Entgeltgruppe vergüteten - Tätigkeit nicht geregelt werden sollte und geregelt wurde. Verhandelt und abgeschlossen wurden gerade kein Interessenausgleich und Sozialplan über eine Betriebsänderung (§ 111 f. BetrVG), etwa wegen einer Einschränkung und Stilllegung von wesentlichen Betriebsteilen. FVTV, Ü-TV und BV enthalten keine Regelungen betreffend den Wegfall von Arbeitsplätzen, sondern vielmehr Regelungen zur Absenkung des Entgelts und zur Eingruppierung und Überleitungsvorschriften. So sollen durch den FVTV die Regelungen der Bundestarifverträge, die zwischen dem Bundesarbeitgeberverband (BAVC) und der IG BCE abgeschlossen wurden, für die Beklagte angepasst werden (Abs. 3 der Präambel des FVTV). Diese Anpassung ist zum einen durch die Zuweisung der Tätigkeiten auf die im BETV definierten Entgeltgruppen (§ 3 FVTV) und zum anderen durch die Anwendung eines um 9 % abgesenkten Tarifs (§ 4 Abs. 1 FVTV) erfolgt. Dies wird auch in § 2 Abs. 2 Ü-TV deutlich, nach dem sich die nicht tarifdynamisierte Besitzstandszulage nach § 2 Abs. 1 Ü-TV aus den Beträgen zusammensetzt, die sich zum einen aus der neuen Entgeltgruppe gemäß § 3 FVTV in Verbindung mit der BV ("Abschmelzungsbetrag I") ergibt und zum anderen aus der Absenkung des Entgelts nach § 4 FVTV ("Abschmelzungsbetrag II"). Ziel der BV ist die Zuweisung der verschiedenen, an den Standorten abgeforderten Arbeitsaufgaben auf die im BETV definierten Entgeltgruppen (Abs. 2 der Präambel der BV).

76

Die Beklagte kann auch nicht unter Berufung auf das Urteil des BGH vom 7. Juli 1993, Az. VIII ZR 103/92, NJW 1993, 2684 erfolgreich einwenden, dass der Kläger die im vorliegenden Rechtsstreit vorgetragenen Tatsachen zum Vorliegen einer Individualabrede bereits im vorangegangenen Verfahren hätte geltend machen müssen und daher damit auch im vorliegenden Rechtsstreit ausgeschlossen wäre.

77

Die tatsächlichen Feststellungen in einem Urteil erwachsen für sich nicht in Rechtskraft. Andererseits darf die Rechtskraft der Entscheidung über den er-hobenen Anspruch nicht mit dem Vorbringen ausgehöhlt werden, das rechtskräf-tige Urteil gründe sich auf unrichtige tatsächliche Feststellungen. Zu den Rechtskraftwirkungen gehört aus diesem Grund die Präklusion nicht nur der im ersten Prozess vorgetragenen Tatsachen, die zu einer Abweichung von der rechtskräftig festgestellten Rechtsfolge führen sollen, sondern auch der nicht vorgetragenen Tatsachen, sofern sie nicht erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Prozess entstanden sind. Ausgeschlossen sind danach also Tatsachen, die bei einer natürlichen vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtung zu dem durch ihren Sachvortrag zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehört hätten (BGH, Urteil vom 7. Juli 1993 - VIII ZR 103/92 - NJW 1993, 2684, 2685).

78

Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Der vorliegende Fall ist dem vom BGH entschiedenen Fall der rechtskräftigen Feststellung eines Abrechnungsergeb-nisses im Vorprozess nicht vergleichbar. Wie dargelegt war die Frage, in welche Vergütungsgruppe der Kläger einzugruppieren ist und ob ihm die Vergütung nach einer für ihn günstigeren Vergütungsgruppe von der Beklagten individualvertraglich zugesagt worden ist, gerade nicht Gegenstand der rechtskräftigen Entscheidung im Vorprozess.

79

Die Berufung des Klägers hatte daher Erfolg.

C.

80

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

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