Urteil vom Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (6. Kammer) - 6 Sa 382/13
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stendal vom 11.07.2013 – 1 Ca 1639/12 E – wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stendal vom 11.07.2013 – 1 Ca 1639/12 E – teilweise abgeändert:
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gesamten Rechtsstreits.
Die Revision wird für den Kläger, soweit er mit dem Hauptantrag unterlegen ist, zugelassen. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über tarifliche Vergütungsansprüche.
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Der Kläger ist langjährig bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern beschäftigt. Nach den geltenden vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien hat er eine Arbeitsleistung als Maschinist zu erbringen.
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Auf die Rechtsbeziehungen der Parteien finden kraft Organisationszugehörigkeit die zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft EVG abgeschlossenen (Haus-)Tarifverträge Anwendung.
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Hierzu zählt der zum 01.11.2011 in Kraft getretene Entgelttarifvertrag für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen der D GmbH (im Folgenden: ETV BBG). Ebenfalls anwendbar auf die Rechtsbeziehungen der Parteien ist die Rahmen-Konzernbetriebsvereinbarung „Mitarbeiterführung“ bei der D vom 24.08.2011, gültig ab 01.01.2012 (im Folgenden: Rahmen-KBV).
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Die Tätigkeit des Klägers besteht darin, eine Schienenfräsmaschine (im Folgenden: SFM) zu warten und sie für den in den Nachtstunden erfolgenden Einsatz (Schienenschleifen) vorzubereiten. Dabei beträgt – unstreitig – der Anteil der Wartungs- und Vorbereitungsarbeiten 90 Prozent der Arbeitszeit des Klägers. Während der verbleibenden 10 Prozent seiner Arbeitszeit bewegt der Kläger die SFM zum Zwecke der Durchführung von Wartungsarbeiten im Abstellbereich. Die Schleifarbeiten als solche werden – unstreitig – nicht von dem Kläger, sondern von anderen Mitarbeitern der Beklagten ausschließlich während der Nachtstunden durchgeführt.
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Die Beklagte vergütet den Kläger für diese Tätigkeit nach Maßgabe der Vergütungsgruppe (VG) 4, (Erfahrungs-)Stufe 4 ETV BBG.
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Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die von ihm ausgeübte Tätigkeit sei korrekterweise nach Maßgabe der Vergütungsgruppe 3, Stufe 4 (im Folgenden: VG 3.4) des ETV BBG zu vergüten. Einschlägig für seine Tätigkeit sei die im Vergütungsgruppenverzeichnis 1 zum ETV BBG (im Folgenden: VGV 1) unter Abschnitt IV, Vergütungsgruppe 3 ausgebrachte Tätigkeit als „Maschinenbediener 3“:
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Selbständiges Bedienen von Hochleistungsgroßbaumaschinen, z. B. Stopf- und Fräsmaschinen, Umbauzügen (inkl. Portalkran SUM), Reinigungsmaschinen und/oder Maschinenbedienung mit Streckenfahrten.
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Nach seiner Auffassung sei der Tarifbegriff „Bedienen“ nicht auf das Führen der SFM während des Schienenschleifens beschränkt, sondern erfasse auch die von ihm überwiegend ausgeführten Reinigungs- und Wartungsarbeiten.
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Jedenfalls – so hat der Kläger hilfsweise geltend gemacht – sei die von ihm ausgeübte Tätigkeit nach Maßgabe der Vergütungsgruppe 4, Leistungsbereich Obergrenze der Entgelttabelle Vergütungsgruppenverzeichnis 1 (Anlage 1 zum ETV BBG) – im Folgenden: VG 4.LB-O ETV BBG zu vergüten. Die von ihm erbrachte Arbeitsleistung erfülle die Kriterien für eine Einstufung in den oberen Leistungsbereich. Er habe, so hat der Kläger behauptet, seine Arbeit stets ohne Fehl und Tadel ausgeübt. Im Übrigen ergebe sich die Erfüllung der vorgenannten Leistungskriterien aus dem Inhalt des von der Beklagten unter dem Datum 29.08.2012 erstellten Zwischenzeugnisses (Bl. 7, 8 d. A. des verbundenen Rechtsstreits 1 Ca 38/13 ArbG Stendal).
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Dem Anspruch auf Vergütung aus dem Leistungsbereich stehe – so hat der Kläger weiter gemeint – nicht entgegen, dass die Tarifvertragsparteien im ETV BBG keinerlei Leistungskriterien für die Erfüllung dieser Vergütungsstufe festgelegt haben. Es hätte vielmehr der Beklagten oblegen, eigenständig Leistungskriterien zu definieren. Da sie dieses pflichtwidrig unterlassen habe, ergebe sich der Anspruch auf die begehrte Vergütung jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes.
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Die sich ergebenden Vergütungsdifferenzen zwischen der VG 4.4 und VG 3.4 ETV BBG hat der Kläger – rechnerisch unstreitig – für den Zeitraum 01.11.2011 bis 31.12.2012 mit 2.443,20 Euro brutto beziffert. Den hilfsweise verfolgten Anspruch auf VG 4.LB-O ETV BBG berechnet der Kläger für den Zeitraum 01.11.2011 bis 30.11.2012 mit – rechnerisch ebenfalls unstreitig – 1.333,32 Euro brutto.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.443,20 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.01.2013 zu zahlen sowie
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hilfsweise
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.333,32 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.12.2012 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die von dem Kläger ausgeübte Tätigkeit erfülle nicht die Voraussetzungen für eine Eingruppierung in die VG 3.4 ETV BBG. Zwar werden die von ihm auszuführenden Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten an einer Hochleistungsgroßbaumaschine im Sinne der vorgenannten Tarifnorm erbracht. Der Kläger „bediene“ aber jene Maschine nicht. Dieses Tarifmerkmal beziehe sich ausschließlich auf den bestimmungsgemäßen Einsatz der Hochleistungsgroßbaumaschine, hier also auf das Bedienen der Maschine beim Abfräsen von Schienen.
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Ebenso wenig habe der Kläger Anspruch auf Vergütung nach VG 4.LB-O ETV BBG für den streitgegenständlichen Zeitraum. Für einen solchen Anspruch sei eine Anspruchsgrundlage nicht erkennbar, da Kriterien für eine Eingruppierung in den Leistungsbereich im streitgegenständlichen Zeitraum nicht existiert haben. Zwar sehe die Rahmen-KBV – gültig ab 01.01.2012 – zur Ermittlung der Arbeitsqualität ein im zweijährigen Abstand durchzuführendes Mitarbeitergespräch vor, was von der Beklagten auch zur Grundlage für eine Einstufung in den Leistungsbereich gemacht werde. Ein solches Gespräch habe jedoch im streitgegenständlichen Zeitraum – unstreitig – mit dem Kläger nicht stattgefunden. Im Übrigen sei auch davon auszugehen, dass, selbst wenn ein solches Gespräch geführt worden wäre, eine Einstufung des Klägers in den Leistungsbereich nicht erfolgt wäre, weil seine Arbeitsleistung im streitgegenständlichen Zeitraum dies nicht gerechtfertigt habe. Die Leistungen haben vielmehr im „Normalbereich“ gelegen.
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Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 11.07.2013, nachdem es zuvor die von dem Kläger in getrennten Rechtsstreiten geltend gemachten Ansprüche zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hatte, die Klage hinsichtlich des Hauptantrages abgewiesen, jedoch dem Hilfsantrag teilweise, nämlich in Höhe von 666,68 Euro brutto, entsprochen und die Kosten des Rechtsstreits den Parteien anteilig auferlegt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Vergütung nach VG 3.4 ETV BBG zu, da er die SFM nicht im Tarifsinne bediene. Dieses Merkmal betreffe nur Arbeitnehmer, die die SFM bestimmungsgemäß bedienen. Jedoch stehe dem Kläger für den streitgegenständlichen Zeitraum ein Anspruch auf Vergütung nach VG 4.LB ETV BBG zu. Zwar existieren für die Eingruppierung von Arbeitnehmern in den Leistungsbereich keine tariflichen Vorgaben. Die Beklagte sei aber verpflichtet gewesen, eine Leistungsbeurteilung des Klägers für den streitgegenständlichen Zeitraum zu erstellen und auf dieser Basis über eine Höherstufung des Klägers zu entscheiden. Anderenfalls liefe die von den Tarifvertragsparteien getroffene Vergütungsregelung für den Leistungsbereich leer. Da die Beklagte ihr Ermessen nicht ausgeübt habe, sei dies gemäß § 315 Abs. 3 BGB durch gerichtliche Entscheidung zu ersetzen. Angesichts des diesbezüglichen Sachvortrages der Parteien entspreche es billigem Ermessen, die Tätigkeit des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum der Mitte des Leistungsbereichs zuzuordnen. Wegen der weiteren Einzelheiten der angefochtenen Entscheidung wird auf Blatt 122 bis 132 d. A. verwiesen.
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Gegen diese, beiden Parteien am 13.08.2013 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 29.08.2013 und die Beklagte am 02.09.2013 Berufung eingelegt. Der Kläger hat nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 18.11.2013 seine Berufung am 14.11.2013 begründet. Die Beklagte wiederum hat nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 13.11.2013 ihre Berufung am 12.11.2013 begründet.
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Mit ihren wechselseitigen Rechtsmitteln verfolgen die Parteien ihre erstinstanzlichen Klageziele voll umfänglich weiter.
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Der Kläger hält an seinem Rechtsstandpunkt, auch das Warten und Reinigen der SFM erfülle das Tarifmerkmal „bedienen“ fest. Zumindest sei die Beklagte verpflichtet gewesen, ihn im streitgegenständlichen Zeitraum nach VG 4.LB-O ETV BBG zu vergüten. Zutreffend habe das Arbeitsgericht eine Verpflichtung der Beklagten zur Ausübung ihres diesbezüglichen Ermessens angenommen. Zu Unrecht sei das Arbeitsgericht jedoch davon ausgegangen, dass die Ermessensentscheidung lediglich einen Anspruch in Höhe des mittleren Leistungsbereiches begründen könne. Aufgrund des von der Beklagten ausgestellten Zwischenzeugnisses sei die Tätigkeit des Klägers vielmehr dem Leistungsbereich - Obergrenze zuzuordnen.
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Der Kläger beantragt,
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1. das Urteil des Arbeitsgerichts Stendal vom 11.07.2013 abzuändern,
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2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.443,20 Euro brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.01.2013,
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3. hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 666,64 Euro brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.12.2012,
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4. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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Die Beklagte beantragt,
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1. das Urteil des Arbeitsgerichts Stendal vom 11.07.2013 abzuändern und die Klage abzuweisen,
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2. die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, soweit es zu ihren Gunsten ergangen ist. Sie hält die Berufung des Klägers bereits für unzulässig. Jedenfalls sei die Berufung unbegründet. Dem Kläger stehe schon dem Grunde nach der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Vergütung nach VG 4.LB ETV BBG nicht zu. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei die Beklagte nicht verpflichtet gewesen, Leistungskriterien für eine Eingruppierung von Mitarbeitern in den Leistungsbereich der VG 4 ETV BBG festzulegen. Eine solche Verpflichtung folge weder aus dem ETV BBG noch aus arbeitsvertraglicher Nebenpflicht. Vielmehr liege es nach der Struktur des ETV BBG im freien Ermessen des Arbeitgebers, welche Arbeitnehmer er unter Berücksichtigung welcher Kriterien dem Leistungsbereich der jeweiligen Vergütungsgruppe zuordne. Keinesfalls sei ein Anspruch des Klägers auf Vergütung nach der Obergrenze des Leistungsbereichs zu VG 4 ETV BBG gegeben. Der Kläger habe die hierfür erforderlichen herausragenden Arbeitsleistungen im streitgegenständlichen Zeitraum nicht erbracht.
- 34
Im Übrigen verweist die Beklagte auf eine seit 01.01.2014 in Form einer Gesamtbetriebsvereinbarung bestehende Regelung zur Einstufung von Arbeitnehmern in den Leistungsbereich.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
A.
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Die Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten sind zulässig. Es handelt sich jeweils um das gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 ArbGG statthafte Rechtsmittel. Die Parteien haben die Fristen des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG eingehalten.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten steht der Zulässigkeit der von dem Kläger eingelegten Berufung nicht § 520 Abs. 3 ZPO entgegen. Die Berufungsbegründung entspricht den Vorgaben dieser Bestimmung auch soweit der Kläger mit seiner Berufung den Hauptantrag auf Vergütung nach VG 3.4 ETV BBG verfolgt. Der Kläger greift das Urteil insoweit in rechtlicher Hinsicht entscheidungserheblich an, indem er seine Auffassung verteidigt, auch die Inbetriebnahme der SFM zu Wartungs- und Reinigungszwecken sowie die Durchführung dieser Arbeiten stelle eine Bedienung dieser Maschine i. S. d. VGV 1, VG 3 des ETV BBG dar.
B.
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Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet.
I.
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Dem Kläger steht kein Anspruch auf Vergütung nach VG 3.4 ETV BBG für den Zeitraum 01.11.2011 bis 31.12.2012 zu. Das Arbeitsgericht hat die Klage insoweit zu Recht abgewiesen.
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Die von ihm vertraglich zu erbringende Tätigkeit erfüllt nicht die Voraussetzungen des VGV 1, Abschnitt IV „Tätigkeitsgruppe Maschinentechnik/Werkstätten VG 3“:
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Maschinenbediener 3
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Selbständiges Bedienen von Hochleistungsgroßbaumaschinen, z. B. Stopf- und Fräsmaschinen, Umbauzügen (inkl. Portalkran SUM), Reinigungsmaschinen und/oder Maschinenbedienung mit Streckenfahrten
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in Verbindung mit § 3 Abs. 1, 3 ETV BBG:
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§ 3
Grundsätze der Eingruppierung
(1) Die Eingruppierung der Arbeitnehmer in einer Vergütungsgruppe richtet sich nach der von ihnen ausgeführten und nicht nur vorübergehend übertragenen Tätigkeit und nicht nach ihrer Berufsbezeichnung. …
(3) Werden Arbeitnehmern Tätigkeiten übertragen, die verschiedenen Vergütungsgruppen zuzuordnen sind, so gilt für grundsätzlich die Vergütungsgruppe, die der überwiegenden Tätigkeit entspricht. …
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Zu Recht hat das Arbeitsgericht angenommen, dass die Tätigkeit des Klägers, die unstreitig darin besteht, die SFM zu warten und Instand zu halten (90 Prozent), wobei der Kläger die SFM dabei im Abstellbereich bewegt (10 Prozent), nicht das tarifliche Merkmal „selbständiges Bedienen von Hochleistungsgroßbaumaschinen“ ausfüllt. Auch nach Auffassung der Berufungskammer liegt ein Bedienen nur vor, wenn die vertragsgemäß an der Baumaschine auszuführenden Tätigkeiten sich – zumindest überwiegend – auf den bestimmungsgemäßen Einsatz derselben beziehen. Dies folgt aus einer Auslegung des ETV BBG.
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Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit der in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann (BAG 18.02.2014 – 3 AZR 808/11 – Rn. 29; 21.11.2013 – 6 AZR 664/12 – Rn. 28).
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Vorliegend ergibt sich das hier vertretene Auslegungsergebnis bereits aus dem Wortsinn der Tarifnorm. „Bedienung einer Maschine“ bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch, deren Einsatz zu dem bestimmungsgemäßen Zweck und nicht die Vornahme von Wartungs- und Reparaturarbeiten. Letztgenannte Tätigkeiten sind vielmehr durch eigenständige Begriffe sprachlich definiert. Darüber hinaus wird das Auslegungsergebnis durch die Systematik des ETV BBG getragen. Zu Recht verweist die Beklagte darauf, dass die Tarifvertragsparteien in dem VGV 1 mehrfach zwischen „Maschinenbediener“ und „Instandhaltungstätigkeiten“ differenzieren, etwa bei dem Tätigkeitsbeispiel „Maschinenführer 1“ der VG 3:
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Maschinenführer 1
Führen und selbständiges Bedienen von einfachen Großbaumaschinen einschließlich fachliche Führung der zugewiesenen Maschinenbediener und Verantwortung für die Durchführung der Instandhaltungstätigkeiten an der Maschinentechnik sowie Wahrnehmen der Auftragsverantwortung für die definierte Bauausführung.
II.
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Die Berufung des Klägers ist weiter hinsichtlich des zur Entscheidung angefallenen Hilfsantrages, gerichtet auf (weitere) Vergütung nach Maßgabe der VG 4.LB-O ETV BBG für den Zeitraum 01.11.2011 bis 30.11.2012 in Höhe von 666,64 Euro brutto nicht begründet.
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1. Der Anspruch ergibt sich nicht aus § 3 ETV BBG i. V. m. der Entgelttabelle VGV 1, VG 4. Dem steht bereits entgegen, dass der ETV BBG schon dem Grunde nach keinen Anspruch auf Zahlung von Vergütung nach VG 4 oberhalb der in der Entgelttabelle definierten Erfahrungsstufen gewährt. Auf die weitere Frage, ob der Umfang eines solchen Anspruchs nach billigem Ermessen – gegebenenfalls durch das Gericht – gemäß § 315 BGB zu bestimmen ist, kommt es mithin nicht an. Die Tarifvertragsparteien haben an keiner Stelle des ETV BBG Voraussetzungen aufgestellt, wann ein Arbeitnehmer dem sich an die vorgegebenen Erfahrungsstufen anschließenden Leistungsbereich zuzuordnen ist. Das Erreichen des Leistungsbereiches wird weder in zeitlicher noch qualitativer Hinsicht definiert. § 3 Abs. 7 ETV BBG regelt lediglich das vorzeitige Aufrücken eines Arbeitnehmers in eine höhere Erfahrungsstufe bei überdurchschnittlichen Leistungen. Dort heißt es:
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(7) Arbeitnehmer mit überdurchschnittlichen Leistungen können, auf Veranlassung des Arbeitgebers, vorzeitig – vor Ablauf der tariflich vereinbarten Tätigkeitsjahre – in eine höhere Erfahrungsstufe wechseln. Die zukünftigen Tätigkeitsjahre rechnen ab dieser Erfahrungsstufe.
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Diese Regelung macht auch bei systematischer Betrachtung deutlich, dass ein Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf Vergütung im Leistungsbereich nicht begründet werden sollte. Bereits das vorzeitige Aufrücken in eine höhere Erfahrungsstufe ist an die „Veranlassung des Arbeitgebers“ gebunden. Hätten die Tarifvertragsparteien darüber hinaus einen – auch ohne Veranlassung des Arbeitgebers bestehenden – Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf Vergütung oberhalb der durch Erfahrungsstufen ausgestalteten Vergütungsordnung begründen wollen, so hätte es nahe gelegen, diesen zumindest durch allgemeine Vorgaben auszugestalten.
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Bei einer Gesamtbetrachtung des ETV BBG einschließlich der Anlagen bleibt vielmehr zu konstatieren, dass die Tarifvertragsparteien lediglich die Rechtsfolgenseite, nämlich die dem Leistungsbereich zugeordnete Vergütung und auch diese nur in Form eines Vergütungskorridors geregelt haben. All dies spricht dafür, dass die Anspruchsvoraussetzungen durch eine gesonderte Regelung, sei es tariflicher Art, sie es durch von dem Arbeitgeber bzw. den Betriebsparteien (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG) erstellten Leistungsparametern, erst noch geschaffen werden sollten.
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2. Schlussendlich ergibt sich ein Anspruch auf Vergütung nach VG 4.LB-O ETV BBG nicht aus §§ 280, 283, 275; 249 BGB in Form eines Schadensersatzanspruchs, weil die Beklagte einer Verpflichtung zur Erstellung von Leistungsparametern und der Bewertung der Tätigkeit des Klägers anhand jener schuldhaft nicht nachgekommen ist. Ein solcher Anspruch scheitert bereits darin, dass die Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum nicht verpflichtet war, derartige Leistungsparameter zu erstellen und die Tätigkeit des Klägers daran zu messen.
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a) Eine solche, gegenüber dem Kläger bestehende Pflicht ergibt sich nicht aus dem ETV BBG. Wie bereits ausgeführt, haben die Tarifvertragsparteien keinerlei Regelung zur Ausgestaltung des Leistungsbereiches betreffend die Vergütungsgruppen 1 bis 6 getroffen, auch nicht in der Weise, dass der Arbeitgeber – gegebenenfalls unter Beachtung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates – zur Aufstellung von Leistungskriterien und einer darauf beruhenden Einzelfallbewertung der betreffenden Arbeitnehmer verpflichtet ist.
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b) Entgegen der Auffassung des Klägers in der Berufungserwiderung wird auch durch die Rahmen-KBV vom 24.08.2011 keine gegenüber dem Kläger bestehende schuldrechtliche Verpflichtung begründet, zur Festlegung der Vergütung betreffend den Leistungsbereich der EG 4 ETV BBG seine Tätigkeit anhand der Vorgaben in Anlage 1 Rahmen-KBV zu bewerten. Jener Regelung kommt auszugsweise folgender Inhalt zu:
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§ 2 Zielgruppe
Die Leistungsbewertung oZV gilt grundsätzlich für alle Mitarbeiter ohne Zielvereinbarung. Ausnahmen für einzelne Entgelt- oder Tätigkeitsgruppen können im Sinne dieser Regelung durch die zuständigen Betriebsparteien auf Unternehmensebene gemäß § 77 BetrVG vereinbart werden. Wird von der Möglichkeit eines Ausschlusses Gebrauch gemacht, gilt dies auch für die Module Kompetenz- und Potenzialeinschätzung sowie für das Modul Qualifizierung/Entwicklung. …
§ 3 Zeitpunkt/Turnus
(1) Die Leistungsbewertung oZV ist verpflichtend mindestens alle 2 Jahre durchzuführen. …
§ 4 Vorgehensweise und Grundlagen zur Leistungsbewertung oZV
…
(3) Ermittlung der Gesamtleistung:
(3.1) Die Gesamteinschätzung der Mitarbeiterleistung stellt eine zusammenfassende, ganzheitliche Einschätzung der Aufgabenerledigung, der erreichten Ergebnisse und des Arbeitsverhaltens des Mitarbeiters aus der Sicht der Führungskraft dar. Dabei sind ggf. veränderte Rahmenbedingungen, organisatorische sowie persönliche Hinderungsgründe für Nicht-Erreichung von Ergebnissen zu berücksichtigen
(3.2) Als Maßstab wird wiederum die fünfstufige Skala genutzt:
1 bleibt insgesamt hinter den Erwartungen zurück
2 entspricht insgesamt den Erwartungen teilweise
3 entspricht insgesamt den Erwartungen vollständig
4 übertrifft insgesamt die Erwartungen
5 übertrifft insgesamt die Erwartungen sehr deutlich
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aa) Zum einen enthält die erst am 01.01.2012 in Kraft getretene Rahmen-KBV keine Verpflichtung der Beklagten, eine Leistungsbewertung innerhalb des hier streitgegenständlichen Zeitraums zu erstellen. § 3 Abs. 1 Anlage 1 Rahmen-KBV sieht hierfür vielmehr einen Zeitraum von zwei Jahren vor.
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bb) Zum anderen weist die Regelung in Anlage 1 Rahmen-KBV keinen konkreten Bezug zu dem in der Entgelttabelle EGV 1 ETV BBG aufgenommenen Leistungsbereich betreffend die Vergütungsgruppen 1 bis 6 auf.
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c) Angesichts vollständig fehlender tariflicher oder betrieblicher Vorgaben vermag die Kammer auch keine vertragliche Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) zur Erstellung von Leistungsparametern und zur Durchführung einer Leistungsbewertung der Tätigkeit des Klägers betreffend den streitgegenständlichen Zeitraum anzunehmen. Eine solche Pflicht ergibt sich schließlich nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dass die Beklagte während des streitgegenständlichen Zeitraums bei mit dem Kläger vergleichbaren Arbeitnehmern eine Leistungsbewertung zwecks Einstufung in den Leistungsbereich durchgeführt hat, hat der Kläger nicht dargetan.
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d) Nach alledem kann dahinstehen, ob im Hinblick auf die bestehenden Mitbestimmungsrechte des bei der Beklagten bestehenden Gesamtbetriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG in dem jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum nicht erfolgten Aufstellen von Leistungsparametern ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten zu sehen ist. Ebenso dahingestellt bleiben kann, ob dem Kläger im Hinblick auf die von ihm nur pauschal vorgetragene Arbeitsleistung im streitgegenständlichen Zeitraum durch die unterlassene Aufstellung von Leistungsparametern ein Schaden in Form entgangener Vergütung nach Maßgabe der VG 4.LB-O ETV BBG überhaupt entstanden ist.
C.
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Die Berufung der Beklagten, die sich auf die teilweise Stattgabe des Hilfsantrages des Klägers bezieht, ist hingegen begründet. Das Arbeitsgericht hat dem Kläger zu Unrecht Vergütungsansprüche nach Maßgabe der VG 4.LB ETV BBG in Höhe von 666,68 Euro brutto zugesprochen.
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Wie vorstehend unter B. II. ausgeführt, besteht ein solcher Anspruch schon dem Grunde nach nicht.
D.
E.
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Gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG war wegen grundsätzlicher Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen für den Kläger die Revision zuzulassen, soweit er mit der vorliegenden Klage (Hauptantrag) eine Vergütung nach VG 3.4 ETV BBG begehrt. Die Entscheidung beruht auf der Auslegung des bundesweit geltenden ETV BBG betreffend das tarifliche Merkmal „Maschinenbediener“.
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Hingegen liegt keine grundsätzliche Bedeutung des vorliegenden Rechtsstreits (mehr) vor, soweit der Kläger mit seinem Hilfsantrag Vergütung nach VG 4.LB-O ETV BBG begehrt. Die insoweit entscheidende Rechtsfrage ist durch das Inkrafttreten einer die Einstufung in den Leistungsbereich regelnden Gesamtbetriebsvereinbarung im Januar 2014 obsolet geworden.
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Auf § 72a ArbGG wird hingewiesen.
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Referenzen
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- § 3 ETV 1x (nicht zugeordnet)
- § 3 Abs. 1, 3 ETV 1x (nicht zugeordnet)
- 1 Ca 1639/12 2x (nicht zugeordnet)
- ArbGG § 64 Grundsatz 1x
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- § 3 Abs. 7 ETV 1x (nicht zugeordnet)
- BetrVG § 87 Mitbestimmungsrechte 2x
- BGB § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung 1x
- ArbGG § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung 1x
- ArbGG § 72 Grundsatz 1x
- BGB § 275 Ausschluss der Leistungspflicht 1x
- BetrVG § 77 Durchführung gemeinsamer Beschlüsse, Betriebsvereinbarungen 1x
- ArbGG § 72a Nichtzulassungsbeschwerde 1x
- 1 Ca 38/13 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 315 Bestimmung der Leistung durch eine Partei 2x
- BGB § 249 Art und Umfang des Schadensersatzes 1x
- BGB § 283 Schadensersatz statt der Leistung bei Ausschluss der Leistungspflicht 1x
- BGB § 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis 1x
- 6 AZR 664/12 1x (nicht zugeordnet)