Urteil vom Landgericht Aachen - 10 O 338/15
Tenor
Es wird festgestellt, dass der Widerruf der Kläger zu den Darlehensverträgen mit den Nummern #####/#### über 156.000,00 €, Nummer #####/#### über 77.000,00 € und Nummer #####/#### über 88.000,00 € wirksam erklärt worden ist und sich die Vertragsverhältnisse in ein Rückgewährschuldverhältnisse umgewandelt haben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs von 3 Darlehensverträgen.
3Die Kläger, die in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (im Folgenden: GbR) verbunden sind, nahmen bei der Beklagten insgesamt 3 Darlehen auf. Das erste Darlehen vom 13.02.2008 belief sich auf 77.000,00 € und war mit 5,08 % p. a., gebunden bis zum 30.01.2018, zu verzinsen (Anlage K 1, Bl. 5 d. A.). Ein weiteres Darlehen über 156.000,00 € vom 14.08.2008 war mit 5,9 % p. a., gebunden bis zum 30.07.2018, zu verzinsen (Anlage K 2, Bl. 8 d. A.). Schließlich nahmen die Kläger am 27.08.2008 ein Darlehen über 88.000,00 € auf (Anlage K 3, Bl. 11 d. A.). Es war mit 5,2 % p. a., gebunden bis zum 30.09.2018, zu verzinsen. Die Darlehensverträge waren mit „Darlehen mit anfänglichem Festzins mit dinglicher Sicherheit für private Zwecke und für Existenzgründung“ überschrieben.
4Die Widerrufsbelehrung zu den Darlehensverträgen, die in allen Fällen inhaltlich übereinstimmt, lautet auszugsweise wie folgt:
5„[…]
6Widerrufsbelehrung zu 1
7Widerrufsrecht
8Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen²
9ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an:
10(Name, Firma und ladungsfähige Anschrift des Kreditinstituts, ggf. Fax-Nr., E-Mail-Adresse und/oder wenn der Verbraucher eine Bestätigung seiner Widerrufserklärung erhält, auch eine Internet-Adresse):
11T B […]
12Widerrufsfolgen
13[…]
14Verpflichtungen zur Erstattung von Zahlungen müssen Sie innerhalb von 30 Tagen nach Absendung ihrer Widerrufserklärung erfüllen.
15Finanzierte Geschäfte
16Widerrufen Sie diesen Darlehensvertrag, mit dem Sie ihre Verpflichtungen aus einem anderen Vertrag finanzieren, so sind Sie auch an den anderen Vertrag nicht gebunden, wenn beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn wir zugleich auch ihr Vertragspartner im Rahmen des anderen Vertrages sind, oder wenn wir uns bei Vorbereitung oder Abschluss des Darlehensvertrages der Mitwirkung Ihres Vertragspartners bedienen. Bei einem finanzierten Erwerb eines Grundstückes oder grundstücksgleichen Rechts ist eine wirtschaftliche Einheit nur anzunehmen, wenn wir zugleich auch Ihr Vertragspartner im Rahmen des anderen Vertrages sind oder wenn wir über die Zurverfügungstellung von Darlehen hinaus Ihr Grundstücksgeschäft durch Zusammenwirken mit dem Veräußerer fördern, indem wir uns dessen Veräußerungsinteresse ganz oder teilweise zu Eigen machen, bei der Planung, Werbung oder Durchführung des Projektes Funktionen des Veräußerers übernehmen oder den Veräußerer einseitig begünstigen.[…]
171 Bezeichnung des konkret betroffenen Geschäfts, z. B. Darlehensvertrag vom …. ² Bitte Frist im Einzelfall prüfen.“
18Wegen der weiteren Einzelheiten der Widerrufsbelehrungen wird auf die Anlagen K 1, K 2, K 3, Bl. 7, 10, 13 d. A., von dem Prozessbevollmächtigten der Kläger als Anlage zur Klageschrift zur Akte gereicht, Bezug genommen.
19Mit anwaltlichem Schreiben vom 01.06.2015 (Anlage K 4, Bl. 14 d. A.) erklärten die Kläger den Widerruf der Darlehensverträge, was die Beklagte mit Schreiben vom 05.06.2015 (Anlage K 5, Bl. 16 d. A.) zurückwies.
20Die Kläger meinen, die Widerrufsbelehrungen seien hinsichtlich des Fristbeginns ("frühestens") unklar und daher unwirksam. Die Beklagte könne sich auch nicht auf die Schutzwirkung der Musterbelehrung zu der BGB-InfoV berufen, da die verwandten Belehrungen nicht vollständig dem amtlichen Muster entsprächen. Die Fußnote 2 könne bei dem Verbraucher nämlich den Eindruck erwecken, er müsse die Länge der Widerrufsfrist selbstständig prüfen. Die Ausübung des Widerrufsrechts sei auch nicht rechtsmissbräuchlich, vielmehr sei es rechtsmissbräuchlich, dass sich die Beklagte ihrerseits auf Rechtsmissbrauch berufe. Da die Beklagte von der Musterbelehrung abgewichen sei, sei ihr Vertrauen auf den Fortbestand des Vertrags nicht schutzwürdig. Das Widerrufsrecht sei auch nicht verwirkt. Mangels Ablösung der Darlehen liege das Umstandsmoment nicht vor. Zudem sei eine ordnungsgemäße Tilgung nicht ausreichend, um einen Vertrauensschutz zugunsten der Beklagten zu begründen.
21Schließlich hätten sie auch einen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren, da die Verwendung der unwirksamen Belehrung eine vertragliche Nebenpflichtverletzung darstelle.
22Die Kläger beantragen,
23festzustellen, dass der Widerruf der Kläger zu den Darlehensverträgen mit den Nummern #####/#### über 156.000,00 €, Nummer #####/#### über 77.000,00 € und Nummer #####/#### über 88.000,00 € wirksam erklärt worden ist und sich das Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt hat,
24die Beklagte zu verurteilen, die Kläger von den außergerichtlichen Gebühren anwaltlicher Tätigkeit in Höhe von 5.931,79 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.10.2015 freizustellen.
25Die Beklagte beantragt,
26die Klage abzuweisen.
27Die Beklagte meint, sie könne sich auf Vertrauensschutz aufgrund der Musterbelehrung nach der BGB-InfoV berufen. Insoweit sei nicht jede Abweichung unzulässig, es bestehe keine absolute Veränderungssperre. Die Belehrungen wiesen zudem keine inhaltlichen Bearbeitungen, sondern nur marginale Abweichungen hinsichtlich der Fußnoten bzw. Ausfüllhinweise und sprachliche Anpassungen auf.
28Die Fußnote 1 lasse eindeutig erkennen, dass sie nicht an den Verbraucher gerichtet sei, sondern nur eine interne Anweisung an die Mitarbeiter der Beklagten darstelle. Zudem wirke sie sich nicht nachteilig auf das Verständnis vom Widerrufsrecht aus. Die Bezeichnung des konkreten Rechtsgeschäfts diene vielmehr der erleichterten Rechtsdurchsetzung für den Verbraucher.
29Die Fußnote 2 sei nicht geeignet, Verbraucher hinsichtlich ihrer Rechte zu verunsichern. Es handele sich erkennbar um einen Bearbeiterhinweis für die Mitarbeiter der Beklagten. Zudem liege keine inhaltliche Bearbeitung vor. Die Fußnote befinde sich außerdem außerhalb der eigentlichen Widerrufsbelehrung.
30Auch die Passage zu den finanzierten Geschäften sei ohne Bedeutung, da ein solches nicht vorliege. Jedenfalls lägen insoweit nur textliche Abweichungen vor.
31Die Ausübung des Widerrufsrechts sei mangels eines schutzwürdigen Eigeninteresses der Kläger rechtsmissbräuchlich. Zudem sei das Widerrufsrecht jedenfalls verwirkt. Das Zeitmoment liege vor, da zwischen Vertragsschluss und Widerruf mehr als 7 Jahre lägen. Das Umstandsmoment gründe sich darauf, dass die Beklagte nicht mehr mit einem Widerruf habe rechnen müssen, sondern auf die Vertragserfüllung habe vertrauen dürfen. Die Kläger hätten während der Vertragsdauer nicht erkennen lassen, nicht an den Verträgen festhalten zu wollen. Die Unrichtigkeit der Belehrung zum Fristbeginn sei ihr, der Beklagten, nicht zuzurechnen. Sie sei schutzwürdig, da die Kläger minimale Abweichungen der Belehrungen nachträglich und einseitig zu ihren Gunsten ausnutzen wollten.
32Schließlich bestehe kein Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren. Sie, die Beklagte, habe sich nicht im Verzug befunden und die fehlerhafte Belehrung stelle keine Pflichtverletzung dar.
33Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die durch die Prozessbevollmächtigten der Parteien zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
34Entscheidungsgründe
35Die Klage ist zulässig und hat in der Sache überwiegend Erfolg.
361. Die Feststellungsklage ist zulässig. Insbesondere verfügen die Kläger über ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO. Die Parteien streiten nämlich um die Wirksamkeit der Widerrufsbelehrungen und die Frage, ob die Kläger die Darlehensverträge noch wirksam widerrufen konnten. Da die Beklagte die Kläger aus den Darlehensverträgen weiterhin in Anspruch nehmen könnte, wenn diese nicht wirksam widerrufen worden wären, haben die Kläger ein berechtigtes Interesse an einer verbindlichen Klärung dieser Frage. Darüber hinaus wären im Falle eines wirksamen Widerrufs primär die Kläger gegenüber der Beklagten zu Zahlungen verpflichtet, so dass eine Leistungsklage auch keinen besseren Rechtsschutz böte und daher nicht vorrangig ist.
372. Der Feststellungsantrag ist auch begründet. Die streitgegenständlichen Darlehensverträge wurde durch die wirksamen Widerrufe der Kläger in Rückgewährschuldverhältnisse umgewandelt, §§ 355, 357, 491, 495 BGB a. F. Da die Belehrungen unwirksam sind, war die Widerrufsfrist zum Zeitpunkt der Widerrufe noch nicht abgelaufen.
38a) Auf die streitgegenständlichen Darlehensverträge finden gem. Art. 229 § 22 Abs. 1, § 9 EGBGB iVm. Art. 24 Abs. 3 Nr. 1 OLGVertrÄndG die §§ 495, 491, 355, 357 BGB in der bis zum 10.06.2010 gültigen Fassung Anwendung (im Folgenden: a. F.).
39b) Den Klägern steht ein Widerrufsrecht nach §§ 495, 491 BGB a. F. zu. Bei den streitgegenständlichen Darlehensverträgen handelt es sich um Verbraucherdarlehensverträge im Sinne des § 491 Abs. 1 BGB a. F. Darlegungs- und beweisbelastet für das Bestehen eines Widerrufsrechts und damit auch für das Vorliegen eines Verbraucherdarlehensvertrags sind die Kläger als Darlehensnehmer (MüKo/Schürnbrand, BGB, 6. Auflage 2016, § 491 Rn. 26). Zwar sind sie ausweislich der Darlehensverträge als GbR verbunden, wobei rechtsfähige Personengesellschaften nicht in den Anwendungsbereich der §§ 491 ff. BGB fallen (vgl. BGH, XI ZR 63/01, Urteil vom 23.10.2001, NJW 2002, 368). Anders ist dies jedoch dann, wenn die Darlehensaufnahme der Existenzgründung der hinter der Gesellschaft stehenden Personen dient (MüKo/Schürnbrand, BGB, § 491 Rn. 15). So lag es hier ausweislich der Darlehensverträge. Diese sind nämlich mit "Darlehen (…) mit dinglicher Sicherheit für private Zwecke und für Existenzgründung" überschrieben und die Kläger erhielten zu allen Verträgen an sie als Verbraucher adressierte Widerrufsbelehrungen. Gegenteiliges bringt auch die Beklagte nicht vor.
40c) Jedenfalls im Hinblick auf den Beginn der Widerrufsfrist genügen die streitgegenständlichen Widerrufsbelehrungen nicht den Anforderungen des § 355 Abs. 2 BGB a. F. Danach beginnt die Widerrufsfrist zu dem Zeitpunkt, zu dem dem Verbraucher eine deutlich gestaltete Belehrung über sein Widerrufsrecht mitgeteilt worden ist. Die Widerrufsbelehrung muss umfassend, unmissverständlich und für den Verbraucher eindeutig sein. Die hier verwendeten Belehrungen, wonach die Widerrufsfrist jeweils „frühestens mit dem Erhalt der Belehrung“ beginnt, genügen diesen Anforderungen indes nicht. Wie der Bundesgerichtshof bereits mehrfach entschieden hat, belehrt diese Formulierung den Verbraucher nämlich nicht ausreichend über sein Widerrufsrecht. Die Belehrung ist nicht umfassend und irreführend. Insbesondere kann der Verbraucher aus der Wendung „frühestens“ nicht erkennen, wann genau die Frist beginnt (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2011, XI ZR 349/10, Rz. 34, juris m. w. N.; OLG Köln, Urteil vom 23.01.203, 13 U 69/12, Tz. 26, juris). Er vermag ihr lediglich zu entnehmen, dass die Widerrufsfrist „jetzt oder später“ beginnt, der Fristbeginn also noch von weiteren Voraussetzungen abhängen soll. Der Verbraucher wird jedoch im Unklaren darüber gelassen, um welche etwaigen Umstände es sich dabei handelt (vgl. BGH, Urteil vom 09.12.2009, VIII ZR 219/08, Tz. 15, juris).
41d) Die Beklagte genießt auch keinen Vertrauensschutz aufgrund der Musterwiderrufsbelehrung der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV. Hinsichtlich des Darlehensvertrags vom 13.02.2008 ist die Musterbelehrung in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung vom 08.12.2004 maßgeblich und für die anderen beiden Verträge die Fassung vom 01.04.2008.
42Ein Unternehmer kann sich nur dann auf den Vertrauensschutz aufgrund der BGB-InfoV berufen, wenn er ein Formular verwendet, das der Musterbelehrung in der jeweils maßgeblichen Fassung sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich der äußeren Gestaltung vollständig entspricht; entscheidend ist, ob der Unternehmer die Belehrung einer eigenen Bearbeitung unterzogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2011, XI ZR 349/10, Tz. 37 ff. m. w. N., juris). Greift er in den Text der Musterbelehrung ein, kann er sich schon deshalb nicht auf die mit einer unveränderten Übernahme der Musterbelehrung verbundene Schutzwirkung berufen.
43Eine solche vollständige Entsprechung liegt hier nicht vor.
44aa) Hinsichtlich des Vertrags vom 13.02.2008 weicht jedenfalls im Hinblick auf die Fußnote 2, „Bitte Frist im Einzelfall prüfen“, die streitgegenständliche Belehrung von der zum damaligen Zeitpunkt maßgeblichen Musterbelehrung ab, wo eine Fußnote mit einem solchen Text nicht vorgesehen ist. Dabei handelt es sich auch nicht nur um eine redaktionelle, sondern eine inhaltliche Abweichung von der Musterbelehrung. Durch den Zusatz „Bitte Frist im Einzelfall prüfen“ wird nämlich die Angabe der konkreten Frist „zwei Wochen“ inhaltlich relativiert. Gerade weil die Widerrufsbelehrung ersichtlich an den Verbraucher und nicht an die Mitarbeiter der Beklagten gerichtet ist, besteht jedenfalls die Gefahr, dass der Verbraucher den Hinweis dahingehend versteht, dass er selbst die Frist noch einmal prüfen müsse (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 06.11.2015, 13 U 113/15). Gerade weil Adressat der Widerrufsbelehrung der Darlehensnehmer und nicht ein Mitarbeiter der Bank ist, vermag die Beklagte mit ihrer Argumentation, es handele sich erkennbar nur um einen internen Ausfüllhinweis an ihre Mitarbeiter, nicht durchzudringen. Zudem wird dies aufgrund der Widerrufsbelehrung selbst nicht deutlich, ein Adressat für die Prüfung der Frist ist nämlich nicht genannt.
45Darüber hinaus liegen weitere Abweichungen von der Musterbelehrung vor:
46In dem Passus zu den finanzierten Geschäften wurde Satz 2 nicht durch die Belehrung zu dem finanzierten Erwerb eines Grundstücks ersetzt (Fußnote 9 der Musterbelehrung), sondern der Hinweis zu dem finanzierten Erwerb eines Grundstücks an den allgemeinen Hinweis angefügt. Darüber hinaus ist die streitgegenständliche Belehrung zu dem finanzierten Erwerb eines Grundstücks in der „wir-Form“ gefasst, wohingegen die Musterbelehrung lediglich von „Vertragspartner“ und „Darlehensgeber“ spricht.
47Unerheblich ist insofern, dass hier – unstreitig – kein finanziertes Geschäft vorlag, so dass nach Fußnote 9 der Musterbelehrung die Beklagte nicht verpflichtet war, den Hinweis zu den finanzierten Geschäften aufzunehmen. Entscheidend für die Schutzwirkung aufgrund der BGB-InfoV ist nämlich nur, dass die Beklagte insoweit den vom Verordnungsgeber entworfenen Text der Musterbelehrung einer eigenen Bearbeitung unterzogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2011, XI ZR 349/10, Tz. 39, juris). Nimmt die Beklagte den Zusatz mit in die Belehrung auf, kann sie sich nur im Falle einer vollständigen Entsprechung auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen.
48Damit liegt erkennbar keine vollständige Entsprechung zwischen streitgegenständlicher Belehrung und der Musterbelehrung vor.
49bb) Hinsichtlich der Darlehensverträge aus August 2008 liegt ebenfalls keine vollständige Entsprechung zwischen der Musterbelehrung und der verwandten Belehrung vor. Dies gilt schon deshalb, weil ausweislich der zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Verträge geltenden Fassung der Musterbelehrung die Frist erst "nach Erhalt der Belehrung in Textform" und nicht "frühestens mit Erhalt dieser Belehrung" beginnt.
50Zudem liegt hinsichtlich der Belehrung zu den Widerrufsfolgen keine vollständige Entsprechung vor. In der Musterbelehrung heißt es nämlich: "Verpflichtungen zur Erstattung von Zahlungen müssen innerhalb von 30 Tagen erfüllt werden. Die Frist beginnt für Sie mit der Absendung Ihrer Widerrufserklärung, für uns mit deren Empfang.", während es in den streitgegenständlichen Belehrungen lediglich heißt: "Verpflichtungen zur Erstattung von Zahlungen müssen Sie innerhalb von 30 Tagen nach Absendung Ihrer Widerrufserklärung erfüllen." Auch insoweit liegt erkennbar keine vollständige Entsprechung vor.
51cc) Es ist auch ohne Belang, ob sich der Mangel der Widerrufsbelehrung im konkreten Fall zulasten des Verbrauchers auswirkt, etwa weil dessen Verständnis des Widerrufsrechts dadurch erschwert wurde (vgl. OLG Köln, Urteil vom 23.01.2013, 13 U 69/12, Tz. 31, juris; OLG Köln, Urteil vom 23.01.2013, 13 U 217/11, Tz. 25, juris).
52Es kommt zudem auf den konkreten Umfang der vom Unternehmer vorgenommenen Änderungen nicht an, zumal es mit Rücksicht auf die Vielgestaltigkeit möglicher individueller Veränderungen des Musters ohnehin nicht möglich wäre, eine verallgemeinerungsfähige bestimmte Grenze zu ziehen, ab deren Überschreitung die Schutzwirkung nicht mehr gelten würde (vgl. BGH, Urteil 28.06.2011, XI ZR 349/10, Tz. 39, juris; OLG Köln, Urteil vom 23.01.2013, 13 U 69/12, Tz. 30, juris; OLG Köln, Urteil vom 23.01.2013, 13 U 217/11, Tz. 24, juris). Sogar nur punktuelle Abweichungen gegenüber der Musterbelehrung können mithin den Vertrauensschutz entfallen lassen (OLG Köln, Urteil vom 23.01.2013, 13 U 217/11, Tz. 25, juris).
53e) Das Widerrufsrecht ist nicht verwirkt, § 242 BGB. Zwar erklärten die Kläger die Widerrufe mehr als 7 Jahre nach Vertragsschluss, so dass das Zeitmoment vorliegen könnte. Allerdings liegt jedenfalls das Umstandsmoment nicht vor. Das ist nämlich nur dann der Fall, wenn sich der Verpflichtete aufgrund des Verhaltens des Berechtigten darauf eingerichtet hat, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde und dem Verpflichteten aufgrund des geschaffenen Vertrauenstatbestandes ein unzumutbarer Nachteil entstünde (BGH, Urteil vom 23.01.2014, VII ZR 177/13, NJW 2014, 1230, 1231; Palandt/Grüneberg, BGB, § 242 Rn. 95). Vorliegend sind die beiderseitigen Pflichten aus den streitgegenständlichen Darlehensverträgen jedoch noch nicht vollständig erfüllt. Vor diesem Hintergrund konnte die Beklagte trotz des langen Zeitablaufs seit Vertragsschluss nicht in schutzwürdiger Weise darauf vertrauen, dass die Kläger ihr Widerrufsrecht nicht mehr ausüben würden (vgl. OLG Köln, Urteil vom 25.01.2012, 13 U 30/11, Tz. 24, juris). Es begründet auch kein schutzwürdiges Vertrauen, dass die Kläger ihren vertraglichen Zahlungsverpflichtungen nachkamen.
54Die Ausübung des Widerrufsrechts ist auch nicht rechtsmissbräuchlich. Dies ist nicht alleine deshalb der Fall, weil der Darlehensnehmer den Widerruf erklärt, um von dem derzeit günstigen Zinsniveau zu profitieren. § 355 Abs. 3 S. 2 BGB a. F. sah nämlich gerade vor, dass dann, wenn der Darlehensgeber eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung verwendet, die Widerrufsfrist nicht nach Ablauf von spätestens sechs Monaten erlischt, sondern zeitlich unbegrenzt fortbesteht. Dann steht es dem Darlehensnehmer auch grundsätzlich frei, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Anhaltspunkte, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, sind weder ersichtlich noch dargetan.
55f) Die Kläger haben hingegen keinen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren nebst Rechtshängigkeitszinsen. Da sich die Beklagte zu dem Zeitpunkt, als der Prozessbevollmächtigte der Kläger erstmals tätig wurde, nicht im Verzug befand, folgt ein solcher Anspruch nicht aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1, 249 BGB. Mangels Verschuldens der Beklagten folgt ein Anspruch auch nicht aus §§ 280 Abs. 1, 249 BGB. Da die Kläger einen Freistellungsanspruch geltend machen, besteht ohnehin kein Anspruch auf Rechtshängigkeitszinsen, da der Freistellungsanspruch keine Geldschuld im Sinne des § 288 Abs. 1 BGB darstellt.
56Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
57Streitwert: 256.800,00 €
58Rechtsbehelfsbelehrung:
59Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
601. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
612. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Landgericht zugelassen worden ist.
62Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Oberlandesgericht Köln, Reichenspergerplatz 1, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils (Datum des Urteils, Geschäftsnummer und Parteien) gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
63Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Oberlandesgericht Köln zu begründen.
64Die Parteien müssen sich vor dem Oberlandesgericht Köln durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
65Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
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Referenzen
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- BGB § 491 Verbraucherdarlehensvertrag 4x
- ZPO § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen 1x
- 13 U 69/12 3x (nicht zugeordnet)
- 13 U 217/11 3x (nicht zugeordnet)
- 13 U 30/11 1x (nicht zugeordnet)
- VIII ZR 219/08 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 249 Art und Umfang des Schadensersatzes 2x
- BGB § 357 Rechtsfolgen des Widerrufs von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Fernabsatzverträgen mit Ausnahme von Verträgen über Finanzdienstleistungen 2x
- BGB § 2 Eintritt der Volljährigkeit 1x
- BGB § 286 Verzug des Schuldners 1x
- BGB § 495 Widerrufsrecht; Bedenkzeit 3x
- BGB § 355 Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen 4x
- BGB § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung 2x
- § 9 EGBGB 1x (nicht zugeordnet)
- XI ZR 63/01 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 491 ff. BGB 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 256 Feststellungsklage 1x
- § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV 1x (nicht zugeordnet)
- XI ZR 349/10 4x (nicht zugeordnet)
- BGB § 242 Leistung nach Treu und Glauben 1x
- BGB § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden 1x
- VII ZR 177/13 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Oberlandesgericht Köln - 13 U 113/15 1x