Urteil vom Landgericht Aachen - 12 O 303/19
Tenor
Es wird festgestellt, dass die durch das Schreiben der beklagten Partei vom 12.07.2019 ausgesprochene Kündigung des zwischen den Parteien mündlich geschlossenen Schulvertrages aus dem Jahr 2014 unwirksam ist und das Schulverhältnis an der C-Schule, C-Straße, E, nicht beendet hat.
Es wird weiter festgestellt, dass die durch Schriftsatz der beklagten Partei vom 14.11.2019 ausgesprochene ordentliche und außerordentliche Kündigung des zwischen den Parteien mündlich geschlossenen Schulvertrages aus dem Jahr 2014 unwirksam ist und das Schulverhältnis an der C-Schule, C-Straße, E, nicht zum 31.01.2020 geendet hat bzw. zum 31.07.2020 endet.
Die Kosten des Rechtsstreites trägt die beklagte Partei.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten über die Kündigung eines Schulvertrages, der im Jahr 2014 mündlich geschlossen wurde. Die beklagte Partei ist Trägerin der C-Schule in E, die der 15-jährige Kläger zu 3) seit der 5. Klasse und zuletzt in der 10. Klasse besuchte. Die Kläger zu 1) und zu 2) sind die Eltern des Klägers zu 3). Der Unterricht an der C-Schule fand in der Vergangenheit monoedukativ in Mädchenklassen statt. Seit mehreren Jahren wird ab der 10. Klasse in einem Kurssystem unterrichtet, bei dem die Schülerinnen der C-Schule aufgrund einer Kooperation mit anderen Schulen einzelne Kurse auch zusammen mit Schülern anderer Schulen besuchen. Seit dem Schuljahr 2018/2019 werden außerdem reine Jungenklassen ab der 5. Klasse aufgebaut.
3Der Kläger zu 3) wurde ursprünglich mit dem Vornamen M und als dem weiblichen Geschlecht zugehörig im Geburtenregister eingetragen. Er fühlt sich aber seit der Pubertät dem männlichen Geschlecht zugehörig, was er Mitte 2017 seinen Eltern und Mitte 2018 in der Schule bekannt gab. Im Januar 2018 stellte der Zeuge Dr. T die Diagnose einer Störung der Geschlechteridentität in Form des Transsexualismus.
4Nach dem Outing des Klägers zu 3) kündigte der Schulleiter der C-Schule in einem Elterngespräch im Oktober 2018 an, der Kläger zu 3) müsse die Schule wechseln. Nach weiterer Korrespondenz und einer Klassenpflegschaftssitzung wurde diese Forderung zunächst nicht erneut geäußert. Der Kläger zu 3) verfügt über gute Schulnoten, wonach er zum Besuch der gymnasialen Oberstufe berechtigt ist.
5Durch Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 05.06.2019 – 378 III 3/19 wurde der Vorname des Klägers zu 3) von ‚Lilly‘ zu ‚Linus‘ geändert und festgestellt, dass er als dem männlichen Geschlecht zugehörig anzusehen ist. Nachdem die Prozessbevollmächtigte der Kläger den Beschluss mit Schreiben von Juni 2019 an die C-Schule übersandte, sprach die beklagte Partei mit Schreiben vom 12.07.2019 die fristlose Kündigung des Schulverhältnisses zum Ende des Schuljahres 2018/2019 zum 31.07.2019 aus.
6Die Kläger leiteten gegen die beklagte Partei ein einstweiliges Verfügungsverfahren vor dem Landgericht Aachen (12 O 302/19) ein. Mit Urteil vom 20.08.2019 wurde die beklagte Partei verpflichtet, den Kläger zu 3) über den 01.08.2019 hinaus bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren weiter an der C-Schule in Düren zu beschulen. Die hiergegen eingelegte Berufung der beklagten Partei wurde durch das Oberlandesgericht Köln mit Urteil vom 20.03.2020 (20 U 240/19) zurückgewiesen.
7Die Kläger behaupten, der Kläger zu 3) sei sehr gut an der C-Schule integriert, nach der Bekanntgabe seiner Situation habe er große Unterstützung erfahren, Probleme mit Mitschülerinnen oder Eltern bestünden dagegen nicht, daher wolle er nach wie vor seine Abiturprüfungen an C-Schule ablegen. An seinem Sozialverhalten sei nichts zu beanstanden. Auch der Ablauf von schulischen Veranstaltungen sei ungestört möglich. Im Sportunterricht ziehe sich der Kläger zu 3) im Nebenraum oder der Toilette um und nehme im Übrigen teil. Die Kläger sind der Auffassung, die Kündigung sei bereits nicht fristgerecht ausgesprochen worden. Sie sind weiter der Ansicht, es liege jedenfalls kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung vor.
8Die Kläger haben sich zunächst gegen die Kündigung der beklagten Partei vom 12.07.2019 gewandt. Mit Schriftsatz vom 14.11.2019 hat die beklagte Partei unter Aufrechterhaltung der früheren Kündigung eine ordentliche und außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist jeweils zum 31.01.2020, hilfsweise zum 31.07.2020 ausgesprochen. Die Kläger haben die Klage daraufhin erweitert.
9Die Kläger beantragen nunmehr,
101. festzustellen, dass die durch das Schreiben der beklagten Partei vom 12.07.2019 ausgesprochene Kündigung des zwischen den Parteien mündlich geschlossenen Schulvertrages aus dem Jahr 2014 unwirksam ist und das Schulverhältnis an der C-Schule, C-Straße, E, nicht beendet hat.
112. festzustellen, dass die durch Schriftsatz der beklagten Partei vom 14.11.2019 ausgesprochene ordentliche und außerordentliche Kündigung des zwischen den Parteien mündlich geschlossenen Schulvertrages aus dem Jahr 2014 unwirksam sind und das Schulverhältnis an C-Schule, C-Straße, E, nicht zum 31.01.2020 geendet hat bzw. zum 31.07.2020 endet.
12Die beklagte Partei beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Sie trägt vor, dass die Grundlage des Schulvertrages die Unterrichtung in einer reinen Mädchenklasse gewesen sei, was nun nicht mehr möglich sei. Eine weitere Beschulung des Klägers zu 3) sei aufgrund des schulischen Konzepts, das auf reine Mädchenbildung und -förderung ausgerichtet sei, nicht möglich. Eine gemeinsame Unterrichtung sei etwa im Schulfach Sport ausgeschlossen. Ein weiterer Besuch der C-Schule durch den Kläger zu 3) sei mit der Schulorganisation und dem pädagogischen Konzept nicht vereinbar. Das monoedukative Schulsystem bestehe auch ab der zehnten Klasse weiter fort. Soweit es zur Kooperation mit anderen Gymnasien komme, betreffe dies in jedem Jahrgang nur bestimmte ausgewählte Fächer. Dabei sei eine Kooperation in Sport und Religion ausgeschlossen. Schülerinnen oder Schüler der Partnerschulen müssten das Schulgelände außerdem nach einer entsprechenden Unterrichtsstunde sofort wieder verlassen. Weiter sei zu berücksichtigen, dass das Sozialverhalten des Klägers zu 3) nicht zu tolerieren sei, er sei ein Unruhestifter. So habe er seine ehemalige Klassenlehrerin, die Zeugin U, im Jahr 2018 in sozialen Medien in herabwürdigender Weise beschimpft. Des Weiteren habe es Kommunikationsschwierigkeiten während des Outings des Klägers zu 3) gegeben. Im Zeitraum von Mai 2018 bis September 2018 hätten vier Mitschülerinnen von Anfeindungen durch den Kläger zu 3) berichtet. Des Weiteren habe eine andere Schülerin davon berichtet, Mitte September 2018 von einer Mitschülerin über einen „Fake-Account“ im Internet bedroht worden zu sein. Ihr 14 jähriger Bruder sei über diesen Account in „sexualisierter Weise angemacht“ worden. Hierzu habe der Kläger zu 2) angestiftet, er sei Mitwisser gewesen. Am 08.10.2018 habe es ein Gespräch zwischen den Klägern und Vertretern der Schule gegeben, worin man sich geeinigt habe, dass der Kläger zu 3) auf das Stiftische Gymnasium wechseln werde. Am Abend des gleichen Tages habe der Kläger dann aber auf Instagram eine Unterschriftenaktion „gegen den Verweis eines transsexuellen Schülers von der Schule“ angekündigt, woraufhin sich ein „Shit-Storm“ gegenüber der Schule im Internet entwickelt habe. Weiter sei es ausgeschlossen, dass der Kläger zu 3) am Sportunterricht, an Klassenfahrten und an speziell für Mädchen ausgerichteten Orientierungstagen teilnehme. Die beklagte Partei ist der Ansicht, § 626 BGB sei nicht anwendbar, da keine Vergütung von Klägerseite erbracht werde. Daher sei § 627 BGB anwendbar. Hilfsweise sei eine Kündigung gemäß § 624 BGB zulässig, sodass die Kündigung vom 12.07.2019 zur Beendigung des Schulvertrages im Januar 2020 geführt habe. Weiter hilfsweise sei die Kündigung vom 12.07.2019 in eine ordentliche Kündigung zum Schulhalbjahr (31.01.2020) oder zum Endes des Schuljahres (31.07.2020) auszulegen.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
17Die Feststellungsklage ist zulässig und hat auch in der Sache vollumfänglich Erfolg.
18I. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist eröffnet, der Streitgegenstand ist zivilrechtlicher Art. Der Schulvertrag mit einer privaten Ersatzschule stellt Dienstvertrag im Sinne der §§ 611 ff. BGB dar (vgl. BGH, NJW 1984, 2093; OLG Köln, Urteil vom 20.03.2020 – 20 U 240/19; OLG Celle, NJW-RR 1995, 1465; OVG NRW, Beschluss vom 23.07.1997 – 19 E 169/97). Die Kläger sind auch aktivlegitimiert. Aus dem mündlich geschlossenen Schulvertrag ergibt sich eine eigene vertragliche Beziehung zwischen dem Kläger zu 3) und der beklagten Partei. Der Kläger zu 3) ist unmittelbarer Träger des Rechts auf Bildung (vgl. Art 8 Verf NRW). Daneben sind auch die Kläger zu 1) und zu 2) aktivlegitimiert. Als Eltern des Klägers zu 3) sind sie Träger des Rechts auf Erziehung des Kindes, in das durch schulische Maßnahmen eingegriffen werden kann.
19II. Die geltend gemachten Anträge sind darauf gerichtet, festzustellen, dass der Schulvertrag aus dem Jahr 2014 nicht durch die Kündigungserklärungen der beklagten Partei beendet worden ist. Der Schulvertrag ist weder im Wege der außerordentlichen noch im Wege der ordentlichen Kündigung wirksam gekündigt worden.
201. Ob die Erklärung der beklagten Partei im Schreiben vom 12.07.2019, mit welchem sie erklärt hat, den Schulvertrag fristlos zu kündigen, auch als (hilfsweise) ordentliche Kündigung ausgelegt oder ggf. in eine solche umgedeutet werden könnte, oder die beklagte Partei eine ordentliche Kündigungen zu einem späteren Zeitpunkt ausgesprochen hat, kann vorliegend dahinstehen. Eine ordentliche Kündigung des Schulvertrags zum Ende des Schulhalbjahrs oder Ende des Schuljahrs kommt nicht in Betracht.
21Bei einem Schulvertrag ist unter Berücksichtigung der Interessenlage der Vertragsparteien und dem von diesen verfolgten Zweck davon auszugehen, dass der Vertrag so lange laufen soll, bis das zu beschulende Kind die Schule mit dem durch die Schulform vorgesehenen Schulabschluss – bei einem Gymnasium das Abitur – verlässt, sofern – wie hier – eine anderweitige Vereinbarung nicht getroffen ist. Handelt es sich danach um ein befristetes bzw. auf einen bestimmten Zweck ausgerichtetes Dienstverhältnis, ist die ordentliche Kündigung ausgeschlossen (BGH, Urteil vom 17.01.2008, – III ZR 74/07; OLG Köln, Urteil vom 20.03.2020 – 20 U 240/19). Zu unterscheiden ist dies von der Konstellation, in der die Parteien im formularmäßigen Schulvertrag ausdrücklich eine Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung vereinbart haben. Im Fall eines so zum Ausdruck gebrachten Parteiwillens ist im Hinblick auf das grundrechtlich geschützte Recht zur Einrichtung von privaten Schulen nach Art. 7 Abs. 4 S. 1 GG, das Interesse eines privaten Schulträgers, sich von Schülern wieder trennen zu können, besonders zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 17.01.2008, – III ZR 74/07). Dass dem Schulträger stets auch ohne entsprechende Vereinbarung ein Recht zur ordentlichen Kündigung zustehen würde, widerspricht aber dem oben genannten Zweck des Schulvertrages (vgl. OLG Köln, Urteil vom 20.03.2020 – 20 U 240/19).
222. Auch eine fristlose (außerordentliche) Kündigung kommt aber nicht in Betracht.
23a) Die Regelung zur fristlosen Kündigung bei Vertrauensstellung nach § 627 BGB kommt nicht zur Anwendung. Bei der von der beklagten Partei vertraglich zu erbringenden Leistung in Form der Beschulung des Klägers zu 3) handelt es sich um keine Dienste höherer Art im Sinne des § 627 BGB. Dienste höherer Art sind solche, die überdurchschnittliche Kenntnisse oder Fertigkeiten erfordern oder den persönlichen Lebensbereich betreffen und die ihrer Art nach üblicherweise nur infolge besonderen, das heißt persönlichen Vertrauens übertragen zu werden pflegen (BGH, Urteil vom 13.11.2014, III ZR 101/14). Dementsprechend muss der Ausführung der Tätigkeit eine persönliche Beziehung zwischen den Vertragspartnern zu Grunde liegen. Dies ist für den Privatschulvertrag abzulehnen, da die Beschulung in der Regel nicht durch einen ganz bestimmten Lehrer oder auch nur eine bestimmte Gruppe von Lehrern erfolgen soll, auf die sich ein besonderes persönliches Vertrauen beziehen könnte. Auch die Eigenschaft der beklagten Partei als kirchliche Institution führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Für den Abschluss eines Schulvertrages dürfte die Qualität der erwarteten Dienstleistung an einer bestimmten Schule entscheidend sein und nicht ein besonderes persönliches Vertrauen in den dahinterstehenden Schulträger (OLG Köln, Urteil vom 20.03.2020 – 20 U 240/19).
24b) Eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 626 BGB scheidet ebenfalls aus. Es fehlt am Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Hinzu kommt, dass teilweise die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt ist.
25Ein zur außerordentlichen Kündigung berechtigender wichtiger Grund liegt vor, wenn Tatsachen vorliegen, die unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertrages für den Kündigenden unzumutbar machen (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl. § 314 Rn. 7). Dabei gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das ultima ratio-Prinzip (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 79. Aufl. § 626 Rn. 37 ff.). Es muss zum einen ein an sich wichtiger Grund vorliegen, der zum anderen auch im konkreten Einzelfall zu einer Kündigung berechtigt. Zu den Umständen des Einzelfalls gehören etwa Gewicht und Auswirkung einer vertraglichen Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens sowie die bisherige Dauer des Vertragsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Grundsätzlich liegt ein wichtiger Grund im Bereich des Schulrechts vor, wenn der Schüler eine der (ungeschriebenen) Schulordnung offensichtlich zuwiderlaufende grob fehlerhafte Verhaltensweise zeigt, die das Ordnungsgefüge einer Schule nicht unerheblich in Mitleidenschaft zieht und die schulische Ordnung in einem Maße stört, dass die Schule Gefahr läuft, ihren Erziehungsauftrag gegenüber den übrigen Schülern nicht mehr hinreichend zu erfüllen (Brandenburgisches OLG, Urteil vom 05. 07.2006 – 13 U 41/06).
26Auf ein entsprechendes Fehlverhalten kann die streitgegenständliche Kündigung aber nicht gestützt werden. Soweit von der beklagten Partei eine Reihe von Vorfällen aus Herbst 2018 geltend gemacht werden, in denen sie ein Fehlverhalten des Klägers zu 3) sieht, ist dieser Vortrag schon deshalb nicht geeignet, die im Juli 2019 ausgesprochene Kündigung zu stützen, weil diesbezüglich die Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2 BGB offensichtlich nicht gewahrt ist.
27Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist aber auch unter Abwägung der Interessen des Beklagten einerseits und des Klägers zu 3) andererseits abzulehnen. Unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls ist der beklagten Partei eine weitere Beschulung des Klägers zu 3) – ggf. auch bis zur erfolgreichen Ablegung der Abiturprüfungen – zumutbar. Maßgeblich für die Interessenabwägung im vorliegenden Fall sind auf Seiten des Klägers zu 3) das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG und auf Seiten der beklagten Partei die von Art. 7 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG geschützte Privatschulfreiheit und die über Art. 12 Abs. 1 Satz 2, 19 Abs. 3 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit. Die Privatschulfreiheit garantiert die Umsetzung verschiedenster Erziehungsziele und Bildungsideen und ist damit Ausdruck eines in einer demokratischen Gesellschaft unabdingbaren Pluralismus, der in der Vielfalt des kulturellen, bildungspolitischen, religiösen und weltanschaulichen Unterrichts zum Ausdruck kommen soll. Kennzeichnend für Privatschulen ist deshalb ein Unterricht eigener Prägung, insbesondere im Hinblick auf die Erziehungsziele, die weltanschauliche Basis sowie die Lehrmethoden (vgl. LG Bonn, Urteil vom 20.03.2015 – 1 O 365/14; BVerfG, Beschluss vom 23.11.2004 – 1 BvL 6/99). Zugunsten der beklagten Partei ist zu berücksichtigen, dass an der St. Angela-Schule monoedukativer Unterricht stattfindet, was für das Schulprofil von wesentlicher Bedeutung ist. In der gymnasialen Oberstufe, in die der Kläger zu 3) beabsichtigt aufgenommen zu werden, befinden sich ausschließlich Schülerinnen. Eine Jungenklasse in der Oberstufe gibt es derzeit noch nicht. Die monoedukative Ausrichtung einer Privatschule verstößt auch nicht gegen die aus Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG folgende, mit Art. 3 Abs. 3 GG deckungsgleiche Maßgabe, Frauen und Mädchen beziehungsweise Jungen und Männer nicht aufgrund ihres Geschlechts nachteilig zu behandeln. Die Schule beziehungsweise die beklagte Partei handeln dabei in Ausübung ihrer grundrechtlichen Freiheit und nicht als Grundrechtsverpflichtete (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2013 – 6 C 6/12). Danach ist anzunehmen, dass die beklagte Partei aufgrund des im Grundsatz monoedukativen und insoweit auch durch die Privatschulfreiheit geschützten Konzepts C-Schule den Kläger zu 3) – wäre dieser schon damals dem männlichen Geschlecht zugehörig gewesen – nicht verpflichtete gewesen wäre, diesen aufzunehmen. Daraus folgt aber nicht, dass es der beklagten Partei auch möglich sein müsste, den Schulvertrag mit dem Kläger zu 3) aufgrund dessen späteren Wechsels der geschlechtlichen Zugehörigkeit zu beenden. Im Rahmen einer Interessenabwägung zur Feststellung eines zur Kündigung berechtigenden wichtigen Grundes hat das Landgericht Bonn in seinem Urteil vom 20.03.2015 die Grundrechtsposition eines Privatschulträgers, der sich durch eine weltanschauliche Neutralität kennzeichnete, höher gewertet als die Religionsfreiheit einer Schülerin, ein Kopftuch zu tragen (LG Bonn, Urteil vom 20.03.2015 – 1 O 365/14). Die Religionsausübungsfreiheit etwa in Form des Tragens eines Kopftuchs ist aber mit dem hier betroffenen Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nur bedingt vergleichbar. Zu beachten ist, dass zwar auch für die Religionsfreiheit unter anderem darauf verwiesen wird, dass religiöse Vorschriften und Gebräuche für Gläubige gegebenenfalls eine ‚psychologische‘ Verpflichtung/Handlungsmaxime begründen können. Der Kläger zu 3) stand aber aufgrund der diagnostizierten Störung der Geschlechteridentität in Form des Transsexualismus unter nicht unerheblichem körperlichem und psychischem Leidensdruck. Die Frage, zu welchem Geschlecht sich eine Person zugehörig fühlt, ist nach der Auffassung der Kammer für den Betroffenen als schwerwiegender zu beurteilen als beispielsweise religiöse Gebote. Das Recht sich in diesem prägenden und weitreichenden Bereich der Persönlichkeit frei zu entwickeln, ist als überaus hoch zu gewichten. Dem Kläger ist es auch nicht zuzumuten, hierzu an eine andere Schule zu wechseln, die nicht das monoedukative Prinzip verfolgt. Maßgeblich ist, dass für die Entscheidung des Klägers zu 3) ein psychologischer und körperlicher Leidensdruck glaubhaft gemacht wird, weshalb sich diese Entscheidung nicht als eine rein freiwillige oder willkürliche dargestellt, die als Konsequenz auch die Pflicht zum Besuch einer anderen Schule rechtfertigen würde. Hinzu kommt, dass auch der Schulfrieden nach den berücksichtigungsfähigen Umständen nicht gestört ist. Hinweise auf eine soziale Auffälligkeit des Klägers zu 3) bestehen nicht. Ausweislich der vorgelegten aktuellen Zeugnisse verfügt der Kläger zu 3) über gute Schulnoten. Der Vortrag der beklagten Partei zu Vorfällen im Jahr 2018 ist – wie bereits aufgezeigt – hierbei nicht zu berücksichtigen. Dem Kläger zu 3) ist auch ein berechtigtes Interesse zuzugestehen, in seinem sozialen Schulumfeld zu verbleiben. Der Kläger zu 3) hat nach dem Outing Mitte 2018 und nach einer Klassenpflegschaftssitzung viel Unterstützung sowohl durch die Lehrer als auch die Mitschüler erfahren, was von der beklagten Partei auch nicht bestritten worden ist. Dementsprechend hat der Kläger zu 3) im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch selber geschildert, an dieser Schule ‚aufgewachsen zu sein‘ und aufgrund seiner guten Integration auch dort bleiben zu wollen. Eine weitere Besonderheit ist auch der Umstand, dass das Prinzip des rein monoedukativen Unterrichtes an der St. Angela-Schule bereits teilweise gelockert worden ist. So gibt es Jungenklassen in der Unterstufe und in der Oberstufe findet teilweise Unterricht in gemischten Klassen mit männlichen Schülern von anderen Schulen statt. Hinzu kommt, dass von Seiten der beklagten Partei bereits ein Zeugnis auf den aktuellen Namen des Klägers zu 3) ausgestellt hat. Damit hat sie in gewisser Weise zu erkennen gegeben, dass eine Fortsetzung der Beschulung für sie keine Unzumutbarkeit darstellt. Letztlich handelt es sich um einen Einzelfall, der nicht zu einer Aufhebung des Schulprofils führt.
28Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn die beklagte Partei einwendet, muslimische Schülerinnen würden sich durch die Anwesenheit des Klägers zu 3) gestört fühlen und nunmehr anfangen, Kopftuch zu tragen, da es bereits gemischte Kurse gibt. Gleiches gilt für den Einwand der beklagten Partei in Bezug auf den für Mädchen ausgerichteten Sportunterricht. Insbesondere das behauptete Problem von fehlenden getrennten Umkleiden dürfte zu lösen sein. Schließlich kann sich die beklagte Partei auch nicht mit Erfolg auf mädchenspezifische „Orientierungstage“ berufen. Ein Anspruch des Klägers zu 3) auf die Durchführung „jungenspezifischer“ Veranstaltungen besteht nicht. Sollte im Einzelfall eine Veranstaltung nicht von ihm besucht werden können, steht dies weder der Erreichung des Abiturs noch einer den Grundsätzen der beklagten Partei entsprechenden spirituelle Ausrichtung entgegen.
29Auch aus der von der beklagten Partei angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17.01.2008 (III ZR 74/07) ergibt sich das von dieser vorgetragene Recht, sich von „unliebsam“ gewordenen Schüler stets auch wieder trennen zu können, nicht. Richtig ist, dass der Bundesgerichtshofs darin unter Wiedergabe der Rechtsprechung des BVerfG ausführt, dass Bestandteil des grundrechtlich geschützten Rechts zur Einrichtung von privaten Schulen das Recht zur freien Schülerwahl sei und die Gewährleistung dieses Grundrechts letztlich auch bedeute, dass sich ein privater Schulträger von Schülern auch wieder trennen können müsse. Im Unterscheid zum vorliegenden Fall ist diese Problematik vom Bundesgerichtshof aber anhand der Frage, ob es dem Schulträger möglich sein muss, im Rahmen des Schulvertrags ein Recht zur ordentlichen Kündigung – auch formularmäßig – zu vereinbaren, erörtert worden. Ein vertraglich vereinbartes Kündigungsrecht besteht hier aber gerade nicht. Auch die Verfassung gebietet es nicht, der beklagten Partei zum Ausgleich etwaiger eigener Versäumnisse bei Vertragsschluss nunmehr ein außerordentliches Kündigungsrecht einzuräumen (OLG Köln, Urteil vom 20.03.2020 – 20 U 240/19).
30c) Eine wirksame Kündigung kann auch nicht auf § 624 BGB gestützt werden. Der Sinn und Zweck der Vorschrift stehen einer Anwendung im vorliegenden Fall entgegen. § 624 BGB bezweckt den Schutz des Dienstverpflichteten vor einer übermäßigen Beschneidung seiner persönlichen und beruflichen Freiheit (MüKo/Henssler, BGB, 8. Aufl. § 624 Rn. 1). Hintergrund für die Kündigung der beklagten Partei ist nicht die Wahrung ihrer persönlichen oder beruflichen Freiheit als solcher. Sie beabsichtigt weder die Einstellung des von ihr bislang erbrachten Schulbetriebs als solchen noch auch nur dessen grundlegende Umstrukturierung. Mit der ausgesprochenen Kündigung bezweckt ist allein der Ausschluss des Klägers zu 3) von der Teilhabe an dem Schulbetrieb aufgrund besonderer in dessen Person begründeter Umstände. Jedenfalls nach § 242 BGB ist es der beklagten Partei unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Rechtsausübung verwehrt, im vorliegenden Fall Rechte aus einer Kündigung nach § 624 BGB herzuleiten (OLG Köln, Urteil vom 20.03.2020 – 20 U 240/19).
31d) Für einen Anwendung von § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB ist neben § 626 Abs. 1 BGB kein Raum. Im Übrigen würde aber auch eine Kündigung nach § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraussetzen, an dem es hier – wie aufgezeigt – fehlt. Für einen Rückgriff auf § 313 BGB wegen Störung der Geschäftsgrundlage gilt entsprechendes (vgl. OLG Köln, Urteil vom 20.03.2020 – 20 U 240/19).
32Der Schriftsatz vom 03.04.2020 gab keine Veranlassung zur Wiederöffnung der mündlichen Verhandlung. Der neue Vortrag ist vom Schriftsatznachlass nicht gedeckt.
33Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.
34Streitwert: 15.000 €, § 3 ZPO
35Prof. Dr. N Nach Beratung ortsabwesend ab der Unterschrift gehindert. I |
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