Urteil vom Landgericht Aachen - 1 O 365/14
Tenor
1.Die Beklagte wird verurteilt, die beiden Grundschulden, eingetragen zugunsten der Beklagten im Grundbuch von I , Blatt #, Abteilung ##, laufende Nummern ### und ####, über 40.000 DM und 260.000 DM freizugeben, Zug um Zug gegen Zahlung der aktuellen Darlehensbeträge aus den Darlehensverträgen mit den Nummern ##### und ###### in Höhe von insgesamt 106.921,30 €.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Freigabe der in Ziffer 1 bezeichneten Grundschulden in Verzug befindet.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 170.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Die Kläger begehren die Rückabwicklung von zwei Darlehensverträgen nach erklärtem Widerruf.
3Am 21.12.2005 nahmen die Kläger bei der Beklagten zwei Darlehen auf. Der Darlehensvertrag mit der Nummer ##### belief sich auf ein Nettodarlehen von 105.000,- €, das mit 4,15 % p.a., festgeschrieben bis zum 30.01.2016, zu verzinsen war (Anlage K 1). Tilgungsbeträge waren erstmals am 15.01.2006 zu zahlen. Durch den Vertrag mit der Nummer ###### wurde ein weiteres Darlehen über 25.000,- € gewährt, das mit jährlich 3,95 % zu verzinsen war.
4Zugunsten der Beklagten sind zur Sicherung der Darlehen im Grundbuch von I , Blatt #, zwei Grundschulden eingetragen. Eine Grundschuld über 40.000,- DM war am 16.02.1965 eingetragen worden und eine weitere Grundschuld über 260.000,- DM am 08.10.1985 (Anlage K 2). In dem Vertrag zu dem Darlehen mit der Nummer ##### heißt es unter „Sicherheiten (…): siehe Vertragsanlagen“. In der Anlage zu diesem Vertrag (Bl. 11 d. A.) wird unter Ziffer 3 bestimmt, dass die Darlehenssumme zu den Vertragskonditionen erhöht werden könne, wobei die Sicherstellung dieser Nachfinanzierung durch bereits im Grundbuch von I , Blatt #, eingetragenen Grundschulden über insgesamt 153.387,56 € erfolgen solle.
5Die bei Abschluss der Darlehensverträge gegenüber den Klägern verwandten Widerrufsbelehrungen (Anlage K 1, Bl. 10 d. A.), die für beide Verträge inhaltsgleich waren, wiesen neben der Überschrift „Widerrufsbelehrung“ eine Fußnote 1 auf, deren Text lautet: „Bezeichnung des konkret betroffenen Geschäfts, z.B. Darlehensvertrag vom …“. Daneben sind in einem Feld die Nummer des Darlehensvertrags sowie die Darlehenssumme angegeben.
6Nach der Wendung „Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen (…) widerrufen“ findet sich eine weitere Fußnote 2, in der es heißt: „Bitte Frist im Einzelfall prüfen“. Außerdem beginne die Widerrufsfrist „frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“.
7Vor Angabe des Widerrufsadressaten findet sich folgender Klammerzusatz: „(Name, Firma und ladungsfähige Anschrift des Kreditinstituts, ggf. Fax-Nr., E-Mail-Adresse und/oder, wenn der Verbraucher eine Bestätigung seiner Widerrufserklärung erhält, auch eine Internet-Adresse).“
8Die spezielle Belehrung für finanzierte Geschäfte lautet auszugsweise wie folgt:
9„Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn wir zugleich auch ihr Vertragspartner im Rahmen des anderen Vertrages sind, oder wenn wir uns bei der Vorbereitung oder Abschluss des Darlehensvertrags der Mitwirkung Ihres Vertragspartners bedienen. Bei einem finanzierten Erwerb eines Grundstücks oder grundstücksgleichen Rechts ist eine wirtschaftliche Einheit nur anzunehmen, wenn wir zugleich auch ihr Vertragspartner im Rahmen des anderen Vertrags sind oder wenn wir über die Zurverfügungstellung von Darlehen hinaus durch Zusammenwirken mit dem Veräußerer fördern, indem wir uns dessen Veräußerungsinteressen ganz oder teilweise zu eigen machen (…)“.
10Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 25.08.2014 teilten die Kläger der Beklagten mit, dass sie der Ansicht seien, ihre Darlehensverträge könnten widerrufen werden, was die Beklagte ebenso wie Verhandlungen über eine Neu-/Umschuldung mit Schreiben vom 09.09.2014 ablehnte. Mit weiterem Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 29.10.2014 widerriefen die Kläger die beiden Darlehensverträge sowie ihre Einzugsermächtigungen (Anlage K 5) und kündigten an, den noch offenen Darlehensbetrag „Zug um Zug gegen Freigabe der Sicherheiten (…)“ zu zahlen. Mit Schreiben vom 30.09.2014 wies die Beklagte ein Widerrufsrecht erneut zurück. Zum Zeitpunkt des Widerrufs belief sich der Sollsaldo aus den beiden Darlehensverträgen auf insgesamt 114.966,06 €.
11Die Kläger meinen, die Widerrufsbelehrung sei nicht wirksam gewesen, sie habe hinsichtlich des Fristbeginns nicht dem Deutlichkeitsgebot genügt. Die Beklagte könne sich auch nicht auf Vertrauensschutz aufgrund der Musterbelehrung nach der BGB-InfoV berufen, der Bundesgerichtshof fordere insofern eine inhaltliche und auch hinsichtlich der äußeren Gestaltung vollständige Entsprechung, die hier aber nicht gegeben sei. Der Umfang der Änderungen gegenüber der Musterbelehrung sei unerheblich. Abweichungen lägen hier hinsichtlich der Fußnoten, des Klammerzusatzes sowie hinsichtlich der speziellen Belehrung für finanzierte Geschäfte vor. Schließlich sei die Anrede personalisiert worden.
12Infolge des Widerrufs seien sie zur Rückzahlung der noch offenen Darlehensvaluten verpflichtet, Zug um Zug gegen Freigabe der Grundschulden. Die Beklagte schulde Wertersatz für Nutzungen aus den von den Klägern erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen, der nach der sog. Sparkassenformel zu berechnen sei. Insgesamt, so behaupten die Kläger, ergebe sich eine Forderung gegenüber der Beklagten in Höhe von 8.542,86 €, wobei sie in Höhe von 8.044,76 € die Aufrechnung erklären. Damit schuldeten sie der Beklagten insgesamt 106.921,30 €.
13Die Kläger beantragen,
14die Beklagte zu verurteilen, die Freigabe der Grundschuld Zug um Zug gegen die Rückzahlung der aktuellen Darlehensbeträge aus den Darlehen mit den Darlehenskontonummern ##### und ###### in Höhe von 106.921,30 € zu erteilen sowie
15die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.901,79 € zu zahlen sowie
16festzustellen, dass sich die Beklagte im Verzug befindet.
17Die Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Sie meint, der Klageantrag zu 1) sei nicht hinreichend bestimmt, er lasse nicht erkennen, welche von den beiden im Grundbuch von I zugunsten der Beklagten eingetragenen Grundschulden gemeint sei. Der Antrag sei auch nicht auslegungsfähig, da er sich nur auf eine Grundschuld beziehe.
20Darüber hinaus sei die Widerrufsfrist im Zeitpunkt der Widerrufserklärung bereits abgelaufen gewesen. Sie genieße, trotz des Passus „frühestens“, Vertrauensschutz aufgrund der Musterbelehrung der BGB-InfoV. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestehe insofern keine absolute Veränderungssperre. Die Fußnoten stellten erkennbar nur Ausfüllhinweise an die Mitarbeiter der Beklagten und damit keine eigene inhaltliche Bearbeitung dar. Es handele sich erkennbar um an die Mitarbeiter der Beklagten gerichtete bloße Ausfüllhinweise. Dies gelte ebenso für den Klammerzusatz, dessen Angaben im Übrigen nach Fußnote 3 der Musterbelehrung vorgesehen seien. Die kumulative Verwendung von zwei rechtlich zulässigen Belehrungen zu finanzierten Geschäften stelle keine inhaltliche Bearbeitung dar, zumal - unstreitig - überhaupt kein finanziertes Geschäft vorliege.
21Jedenfalls sei das Widerrufsrecht verwirkt; seit Erhalt der Widerrufsbelehrung seien fast neun Jahre vergangen und die Beklagte habe nicht mehr mit einem Widerruf rechnen müssen. Die Kläger, so behauptet sie, seien tatsächlich nur an einer Umfinanzierung ohne Vorfälligkeitsentschädigung interessiert. Zudem meint sie, der Widerruf sei auch rechtsmissbräuchlich, da die Kläger bislang nicht hätten erkennen lassen, dass sie sich vom Vertrag lösen wollten.
22Nach ihrer eigenen Berechnung belaufe sich die Gegenforderung der Kläger wegen des Wertersatzes für Nutzungen auf nur 7.287,58 € (Anlagen B 3, B 4). Die Beklagte berechnet die Nutzungen in Form von Zinsen in Höhe von 2,5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus den monatlichen Zins- und Tilgungsleistungen der Kläger.
23Sie meint, die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren seien auf Grundlage eines unzutreffenden Gegenstandswertes berechnet.
24Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe:
261. Die Klage ist zulässig. Der Klageantrag zu 1) ist auch hinreichend bestimmt gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Antrag ist dahingehend auszulegen, dass die Kläger die Freigabe der beiden zugunsten der Beklagten im Grundbuch von I eingetragenen Grundschulden begehren.
27Ein Klageantrag ist wie andere Prozesshandlungen der Parteien auslegbar; Maßstab für die Auslegung ist dasjenige, was vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 28.07.2005, NJW 2005, 3415; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 71. Aufl., Grdz. § 128 Rn. 52, § 253 Rn. 40). Für die Bestimmtheit des Klageantrags kann auch die Bezugnahme auf eine der Klageschrift beigefügte Anlage genügen (BGH, Urteil vom 04.10.2000, VIII ZR 289/99, NJW 2001, 445, 447; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 71. Aufl., § 253 Rn. 39).
28Vorliegend teilten die Kläger in ihrer Widerrufserklärung vom 29.10.2014 mit, dass sie den noch offenen Darlehensbetrag Zug um Zug gegen Freigabe „der Sicherheiten“ zahlen würden. Damit nahmen sie erkennbar auf die beiden zugunsten der Beklagten bestehenden Grundschulden Bezug. Dieses Schreiben, auf das die Kläger in ihrer Klageschrift Bezug nehmen, war dieser auch als Anlage beigefügt und damit Teil der Klageschrift. Darüber hinaus verweist der Darlehensvertrag zum Darlehen Nummer ##### hinsichtlich der Sicherheiten auf die Vertragsanlagen. Dort (Bl. 11 d. A.) nimmt die Beklagte selbst unter Ziffer 3 hinsichtlich der Sicherung einer Darlehenserhöhung auf die beiden zu ihren Gunsten im Grundbuch von I eingetragenen Grundschulden Bezug und beziffert auch deren Gesamtsumme. Damit wird hinreichend deutlich, dass die Vertragsparteien übereinstimmend davon ausgingen, dass beide Grundschulden als Sicherheit für die Darlehen dienen sollten, so dass der Klageantrag dahingehend auszulegen ist, dass die Freigabe dieser beiden Grundschulden begehrt wird.
29Im Hinblick auf den Feststellungsantrag folgt das Feststellungsinteresse der Kläger aus § 756 Abs. 1 ZPO.
302. In der Sache hat die Klage überwiegend Erfolg. Die Kläger haben infolge des wirksamen Widerrufs einen Anspruch auf Freigabe der Grundschulden, eingetragen zugunsten der Beklagten im Grundbuch von I , Blatt #, Abteilung ##, laufende Nummern ### und ####, Zug um Zug gegen Zahlung von 106.921,30 € gem. §§ 355, 357 Abs. 1, 495, 346 BGB in der bis zum 10.06.2010 geltenden Fassung. Die Kläger haben die beiden Darlehensverträge mit den Nummern ##### und ###### wirksam widerrufen, so dass sie sich in Rückabwicklungsschuldverhältnisse umwandeln.
31a) Auf die streitgegenständlichen Darlehensverträge finden gem. Art. 229 § 22 Abs. 1, § 9 EGBGB iVm. Art. 24 Abs. 3 Nr. 1 OLGVertrÄndG die §§ 495, 355, 357 BGB in der bis zum 10.06.2010 gültigen Fassung Anwendung.
32Jedenfalls im Hinblick auf den Beginn der Widerrufsfrist genügten die streitgegenständlichen Widerrufsbelehrungen nicht den Anforderungen des § 355 Abs. 2 BGB. Danach beginnt die Widerrufsfrist zu dem Zeitpunkt, zu dem dem Verbraucher eine deutlich gestaltete Belehrung über sein Widerrufsrecht mitgeteilt worden ist. Die Widerrufsbelehrung muss umfassend, unmissverständlich und für den Verbraucher eindeutig sein. Die hier verwendete Belehrung, wonach die Widerrufsfrist „frühestens mit dem Erhalt der Belehrung“ beginne, genügt diesen Anforderungen nicht. Wie der Bundesgerichtshof bereits mehrfach entschieden hat, belehrt diese Formulierung den Verbraucher nämlich nicht ausreichend über sein Widerrufsrecht. Die Belehrung ist nicht umfassend und irreführend. Insbesondere kann der Verbraucher aus der Wendung „frühestens“ nicht erkennen, wann genau die Frist beginnt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 28.06.2011, XI ZR 349/10, Rz. 34, juris m. w. N.; OLG Köln, Urteil vom 23.01.203, 13 U 69/12, Tz. 26, juris). Er vermag ihr lediglich zu entnehmen, dass die Widerrufsfrist „jetzt oder später“ beginnt, der Fristbeginn also noch von weiteren Voraussetzungen abhängen soll. Der Verbraucher wird jedoch im Unklaren darüber gelassen, um welche etwaigen Umstände es sich dabei handelt (vgl. BGH, Urteil vom 09.12.2009, VIII ZR 219/08, Tz. 15, juris).
33b) Die Beklagte genießt auch keinen Vertrauensschutz aufgrund der Musterwiderrufsbelehrung der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV in der zum Vertragsschluss im Dezember 2009 geltenden Fassung vom 04.08.2009. Ein Unternehmer kann sich nur dann auf den Vertrauensschutz aus der BGB-InfoV berufen, wenn er ein Formular verwendet, das der Musterbelehrung in der jeweils maßgeblichen Fassung sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich der äußeren Gestaltung vollständig entspricht; entscheidend ist, ob der Unternehmer die Belehrung einer eigenen Bearbeitung unterzieht (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2011, XI ZR 349/10, Tz. 37 ff. m. w. N., juris).
34Eine solche vollständige Entsprechung liegt hier jedoch nicht vor. Jedenfalls soweit es um die spezielle Belehrung zu "Finanzierten Geschäften" geht, weicht die verwandte Belehrung in mehrfacher Hinsicht von der Musterbelehrung ab:
35Die Beklagte spricht in dem dritten Satz der speziellen Belehrung zu einem finanzierten Erwerb eines Grundstücks in "wir-Form" anstatt, wie in der Musterbelehrung vorgesehen, von "Darlehensgeber" und "Vertragspartner".
36Darüber hinaus hat sie diesen speziellen Zusatz für finanzierte Grundstücksgeschäfte, Satz 3 der verwandten speziellen Belehrung, an den zweiten Satz angefügt, obwohl nach der Musterbelehrung der Zusatz zu finanzierten Grundstücksgeschäften Satz 2 ersetzen sollte.
37Weiterhin heißt es zu Beginn von Satz 3 anstatt "Das ist nur anzunehmen, wenn (…)" in der Belehrung der Beklagten "Bei einem finanzierten Erwerb eines Grundstücks oder grundstücksgleichen Rechts ist eine wirtschaftliche Einheit nur anzunehmen, wenn (…)."
38c) Ohne Bedeutung ist es vorliegend, dass es sich unstreitig nicht um ein finanziertes Geschäft handelte. Nimmt der Unternehmer die spezielle Belehrung über finanzierte Geschäfte mit in seine Widerrufsbelehrung auf, obwohl die entsprechenden Zusätze ausweislich der Fußnote 9 zur Musterbelehrung entfallen können, wenn kein finanziertes Geschäft vorliegt, kann er sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, wenn seine Belehrung dem Muster nicht vollständig entspricht. Es ist alleine entscheidend, dass die Beklagte den vom Verordnungsgeber entworfenen Text der Musterbelehrung einer eigenen Bearbeitung unterzogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2011, XI ZR 349/10, Tz. 39, juris).
39Es ist auch ohne Belang, ob sich der Mangel der Widerrufsbelehrung im konkreten Fall zulasten des Verbrauchers auswirkt, etwa weil dessen Verständnis des Widerrufsrechts dadurch erschwert wurde (vgl. OLG Köln, Urteil vom 23.01.2013, 13 U 69/12, Tz. 31, juris; OLG Köln, Urteil vom 23.01.2013, 13 U 217/11, Tz. 25, juris).
40d) Es kommt auch auf den konkreten Umfang der vom Unternehmer vorgenommenen Änderungen nicht an, zumal es mit Rücksicht auf die Vielgestaltigkeit möglicher individueller Veränderungen des Musters ohnehin nicht möglich wäre, eine verallgemeinerungsfähige bestimmte Grenze zu ziehen, ab deren Überschreitung die Schutzwirkung nicht mehr gelten würde (vgl. BGH, Urteil 28.06.2011, XI ZR 349/10, Tz. 39, juris; OLG Köln, Urteil vom 23.01.2013, 13 U 69/12, Tz. 30, juris; OLG Köln, Urteil vom 23.01.2013, 13 U 217/11, Tz. 24, juris). Sogar nur punktuelle Abweichungen gegenüber der Musterbelehrung können mithin den Vertrauensschutz entfallen lassen (OLG Köln, Urteil vom 23.01.2013, 13 U 217/11, Tz. 25, juris).
413. Die Ausübung des Widerrufsrechts ist auch weder rechtsmissbräuchlich noch ist das Widerrufsrecht verwirkt.
42a) Die Ausübung des Widerrufsrechts war hier nicht als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren. Die Möglichkeit, noch mehrere Jahre nach Vertragsschluss und Erhalt der Belehrung das Widerrufsrecht auszuüben, gründet sich gerade darauf, dass die Beklagte eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung verwandte, so dass nach § 355 Abs. 3 S. 2 BGB a. F. das Widerrufsrecht nicht nach Ablauf von spätestens sechs Monaten erlosch. Die Beklagte hat es auch unterlassen, nachdem der Bundesgerichtshof entschieden hatte, dass die auch hier verwandte Belehrung zum Fristbeginn fehlerhaft ist, die Kläger nachträglich zutreffend zu belehren. Hier liegen auch keine besonderen Umstände vor, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten.
43b) Das Widerrufsrecht ist auch nicht verwirkt. Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit nicht geltend gemacht und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf eingerichtet hat und sich auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht mehr geltend machen werde (vgl. BGH, Urteil vom 15.09.2010, NJW 2010, 3714, 3715; Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Aufl. 2015, § 242 Rn. 87). Das sog. Zeitmoment liegt vor, wenn seit der Möglichkeit, das Recht geltend zu machen, längere Zeit verstrichen ist, wobei sich die erforderliche Zeitspanne nach den Umständen des Einzelfalls richtet (Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Aufl. 2014, § 242 Rn. 93). Hier wurden zwar die Darlehensverträge bereits Ende 2005 und mithin fast neun Jahre vor Erklärung des Widerrufs geschlossen (vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 25.01.2012, 13 U 30/11, Tz. 23, juris, Vorliegen des Zeitmoments bei einem sieben Jahre nach Erhalt der Widerrufsbelehrung erklärten Widerruf).
44Allerdings liegt - entgegen der Ansicht der Beklagten - das sog. Umstandsmoment nicht vor. Das ist nämlich nur dann der Fall, wenn sich der Verpflichtete aufgrund des Verhaltens des Berechtigten darauf eingerichtet hat, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde und dem Verpflichteten aufgrund des geschaffenen Vertrauenstatbestandes ein unzumutbarer Nachteil entstünde (BGH, Urteil vom 23.01.2014, VII ZR 177/13, NJW 2014, 1230, 1231; Palandt/Grüneberg, BGB, § 242 Rn. 95). Vorliegend waren die beiderseitigen Pflichten aus den streitgegenständlichen Darlehensverträgen jedoch noch nicht vollständig erfüllt. Vor diesem Hintergrund konnte die Beklagte trotz des langen Zeitablaufs seit Vertragsschluss nicht in schutzwürdiger Weise darauf vertrauen, dass die Kläger ihr Widerrufsrecht nicht mehr ausüben würden (vgl. OLG Köln, Urteil vom 25.01.2012, 13 U 30/11, Tz. 24, juris).
454. Aufgrund des wirksamen Widerrufs können die Kläger die Freigabe der beiden zugunsten der Beklagten im Grundbuch von I eingetragenen Grundschulden verlangen. Im Gegenzug sind sie verpflichtet, der Beklagten die noch offenen Darlehensverpflichtungen, zum Zeitpunkt des Widerrufs insgesamt noch 114.966,06 €, zu zahlen, §§ 355, 357 Abs. 1, 495, 346 Abs. 1 BGB.
465. Dieser Anspruch der Beklagten ist in Höhe von 8.044,76 € durch Aufrechnung erloschen, § 389 BGB. Die Kläger haben gegen die Beklagte gemäß §§ 355, 357 Abs. 1, 346 Abs. 1, 2 BGB einen Anspruch auf Wertersatz für die Nutzungen, die die Beklagte aus den von den Klägern erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen ziehen konnte. Mit diesem Anspruch haben die Kläger die Aufrechnung erklärt, § 388 S. 1 BGB.
47Zwar sind gemäß § 346 Abs. 1 BGB nur tatsächlich gezogene Nutzungen herauszugeben. Bei Zahlungen an eine Bank besteht aber eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Bank auf Zins- und Tilgungsleistungen Nutzungen im Wert des üblichen Verzugszinses in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, §§ 288 Abs. 1 S. 2, 247 Abs. 1 BGB, gezogen hat, die sie als Nutzungsersatz herausgeben muss (vgl. BGH, Urteil vom 10.03.2009, XI ZR 33/08, Tz. 29, juris; OLG Köln, Urteil vom 23.01.2013, 13 U 69/12, Tz. 46, juris; OLG Köln, Urteil vom 23.01.2013, 13 U 217/11, Tz. 37, juris).
48Diese Vermutung hat die Beklagte nicht widerlegt. Zwar hat sie in ihren eigenen Berechnungen des Nutzungsersatzes einen Zinssatz in Höhe von nur 2,5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zugrunde gelegt (Anlagen B 3, B 4). Dies reicht indes nicht aus, um die Vermutung zu widerlegen, zumal sie auch keine konkreten Tatsachen dafür vorträgt, dass sie Zinsen lediglich in dieser Höhe erwirtschaftet hätte.
49Zwar haben die Kläger die Höhe der Forderung anhand der sog. Sparkassenformel und nicht anhand des gesetzlichen Verzugszinssatzes auf ihre Zins- und Tilgungsleistungen berechnet. Soweit die Beklagte deshalb eigene Berechnungen angestellt und die Forderung der Kläger auf insgesamt nur 7.287,58 € beziffert hat, ist dies gleichwohl ohne Belang.
50Die Beklagte hat den Nutzungsersatzanspruch auf zutreffende Weise berechnet, nämlich durch Ermittlung der Nutzungen, die aus den monatlichen Zins- und Tilgungsleistungen der Kläger gezogen werden konnten. Dabei hat sie allerdings einen zu niedrigen Zinssatz zugrunde gelegt. Unter Anwendung der zutreffenden Berechnungsmethode und unter Berücksichtigung der Höhe des gesetzlichen Verzugszinses überstiege die Forderung der Kläger sowohl den Betrag, mit dem sie die Aufrechnung erklärt haben, als auch die von der Beklagten errechnete Forderung, die die der Kläger um 757,28 € unterschreitet. An die Höhe der zur Aufrechnung gestellten Forderung ist das Gericht gebunden, § 308 Abs. 1 ZPO. Daher kann die Höhe der Forderung, soweit sie über den zur Aufrechnung gestellten Betrag hinausgeht, dahin gestellt bleiben.
516. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.901,79 €. Als der Prozessbevollmächtigte der Kläger erstmals tätig wurde und die Beklagte auf die Widerrufbarkeit der Darlehensverträge hinwies, befand diese sich noch nicht im Verzug, so dass ein Schadensersatzanspruch wegen Verzugs gemäß §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB ausscheidet. Mangels Verschuldens der Beklagten scheidet auch ein Anspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB aus.
527. Zu Recht begehren die Kläger die Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befindet. Schon vorprozessual lehnte die Beklagte die Rückabwicklung der Darlehensverträge ab und befindet sich damit im Verzug.
53Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
54Der Streitwert wird auf 130.000,00 EUR festgesetzt.
55Rechtsbehelfsbelehrung:
56Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
571. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
582. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Landgericht zugelassen worden ist.
59Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Oberlandesgericht Köln, Reichenspergerplatz 1, 50670 Köln, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils (Datum des Urteils, Geschäftsnummer und Parteien) gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
60Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Oberlandesgericht Köln zu begründen.
61Die Parteien müssen sich vor dem Oberlandesgericht Köln durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
62Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
63Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Landgericht Aachen statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Landgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Landgericht Aachen, Adalbertsteinweg 92, 52070 Aachen, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
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