Beschluss vom Landgericht Halle (2. Große Strafkammer) - 2 Qs 3/14, 2 Qs 904 Js 41084/08 (3/14)

Tenor

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft H vom 6. März 2014 wird der Beschluss des Amtsgerichts D vom 4. März 2014 – 11 Ls 2/11 (904 Js 41884/08) – aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse.

Gründe

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Die Beschwerde ist zulässig. Zwar ist in der Literatur umstritten, ob und inwieweit ein Aussetzungsbeschluss nach § 396 AO anfechtbar ist (zum Streitstand vgl. Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 396 AO Rz. 78; Jäger in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, § 396 AO Rz. 51; Jäger in Klein, 11. Aufl. 2012, § 396 AO Rz. 16; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, Steuerstrafrecht, § 396 AO Rz. 56 m.w.N.).

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Die Kammer nimmt mit der herrschenden Meinung an, dass eine Beschwerde gegen einen gerichtlichen Aussetzungsbeschluss nach § 396 AO grundsätzlich nicht zulässig ist, weil die Entscheidung regelmäßig in einem inneren Zusammenhang mit dem Urteil steht und dieses vorbereitet, so dass der Zulässigkeit des § 305 StPO entgegen stünde (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. Dezember 1984, 3 Ws 138/84, NStZ 1985, 227). Jedoch ist ausnahmsweise dann eine Anfechtbarkeit einer solchen Entscheidung anzunehmen, wenn es an einem inneren Zusammenhang fehlt, weil die Aussetzung der Entscheidung nicht dienlich ist und nur zur Verfahrensverzögerung führt (Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 396 AO Rz. 78; Jäger in Klein, 11. Aufl. 2012, § 396 AO Rz. 16; Jäger in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, § 396 Rz. 51; vgl. auch Meyer-Goßner in Meyer-Goßner, 56. Auflage, § 228 StPO Rz. 16 m.w.N.).

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Letzteres ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Beschluss überhaupt gesetzeswidrig ist, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 396 AO nicht vorgelegen haben (so Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 396 AO Rz. 78; vgl. auch LG B, Beschluss vom 29. Juli 2010, 31 Qs 245/10, NStZ-RR 2012, 14).

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So liegt der Fall hier, wie die Staatsanwaltschaft und die Finanzbehörde übereinstimmend annehmen.

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Die Beschwerde ist auch begründet. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Ermessensentscheidung, ob die Aussetzung zweckmäßig ist, nicht durch das Beschwerdegericht nachgeprüft werden könnte (Jäger in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, § 396 AO Rz. 51). Hierauf kommt es jedoch vorliegend nicht an, denn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 396 AO liegen tatsächlich nicht vor, noch hat das Amtsgericht vorliegend eine nachprüfbare Ermessensentscheidung getroffen, denn der angefochtene Beschluss ist entgegen § 34 Alt. 1 StPO nicht mit Gründen versehen.

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Der Aussetzungsbeschluss hätte mit Gründen versehen werden müssen, weil er als solcher entweder mit dem Rechtsmittel des Urteils oder – wie hier – mit der Beschwerde angefochten werden kann (Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 396 AO Rz. 71). Von daher erscheint der Kammer der angefochtene Beschluss geradezu willkürlich. Dieser Eindruck wird auch dadurch erhärtet, dass ausweislich des Protokolls nicht ersichtlich ist, dass über die Beschlussfassung eine Beratung stattgefunden hätte. Das Hauptverhandlungsprotokoll weist die Dauer der Hauptverhandlung von 10.02 Uhr bis 10.10 Uhr aus (Bd. VII Bl. 94 d. A.). Es heißt darin, dass nach dem Aufruf der Sache die Präsenz der Beteiligten festgestellt wurde, dass die Beweismittel herbeigeschafft seien und dass sodann der Verteidiger einen Antrag übergebe, mit dem er die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 396 Abs. 1 und 2 AO beantrage. Es heißt dann lediglich, nachdem der Antrag als Anlage zum Protokoll genommen wurde,

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„b.+v.

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Das Verf. wird auf Antrag des Vert. u. d. Angekl. gem. § 396 Abs. 1 + 2 AO bis zur rechtskr. Entsch. in dem Besteuerungsverfahren ausgesetzt.“

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Weder ist ersichtlich, dass nach der Entgegennahme des Antrages eine Unterbrechung der Hauptverhandlung stattgefunden hätte noch ist ersichtlich, dass der Antrag schon vor der Hauptverhandlung übergeben worden wäre. Deshalb kann nicht festgestellt werden, dass das Schöffengericht hierüber beraten hätte. Es ist daher unverständlich, wenn es im Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts heißt, dass das Gericht die divergierenden Auffassungen der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers angehört und anschließend beraten hätte. Dem Hauptverhandlungsprotokoll kommt aber insofern Beweiskraft zu, als die Beantragung der Aussetzung des Verfahrens eine wesentliche Förmlichkeit darstellt, welche nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (§ 273 Abs. 1 Satz 1, § 274 Satz 1 StPO). Zu den wesentlichen Förmlichkeiten gehören die im Verlauf der Verhandlung gestellten Anträge (Meyer-Goßner in Meyer-Goßner, 56. Auflage, § 273 StPO Rz. 10).

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Der angefochtene Beschluss ist aber nicht nur formell, sondern auch materiell rechtswidrig. Es ist anerkannt, dass es ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 396 Abs. 1 AO ist, dass die zu klärende Vorfrage eine Steuerrechtsfrage sein muss (Rolletschke in Rolletschke/Kemper, Steuerstrafrecht, § 396 AO Rz. 23; Hellmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 369 Rz. 60).

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Hiermit ist gemeint, dass in teleologischer Reduktion des Wortlauts des § 396 Abs. 1 AO Zweifel über das Bestehen eines Steueranspruchs, den Eintritt eines Verkürzungserfolges oder die Erlangung ungerechtfertigter Steuervorteile insofern bestehen muss, als mehrere Finanzbehörden in der Auslegung einer steuerrechtlichen Vorschrift unterschiedliche Auffassungen vertreten, die Finanzverwaltung ihre Rechtsauffassung geändert hat, mehrere Finanzgerichte dieselbe steuerrechtliche Frage unterschiedlich beurteilt haben oder der Bundesfinanzhof in einer bereits ergangenen Entscheidung zu derselben Rechtsfrage das Bestehen eines Steueranspruchs verneint hat, die Strafverfolgungsorgane oder die Finanzbehörden aber zu einer gegenteiligen Auffassung gelangt sind (vgl. ausführlich Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 396 AO Rz. 43).

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Hiervon kann bei Anlegung des dargelegten Maßstabes keine Rede sein. Mag auch das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt vorliegend durch den Berichterstatter am 30. September 2013 die Vollziehung ausgesetzt haben und die Auffassung vertreten, dass eine Steuerhinterziehung bei summarischer Betrachtung nicht begründbar sei. Dies bedeutet indessen nicht, dass die Steuerrechtslage zweifelhaft wäre. Vielmehr ist vorliegend nach Lage der Akten zweifelhaft, ob die tatsächlichen Grundlagen einer verdeckten Gewinnausschüttung (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) gegeben sind. Insbesondere steht die Frage im Raum, ob der Angeklagte als Geschäftsführer der M GmbH die von ihm getätigten Barentnahmen, welche als angebliche Verkaufsprovisionen gebucht und im Hinblick auf § 160 Abs. 1 AO als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben in der Buchführung der GmbH gebucht wurden (vgl. die Zeugenvernehmung gemäß § 202 StPO durch das Amtsgericht D vom 26. Januar 2012, Bd. IV Bl. 135 d. A.), in Wahrheit privat vereinnahmt hat, wie etwa die im Rahmen der Hausdurchsuchung im Einfamilienhaus des Angeklagten aufgefundenes Bargeld in Höhe von 171.630 € nahe legt. Denn immerhin hat ein Abgleich der in der aufgefundenen und mit Paketklebeband verschlossenen Plastiktüte enthaltenen 30 verschlossenen Briefumschläge mit den Buchungsdaten für die Verkaufsprovision auf dem Buchhaltungskonto # 4760 ergeben, dass Übereinstimmungen vorliegen. Die gebuchten Provisionen entsprechen den Scheckabhebungen und den Bargeldsummen auf den Umschlägen.

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Von daher war es konsequent, dass das Amtsgericht mit Beschluss vom 19. Dezember 2013 (Bd. VII Bl. 79 d. A.) die beiden Anklagen der Staatsanwaltschaft H vom 10. Februar 2011 und 1. Oktober 2013 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet hat.

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Vorliegend sind demgemäß keine schwierigen und ungeklärten Rechtsfragen zu beantworten, sondern – wie so oft im Steuerstrafverfahren – in tatsächlicher Hinsicht zweifelhafte Fragen aufzuklären und Indizien zu würdigen. Dies ist aber ureigene Aufgabe des Strafrichters, dem im Verhältnis zum Finanzrichter die Vorfragenkompetenz zukommt.

15

Es stellt keine ungeklärte Rechtsfrage dar, die in Literatur, Rechtsprechung oder Finanzverwaltung unterschiedlich beantwortet wird, ob eine verdeckte Gewinnausschüttung darin liegt, dass der alleinige Gesellschafter Geschäftsführer einer GmbH als Provisionen getarnte Barentnahmen für sich vereinnahmt. Diese Frage ist schlicht und einfach aus der gängigen und seit Jahrzehnten gebräuchlichen Definition der verdeckten Gewinnausschüttung zu beantworten. Diese lautet bekanntlich, dass eine verdeckte Gewinnausschüttung nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG dann gegeben ist, wenn bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung vorliegt, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, bei einem Gesellschafter zu Einkünften nach § 20 Abs. 1 EStG führt, die außerhalb eines ordnungsgemäßen Gewinnverwendungsbeschlusses stattfindet und sich auf den Unterschiedsbetrag des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG bei der Gesellschaft auswirkt (ständige Rechtsprechung; vgl. statt vieler: BFH, Urteil vom 4. Juni 2003, I R 38/02, ‚ BStBl II 2004, 139). Die tatsächlichen Grundlagen zur Beantwortung einer solchen Frage kann und muss auch ein Strafgericht leisten. Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – das zuständige Finanzgericht die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO ausgesprochen hat. In diesem Zusammenhang ist auch von Belang, dass in der konkreten Aussetzungsentscheidung das Finanzgericht nicht etwa wegen zweifelhafter Rechtslage ausgesetzt hat, wie die Verteidigung dies zu meinen scheint. Vielmehr ergibt sich aus dem Beschluss des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 30. September 2013 (Seite 12), dass der Antragsgegner und somit das Finanzamt nicht schlüssig dargelegt bzw. nachgewiesen habe, dass die beim Antragsteller (dem Angeklagten) vorgefundenen und beschlagnahmten Barmittel aus verdeckten Gewinnausschüttungen der GmbH an ihn stammten. Dies jedoch ist eine klare Entscheidung dahingehend, dass in tatsächlicher Hinsicht Zweifel bestehen. Das Finanzgericht hat moniert, dass das Finanzamt weder eine Geldverkehrs- noch eine Vermögenszuwachsrechnung erstellt habe. Es kann dahinstehen, ob dies für das Strafverfahren von Bedeutung ist. Jedenfalls liegen keine zu klärenden und nicht aus Gesetz und langjähriger Rechtsprechung sowie Verwaltungsanweisungen eindeutig zu beantwortenden Rechtsfragen vor.

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Ob sich vor dem Schöffengericht der Nachweis des Vorsatzes der Steuerhinterziehung (§§ 369 Abs. 2 AO, 15 StGB) führen lassen wird, steht auf einem anderen Blatt. Das Amtsgericht ist offenbar hiervon ausgegangen, sonst wäre die Eröffnungsentscheidung vom 19. Dezember 2013 nicht verständlich. Dies muss jedoch an dieser Stelle nicht entschieden werden.

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Jedenfalls kann die Aussetzung aus den genannten formell- und materiell-rechtlichen Gründen keinen Bestand haben.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 2 StPO analog. Wenn die Staatsanwaltschaft ihre Aufgabe wahrnimmt, ein Rechtsmittel einzulegen, um damit Gerichtsentscheidungen ohne Rücksicht darauf, welche Wirkung für den Verurteilten erzielt werden, mit dem Gesetz in Einklang zu bringen, trägt die Staatskasse die Kosten und notwendigen Auslagen des Angeklagten (Meyer-Goßner in Meyer-Goßner, 56. Auflage, § 473 StPO Rz. 17 m.w.N.).


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