Urteil vom Landgericht Hamburg (11. Kammer für Handelssachen) - 411 HKO 112/15

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 204.187,16 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.12.2015 zu zahlen.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

4. Dem Beklagten bleibt vorbehalten, seine Gegenansprüche, die sich nach Rang und Höhe mit den Beträgen decken, die die durch die geleisteten Zahlungen begünstigten Insolvenzgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, nach Erstattung an die Insolvenzmasse gegen den Kläger zu verfolgen.

Tatbestand

1

Der Kläger ist gemäß Beschluss des Amtsgerichts Hamburg (Az ...) (Anlage K1) Insolvenzverwalter über das Vermögen der P. p. c. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin).

2

Der Kläger begehrt von dem Beklagten Rückerstattung von nach Eintritt der Insolvenzreife geleisteten Zahlungen.

3

Die Schuldnerin wurde am 03.08.2004 in H. gegründet. Das Stammkapital in Höhe von EUR 25.000,00 wird von der Ehefrau des Beklagten gehalten. Der Beklagte ist seit Gründung der Schuldnerin deren alleiniger Geschäftsführer.

4

Geschäftsgegenstand der Schuldnerin war die Erbringung von Dienstleistungen und Beratungsleistungen für Call-Center einschließlich Schulung von Call-Center-Mitarbeitern.

5

Vor dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin war es bereits zweimal (2000 und 2004) zur Insolvenz der von dem Beklagten geführten Unternehmen gekommen.

6

Am 09.07.2012 stellte der Beklagte für die Schuldnerin einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit (Anlage K3). Zu diesem Zeitpunkt war der Geschäftsbetrieb bereits zum Erliegen gekommen.

7

Der Jahresabschluss der Insolvenzschuldnerin zum 31.12.2011 (Anlage K8) wies einen Jahresfehlbetrag in Höhe von € 17.410,36 und ein (positives) Eigenkapital von € 41.267,98 aus.

8

Im Zeitraum vom 02.01.2012 bis zum 30.06.2012 leistete der Beklagte in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Schuldnerin die auf Seiten 8 bis 19 der Klageschrift aufgeführten Zahlungen vom Geschäftskonto der Insolvenzschuldnerin bei der C. Bank, Konto-Nr. ..., in der Gesamthöhe von € 204.187,16 (ohne Steuerzahlungen und Arbeitgeber-Beiträge zur Sozialversicherung) an diverse Empfänger.

9

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Erstattung der vorgenannten Beträge.

10

Der Kläger trägt vor, die Insolvenzschuldnerin sei - ausgehend von der Bilanz zum 31.12.2011 (Anlage K8) - spätestens ab dem 31.12.2011 insolvenzrechtlich überschuldet gewesen.

11

Eine positive Fortführungsprognose der Schuldnerin habe am 31.12.2011 nicht bestanden, so dass nach Liquidationswerten zu bewerten sei.

12

Die dortigen Bilanzansätze der Aktiva seien im Rahmen eines Überschuldungsstatus demgemäß wie folgt nach unten zu korrigieren („stille Lasten“):

13

a) Zu Unrecht seien in der Bilanz „Immaterielle Vermögenswerte“ mit € 50.983,78 angesetzt. Dabei solle es sich ausweislich der Kontennachweise (Nr. 135 „EDV-Software“) um ein E-Learningprogramm zur Weiterbildung von Call-Center-Mitarbeitern handeln. Da dieses Programm in einer fremden EDV-Struktur nicht nutzbar und im Rahmen einer außergerichtlichen Liquidation der Schuldnerin unverwertbar und wertlos sei, könne es im Überschuldungsstatus per 31.12.2011 nicht angesetzt werden. Auch im Rahmen des Insolvenzverfahrens habe sich kein Interessent dafür gefunden. Der Beklagte, der im Rahmen einer einzelkaufmännischen Unternehmung weiterhin Beratungsleistungen wie die Schuldnerin anbiete, habe ebenfalls kein Interesse daran gezeigt.

14

b) Weiterhin sei der Aktivposten Kto. 523 Pkw € 57.218,00 um € 12.218,00 zu reduzieren. Der betreffende Pkw Range Rover habe nach den eigenen Angaben des Beklagten im Insolvenzantrag lediglich einen Zeitwert und damit Liquidationswert von € 45.000,00.

15

c) Die mit € 41.126,40 in der Bilanzposition 1210 (Forderungen aus Lieferungen und Leistungen ohne Kontokorrent € 46.222,27) enthaltene angebliche Forderung gegen die V.- B. H. (nachfolgend: V.) sei mit € 0,00 anzusetzen, weil sie ausweislich des Berufungsurteils des HansOLG Hamburg vom 14.08.2015 (1 U 165/12; Anlage K12) nicht bestanden habe. Der Beklagte selbst habe diese Forderung ausweislich der seinem Insolvenzantrag beigefügten Summen- und Saldenliste per 31.12.2011 (Ausdruck vom 04.01.2012) bis auf den Erinnerungswert von € 1,00 abgeschrieben und offenbar selbst nicht mehr mit der Durchsetzbarkeit gerechnet.

16

d) Im Übrigen seien stille Reserven, die zu berücksichtigen wären, nicht vorhanden. Dass der Liquidationswert des Pkw VW Polo (Kto. 521) den Buchwert von € 8.002,00 übersteige, werde bestritten.

17

Danach ergebe sich eine rechnerische Überschuldung per 31.12.2011 wie folgt:

18

Eigenkapital laut Handelsbilanz

 € 41.267,98

abzüglich E-Learn-Module

./. € 50.983,78

abzüglich Pkw Range Rover

./. € 12.218,00

abzüglich Forderung gegen V.

 ./. € 41.126,40

Überschuldung

 ./. € 63.060,20

19

Vorsorglich mache der Kläger geltend, dass im Rahmen der Überschuldungsbilanz zusätzliche Passiva als Drohverlustrückstellung in Höhe von € 45.000,00 für die (fiktiven) Kosten einer außergerichtlichen Liquidation anzusetzen seien.

20

Der Kläger beantragt,

21

wie erkannt

22

Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen,

24

hilfsweise festzustellen, dass der Beklagte mit Zahlung und in Höhe einer Zahlung der Klagforderung Insolvenzforderung erwirbt.

25

Der Beklagte trägt vor, die Insolvenzschuldnerin sei am 31.12.2007 nicht überschuldet gewesen. Da der Kläger keine der Fortführung entgegenstehende Umstände dargelegt habe, sei nicht von Liquidationswerten, sondern von Fortführungswerten auszugehen. Es habe intensive Sanierungsbemühungen gegeben. Von Februar 2012 bis Juli 2012 sei mit dem Vertreter H.- J. F. der H. Akademie (Verlagsgruppe H. AG) aussichtsreich und ernsthaft über einen Verkauf des Unternehmens verhandelt worden.

26

a) Die E-Learn-Module (40 Module) seien zu Recht mit € 50.983,78 angesetzt worden. Sie seien sogar erheblich mehr wert gewesen. Anfang 2012 sei die H. Akademie bereit gewesen, sogar mindestens € 250.000,00 allein für die Module zu zahlen.

27

b) der Range Rover sei ebenfalls mit € 57.218,00 richtig bewertet. Das Fahrzeug sei erst Anfang 2012 geliefert und habe bis Juli 2012 lediglich 10.000 km gelaufen und einen Blechschaden erlitten. Per 31.12.2011 habe es aber noch keinen Anlass für eine Abschreibung gegeben.

28

c) Zur Forderung gegen die V.: Nachdem die 1. Instanz (Landgericht) zugunsten der Schuldnerin entschieden habe, habe gemäß § 252 Abs.2 HGB der Anspruch aktiviert werden dürfen. Spätere Erkenntnisse und späteres besseres Wissen seien nicht zu berücksichtigen. Der von dem Kläger in der Berufungsinstanz weitergeführte Prozess gegen die V. sei außerdem aufgrund Anwaltsverschuldens verloren gegangen.

29

d) Der in der Bilanz mit einem Buchwert von € 8.000,00 angesetzte Pkw VW Polo habe tatsächlich einen Wert von € 11.000,00 gehabt, so dass € 3.000,00 stille Reserven zu berücksichtigen seien.

30

e) Außerdem seien bei den Verbindlichkeiten aus 2011 noch erhebliche stille Reserven abzuziehen, soweit der Kläger nämlich deren Bestehen im Insolvenzverfahren bestritten habe.

31

Nach allem sei eine Überschuldung per 31.12.2011 nicht festzustellen.

32

Eine solche sei für den Beklagten auch nicht erkennbar gewesen. Noch um die Jahreswende 2011/2012 seien sich der Beklagte und die Steuerberaterin einig gewesen, dass für das Jahr 2011 die Anschaffung und Herstellung der Lern-Module zu aktivieren sei. Da die Bilanz für 2011 nach den gesetzlichen Vorschriften erst am 31.05.2012 erstellt werden musste, habe der Beklagte bis dahin keine Überschuldung kennen müssen.

33

Die klagegegenständlichen Zahlungen seien zudem insoweit kaufmännisch vertretbar gewesen, als es die darin enthaltene Umsatzsteuer von 19% betreffe, die vom Finanzamt verrechnet bzw. erstattet wurde. Insoweit liege überhaupt kein Nachteil für die Gemeinschuldnerin vor.

34

Weiterhin hätten die Zahlungen an die freien Referenten und die Mieten für die Seminarräume in der Gesamthöhe von € 38.770,55 zu keinerlei Benachteiligung der Schuldnerin geführt, da diese Kosten deutlich niedriger seien als die Umsätze aus den Seminaren (kalkulatorisch max. 50%).

35

In Höhe von € 115.852,00 erkläre der Beklagte die Aufrechnung mit Mietzinsforderungen als Vermieter der Betriebsräume der Schuldnerin in Höhe von € 2.633,00 monatlich für die Zeit ab Insolvenzeröffnung bis 31.12.2012 (Kündigung des Klägers, Anlage K21) und für die Zeit danach gemäß §§ 545 und 546a BGB, weil der Kläger nicht geräumt habe. Diese seien Masseschulden, mit denen aufgerechnet werden könne.

36

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

37

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 18.10.2016 (Bl. 88 d.A.) durch Vernehmung des Zeugen H. j. F.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 29.11.2016 (Bl. 94ff. d.A.) inhaltlich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

38

Der Klage war aus den folgenden, gemäß § 330 Abs. 3 ZPO kurz zusammengefassten Erwägungen stattzugeben:

39

1. Der Beklagte haftet als Geschäftsführer der Schuldnerin für Zahlungen, die er während einer Zeit leistete, in welcher die Insolvenzschuldnerin insolvenzrechtlich überschuldet war, es sei denn, es handelte sich um Zahlungen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes vereinbar waren.

40

Gemäß § 64 GmbHG ist der Geschäftsführer zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung der Gesellschaft geleistet werden. Die Voraussetzungen für die Ersatzpflicht gemäß § 64 GmbHG liegen hier vor.

41

Die streitgegenständlichen Zahlungen ab dem 02.01.2012 erfolgten in einem Zeitraum, in dem die Schuldnerin überschuldet war. Gemäß § 19 Abs. 2 InsO ist Überschuldung anzunehmen, wenn das Vermögen des Schuldners / der Schuldnerin die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, wobei bei der Bewertung des Vermögens die Fortführung des Unternehmens zugrunde zu legen ist, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist.

42

2. Eine positive Fortführungsprognose war jedenfalls ab 01.01.2012 nicht mehr gerechtfertigt:

43

Der Beklagte hat dazu substantiiert nichts vorgetragen. Die Darlegungs- und Beweislast für eine positive Fortführungsprognose – mit der Folge einer Bewertung des Vermögens zu Fortführungswerten – obliegt dem Geschäftsführer. Dazu gehört subjektiv der Wille zur Fortführung des Unternehmens und objektiv die Aufstellung eines Ertrags- und Finanzplans mit einem schlüssigen Unternehmenskonzept für einen angemessenen Prognosezeitraum (vgl. BGH vom 18.10.2010, II ZR 151/09 m.w.N.). An entsprechenden Darlegungen des Beklagten fehlt es vorliegend. In 2011 wurde unstreitig ein Fehlbetrag von € 17.410,36 erwirtschaftet. Der Vortrag des Beklagten über seine Verkaufsabsichten ab Anfang 2012 belegt, dass ein Fortführungswille bei ihm nicht vorhanden war. Allein die Absicht und die Verhandlungen über einen Verkauf mit der H. Akademie stellen noch keine tragfähigen Sanierungsbemühungen dar. Letztlich hat sich die H. Akademie auch nicht von einer Übernahme des Unternehmens der Schuldnerin überzeugen lassen, was jedenfalls nicht für die wirtschaftliche Zukunft der Schuldnerin spricht. Objektive Ansatzpunkte dafür, dass sich das Unternehmen mit auskömmlichen Umsätzen künftig positiv entwickeln werde, waren daher seit Anfang 2012 nicht zu sehen. So hat der Kläger auch unwidersprochen vorgetragen, dass bei dem Insolvenzantrag des Beklagten am 09.07.2012 bereits der Geschäftsbetrieb zum Erliegen gekommen war und es weder laufende Beratungsaufträge noch sonstige kurzfristig beginnende Aufträge gab. Dem hat der Beklagte nichts Substantielles entgegengesetzt.

44

3. Die Überschuldungssituation war danach zu Liquidationswerten zu beurteilen und ergibt sich wie folgt:

45

Ausgangspunkt der Überschuldungsbilanz ist zunächst die Handelsbilanz per 31.12.2011 (Anlage K8). Danach bestand ein positives Eigenkapital in Höhe von € 41.267,98.

46

Dieser Wert war um die sich nach Liquidationsgesichtspunkten zu berichtigenden Bilanzansätze zu modifizieren. Dabei handelt es sich nach dem Vortrag der Parteien um die folgenden Streitpunkte:

47

a) E-Learn-Module:

48

Diese waren im Rahmen der Überschuldungsbilanz mit einem Liquidationswert von € 0,00 anzusetzen. Soweit der Beklagte behauptet hat, die Module hätten noch Anfang 2012 einen Marktwert in Höhe von mindestens € 50.983,78 (Bilanzansatz), wenn nicht gar € 250.000,00 gehabt, hat die hierüber durchgeführte Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen F. dies nicht bestätigt. Zwar hat der Zeuge seinerzeit als Geschäftsführer der H. Akademie mit dem Beklagten über eine Übernahme des Unternehmens der Schuldnerin insgesamt verhandelt, wobei nach der Erinnerung des Zeugen ein Kaufpreis von insgesamt € 1 Mio. in Rede stand. Zutreffend ist auch, dass im Rahmen dieser Übernahmeverhandlungen ein Betrag von € 250.000,00 für die betreffenden E-Learn-Module ins Auge gefasst wurde. Letztlich hat sich die H. Akademie aber gegen den Ankauf der Schuldnerin insgesamt, wie auch gegen den gesonderten Ankauf der E-Learn-Module entschieden. Letzteres nach der glaubhaften Aussage des Zeugen insbesondere deshalb, weil die Abteilungen Produktmanagement und Technik der H. Gruppe nach genauerer Prüfung der Module zu dem Ergebnis gekommen waren, dass – trotz der Qualität der Module – diese so stark auf die Zielgruppe (Call-Center) der Schuldnerin zugeschnitten waren, dass sie nicht ohne zusätzliche Produktionskosten in die E-Learning-Bibliothek der H. Akademie integriert werden konnten. Zur Abgabe konkreter Kaufangebote ist es daher zu keiner Zeit mehr gekommen. Dass es neben der H. Akademie noch andere Interessenten für die Module gegeben hätte, war weder dem Zeugen bekannt, noch hat der Beklagte dies vorgetragen. Unstreitig hat er selbst für seine jetzige einzelkaufmännische Tätigkeit auf demselben Sektor wie die Schuldnerin kein Interesse an einem Ankauf der Module gehabt. Im Ergebnis hat der Beklagte damit nicht zu belegen vermocht, dass die streitgegenständlichen E-Learn-Module für Call-Center im Wege der Liquidation – unabhängig von der Fortführung des Unternehmens der Schuldnerin - auf einem entsprechenden Markt für derartige Produkte zu irgendeinem Kaufpreis Abnehmer gefunden hätten. Dem Beklagten als Branchenkenner ist es im Ergebnis nicht gelungen, die Module zu verkaufen. Da ein Marktpreis für die Module offensichtlich nicht existent und nicht zu erzielen war, kommt es nicht darauf an, ob der bei den damaligen Verhandlungen mit dem Zeugen F. genannte mögliche Kaufpreis angesichts der Herstellungskosten der Module ein „Schnäppchen“ (so F.) gewesen wäre.

49

b) Pkw Range Rover:

50

Der Beklagte hat das Fz. in der Bilanz per 31.12.2011 mit dem Anschaffungswert von netto € 56.218,49 (Rechnung J.-K. vom 20.12.2011, Anlage B7) angesetzt. Das Fahrzeug wurde unstreitig noch im Dezember 2011 für die Schuldnerin zum Straßenverkehr zugelassen, auch wenn es erst im Januar 2012 an die Schuldnerin ausgeliefert wurde. Damit war das Fahrzeug kein Neufahrzeug mehr, das im Liquidationsfall noch zum Werksneupreis verkauft werden konnte. Bereits durch die Erstzulassung in 12/2011 hat das Fahrzeug - ohne dass es bewegt wurde – einen merkantilen Minderwert erlitten, der abzuschreiben war. Diesen Minderwert bemisst das Gericht im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO auf mindestens € 2.800,00 (ca. 5 % des Anschaffungswertes). Auf den von dem Beklagten per 30.07.2012 im Insolvenzantrag nach angeblichem Blechschaden und gelaufenen 10.000 km angegebenen Wert von lediglich € 45.000,00 kommt es insoweit nicht an.

51

c) Forderung gegen die V.:
Diese Forderung wurde in der Handelsbilanz zu Unrecht aktiviert und hat auch im Rahmen der Überschuldungsbilanz außer Betracht zu bleiben. Die Forderung war von der V. vollen Umfangs bestritten und Gegenstand eines laufenden Rechtsstreits, der am Ende gegen die Schuldnerin ausging. Die Aktivierung einer Forderung setzt jedoch voraus, dass diese einen realisierbaren Vermögenswert darstellt und durchsetzbar ist (BGH vom 18.10.2010, II ZR 151/09 m.w.N.). Das mit dem Vorsichtsprinzip verbundene Realisationsprinzip erfordert, dass nur hinreichend sichere Ansprüche in der Bilanz ausgewiesen werden dürfen (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB). Nach dem (auch steuerrechtlich zu beachtenden) Vorsichtigkeitsprinzip des Handelsbilanzrechts (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB i.V.m. § 5 Abs. 1 EStG 2002 und § 8 Abs. 1 KStG 2002) dürfen Forderungen, die in vollem Umfang bestritten werden, erst dann aktiviert und als realisierte Erträge erfasst werden, wenn (und soweit) sie entweder rechtskräftig festgestellt oder vom Schuldner anerkannt worden. Vorher ist nur der Ansatz eines Erinnerungspostens zulässig. (vgl. BFH Urteil vom 26.02.2014 IR 12/14 BFHNV 2014 S. 1544)

52

d) Pkw VW Polo:

53

Stille Reserven waren insoweit nicht zu aktivieren, weil tatsächliche Anknüpfungspunkte für einen höheren Fahrzeugwert als in der Handelsbilanz angesetzt, von dem Beklagten nicht vorgetragen sind.

54

e) Sonstige stille Reserven bei den Passiva:

55

Substantiierter Vortrag des Beklagten dazu, welche in der Handelsbilanz angesetzten Verbindlichkeiten tatsächlich nicht oder nur zu geringeren Werten bestehen sollen, liegt nicht vor. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob und welche der Verbindlichkeiten von dem Kläger im Insolvenzverfahren gegenüber den Forderungsanmeldern bestritten wurden. Dies kann unterschiedliche Motive haben und u.a. auf fehlender Information über die Anspruchsgründe beruhen. Eine Modifizierung der handelsbilanziellen Ansätze in der Überschuldungsbilanz ergibt sich daher nicht.

56

Ergebnis Überschuldungsbilanz per 31.12.2011:

57

Eigenkapital laut Handelsbilanz

 € 41.267,98

abzüglich E-Learn-Module

./. € 50.983,78

abzüglich Pkw Range Rover

./. € 2.800,00

abzüglich Forderung gegen V.

 ./. € 41.126,40

Überschuldung

 ./. € 53.642,20

58

4. Damit war die Schuldnerin im Ergebnis per 31.12.2012 insolvenzrechtlich deutlich überschuldet. Dies war dem Beklagten zuzurechnen.

59

Das für die Haftung gemäß § 64 GmbHG erforderliche Verschulden des Beklagten ist nach den Umständen gegeben. Nach herrschender Rechtsauffassung, der sich das erkennende Gericht anschließt, ist hinsichtlich sämtlicher anspruchsbegründender Tatsachen Fahrlässigkeit als Verschuldensgrad ausreichend. Maßstab ist dafür die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes ohne Rücksicht auf die individuellen Fähigkeiten des Geschäftsführers. Das Verschulden ist bei Vorliegen der objektiven Tatbestandsmerkmale der Haftung indiziert. Die Beweislast für fehlendes Verschulden trägt der Geschäftsführer (vgl. Baumbach / Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 64 Rn. 84 und Rn. 93 n. w. N.). Für den subjektiven Tatbestand des § 64 Abs.1 GmbHG genügt die Erkennbarkeit der Insolvenzreife für den Geschäftsführer, wobei ein Verschulden vermutet wird (BGH vom 20.11.1999, II ZR 273/98; vom 14.05.2007, II ZR 48/06 und vom 18.10.2010, II ZR 151/09). Der Beklagte hat sich insoweit nicht entlastet. Allein, dass seine Steuerberaterin mit ihm der Meinung gewesen sei, dass es richtig sei, die E-Learn-Module per 31.12.2011 in der Handelsbilanz zu aktivieren, ändert nichts an der Erkennbarkeit der Überschuldung im Rahmen der Prüfungspflicht des Beklagten.

60

5. Ausgenommen von der Erstattungspflicht nach § 64 S. 2 GmbHG sind lediglich diejenigen Zahlungen, die auch nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind. Dazu gehören insbesondere solche Zahlungen, die nicht zu einer Schmälerung der Insolvenzmasse führen bzw. Zahlungen bei vollwertiger Gegenleistung und Zahlungen, die erforderlich sind, um den sofortigen Zusammenbruch der Gesellschaft zu verhindern. Da es sich nach der Gesetzessystematik insoweit um eine Ausnahme von der Geschäftsführerhaftung handelt, war es Sache des Beklagten, substantiiert darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen, aus welchen Umständen sich das Vorliegen dieses Ausnahmetatbestandes hinsichtlich jeder einzelnen Zahlung ergeben soll. Substantiierter Vortrag liegt insoweit nicht vor.

61

Soweit der Beklagte darauf verweist, die bezahlten Kosten für Seminarreferenten und Seminarräume seien mit Gewinnen aus diesen Seminaren überkompensiert, ist dies unsubstantiiert und mangels näherer Darlegung der sich aus den jeweiligen Seminaren ergebenden Überschüsse im Einzelnen weder einlassungsfähig noch nachvollziehbar

62

Dies gilt auch hinsichtlich des Einwandes, die Schuldnerin habe durch die Bezahlung des Umsatzsteueranteils an den streitgegenständlichen Zahlungen keinen Nachteil gehabt. Die o.g. Voraussetzungen für gerechtfertigte Zahlungen liegen auch insoweit nicht vor. Es genügt nicht, dass die Umsatzsteuer zu irgendeinem späteren Zeitpunkt erstattet bzw. verrechnet wird. Die Aussicht auf eine mögliche Umsatzsteuererstattung ist keine Gegenleistung für die Zahlung im obigen Sinne, zumal nicht feststeht, wann und ob sie überhaupt erfolgt oder vom Finanzamt mit fälligen anderen Steuerschulden o.ä. verrechnet wird.

63

6. Die Aufrechnung des Beklagten führt nicht zum Erfolg. Aufgrund der Kündigung des Klägers handelt es sich allenfalls um Mieten für die Zeit ab Insolvenzeröffnung am 18.09.2012 bis 31.12.2012. Der Vortrag des Beklagten, der Kläger müsse auch danach weiter zahlen, weil er die Räume nicht vom Inventar geräumt habe, ist vor dem Hintergrund der unstreitigen Korrespondenz der Parteien (Anlagen K21, K22, K23) unsubstantiiert. Deren letzter Stand war, dass alles Inventar durch den Beklagten entsorgt wird und lediglich noch die Geschäftsunterlagen der letzten beiden Jahre von dem Kläger durch einen Beauftragten abgeholt werden. Die übrigen Geschäftsunterlagen unterfielen der gesetzlichen Aufbewahrungspflicht des Beklagten als Geschäftsführer gemäß § 74 Abs.2 GmbHG. Wo der Beklagte diese Pflicht erfüllte, war seine Sache.

64

Auch hinsichtlich der Mietforderungen vom 18.09.2012 bis 31.12.2012 kann der Beklagte als Altmassegläubiger nicht gegenüber der Klagforderung aufrechnen. Der Kläger hat am 20.01.2015 (Anlage K24) gegenüber dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit angezeigt. Damit greift gemäß § 210 InsO das Vollstreckungsverbot wegen einer Masseverbindlichkeit ein. Zwar ist dem Massegläubiger gemäß § 53 InsO eine Vorwegbefriedigung garantiert. Diese Privilegierung wird jedoch mit der Folge eines Aufrechnungsverbots bei sinngemäßer Anwendung des § 96 Abs.1 Nr.1 InsO dann wieder aufgehoben, wenn die Masse nicht zur Befriedigung aller Massegläubiger reicht (vgl. FG Köln, Urteil vom 18.01.2006 – 11 K 2199/05 Rn. 22, zitiert nach juris, m.w.N. ).

65

7. Dem Hilfsantrag des Beklagten war in der tenorierten Weise zu entsprechen. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vom 11. Juli 2005 (ZIP 2005, 550 f.) bleibt dem Beklagten vorbehalten, seinen Gegenanspruch, der sich nach Rang und Höhe mit dem Betrag deckt, den die durch die Zahlungen begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, nach Erstattung an die Masse gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen.

66

8. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.

67

9. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

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