Urteil vom Landgericht Hamburg (27. Zivilkammer) - 327 O 29/17

Tenor

1. Der Arrestbeschluss des Landgerichts Hamburg vom 29.12.2016 (Az.: 317 O 194/16) wird bestätigt.

2. Der Antragsgegner hat auch die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

1

Die Antragstellerin begehrt einen dinglichen Arrest gegen den Antragsgegner. Sie nimmt den Antragsgegner aus einer Bürgschaft in Anspruch nimmt, mit der Forderungen der Antragstellerin gegen die h. GmbH (im Folgenden: H.) gesichert worden sein sollen.

2

Der Antragsgegner war Geschäftsführer der H. Über deren Vermögen wurde am 05.12.2016 das Insolvenzverfahren eröffnet (Anlage A 25).

3

Zwischen der Antragstellerin und H. bestanden seit dem Jahr 2005 vertragliche Beziehungen. Auf Grund des Agreements No. A14-026 (Anlage A 1) stellte die Antragstellerin H. Lagervolumina für Ölprodukte im Hafen von L. in Lettland zur Verfügung und erbrachte Umschlagsdienstleistungen. Am 01.12.2015 schlossen die Antragstellerin und H. das Memorandum of Unterstanding Nr. 5 (im Folgenden: MoU Nr. 5) (Anlage A 2). Darin vereinbarten sie, dass die Antragstellerin sich an der Finanzierung der von H. umzuschlagenden Öle bis zu einem Betrag von 6.000.000 € beteiligen sollte. Am 20.06.2016 schlossen die Antragstellerin und H. das Memorandum of Unterstanding Nr. 6 (im Folgenden: MoU Nr. 6) (Anlage A 3). Darin wurde die Kreditlinie in Höhe von 6.000.000 € aus dem MoU Nr. 5 aufgeteilt auf einen Betrag von 4.000.000 € und einen Betrag von 2.000.000 €. Der Zinssatz für die Finanzierung der „open credit line“ von bis zu 2.000.000 € sollte für die ersten 60 Tage bei 20 % p.a. und für mögliche weitere 30 Tage bei 30 % liegen. Als Sicherheit für die „open credit line“ über 2.000.000 € war unter anderem eine „PERSONAL GUARANTEE OF MR. A. TO THE AMOUNT OF EUR 1,600,000“ vorgesehen. Auf das MoU Nr. 6 sollte englisches Recht anzuwenden sein.

4

Am 21.06.2016 unterzeichnete der Antragsgegner bei einem Notar eine „PERSONAL GUARANTEE (Selbstschuldnerische Höchstbetrags-Bürgschaft)“ (Anlage A 4). Ein Vertreter der Antragstellerin war dabei nicht anwesend. Die Vereinbarung sah vor, dass der Antragsgegner ein „payment at first demand“ garantieren sollte in Bezug auf Forderungen der Antragstellerin gegen H. bis zu einer Höhe von 1.600.000 €, die sich aus dem MoU Nr. 6 ergeben. Auf die Bürgschaft sollte deutsches Recht anzuwenden sein. Mit Schreiben vom 21.06.2016 übersandte H. u.a. die vom Antragsgegner unterzeichnete Bürgschaftserklärung an die Antragstellerin (Anlage A 19).

5

Vor und nach dem Abschluss des MoU Nr. 6 schlossen die Antragstellerin und H. eine Reihe von Purchase Contracts über Öl-Lieferungen. Aufbauend auf den Purchase Contracts bestimmten die Antragstellerin und H. mit sogenannten Addenden und Amendments Teilmengen, deren Abruf über die „open credit line“ gemäß MoU Nr. 6 finanziert werden sollte.

6

Mit Schreiben vom 10.10.2016 forderte die Antragstellerin den Antragsgegner auf, auf Grund der Bürgschaft einen Betrag in Höhe von 1.546.686,19 € an sie zu zahlen, da H. ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen sei (Anlage A 9).

7

Die Antragstellerin erhob gegen den Antragsgegner wegen der auch hier streitgegenständlichen Forderungen Zahlungsklage vor dem Landgericht Hamburg (Az. 327 O 28/17). Die Klage wurde dem Antragsgegner am 23.11.2016 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 02.12.2016 zeigte der Antragsgegnervertreter an, dass er den Beklagten vertrete und dieser sich gegen die Klage verteidigen wolle.

8

Mit Anwaltsschreiben vom 10.01.2017 ließ der Antragsgegner seine Bürgschaftserklärung gemäß § 312g BGB widerrufen, da der Antragsgegner als Verbraucher gehandelt habe und er die Erklärung außerhalb von Geschäftsräumen abgegeben habe (Anlage AG 1). Die Antragstellervertreter wiesen den Widerruf aus formellen und materiellen Gründen zurück (Anlage A 18). Der Antragsgegnervertreter wies wiederum die Zurückweisung zurück (Anlage AB 2).

9

Der Antragsgegner ist Eigentümer einer Eigentumswohnung in der W. Straße 2a in H. Am 29.06.2016 bewilligte er eine Grundschuld in Höhe von 120.000,00 € an dem Wohnungseigentum zu Gunsten seines Vaters M. (Anlage A 15).

10

Die Antragstellerin behauptet, es handle sich bei ihr um eine nach kanadischem Recht gegründete Gesellschaft gemäß Handelsregisterauszug vom 20.01.2017 (Anlage 1 zum Protokoll vom 28.02.2017, Bl. 143 ff. d.A.). Sie sei parteifähig.

11

Die Antragstellerin behauptet, ihr stünden gegen H. die mit den Rechnungen gemäß Anlage A 6 abgerechneten Beträge abzüglich einer von H. geleisteten Kaution in Höhe von 400.000,00 € zu. Die den Rechnungen zu Grunde liegenden Leistungen habe die Antragstellerin erbracht. Die Beträge summierten sich auf 257.996,01 € und 1.261.293,64 USD. Wegen der Einzelheiten wird auf die Tabellen auf S. 10, 15 und 16 der Antragsschrift verwiesen. Diese Beträge unterfielen der „open credit line“ gemäß MoU Nr. 6. Soweit die Rechnungen auf Purchase Contracts beruhten, die vor dem MoU Nr. 6 abgeschlossen worden seien, ergebe sich die Anwendbarkeit des MoU Nr. 6 aus den Addenden und Amendments gemäß Anlage K 33 in Anlage A 22.

12

Die Antragstellerin ist der Ansicht, H. habe einen Großteil der von der Antragstellerin geltend gemachten Ansprüche mit E-Mail vom 20.09.2016 (Anlage A 7) anerkannt.

13

Die Antragstellerin meint, der Antragsgegner hafte für die offenen Beträge auf Grund der Bürgschaft auf erstes Anfordern. Die Antragstellerin behauptet, Herr J., gemäß Aktivrubrum der alleinige Director der Antragstellerin, habe die Bürgschaftserklärung unter dem Satz „We hereby confirm the receipt of the personal guarantee of Mr. A.“ für die Antragstellerin unterzeichnet (Anlage A 20). Die Erklärung sei dann an den Antragsgegner übersandt worden. Die Antragstellerin habe jedenfalls konkludent die Annahme der Bürgschaftserklärung erklärt, indem sie Lieferungen an H. unter dem MoU Nr. 6 vorgenommen habe. Denn gemäß dem MoU Nr. 6 sei die Gestellung einer entsprechenden Bürgschaft Voraussetzung für die Gewährung der laufenden Kreditlinie in Höhe von 2.000.000 € gewesen.

14

Es liege auch ein Arrestgrund vor. Aus dem Bericht des Insolvenzverwalters der H. vom 19.12.2016 (Anlage A 13) ergebe sich der Verdacht einer Bilanzmanipulation, da das strenge Niedrigstwertprinzip des § 253 Abs. 4 HGB nicht durchgehend beachtet worden sei. Die Antragstellerin habe zudem von baltischen Partnern erfahren, dass der Antragsgegner sein Geld oder das Geld des Unternehmens dazu nutze, verschiedene Grundstücke im Namen von Verwandten zu kaufen, insbesondere in Polen. Der Antragsgegner habe der Mitarbeiterin S. der Antragstellerin mitgeteilt, dass die Antragstellerin bei einer Klage gegen ihn persönlich keine zur Befriedigung der Ansprüche ausreichenden Vermögensgegenstände auffinden würde. Er ziehe zudem die Möglichkeit in Betracht, Privatinsolvenz zu beantragen. Der Antragsgegner spreche fließend Russisch. Auf Grund seiner guten Kontakte nach Polen und Russland sei zu befürchten, dass der Antragsgegner sich ins Ausland absetze. Darüber hinaus ergebe sich ein Arrestgrund aus der Tatsache, dass der Antragsgegner nur wenige Tage nach Abgabe der Bürgschaftserklärung seine Wohnung in der W. Straße 2a mit einer Grundschuld zugunsten seines Vaters belastete.

15

Auf Antrag der Antragstellerin hat das Landgericht Hamburg am 29.12.2016 folgenden Arrestbeschluss erlassen:

16

Wegen einer Bürgschaftsforderung der Antragstellerin in Höhe von 1.408.296,01 Euro (bestehend aus 257.996,01 Euro und 1.261.293,64 US Dollar (umgerechnet ca. 1.150.300,00 Euro)) sowie des künftigen Kostenerstattungsanspruchs des Hauptsacheverfahrens in Höhe von 38.929,23 Euro wird gegen den Antragsgegner der dingliche Arrest in das gesamte Vermögen des Antragsgegners angeordnet.

17

Durch Hinterlegung von 1.460.000 Euro wird die Vollziehung dieses Arrestes gehemmt und der Antragsgegner berechtigt, die Aufhebung des vollzogenen Arrests zu beantragen.

18

Der Arrestbeschluss ist dem Antragsgegner am 09.01.2017 im Parteiwege zugestellt worden. Der Antragsgegner hat Widerspruch gegen den Arrestbeschluss erhoben.

19

Die Antragstellerin beantragt,

20

des Arrestbeschluss vom 29.12.2016 zu bestätigen.

21

Der Antragsgegner beantragt,

22

des Arrestbeschluss vom 29.12.2016 aufzuheben.

23

Der Antragsgegner verlangt die Stellung einer Prozesskostensicherheit nach § 110 ZPO.

24

Der Antragsgegner bestreitet, dass die Antragstellerin eine nach kanadischem Recht gegründete Kapitalgesellschaft sei. Es gebe auch in Russland eine Gesellschaft mit diesem Namen (Anlage AB 6).

25

Der Antragsgegner ist der Ansicht, dass sich ein Kaufpreisanspruch der Antragstellerin gegen H. gemäß den Rechnungen in Anlage A 6 nur ergebe, wenn die in den Rechnungen bezeichneten Waren auch tatsächlich geliefert worden seien. Dies werde mit Nichtwissen bestritten, was zulässig sei, da der Antragsgegner auf Grund des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der H. nicht im Besitz der gesamten Korrespondenz der H. sei.

26

Die geltend gemachten Ansprüche seien von H. nicht teilweise anerkannt worden. Die E-Mails in Anlage A 5 und A 7 erfüllten weder inhaltlich noch formell die Anforderungen an ein nach englischem Recht wirksames Schuldanerkenntnis.

27

Die Vereinbarung eines Finanzierungszinssatzes von 20 oder 30 % p.a. sei nach englischem Recht als wucherisches Geschäft unwirksam.

28

Es bestehe keine wirksame Bürgschaftsverpflichtung. Ein Bürgschaftsvertrag sei bereits mangels Annahmeerklärung der Antragstellerin nicht zustande gekommen. Da die Antragstellerin das Angebot des Antragsgegners nicht rechtzeitig angenommen habe, sei das Angebot erloschen. Die Antragstellerin habe die Unterschrift gemäß Anlage A 20 nie der H. oder dem Antragsgegner übersandt. Es werde im Übrigen bestritten, dass Herr J. für die angebliche Antragstellerin vertretungsberechtigt sei und dass sich auf der Anlage A 20 seine Unterschrift befinde. § 151 BGB führe ebenfalls nicht zu einem Vertragsschluss. Dass die auch gemäß § 151 BGB nötige Annahme erfolgt sei, werde mit Nichtwissen bestritten. Der Antragsgegner habe zudem nicht auf die Erklärung der Annahme ihm gegenüber verzichtet und es gebe auch keine entsprechende Verkehrssitte. Außerdem könne hier eine stillschweigende Annahme schon deshalb nicht angenommen werden, da die Bürgschaftserklärung ein deutliches Textfeld für die Annahmeerklärung der Antragstellerin enthalten habe. § 151 BGB sei zudem ohnehin durch § 152 BGB verdrängt, da das Angebot auf Abschluss des Bürgschaftsvertrages in notarieller Form erfolgt sei.

29

Der Bürgschaftsvertrag sei auch unwirksam, weil der Antragsgegner ihn wirksam widerrufen habe. Soweit § 312b Abs. 1 BGB die gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers voraussetze, sei dies richtlinienwidrig. Die Zurückweisung des Widerrufs durch die Antragstellervertreter sei nicht wirksam.

30

Die Antragstellerin verlange von dem Antragsgegner teilweise Zahlungen auf Rechnungen, welche von der Bürgschaftserklärung gar nicht umfasst seien. Die Bürgschaftserklärung beziehe sich nur auf die Bezahlung von Lieferungen, die auf dem MoU Nr. 6 basierten, nicht aber auf dem MoU Nr. 5. Die auf Grund der Rechnungen 522/A bis 528/A geltend gemachten Forderungen seien daher nicht durch die Bürgschaft gesichert.

31

Ein Arrestgrund liege nicht vor. Eine Bilanzmanipulation liege nicht vor. Der Insolvenzverwalter habe die Bewertungsvorschriften des HGB nicht richtig angewandt. Die Bestellung der Grundschuld bzgl. der Wohnung in der W. Straße 2a zugunsten des Vaters des Antragstellers beruhe auf einem Darlehensvertrag, den der Antragsgegner mit seinem Vater am 27.08.2008 abgeschlossen habe (Anlage AB 3). Nach § 5 des Darlehensvertrages habe der Antragsteller seinem Vater eine Grundschuld über 150.000,00 € bzgl. der neu erworbenen Eigentumswohnung T. Allee 15 bestellen sollen. Dazu sei es erst am 30.03.2009 gekommen (Anlage AB 5), da der Vater in Polen lebe und sich nur unregelmäßig in Deutschland aufhalte. Im Oktober 2014 habe der Antragsgegner die Wohnung in der T. Allee 15 verkauft. Im Sommer 2015 habe er dann die Wohnung in der W. Straße 2a im Rohbauzustand erworben. Die Deutsche Bank habe ihm dafür ein Darlehen gewährt und sich eine Grundschuld über 370.000,00 € eintragen lassen. Der Antragsgegner habe mit seinem Vater vereinbart, dass unmittelbar nach der Deutschen Bank eine neue Grundschuld für den Vater eingetragen werden solle. Da die Wohnung ohnehin keinen höheren Wert habe, habe zur Sicherung des Darlehensanspruchs des Vaters nur eine Grundschuld über 120.000,00 € eingetragen werden sollen. Daraufhin sei zur nächstmöglichen Gelegenheit, nämlich beim nächsten Besuch des Vaters in H., diese Grundschuld bewilligt und eingetragen worden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Antragsgegner nicht davon ausgegangen, aus der Bürgschaft in Anspruch genommen zu werden. Er sei vielmehr davon ausgegangen, dass die Geschäfte der H. wachsen würden.

32

Der Arrestbeschluss sei schließlich auch aufzuheben, weil die Vollziehungsfrist gemäß § 929 Abs. 2 ZPO abgelaufen sei. Der Arrestbeschluss sei nicht wirksam zugestellt worden. Zum einen habe er gemäß § 172 ZPO dem Antragsgegnervertreter und nicht dem Antragsgegner persönlich zugestellt werden müssen, da gemäß § 82 ZPO die Vollmacht für den Hauptprozess zum Az. 327 O 28/17 die Vollmacht für ein Arrestverfahren umfasse. Zum anderen sei dem Antragsgegner der Arrestbeschluss ohne die Antragsschrift zugestellt worden. Bei dieser habe es sich jedoch um eine mit zuzustellende Anlage zum Beschluss gehandelt, da in den Gründen des Arrestbeschlusses auf den Antrag Bezug genommen worden sei.

33

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.02.2017 verwiesen.

Entscheidungsgründe

34

Der Arrestantrag ist zulässig und begründet und die Vollziehungsfrist gewahrt worden, so dass der Arrestbeschluss vom 29.12.2016 zu bestätigen ist.

I.

35

Der Antrag ist zulässig.

36

1. Die Antragstellerin ist parteifähig. Bei der Prüfung ist das Gericht an die allgemeinen Beweisvorschriften nicht gebunden und überzeugt sich im Wege des Freibeweises (Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 56 Rn. 8). Mit dem in Anlage 1 zum Protokoll vom 28.02.2017, Bl. 143 ff. d.A. vorgelegten Registerauszug hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass es sich bei ihr um eine in Kanada registrierte Gesellschaft handelt. Dass eine Gesellschaft mit der Firma der Antragstellerin gemäß Anlage AB 6 ein „Office“ in Moskau unterhält, steht dem nicht entgegen.

37

2. Die Antragstellerin hat keine Prozesskostensicherheit gemäß § 110 ZPO zu leisten. § 110 ZPO findet in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gem. §§ 916 ff. ZPO keine Anwendung (HansOLG ZUM-RD 1999, 14, 20; OLG Köln Magazindienst 2004, 1255; OLG München WRP 2012, 1145; LG Düsseldorf, Urteil vom 21. April 2005 – 4b O 435/04 –, juris). Die Vorschrift setzt voraus, dass es sich um ein Klageverfahren handelt. Das gilt nicht nur für die Ausnahmeregelungen in Abs. 2 der Vorschrift, in denen ausdrücklich von Klagen die Rede ist, sondern auch für Abs. 1 („als Kläger“) (HansOLG ZUM-RD 1999, 14, 20).

II.

38

Die Antragstellerin hat die Vollziehungsfrist gemäß § 929 Abs. 2 ZPO gewahrt.

39

1. Einer Zustellung des Arrestbefehls an die für das Hauptverfahren bestellten Prozessbevollmächtigten bedurfte es nicht. § 172 ZPO bestimmt zwar, dass Zustellungen in einem anhängigen Verfahren nur an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten erfolgen dürfen. Diese Voraussetzungen lagen hier jedoch nicht vor, denn die Zustellung des Arrestbefehls erfolgte nicht in dem bereits anhängigen Hauptverfahren. Das Arrestverfahren bildet keinen Bestandteil dieses Verfahrens, sondern bleibt ein selbständiger Rechtsstreit. Zustellungen im Rahmen des Arrestverfahrens müssen daher nicht notwendig an den Prozessbevollmächtigten des Hauptverfahrens gerichtet werden. Sie können es aber, weil sich die Vollmacht des Anwalts gemäß § 82 ZPO auch auf das Arrestverfahren erstreckt (OLG Frankfurt MDR 1984, 58; OLG Nürnberg MDR 2002, 232; OLG Oldenburg MDR 2002, 290; OLG Bamberg, Beschluss vom 12.12.2001 – 3 U 252/01 –, juris).

40

2. Einer Zustellung der Antragsschrift bedurfte es nicht, weil sie keine Anlage des Beschlusses war. Die bloße Bezugnahme auf die Antragschrift in den Gründen des Beschlusses genügte nicht, um sie Antragsschrift zu einer Anlage zu machen. Sie hätte als solche bezeichnet werden müssen oder es hätte angeordnet werden müssen, dass die Antragsschrift zusammen mit dem Beschluss zugestellt werden muss. Beides ist nicht geschehen.

III.

41

Der Antrag ist begründet. Es liegen sowohl ein Arrestanspruch als auch ein Arrestgrund vor.

42

1. Der geltend gemachte Arrestanspruch gemäß § 765 Abs. 1 BGB steht der Antragstellerin zu.

43

a) Der Bürgschaftsvertrag ist wirksam.

44

aa) Die Parteien haben die Anwendbarkeit deutschen Rechts vereinbart (Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO).

45

bb) Der Bürgschaftsvertrag ist nicht gemäß § 125 S. 2 BGB formnichtig. Der Antragsgegner hat nicht vorgetragen, dass die Parteien abweichend von § 766 BGB eine notarielle Beurkundung des gesamten Bürgschaftsvertrages vereinbart hätten.

46

cc) Der Bürgschaftsvertrag ist gemäß § 151 BGB wirksam geworden, auch ohne dass dem Antragsgegner eine Annahmeerklärung zugegangen sein muss.

47

Gemäß § 151 S. 1 BGB kann ein Vertrag durch die Annahme des Antrags zustande kommen, ohne dass die Annahme dem Antragenden gegenüber erklärt zu werden braucht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine solche Erklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist. Das vom Bürgen erklärte Angebot zur Übernahme einer Bürgschaft bedarf danach regelmäßig keiner Erklärung der Annahme gegenüber dem Antragenden (BGH NJW 1997, 2233). Wird die Bürgschaftsurkunde dem abwesenden Gläubiger zugeschickt, reicht es als Betätigung des Annahmewillens regelmäßig aus, dass der Gläubiger, der zuvor eine Bürgschaft verlangt hatte, die Urkunde behalten hat. Dies lässt nach der Lebenserfahrung darauf schließen, dass er mit der ihm zugegangenen Bürgschaftserklärung einverstanden ist (BGH NJW 1997, 2233). Das war hier der Fall. Dass die Bürgschaftserklärung ein Feld vorsah, in dem die Antragstellerin den Empfang der Bürgschaftserklärung bestätigen sollte, steht dem Rückgriff auf die genannte Verkehrssitte nicht entgegen. Der Antragsgegner brachte damit lediglich zum Ausdruck, dass er wünschte, dass die Antragstellerin ihm den Eingang seines Angebots auf Abschluss eines Bürgschaftsvertrages quittierte. Dies bedeutete nicht, dass er entgegen der Verkehrssitte darauf bestand, dass ihm auch die von dieser Eingangsbestätigung zu unterscheidende Annahmeerklärung der Antragstellerin zugehen musste.

48

dd) Der Antragsgegner hat den Bürgschaftsvertrag nicht wirksam widerrufen. Ihm stand kein Widerrufsrecht gemäß § 312g Abs. 1 BGB zu. Bei dem Bürgschaftsvertrag handelte es sich nicht um einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Vertrag gemäß § 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB. Voraussetzung hierfür wäre, dass die Antragstellerin bzw. eine Personen, die in ihrem Namen oder Auftrag handelte (§ 312b Abs. 1 S. 2 BGB), anwesend gewesen wäre. Das war jedoch unstreitig nicht der Fall.

49

Woraus sich die vom Antragsgegnervertreter in der mündlichen Verhandlung behauptete Richtlinienwidrigkeit der Voraussetzung einer gleichzeitigen körperlichen Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers gemäß § 312b Abs. 1 BGB ergeben soll, ist nicht ersichtlich. Gemäß Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher bezeichnet der Ausdruck „außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossener Vertrag“ im Sinne der Richtlinie

50

„jeden Vertrag zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher,

51

a) der bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers an einem Ort geschlossen wird, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist;

52

b) für den der Verbraucher unter den unter Buchstabe a genannten Umständen ein Angebot gemacht hat“.

53

Die Formulierung in § 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 BGB stimmt damit überein.

54

b) Der Antragsgegner haftet als Bürge für die von der Antragstellerin dargelegten Forderungen gegen H..

55

aa) Dass auch die Forderungen gemäß den Rechnungen 522/A bis 528/A unter die „open credit line“ gemäß dem MoU Nr. 6 - und nicht unter das MoU Nr. 5 - fallen und damit von der Bürgschaft erfasst werden, hat die Antragstellerin anhand der Addenden und Amendments in Anlage K 33 in Anlage A 22 substantiiert dargelegt. Die Dokumente nehmen jeweils ausdrücklich auf das MoU Nr. 6 und eine „open credit basis at the rate of 20% per annum for maximum of 60 (sixty) calender days period“ Bezug, wie sie nur in dem MoU Nr. 6 und nicht im MoU Nr. 5 vereinbart wurde. Dass damit auch Forderungen durch die Bürgschaft abgesichert werden, die von der Antragstellerin und H. erst nach Abgabe der Bürgschaftserklärung durch den Antragsgegner dem MoU Nr. 6 unterworfen wurden, ist unproblematisch. Die Bürgschaftserklärung erfasst ausdrücklich auch solche Forderungen, die die Antragstellerin „may have in the future against: H.“. Es war der Haftung des Antragsgegners daher immanent, dass die Hauptschuld, für die er bürgen sollte, dynamisch und nicht fix war, abhängig davon, für welche Lieferungen die Antragstellerin und H. die Anwendbarkeit der „open credit line“ vereinbaren würden.

56

bb) Soweit der Antragsgegner die Höhe der Forderungen gemäß Anlage A 6 sowie die Tatsache, dass die Antragstellerin ihre geschuldeten Leistungen erbracht habe, mit Nichtwissen bestreitet, ist dies bereits gemäß § 138 Abs. 4 ZPO unzulässig. Darauf hat das Gericht in der mündlichen Verhandlung hingewiesen. Der Antragsgegner hat nicht dargelegt, dass er sich bemüht hat, über den Insolvenzverwalter der H. Einsicht in die entsprechenden Unterlagen zu nehmen und so die Kenntnis aufzufrischen, über die er als Geschäftsführer der H. ohnehin verfügt haben muss.

57

cc) Mit seinen Einwänden bzgl. der Höhe und Durchsetzbarkeit der Hauptschuld oder der Unwirksamkeit des MoU Nr. 6 wegen Wuchers dringt der Antragsgegner im vorliegenden Verfahren nicht durch, da die Parteien eine Bürgschaft auf erstes Anfordern vereinbart haben (“payment at first demand“). Der aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern Verpflichtete kann seiner Inanspruchnahme aus der Bürgschaft Einwendungen aus dem Verhältnis des Gläubigers zum Hauptschuldner nach ständiger Rechtsprechung nur entgegensetzen, wenn der Gläubiger seine formale Rechtsstellung offensichtlich missbraucht. Das ist nur dann der Fall, wenn es offen auf der Hand liegt oder zumindest liquide beweisbar ist, dass der materielle Bürgschaftsfall nicht eingetreten ist. Alle Streitfragen, deren Beantwortung sich nicht ohne weiteres ergibt, sind nicht im Erstprozess, sondern im Rückforderungsprozess auszutragen (BGH NJW 2002, 1493). Über solche eindeutigen Glaubhaftmachungsmittel verfügt der Antragsgegner nicht. Die Hauptschuld unterliegt auf Grund der Rechtswahl im MoU Nr. 6 englischem Recht. Insbesondere die Wirksamkeit des Vertrages bestimmt sich daher nach diesem (Art. 10 Rom I-VO). Zur Rechtslage in England haben die Parteien nicht vertieft vorgetragen und auch das Gericht kann sie nicht ohne weiteres beurteilen.

58

2. Es liegt ein Arrestgrund gemäß § 917 Abs. 1 ZPO, da zu befürchten ist, dass ohne Verhängung eines Arrests die Vollstreckung des Urteils in der Hauptsache vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde.

59

Diese Befürchtung wird im Wesentlichen durch die Bestellung der Grundschuld nur acht Tage nach Abgabe der Bürgschaftserklärung geweckt. Der Antragsgegner hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass das Eigentum an der Wohnung W. Straße 2a sein wesentlicher Vermögensgegenstand war und ist. Mit der Grundschuldbestellung hat der Antragsgegner diesen seiner Vermögensmasse entzogen.

60

Dass die Grundschuldbestellung lediglich in Vollzug der Bestimmungen des Darlehensvertrages vom 27.08.2008 erfolgt ist, konnte der Antragsgegner nicht glaubhaft machen. Zu den Umständen der Grundschuldbestellung hat der Antragsgegner neben dem Darlehensvertrag lediglich eigene eidesstattliche Versicherungen ins Feld geführt. Insbesondere eine eidesstattliche Versicherung seines Vaters hat der Antragsgegner nicht vorgelegt.

61

Erste Zweifel an der Vollständigkeit und Korrektheit der eidesstattlichen Versicherung des Antragsgegners werde dadurch begründet, dass der Antragsgegner seine schriftliche eidesstattliche Versicherung vom 02.02.2017 in der mündlichen Verhandlung gleich im ersten Punkt relativiert hat. Die E-Mail der Frau S. vom 12.08.2016 hatte den Antragsgegner ausweislich der Anlage A 5 in Kopie erreicht. Der Antragsgegner hat seine an Eides statt abgegebene Behauptung, dass ihm die E-Mail „vor der Vorlage im Gerichtsverfahren nicht bekannt“ gewesen sei, in der mündlichen Verhandlung daher dahingehend korrigieren müssen, dass er sich nicht erinnern könne, die E-Mail bekommen zu haben.

62

Hinsichtlich der Grundschuldbestellung hatte der Antragsgegner schriftlich an Eides statt versichert, dass er sich bis Juni 2016 „einfach nicht darum gekümmert habe“. Was es mit dieser Formulierung auf sich hat, hat der Antragsgegner auch in der mündlichen Verhandlung nicht erklären können. Er verwies nur wieder darauf, dass sein Vater eben nur selten in Deutschland sei. Dies erklärt jedoch nicht, warum er sich um die Grundschuldbestellung „einfach nicht ... gekümmert“ hat. Ebenso wenig hat der Antragsgegner erklären können, warum der Darlehensvertrag nicht wortgetreu vollzogen wurde. So soll der Vater des Antragsgegners die Darlehenssumme entgegen § 1 Abs. 3 des Vertrages bereits vor Stellung der Sicherheit gemäß § 5 überwiesen haben (vgl. Anlage AB 4). Darüber hinaus soll § 5 des Vertrages nach dem Erwerb der Wohnung W. Straße 2a insoweit mündlich abgeändert worden sein, dass die Grundschuld nunmehr bzgl. der Wohnung W. Straße 2a und zudem nur noch in Höhe von 120.000,00 € bestellt werden sollte. An die Schriftformklausel in § 7 Abs. 1 des Vertrages sollen sich die Parteien dementsprechend nicht gehalten haben. Dies weckt erhebliche Zweifel am Glaubhaftmachungswert des Darlehensvertrages gemäß Anlage AB 4.

63

Dass die Grundschuld nur acht Tage nach der Bürgschaftserklärung bewilligt worden ist, erklärte der Antragsgegner damit, dass sein Vater sich zufällig zu diesem Zeitpunkt wieder einmal in Deutschland aufgehalten habe. Wie oft genau sich sein Vater im Zeitraum nach dem Verkauf der Wohnung T. Allee 15 in Deutschland aufgehalten habe, konnte der Antragsgegner in seiner Anhörung allerdings nicht sagen.

64

Dass der Antragsgegner bei Stellung der Bürgschaft - wie von ihm behauptet - nicht geahnt haben will, dass keine vier Monate später H. in Insolvenz fallen würde, ist ebenfalls nicht glaubhaft. Der Antragsgegner hat selbst erklärt, dass die finanzielle Lage der H. vor der Unterzeichnung des MoU Nr. 6 prekär gewesen sei, da die Kreditlinie der Commerzbank nicht mehr habe praktikabel in Anspruch genommen werden können. Bereits die Tatsache, dass der Antragsgegner für die H. Zinssätze in Höhe von 20 bzw. 30 % p.a. akzeptiert hat, belegt, dass er die Bonität der H. als äußerst gering eingeschätzt haben muss. Es ist daher nicht nachzuvollziehen, dass der Antragsgegner noch im Juni 2016 geglaubt haben will, dass keine reale Chance bestünde, dass er aus der Bürgschaft in Anspruch genommen werden würde.

65

Es ist deshalb überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsgegner im Juni noch kurzfristig dafür sorgen wollte, seinen wesentlichen Vermögenswert zugunsten der Familie zu sichern und ihn damit der Antragstellerin zu entziehen.

IV.

66

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO

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