Urteil vom Landgericht Hamburg (27. Zivilkammer) - 327 O 389/16

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, es unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 €; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre)

zu unterlassen,

das von ihm hergestellte Arzneimittel mit dem Wirkstoff I zur Behandlung der Duchenne-Muskeldystrophie (DMD)

1. in Verkehr zu bringen

und/oder

2. zu bewerben und/oder bewerben zu lassen

und/oder

3. gegenüber dem Laienpublikum unter Verstoß gemäß § 10 Abs. 1 HWG zu bewerben und/oder bewerben zu lassen

und/oder

4. mit den Ergebnisse der so genannten DELOS-Studie, veröffentlicht am 21. April 2015 von Buyse et al. auf www.thelancet.com unter http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(15)60025-3 mit dem Titel "Efficacy of Ie on respiratory function in patients with Duchenne muscular dystrophy not using glucocorticoids (DELOS): a double-blind randomised placebo-controlled phase 3 trial", zu bewerben und/oder bewerben zu lassen

und/oder

5. mit den Ergebnisse der so genannten DELOS-Studie, veröffentlicht am 21. April 2015 von Buyse et al. auf www.thelancet.com unter http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(15)60025-3 mit dem Titel "Efficacy of Ie on respiratory function in patients with Duchenne muscular dystrophy not using glucocorticoids (DELOS): a double-blind randomised placebo-controlled phase 3 trial", zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, ohne den Namen des Verfassers, den Zeitpunkt der Veröffentlichung und die Fundstelle zu nennen;

im Hinblick auf die Ziffern I.2. bis 5. wie in der Anlage K 1 geschehen.

II. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin über den Umfang des Vertriebs der von ihm hergestellten Arzneimittel mit dem Wirkstoff I zur Behandlung der Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) in Deutschland Auskunft zu erteilen und zwar unter Angabe der Anzahl der verkauften Einheiten, aufgeschlüsselt nach Packungsgröße, Abgabe- bzw. Lieferdatum und Preis.

III. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die unter Ziffer II. bezeichneten Handlungen entstanden ist und zukünftig entstehen wird.

IV. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.220,35 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2016 zu zahlen.

V. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

VI. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

VII. Das Urteil ist hinsichtlich Ziffer I. des Tenors gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000.000,00 €, hinsichtlich Ziffer II. des Tenors gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,00 € und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 1.306.146,90 € festgesetzt. Die Kosten der patentrechtlichen Abmahnung vom 13.07.2016 (Anlage K 17) in Höhe von 6.146,90 € sind keine Nebenforderung gemäß § 43 GKG und wirken daher streitwerterhöhend, denn es fehlt insoweit an einer Hauptforderung, über die eine Entscheidung ergeht. Über die hilfsweise geltend gemachten patentrechtlichen Unterlassungs- und Annexansprüche musste die Kammer nicht entscheiden.

Tatbestand

1

Die Klägerin macht gegen den Beklagten wettbewerbsrechtliche Ansprüche wegen Verstößen gegen das Arzneimittel- und Heilmittelwerberecht und hilfsweise patentrechtliche Ansprüche geltend. Darüber hinaus verlangt sie Ersatz von Abmahnkosten für eine wettbewerbsrechtliche und - aus abgetretenem Recht - für eine patentrechtliche Abmahnung.

2

Die Klägerin betreibt ein pharmazeutisches Unternehmen. Seit Anfang September 2015 verfügt sie über eine europäische Zulassung für das Arzneimittel R 150 mg Filmtablette mit dem Wirkstoff I zur Behandlung der Leberschen Hereditären Optikusneuropathie (LHON). Diesbezüglich führen die Parteien bei der Kammer einen Rechtsstreit zum Aktenzeichen 327 O 206/16. Im vorliegenden Verfahren haben die Parteien umfänglich auf ihren Vortrag im Verfahren 327 O 206/16 Bezug genommen.

3

Die Klägerin untersuchte die Anwendung von I zur Behandlung der Duchenne-Muskeldystrophie (DMD). Nach Abschluss der Untersuchung beantragte sie bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) eine Erweiterung der Zulassung von R auf die Indikation DMD. Die EMA bestätigte am 21.06.2016, dass der Zulassungsantrag vollständig sei. Das formale Prüfverfahren durch den Ausschuss für Humanarzneimittel dauert an. Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von R in der Indikation DMD wies die Klägerin in der sog. DELOS-Studie nach, der Phase III-Studie, die u.a. in The Lancet veröffentlicht wurde (Anlage K 7).

4

R wurde bezüglich der Indikation LHON unter "außergewöhnlichen Umständen" gemäß Art. 14 Abs. 8 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zugelassen. Aufgrund der Seltenheit der Krankheit war es nicht möglich, vollständige Informationen über R zu erlangen. Die EMA wird jedes Jahr sämtliche neuen Informationen prüfen, die verfügbar sind (Anlage K 5, S. 3 im Verfahren 327 O 206/16). Im Zulassungsbescheid wurde die Klägerin verpflichtet, zu den langfristigen Wirkungen und zur Langzeitsicherheit von R zusätzliche Studien durchzuführen und ein Register von mit R behandelten LHON-Patienten anzulegen und zu pflegen (Anlage K 2, S. 12).

5

In der Fachinformation (Anlage K 2, S. 11 und 16) und der Zusammenfassung des European Public Assessment Reports der EMA (Anlage K 5, S. 1) wird R als verschreibungspflichtig bezeichnet. Nach Veröffentlichung dieser Dokumente wurde I auf Grund der 15. Verordnung zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) mit Wirkung ab dem 01.10.2016 in die AMVV aufgenommen.

6

In der Fachinformation von R heißt es unter "Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung" (Anlage K 2, S. 3):

7

"Lactose

8

R enthält Lactose. Patienten mit den seltenen hereditären Erkrankungen Galactoseintoleranz, Lapp-Lactase-Mangel oder Glucose-Galactose-Malabsorption sollten R nicht einnehmen."

9

In der Gebrauchsinformation (Anlage K 2, S. 20) heißt es:

10

"R enthält Lactose (eine Zuckerart). Bitte nehmen Sie dieses Arzneimittel erst nach Rücksprache mit Ihrem Arzt ein, wenn Ihr Arzt Ihnen mitgeteilt hat, dass Sie unter einer Lactoseintoleranz leiden oder einige Zuckerformen nicht vertragen oder verdauen können."

11

Am 15.02.2007 wurde I zur Behandlung von LHON von der Europäischen Kommission als Arzneimittel für seltene Leiden gemäß Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 ausgewiesen ("Orphan-Drug-Status") (Anlage K 3). Am 22.09.2015 teilte die EMA zuletzt mit, dass der Orphan-Drug-Status fortbestehe (Anlage K 4).

12

Am 20.03.2007 wurde I auch zur Behandlung von DMD der Orphan-Drug-Status zuerkannt (Anlage K 8).

13

Der synthetisch hergestellte Wirkstoff I ist als gelbliches Pulver verfügbar. I hat einen bitteren Geschmack. Es wird als Nahrungsergänzungsmittel in Pulver- oder Kapselform vertrieben. Als Pulver kann es oral eingenommen werden, indem es in Nahrungsmittel, wie zum Beispiel Joghurt, eingerührt wird oder sublingual verabreicht wird. In Wasser kann I nicht aufgelöst werden (Anlage B 3). Wegen des bitteren Geschmacks kann es auch nicht unmittelbar auf die Zunge appliziert werden.

14

Im Jahr 1986 wurde I in Japan zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit zugelassen. Im Jahr 1998 wurde die Zulassung auf Grund des Fehlens von Wirksamkeitsnachweisen wieder entzogen.

15

Die S. AG ist Inhaberin des Europäischen Patents EP 1 861 080 B1 mit Priorität vom 21.03.2005 (Anlage K 9, im Folgenden: Klagepatent 1) und des Europäischen Patents EP 2 108 366 B1 mit Priorität vom 09.04.2008 (Anlage K 33, im Folgenden: Klagepatent 2), die beide in Deutschland in Kraft stehen.

16

Die Ansprüche 1 und 2 des Klagepatents 1 lauten:

17

1. Ie for use in the treatment and/or prophylaxis of weakness and/or loss of skeletal muscle tissue and/or cardiomyopathy associated with a muscular dystrophy.

18

2. Ie for use according to claim 1, wherein the weakness and/or loss of skeletal muscle tissue is associated with Duchenne Muscular Dystrophy (DMD), Becker Muscular Dystrophy (BMD) and/or Limb Girdle Muscular Dystrophies (LGMD).

19

Die Ansprüche 1 und 2 des Klagepatents 2 lauten:

20

1. Ie for use in the prophylaxis and/or treatment of respiratory weakness and/or insufficiency in a muscular dystrophy.

21

2. Ie for use according to claim 1, wherein the muscular dystrophy is Duchenne Muscular Dystrophy (DMD).

22

Der Beklagte ist Apotheker. Auf seiner Internetseite informierte er gemäß der Anlage K 1 über DMD wie folgt:

Abbildung

23

Die vom Beklagten hergestellten Kapseln enthielten 300 mg I sowie die Hilfsstoffe mikrokristalline Cellulose und Aerosil. Mikrokristalline Cellulose dient als Binde- und Füllmittel und interagiert in keiner Weise mit dem I. Aerosil verbessert die Fließeigenschaften, um den Stoff besser in Kapseln abfüllen zu können. Es verringert die interpartikulären Reibungen und die Feuchtigkeit auf der Oberfläche. Die Kapseln enthielten keine Lactose.

24

Die Klägerin ließ den Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 11.07.2016 wegen wettbewerbsrechtlicher Verstöße abmahnen und zur Zahlung der Abmahnkosten auffordern (Anlage K 15).

25

Die S. AG ließ den Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 13.07.2016 wegen Verletzung der Klagpatente zu 1 und 2 abmahnen und zur Zahlung der Abmahnkosten auffordern (Anlage K 17).

26

Die S. AG ermächtigte die Klägerin am 12.09.2016, den arzneilichen Wirkstoff I betreffende Ansprüche aus Patentrecht in Deutschland im eigenen Namen geltend zu machen und durchzusetzen (Anlage K 11). Mit Vereinbarung vom 29.06.2017 trat die S. AG der Klägerin sämtliche ihr zustehenden Ansprüche aus Verletzung der Klagepatente durch Dritte in Deutschland ab, insbesondere Ansprüche auf Schadensersatz, Entschädigung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie Erstattung von vorgerichtlichen Abmahnkosten, wobei dies alle Ansprüche betrifft, die bereits in der Vergangenheit entstanden sind sowie Ansprüche, die zukünftig entstehen werden (Anlage K 29).

27

Am 01.10.2016 nahm der Beklagte die Angaben zu seinen I-Kapseln gemäß Anlage K 1 von seiner Internetseite.

28

Die Klägerin ist der Ansicht, dass ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien bestehe. Zwar verfüge die Klägerin noch nicht über eine Zulassung für R zur Behandlung von DMD. Es bestehe aber die konkrete Wahrscheinlichkeit eines Marktzutritts auch insoweit, da die Klägerin beste Voraussetzungen habe, um in absehbarer Zeit mit R in der Indikation DMD in Wettbewerb zum Beklagten zu treten. Ferner dürfe R bereits jetzt in der Verantwortung der Ärzte zur Behandlung der DMD eingesetzt werden.

29

Die Klägerin ist der Ansicht, dass sich der Beklagte nicht auf das Rezeptur- oder Defekturprivileg berufen könne und daher rechtwidrig Arzneimittel ohne Zulassung in Verkehr gebracht und beworben habe.

30

Bei einem Arzneimittel mit Orphan-Drug-Status sei bereits per se kein Raum für diese Privilegien, da ansonsten von der 10-jährigen Marktexklusivität ab der Zulassung gemäß Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 nichts mehr übrig bleibe. Der Vertrieb eines ähnlichen Arzneimittels im selben Anwendungsgebiet wie das Arzneimittel für seltene Leiden dürfe daher auch im Wege der Rezeptur oder Defektur nicht gestattet werden.

31

Es sei nicht plausibel, dass der Beklagte die I-Kapseln ausschließlich erst nach Vorlage eines Rezeptes herstelle. Da die Herstellung geringer Mengen kostspieliger sei, werde der Beklagte ein hohes Interesse daran haben, die Kapseln in größeren Mengen im Voraus herzustellen, und zwar mit der allein beworbenen Dosis von 300 mg. Der Beklagte habe die I-Kapseln zudem auch ohne jede ärztliche Verschreibung an Patienten abgegeben.

32

Sowohl das Rezeptur- als auch das Defekturprivileg setzten voraus, dass die wesentlichen Herstellungsschritte in der Apotheke vorgenommen werden würden. Das sei hier nicht der Fall, da der Beklagte lediglich den industriell gewonnen Wirkstoff I portioniere, mit Hilfsstoffen versetze und in Kapseln abfülle.

33

Die in R enthaltene Lactose sei für Menschen mit Lactoseintoleranz unbedenklich. Die empfohlene Tagesdosis von R enthalte insgesamt 276 mg Lactose, was nur 2,3 % der Menge an Lactose entspreche, die gemäß einer Broschüre des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen auch lactoseintolerante Menschen zu sich nehmen könnten, ohne dass sie Symptome entwickelten (Anlage K 27 im Verfahren 327 O 206/16). Die 276 mg lägen auch deutlich unter dem für sehr empfindliche lactoseintolerante Menschen angegebenen Wert von 1 g pro Tag.

34

Die Bewerbung eines im Wege der Einzelrezeptur oder Defektur hergestellten Arzneimittels sei generell unzulässig, da der Sinn und Zweck von Einzelrezeptur und Defektur mit aktiver Werbung der Apotheken für so hergestellte Produkte unvereinbar sei.

35

Die Bewerbung speziell gegenüber einem Laienpublikum sei hier darüber hinaus unzulässig, da es sich bei I zur Behandlung von DMD auch schon vor dem 01.10.2016 um ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel gehandelt habe, wie sich aus der Verschreibungspflicht von R ergebe. Es liege ein Fall des § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AMG vor, da es sich bei I um einen in der Wissenschaft unbekannten Stoff handle.

36

Der Verweis des Beklagten auf die DELOS-Studie sei irreführend, da die Studie nicht mit seinen I-Kapseln durchgeführt worden sei. Darüber hinaus fehle die Quellenangabe zu der DELOS-Studie.

37

Der Beklagte habe darüber hinaus jeweils die Ansprüche 1 und 2 der Klagepatente 1 und 2 unmittelbar verletzt, da er ausweislich der Anlage K 1 I zur Verwendung gemäß den Ansprüchen sinnfällig hergerichtet habe. Hilfsweise macht die Klägerin eine mittelbare Verletzung jeweils der Ansprüche 1 und 2 der Klagepatente 1 und 2 geltend.

38

Die Klägerin hat zunächst beantragt,

39

I. Der Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 €; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu unterlassen, das

40

von ihm hergestellte Arzneimittel mit dem Wirkstoff I zur Behandlung der Duchenne-Muskeldystrophie (DMD)

41

1.a. in Verkehr zu bringen

42

und/oder

43

1.b. herzustellen und/oder anzubieten und/oder zu gebrauchen und/oder zu besitzen

44

und/oder

45

2. zu bewerben und/oder bewerben zu lassen

46

und/oder

47

3. gegenüber dem Laienpublikum unter Verstoß gemäß § 10 Abs. 1 HWG zu bewerben und/oder bewerben zu lassen

48

und/oder

49

4. mit den Ergebnissen der so genannten DELOS-Studie, veröffentlicht am 21. April 2015 von Buyse et al. auf www.thelancet.com unter http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(15)60025-3 mit dem Titel "Efficacy of Ie on respiratory function in patients with Duchenne muscular dystrophy not using glucocorticoids (DELOS): a double-blind randomised placebo-controlled phase 3 trial", zu bewerben und/oder bewerben zu lassen

50

und/oder

51

5. mit den Ergebnissen der so genannten DELOS-Studie, veröffentlicht am 21. April 2015 von Buyse et al. auf www.thelancet.com unter http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(15)60025-3 mit dem Titel "Efficacy of Ie on respiratory function in patients with Duchenne muscular dystrophy not using glucocorticoids (DELOS): a double-blind randomised placebo-controlled phase 3 trial", zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, ohne den Namen des Verfassers, den Zeitpunkt der Veröffentlichung und die Fundstelle zu nennen;

52

im Hinblick auf die Ziffern I.2. bis 5. wie in der Anlage K 1 geschehen.

53

II. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin über den Umfang des Vertriebs der von ihm hergestellten Arzneimittel mit dem Wirkstoff I zur Behandlung der Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) in Deutschland Auskunft zu erteilen und zwar unter Angabe der Anzahl der verkauften Einheiten, aufgeschlüsselt nach Packungsgröße, Abgabe- und Lieferdatum und Preis.

54

III. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die unter Ziffer II. bezeichneten Handlungen entstanden ist und zukünftig entstehen wird.

55

IV. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die Abmahnkosten in Höhe von zweimal 6.146,90 €, insgesamt 12.293,80 €, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.07.2016 zu zahlen.

56

Diese Anträge hatte die Klägerin undifferenziert auf wettbewerbsrechtliche und patentrechtliche Ansprüche gestützt. Mit Schriftsatz vom 29.06.2017 hat die Klägerin die Anträge präzisiert und beantragt zuletzt:

57

A.I. Der Beklagte wird verurteilt es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 €; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu unterlassen,

58

1. das von ihm hergestellte Arzneimittel mit dem Wirkstoff I zur Behandlung der Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) in Verkehr zu bringen

59

und/oder

60

2. zu bewerben und/oder bewerben zu lassen

61

und/oder

62

3. gegenüber dem Laienpublikum unter Verstoß gemäß § 10 Abs. 1 HWG zu bewerben und/oder bewerben zu lassen

63

und/oder

64

4. mit den Ergebnisse der so genannten DELOS-Studie, veröffentlicht am 21. April 2015 von Buyse et al. auf www.thelancet.com unter http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(15)60025-3 mit dem Titel "Efficacy of Ie on respiratory function in patients with Duchenne muscular dystrophy not using glucocorticoids (DELOS): a double-blind randomised placebo-controlled phase 3 trial", zu bewerben und/oder bewerben zu lassen

65

und/oder

66

5. mit den Ergebnisse der so genannten DELOS-Studie, veröffentlicht am 21. April 2015 von Buyse et al. auf www.thelancet.com unter http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(15)60025-3 mit dem Titel "Efficacy of Ie on respiratory function in patients with Duchenne muscular dystrophy not using glucocorticoids (DELOS): a double-blind randomised placebo-controlled phase 3 trial", zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, ohne den Namen des Verfassers, den Zeitpunkt der Veröffentlichung und die Fundstelle zu nennen;

67

im Hinblick auf die Ziffern I.2. bis 5. wie in der Anlage K 1 geschehen.

68

A.II. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin über den Umfang des Vertriebs der von ihm hergestellten Arzneimittel mit dem Wirkstoff I zur Behandlung der Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) in Deutschland Auskunft zu erteilen und zwar unter Angabe der Anzahl der verkauften Einheiten, aufgeschlüsselt nach Packungsgröße, Abgabe- bzw. Lieferdatum und Preis.

69

A.III. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die unter Ziffer A.II. bezeichneten Handlungen entstanden ist und zukünftig entstehen wird.

70

hilfsweise zu den Anträgen zu A.

71

B.I. Der Beklagte wird verurteilt es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 €; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu unterlassen,

72

1.a) I zur Verwendung in der Behandlung und / oder Vorbeugung von Schwäche und / oder Verlust von Skelettmuskelgewebe, verbunden mit einer Muskeldystrophie vom Typ Duchenne Muskeldystrophie,

73

in der Bundesrepublik Deutschland sinnfällig herzurichten, anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,

74

1.b) hilfsweise

75

I, welches dazu geeignet ist in der Behandlung und / oder Vorbeugung von Schwäche und / oder Verlust von Skelettmuskelgewebe, verbunden mit einer Muskeldystrophie vom Typ Duchenne Muskeldystrophie, verwendet zu werden,

76

Abnehmern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und / oder an solche zu liefern,

77

ohne im Falle des Anbietens im Angebot ausdrücklich und unübersehbar darauf hinzuweisen, dass I von ihm (dem Beklagten) nicht ohne Zustimmung der S. AG als Inhaberin des europäischen Patents EP 1 861 080 mit Wirkung in Deutschland zur Behandlung und / oder Vorbeugung von Schwäche und / oder Verlust von Skelettmuskelgewebe verbunden mit einer Muskeldystrophie vom Typ Duchenne Muskeldystrophie, geliefert werden kann.

78

- mittelbare Verletzung der Ansprüche 1 und 2 von EP 1 861 080 -

79

2. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin in einem geordneten – auch elektronischen – Verzeichnis darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang der Beklagte die zu Ziffer B.I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 26.05.2010 begangen hat, und zwar unter Angabe

80

a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

81

b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,

82

c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und/oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;

83

wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen.

84

3. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin in einem geordneten – auch elektronischen – Verzeichnis darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang der Beklagte die zu Ziffer B.I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 26.06.2010 begangen hat, und zwar unter Angabe

85

a) der Herstellungsmengen und -zeiten,

86

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,

87

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,

88

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

89

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

90

wobei

91

- dem Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern der Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.

92

4. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der S. AG durch die zu Ziffer B.I.1. bezeichneten, seit dem 26.06.2010 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

93

B.II. Der Beklagte wird verurteilt es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 €; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu unterlassen,

94

1.a) I zur Verwendung in der Vorbeugung und / oder Behandlung von respiratorischer Schwäche und / oder Insuffizienz bei Muskeldystrophie vom Typ Duchenne Muskeldystrophie

95

in der Bundesrepublik Deutschland sinnfällig herzurichten, anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,

96

1.b) hilfsweise:

97

I, welches dazu geeignet ist, zur Vorbeugung und / oder Behandlung von respiratorischer Schwäche und / oder Insuffizienz bei Muskeldystrophie vom Typ Duchenne Muskeldystrophie verwendet zu werden,

98

Abnehmern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und / oder an solche zu liefern,

99

ohne im Falle des Anbietens im Angebot ausdrücklich und unübersehbar darauf hinzuweisen, dass I von ihm (dem Beklagten) nicht ohne Zustimmung der S. AG als Inhaberin des europäischen Patents EP 2 108 366 mit Wirkung in Deutschland zur Behandlung und / oder Vorbeugung respiratorischer Schwäche und / oder Insuffizienz bei Muskeldystrophie vom Typ Duchenne Muskeldystrophie geliefert werden kann.

100

- mittelbare Verletzung der Ansprüche 1 und 2 von EP 2 108 366 -

101

2. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin in einem geordneten – auch elektronischen – Verzeichnis darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang der Beklagte die zu Ziffer B.II.1. bezeichneten Handlungen seit dem 19.10.2011 begangen hat, und zwar unter Angabe

102

a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

103

b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,

104

c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und/oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;

105

wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen.

106

3. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin in einem geordneten – auch elektronischen – Verzeichnis darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang der Beklagte die zu Ziffer B.II.1. bezeichneten Handlungen seit dem 19.11.2011 begangen hat, und zwar unter Angabe

107

a) der Herstellungsmengen und -zeiten,

108

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,

109

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,

110

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

111

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

112

wobei

113

- dem Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern der Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.

114

4. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der S. AG durch die zu Ziffer B.II.1. bezeichneten, seit dem 19.11.2011 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

115

C. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Abmahnkosten in Höhe von zweimal 6.146,90 €, insgesamt 12.293,80 €, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.07.2016 zu zahlen.

116

Die Klägerin hat dazu erklärt, dass sie die Anträge zu A. auf Wettbewerbsrecht und die Anträge zu B. auf Patentrecht stütze und in ein Eventualverhältnis stelle. Die mit dem Antrag zu C. geltend gemachten Ansprüche auf Erstattung von Abmahnkosten mache sie demgegenüber kumulativ geltend.

117

Der Beklagte beantragt,

118

 die Klage abzuweisen.

119

Der Beklagte ist der Ansicht, dass kein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien bestehe, weil R noch nicht zur Behandlung von DMD zugelassen sei. Die Möglichkeit eines Off-Label-Use von R zur Behandlung von DMD führe ebenfalls nicht zu einem konkreten Wettbewerbsverhältnis, denn die Entscheidung über den Einsatz des Arzneimittels liege dann in der Verantwortung des behandelnden Arztes. Die Klägerin steuere den Marktzutritt für das Arzneimittel daher nicht durch das Angebot eines zugelassenen Arzneimittels.

120

Der Beklagte behauptet, dass er die I-Kapseln ausschließlich auf ärztliche Verordnung nach individueller Zubereitung abgebe. Er habe nicht nur Kapseln mit 300 mg I hergestellt, sondern auch in anderen Dosierungen. Der Beklagte hat dazu im Verfahren 327 O 206/16 Konvolute von ärztlichen Verordnungen (Anlage B 1 im Verfahren 327 O 206/16) und Herstellungsprotokollen für Rezepturarzneimittel vorgelegt.

121

Der Beklagte meint, somit Rezepturarzneimittel herzustellen. Dabei komme es - anders als bei Defekturarzneimitteln - nicht darauf an, wo die wesentlichen Herstellungsschritte vorgenommen werden würden.

122

Im Übrigen seien die vom Beklagten vorgenommenen Herstellungsschritte auch wesentlich. Die Verwendung von I als Arzneimittel zur Behandlung von DMD setze die Notwendigkeit einer individuellen Dosierung, jedenfalls aber die Abmessbarkeit des Wirkstoffes zwingend voraus. Zudem müsse der Wirkstoff I in seinen physikalischen Eigenschaften (sehr voluminös, kleine Dichte, hohe elektrostatische Aufladung) bearbeitet werden, um in Verbindung mit den Hilfsstoffen in eine Kapsel eingebracht werden zu können. Dazu sei ein Kompaktierungsverfahren erforderlich. Die Verdichtung und Verbringung der gemischten Ausgangsstoffe und des Wirkstoffes sei nur unter Nutzung der pharmazeutischen Ausbildung und Fertigkeiten des Beklagten fachkundig möglich. Die Tatsachen, dass die Kapseln des Beklagten keine Lactose enthielten, bereits ab einer Dosierung von 50 mg erhältlich und damit namentlich für Kinder anwendbar seien, würden die Herstellung der Kapseln als solche betreffen, da dazu auch der planende fachliche Aufwand des Beklagten gehöre, wie die von ihm herzustellenden Rezepturen möglichst individuell mit einem möglichst breiten Verträglichkeitsspektrum zubereitet werden könnten. Führe das Kompaktierungsverfahren, das der Beklagte anwende, zu der Herstellung eines lactosefreien und besser dosierbaren Arzneimittels als das Arzneimittel der Klägerin, so gewinne der in der Apotheke vorgenommene Herstellungsschritt gegenüber der Lieferung der Ausgangsstoffe an entscheidender Bedeutung, was zu der Annahme der wesentlichen Herstellungsschritte in der Apotheke führe.

123

Der Beklagte ist der Ansicht, dass I bis zum 01.10.2016 nicht verschreibungspflichtig gewesen sei, da es sich nicht um einen Stoff mit in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannten Wirkungen gehandelt habe. Die Zulassung von R unter außergewöhnlichen Umständen habe lediglich auf einer ausbaufähigen Datenlage beruht und nicht auf fehlenden Kenntnissen in der medizinischen Wissenschaft über die Wirkungen von I. Dies dokumentiere der Zulassungsbescheid in Anlage K 2, in der die Wirkungen und Nebenwirkungen von R exakt bezeichnet werden würden. Es entspreche auch nicht dem Sinn und Zweck des § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AMG, wenn man eine Verschreibungspflicht von Arzneimitteln mit I vor der Aufnahme von I in die AMVV annehme. Denn Sinn dieser Regelung sei es, den Zeitraum zwischen der Zulassung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels und der nachträglichen Aufnahme des Wirkstoffes in die AMVV zu überbrücken. Vorliegend habe der Verordnungsgeber zwischen der Zulassung von R die 13. und 14. Verordnung zur Änderung der AMVV verstreichen lassen, ohne I aufzunehmen. Vor diesem Hintergrund könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber noch nachträglich auf die Zulassungsentscheidung für R habe abstellen wollen, als er mit der 15. Verordnung zur Änderung der AMVV I in die AMVV aufgenommen habe.

124

Der Beklagte habe auch kein Arzneimittel beworben, da auf seiner Internetseite gar kein Arzneimittel genannt worden sei, sondern nur ein nicht verschreibungspflichtiger Wirkstoff. Es seien keine Arzneimittel des Beklagten beschrieben worden, sondern es sei lediglich auf die telefonischen und sonstigen Beratungsmöglichkeiten hingewiesen worden.

125

Die Ausführungen zur DELOS-Studie seien zulässig gewesen, da der Beklagte lediglich über das Studienziel informiert habe. Der Beklagte habe auch keinen Zusammenhang zwischen der Studie und seinen I-Kapseln hergestellt.

126

Patentrechtlich sei das Handeln des Beklagten gemäß § 11 Nr. 3 PatG erlaubt, da es sich um die unmittelbare Einzelzubereitung von Arzneimitteln in einer Apotheke handle.

127

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die darin in Bezug genommenen Schriftsätze und Anlagen in dem Verfahren 327 O 206/16 sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlungen vom 18.05.2017 verwiesen.

128

Am 18.05.2017 haben die Parteien einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt.

Entscheidungsgründe

I.

129

Die zulässige Klage ist hinsichtlich der Hauptanträge zu A. begründet, so dass nicht über die Hilfsanträge zu B. zu entscheiden ist. Hinsichtlich des Klagantrags zu C. ist die Klage nur teilweise begründet.

130

1. Der Klagantrag zu A. I. ist so auszulegen, dass die Formulierung "das von ihm hergestellte Arzneimittel mit dem Wirkstoff I zur Behandlung der Duchenne-Muskeldystrophie (DMD)" nicht nur Bestandteil der Ziffer 1. sein soll, sondern sich - vor die Klammer gezogen - auf sämtliche arabischen Ziffern bezieht. Es handelt sich um ein offensichtliches Schreibversehen bei der Antragsfassung.

131

2. Die Klägerin ist gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG aktivlegitimiert. Die Parteien sind Mitbewerber im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG, da zwischen ihnen ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht.

132

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein konkretes Wettbewerbsverhältnis gegeben, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen und daher das Wettbewerbsverhalten des einen den anderen beeinträchtigen, d.h. im Absatz behindern oder stören kann. Da im Interesse eines wirksamen lauterkeitsrechtlichen Individualschutzes grundsätzlich keine hohen Anforderungen an das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses zu stellen sind, reicht es hierfür aus, dass sich der Verletzer durch seine Verletzungshandlung im konkreten Fall in irgendeiner Weise in Wettbewerb zu dem Betroffenen stellt. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis ist daher anzunehmen, wenn zwischen den Vorteilen, die die eine Partei durch eine Maßnahme für ihr Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht und den Nachteilen, die die andere Partei dadurch erleidet, eine Wechselwirkung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann (BGH GRUR 2015, 1129 Rn. 19 - Hotelbewertungsportal).

133

Nach diesen Maßstäben besteht zwischen den Parteien hier ein konkretes Wettbewerbsverhältnis, da sie beide Arzneimittel mit dem Wirkstoff I anbieten. Dass R noch nicht zur Behandlung von DMD zugelassen worden ist, ist insoweit unerheblich. Die ärztliche Therapiefreiheit gestattet die Verordnung von Arzneimitteln außerhalb ihrer arzneimittelrechtlichen Zulassung ("Off-Label-Use"). Es steht Ärzten daher frei, R auch zur Behandlung von DMD zu verschreiben. Aus Sicht des Arztes und des Patienten sind daher bei der Behandlung von DMD die I-Kapseln des Beklagten durch R substituierbar. Das Inverkehrbringen der I-Kapseln wirkt sich damit unmittelbar nachteilig auf den Absatz von R aus.

134

3. Der Klägerin steht der mit dem Klagantrag zu A. I. 1. geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 S. 1, § 3, § 3a UWG i.V.m. § 21 Abs. 1 S. 1 AMG zu, denn der Beklagte hat Fertigarzneimittel ohne Zulassung in Verkehr gebracht, obwohl sie einer Zulassung bedurft hätten.

135

a) Die Prüfung, ob das Inverkehrbringen der I-Kapseln durch den Beklagten auf Grund des Rezeptur- oder Defekturprivilegs zulässig war, erübrigt sich nicht deshalb, weil es sich bei R um ein Arzneimittel mit Orphan-Drug-Status im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 handelt.

136

Gemäß Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 hat der Orphan-Drug-Status lediglich zur Folge, dass die Zulassungsbehörden während der nächsten zehn Jahre nach Erteilung der Zulassung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels weder einen anderen Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen eines ähnlichen Arzneimittels für dasselbe therapeutische Anwendungsgebiet annehmen noch eine entsprechende Genehmigung erteilen noch einem Antrag auf Erweiterung einer bestehenden Genehmigung stattgeben dürfen. Die Verordnung (EG) Nr. 141/2000 sieht demgegenüber nicht vor, dass auch das zulassungsfreie Inverkehrbringen von Rezeptur- oder Defekturarzneimitteln beschränkt wird. Auch das Arzneimittelgesetz, die Richtlinie 2001/83/EG oder die Verordnung (EG) Nr. 726/2004 sehen keine Rückausnahme von der Zulassungsfreiheit für Rezeptur- oder Defekturarzneimittel vor, wenn es sich um ein Arzneimittel handelt, das einem Arzneimittel mit Orphan-Drug-Status ähnlich ist.

137

Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass das Marktexklusivitätsrecht nach Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 durch das ungehinderte Inverkehrbringen entsprechender Rezeptur- oder Defekturarzneimittel geschwächt wird. Dies zu ändern wäre allerdings Aufgabe des (europäischen) Gesetzgebers.

138

b) Bezüglich der I-Kapseln des Beklagten ist der Anwendungsbereich des § 21 AMG eröffnet, denn bei den Kapseln handelt es sich um Fertigarzneimittel gemäß § 4 Abs. 1 AMG und nicht um Rezepturarzneimittel. Dies gilt entgegen der Ansicht des Beklagten unabhängig davon, ob man bezüglich der Abgrenzung von Rezeptur- und Fertigarzneimitteln auf die Ausführungen des I. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs in der Entscheidung GRUR 2005, 778 - Atemtest I oder die des 1. Strafsenats in der Entscheidung GRUR 2013, 84 - Münchener Apotheke abstellt.

139

aa) Der Entscheidung BGH GRUR 2005, 778 - Atemtest I lag der Fall zu Grunde, dass die dortige Klägerin ein 13C-Harnstoff-Atemtestset produzierte und vertrieb. Das Testset bestand aus 75 mg 13C-Harnstoffpulver, das in Orangensaft gelöst eingenommen wurde, und vier verschließbaren Röhrchen, die mit der Atemluft befüllt wurden. Die Röhrchen wurden sodann in ein Labor gesandt, wo das zahlenmäßige Verhältnis der Kohlenstoffisotope 12C zu den Kohlenstoffisotopen 13C bestimmt wurde. Die dortige Beklagte war Inhaberin einer Apotheke. Sie stellte einen 13C-Harnstofftest für die diagnostische Anwendung durch Ärzte in nicht-industrieller Weise her. Den dafür benötigten 13C-Harnstoff bezog sie als fertiges Produkt und füllte ihn in Mengen von 75 mg zusammen mit dem Stoff Lactose in Kapseln ab, nachdem sie ihn mittels eines Massenspektrometers auf Identität, Reinheit und Gehalt überprüft hatte. Sie bereitete diese Kapseln sowohl im Wege der Defektur als auch im Wege der Rezeptur zu. Über eine arzneimittelrechtliche Zulassung für ihren 13C-Harnstofftest verfügte die Beklagte nicht.

140

Der I. Zivilsenat wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass nach der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung zu prüfen sein werde, ob die Voraussetzungen für die zulassungsfreie Herstellung und den entsprechenden Vertrieb aufgrund einer Rezeptur vorlägen. Dafür sei es erforderlich, dass das Mittel tatsächlich aufgrund einer individuellen Rezeptur hergestellt werde. Hieran fehle es, wenn ein Mittel in keiner Weise mehr von der dem Apotheker angelieferten Bulkware abweiche und sich dessen Tätigkeit daher auf das bloße Neuverteilen der seiner Einwirkung im Übrigen nicht mehr unterliegenden Arznei beschränke. Ein solches bloßes Aufteilen des gebrauchsfertigen Wirkstoffs in Portionen mache diesen zu einem Fertigarzneimittel.

141

Nach der Zurückverweisung hat das OLG Düsseldorf diese Maßstäbe auf den Fall angewendet und das Vorliegen eines Rezepturarzneimittels verneint (OLG Düsseldorf, Urteil vom 03.02.2009, I-20 U 2/02, zitiert in OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.03.2012 – I-20 U 108/11 –, juris Rn. 22). Das OLG Düsseldorf hat dazu ausgeführt:

142

"Wie bereits das Oberlandesgericht Stuttgart (a.a.O.) zutreffend ausgeführt hat, können an den Begriff der Herstellung eines Rezepturarzneimittels keine geringeren Anforderungen gestellt werden als an ein Herstellen im Wege der Defektur, die daher ja auch als ‚verlängerte Rezeptur‘ bezeichnet wird. Dies bedeutet, dass jedenfalls solche Arbeitsschritte außer Betracht zu bleiben haben, denen für die Anwendung des Arzneimittels keine Bedeutung zukommt. Eine Anfertigung auf Rezeptur liegt danach nur dann vor, wenn neben der Verpackung und Etikettierung auch materielle Schritte des Herstellens hinzukommen. Danach beschränkt sich aber auch im Falle der von der Beklagten behaupteten Herstellung auf Rezept der Herstellungsbeitrag der Beklagten darauf, den als Bulkware angelieferten 13C-Harnstoff in anwendungsgerechte Portionen von - wohl überwiegend - 75 mg aufzuteilen, wobei sie sich die Arbeit dadurch erleichtert, dass sie die Bulkware zunächst mit einem Hilfsstoff, nämlich Laktose, vermischt. Die wesentliche Bedeutung dieser Vermischung besteht aber auch nach ihrem Sachvortrag darin, das Abmessen einer Dosis von 75 mg zu erleichtern, es handelt sich also letztlich um ein Verpackungshilfsmittel, welches sie zur Aufteilung des ihrer Einwirkung im Übrigen nicht unterliegenden Mittels einsetzt. Auch wenn für die Anwendung als diagnostisches Arzneimittel die Dosierung von erheblicher Bedeutung ist kann man unter dem bloßen Abmessen einer vorgeschriebenen Stoffmenge keine Herstellung auf Rezept sehen, weil das Arzneimittel selbst vollkommen unverändert bleibt."

143

Diese Ausführungen lassen sich unmittelbar auf den vorliegenden Fall übertragen, der nach Auffassung der Kammer nicht anders zu beurteilen ist. Auch im vorliegenden Fall beschränkt sich die Tätigkeit des Beklagten darauf, den industriell gefertigten Wirkstoff (hier I) abzumessen, mit Hilfsstoffen zu vermischen, die lediglich zur Verkapselung erforderlich sind, und das Gemisch sodann zu verkapseln. Das bloße Portionieren des Wirkstoffes stellt keinen materiellen Schritt des Herstellens des Arzneimittels dar.

144

bb) Der Entscheidung BGH GRUR 2013, 84 - Münchener Apotheke lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Angeklagte betrieb eine Apotheke, in deren Labor unter seiner Aufsicht hierzu ausgebildete Mitarbeiter unter besonderen technischen Sicherheitsvorkehrungen Injektionslösungen zur Behandlung krebskranker Patienten herstellten. Die Zubereitung dieser Lösungen erfolgte auf der Basis des Zytostatikums Gemzar, das auf dem Markt als Pulver zur Herstellung einer Injektionslösung angeboten wurde. Die Zubereitung erfolgte jeweils auf Rezept. Die Ärzte verordneten entweder Gemzar oder dessen Wirkstoff Gemcitabine sowie eine patientenindividuelle Konzentrationsvorgabe für die zu dem Pulver hinzuzugebende Kochsalzlösung.

145

Zur Einordnung eines Arzneimittels als Fertigarzneimittel oder Rezepturarzneimittel führte der 1. Strafsenat aus, dass bei arbeitsteiligen Herstellungsverfahren, die zum Teil industriell oder im Voraus, zum Teil gewerblich in der Apotheke erfolgten, die unterschiedlichen Arbeitsschritte im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung gegeneinander zu gewichten seien. Je nach dem Schwerpunkt handele es sich um ein zulassungspflichtiges Fertigarzneimittel oder um ein zulassungsfreies Rezepturarzneimittel. Die Vornahme einzelner Arbeitsschritte in der Apotheke mache ein Arzneimittel nicht ohne weiteres zu einem Rezepturarzneimittel. Bei einer wertenden Gesamtbetrachtung könne die in der Apotheke durchgeführte Zubereitung einer Injektionslösung das im Voraus industriell hergestellte Pulver nicht zu einem Rezepturarzneimittel umwidmen. Die Zubereitung bildete im Vergleich zum vorab erfolgten industriellen Herstellungsteil einen klar untergeordneten Arbeitsschritt. Die die arzneiliche Wirkung bestimmenden Herstellungstätigkeiten, etwa die pharmazeutische Verarbeitung des Wirkstoffs zu einer handelbaren, haltbaren Substanz, seien zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen. Für die Beurteilung, ob ein wesentlicher Herstellungsschritt vorliege, komme es zwar nicht entscheidend darauf an, ob auf das Arzneimittel chemisch eingewirkt werde. Allerdings seien Tätigkeiten ohne jede Einwirkung auf das Medikament, etwa das Abpacken oder das Umfüllen, schon aus diesem Grunde keine wesentlichen Herstellungsschritte. Ebenso stelle sich eine Zubereitung, die das Arzneimittel lediglich in eine anwendbare Darreichungsform versetze, gegenüber dem vorausgegangenen Prozess nicht mehr als wesentlich dar. Schon aus diesem Grunde sei für die Bewertung des Landgerichts, der Zubereitungsprozess sei zulassungsfreie Apothekenrezeptur, kein Raum. Auch der vom Landgericht betonten Gefährlichkeit des Umgangs mit Gemzar und dem daraus resultierenden Sicherheitsaufwand komme für die Zuordnung keine entscheidende Bedeutung zu. Nach den Feststellungen der Strafkammer handele es sich um Eigenschaften, die das pulverisierte Gemzar generell in sich trage. Anhaltspunkte dafür, dass gerade der Zubereitungsprozess eine im Vergleich zu den übrigen Herstellungsschritten besondere Vorsicht und - daher - einen besonderen Sicherheitsaufwand erfordere, lägen nicht vor.

146

Auch nach diesen Maßstäben handelt es sich bei den I-Kapseln des Beklagten um Fertigarzneimittel, denn der Schwerpunkt der Herstellung liegt außerhalb der Apotheke.

147

Auch insoweit kann zunächst auf die Ausführungen des OLG Düsseldorf in der Entscheidung Bezug werden, die nach der Aufhebung und Zurückverweisung durch den BGH in der Sache GRUR 2005, 778 - Atemtest I ergangen ist. Im Rahmen der Prüfung, ob ein Defekturarzneimittel vorlag, hat sich das OLG Düsseldorf mit der Frage auseinandergesetzt, wo der Schwerpunkt der Herstellung des Atemtests liege. Es hat dazu festgestellt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 03.02.2009, I-20 U 2/02, zitiert und bestätigt in OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.03.2012 – I-20 U 108/11 –, juris Rz. 12 ff.):

148

"Mit dem Landgericht ist der Senat der Überzeugung, dass bei dem in Rede stehenden 13C-Harnstoff-Atemtest der Gewinnung des 13C-Harnstoffes mit einer Reinheit von 99% eine so wesentliche Bedeutung zukommt, dass er gegenüber den weiteren Herstellungsschritten, die die Beklagte in der Apotheke vornimmt, jedenfalls nicht als unwesentlich qualifiziert werden kann. Ohne die Gewinnung des 13C-Harnstoffes ist eine diagnostische Wirkung nicht zu erzielen. Die Herstellung eines Harnstoffes mit einem Anteil von 99% 13C-Harnstoff macht den Atemtest überhaupt erst anwendbar. Zu berücksichtigen ist soweit, dass nach dem unstreitigen Vorbringen der Parteien der 13C-Harnstoff zur Anwendung zwingend nur noch abgemessen werden muss, da - dies ist eine Selbstverständlichkeit - die Wirkstoffmenge entscheidend ist. Eine Menge von 75 mg 13C-Harnstoff ist damit ohne weiteres anwendbar; weitere Zwischenschritte sind nicht zwingend erforderlich. … Wägt man im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung diese Herstellungsschritte gegeneinander ab, ergibt sich daraus, dass die industrielle Gewinnung des 13C-Harnstoffes jedenfalls nicht geringere Bedeutung hat als der bedeutendste Herstellungsschritt der Beklagten, nämlich die Abmessung von Dosen zu 75 mg Wirkstoffgehalt. Es handelt sich damit bei der Synthese des Wirkstoffes um einen wesentlichen Herstellungsschritt, so dass jedenfalls ein wesentlicher Herstellungsschritt nicht in der Apotheke der Beklagten durchgeführt wird…".

149

Nichts anderes gilt im vorliegenden Fall, denn der Beklagte füllt das I lediglich zusammen mit Hilfsstoffen in Kapseln ab. Die dosisgenaue Abmessung und Portionierung der erforderlichen Menge sowie das Abfüllen in Kapseln durch den Apotheker hat im Verhältnis zur Herstellung des I nur eine untergeordnete Bedeutung, weil hierdurch kein wesentlich anderes oder neues Produkt entsteht. Die Zufügung von Hilfsstoffen dient hier nicht der besseren Anwendung durch den Patienten, sondern verbessert die Fließfähigkeit des Wirkstoffpulvers und erleichtert allein das vom Beklagten durchgeführte Abfüllen in Kapseln (so auch im Fall VG Köln PharmR 2015, 315, juris Rn. 100 und 116). Die Verkapselung ist hier nicht z.B. deshalb erforderlich, weil der Wirkstoff wegen seiner schleimhautangreifenden Wirkung nur in Weichgelatinekapseln verabreicht werden könnte (so aber im Fall BVerwG, Urteil vom 09.03.1999, 3 C 32/98, Buchholz 418.32 AMG Nr. 33). Die Bitterkeit von I und die fehlende Wasserlöslichkeit ändern daran nichts, denn I kann dennoch unstreitig oral eingenommen werden, indem es in Nahrungsmittel wie zum Beispiel Joghurt eingerührt oder sublingual verabreicht wird. Der Wirkstoff wird durch die Verkapselung also nicht erst anwendungsfähig, sondern in der Anwendbarkeit nur verbessert.

150

Ob das Arzneimittel der Klägerin, also R, bei Lactoseunverträglichkeit nicht eingenommen werden kann, kann dahinstehen. Die Verwendung von Lactose bei der Herstellung von R durch die Klägerin ändert nichts daran, dass das, was der Beklagte hergestellt hat, ein Fertig- und kein Rezepturarzneimittel ist. Mit welchen Hilfsstoffen die Klägerin ihr Arzneimittel herstellt, hat keinen Einfluss auf die Qualifizierung der vom Beklagten hergestellten Arzneimittel. Im Übrigen hat der Beklagte nicht dargelegt, dass eine der ärztlichen Verordnungen von I-Kapseln gemäß dem Anlagenkonvolut B 1 tatsächlich vor dem Hintergrund einer Lactoseintoleranz des Patienten ausgestellt worden wäre.

151

Dass die vom Beklagten vorgelegten Rezepte teilweise eine Verkapselung vorschreiben, führt ebenfalls nicht dazu, dass deshalb ein Rezepturarzneimittel vorläge. Es kommt vielmehr darauf an, welches Gewicht dem Herstellungsschritt der Verkapselung beizumessen ist und nicht darauf, ob der Apotheker die Verkapselung auf Grund der Angabe im Rezept oder einer eigenen Entscheidung vornimmt.

152

c) Der Beklagte war von der Zulassungspflicht nicht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG befreit, denn bei seinen I-Kapseln handelt es sich nicht um Defekturarzneimittel.

153

Bei der Beurteilung, ob ein Defekturarzneimitte vorliegt, stellen der I. Zivilsenat und der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs sowie das Bundesverwaltungsgericht übereinstimmend darauf ab, ob alle wesentlichen Herstellungsschritte in der Apotheke erfolgen (BGH GRUR 2005, 778, 779 - Atemtest I; BGH GRUR 2013, 84 - Münchener Apotheke; BVerwG, Urteil vom 09.03.1999, 3 C 32/98, Buchholz 418.32 AMG Nr. 33). Aus den oben unter b) genannten Gründen liegt dieser Schwerpunkt hier nicht in der Apotheke des Beklagten.

154

4. Der Klägerin steht der mit dem Klagantrag zu A. I. 2. geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 S. 1, § 3, § 3a UWG i.V.m. § 3a HWG zu, denn der Beklagte hat für ein nicht zugelassenes Arzneimittel geworben.

155

a) Das Bewerben eines Rezeptur- oder Defekturarzneimittels ist allerdings entgegen der Ansicht der Klägerin nicht bereits per se unzulässig. Das Werbeverbot gemäß § 3a HWG greift nämlich nicht ein, wenn das Arzneimittel bereits nicht der Pflicht zur Zulassung unterliegt. Die Maßgeblichkeit der Zulassungspflicht ergibt sich aus dem Wortlaut des § 3a HWG, wonach eine Werbung nur für solche Arzneimittel unzulässig sein kann, die der Pflicht der Zulassung unterliegen. Auch eine unionsrechtskonforme Auslegung der Bestimmung des § 3a HWG gebietet es nicht, das Werbeverbot auf alle nicht behördlich zugelassenen Arzneimittel auszudehnen (BGH, Urteil vom 09.02.2017, Az. I ZR 130/13 - Weihrauch-Extrakt-Kapseln II - juris Rn. 16 ff.).

156

b) Das Heilmittelwerbegesetz ist gemäß § 1 Nr. 1 HWG anwendbar, da der Beklagte nicht lediglich für den Wirkstoff I, sondern ein Arzneimittel, nämlich seine I-Kapseln, geworben hat. Er hat nicht lediglich auf die telefonischen und sonstigen Beratungsmöglichkeiten zu I hingewiesen, sondern er hat Bestell- und Zahlungsmöglichkeiten in Bezug auf seine Kapseln mit I aufgeführt.

157

5. Der Klägerin steht der mit dem Klagantrag zu A. I. 3. geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 S. 1, § 3, § 3a UWG i.V.m. § 10 HWG zu, denn der Beklagte hat gegenüber dem Laienpublikum für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel geworben.

158

Die Verschreibungspflicht von I ist nicht erst gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG mit der Änderung der AMVV zum 01.10.2016 eingetreten. I war vielmehr bereits vorher gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AMG verschreibungspflichtig, weil es sich um einen Stoff "mit in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannten Wirkungen" handelte. Ausweislich der Begründung zur 15. Verordnung zur Änderung der AMVV wurde I nämlich in die AMVV aufgenommen, eben weil die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AMG vorlagen. Die Kammer hat keinen Anlass, an dieser Beurteilung des Verordnungsgebers zu zweifeln. Gemäß der Verordnungsermächtigung in § 48 Abs. 2 AMG können Stoffe, die zur Anwendung beim Menschen bestimmt sind, in drei Fällen in die AMVV aufgenommen werden. Es muss sich um einen Stoff handeln,

159

- bei dem die Voraussetzungen nach § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AMG vorliegen, also einen Stoff mit in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannten Wirkungen (§ 48 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AMG),

160

- der die Gesundheit des Menschen auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch unmittelbar oder mittelbar gefährden kann, wenn er ohne ärztliche Überwachung angewendet wird (§ 48 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. a) AMG) oder

161

- der häufig in erheblichem Umfang nicht bestimmungsgemäß gebraucht wird und dadurch die Gesundheit von Mensch unmittelbar oder mittelbar gefährdet werden kann (§ 48 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) AMG).

162

Dass die Aufnahme von I in die AMVV erfolgte, weil es sich um einen Stoff mit in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannten Wirkungen handelt, folgt daraus, dass die Begründung zur 15. Verordnung zur Änderung der AMVV bezüglich der Verordnungsgebungskompetenz auf § 48 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AMG, nicht aber auf § 48 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AMG verweist (Anlage K 26, S. 6). Entgegen der Auffassung des Beklagten muss die Aufnahme von I zudem auf Grund der Zulassung von R erfolgt sein, denn in der Begründung der Änderung der AMVV heiß es dazu (Anlage K 26, S. 18):

163

"Die Unterstellung unter die Verschreibungspflicht erfolgt auf Grund des erstmaligen Inverkehrbringens von Arzneimitteln mit dem Wirkstoff I in der EU."

164

Denklogisch kann sich diese Begründung auf kein Arzneimittel mit I beziehen, das nach R in Verkehr gebracht wurde, weil es sich dann nicht um das erste Arzneimittel mit I handeln würde. Damit wird auch dem Sinn und Zweck der Verschreibungspflicht nach § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AMG genüge getan, der darin besteht, eine zeitliche Lücke zu vermeiden, die zwischen der Zulassung des Arzneimittels und dem Inkrafttreten der Verschreibungspflicht nach der AMVV bestehen würde (Hofmann in Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Aufl. 2016, § 48 Rn. 14).

165

6. Der Klägerin steht der mit dem Klagantrag zu A. I. 4. geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 S. 1, § 3, § 3a UWG i.V.m. § 3 Nr. 3 lit. a) HWG zu, denn der Beklagte hat irreführend für ein Arzneimittel geworben, indem er den Eindruck erweckt hat, dass die positiven Ergebnisse der DELOS-Studie auf seine I-Kapseln übertragbar seien.

166

Der Beklagte hat von den von ihm dargestellten Ergebnissen der DELOS-Studie, die allein mit dem Arzneimittel R und nicht den I-Kapseln des Beklagten durchgeführt wurde, unmittelbar zu den Bestellmöglichkeiten seiner I-Kapseln übergeleitet. Er suggerierte damit, dass mit seinen I-Kapseln die gleichen Ergebnisse erzielt werden könnten wie in der DELOS-Studie. Der Beklagte hat daher auch nicht lediglich ohne werbenden Charakter das Ziel der DELOS-Studie referiert im Sinne der Entscheidung HansOLG Magazindienst 2008, 55. Die Nennung der Studie zielte vielmehr darauf ab, den Absatz der I-Kapseln zu fördern.

167

7. Der Klägerin steht der mit dem Klagantrag zu A. I. 5. geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 S. 1, § 3, § 3a UWG i.V.m. § 6 Nr. 2 HWG zu, denn der Beklagte hat in seiner Werbung auf die DELOS-Studie Bezug genommen, ohne den Namen des Verfassers, den Zeitpunkt der Veröffentlichung und die Fundstelle zu nennen.

168

8. Der Klägerin stehen auch die mit den Klaganträgen zu A. II. und III. geltend gemachten Annexansprüche zu. Der Beklagte schuldet der Klägerin gemäß § 9 S. 1 UWG Schadensersatz, da er zumindest fahrlässig gehandelt hat. Der korrespondierende Auskunftsanspruch folgt aus § 242 BGB.

169

9. Die Klägerin hat Anspruch auf Ersatz der mit dem Klagantrag zu C. geltend gemachten Kosten für die Abmahnung vom 11.07.2016 (Anlage K 15) und sowie der Hälfte der Kosten für die Abmahnung vom 13.07.2017 (Anlage K 17), insgesamt 9.220,35 €.

170

a) Der Anspruch auf Ersatz der Kosten für die wettbewerbsrechtliche Abmahnung vom 11.07.2016 in Höhe von 6.146,90 € ergibt sich aus § 12 Abs. 1 S. 2 UWG. Die Abmahnung war wegen der oben dargestellten Wettbewerbsverstöße des Beklagten berechtigt.

171

b) Der Anspruch auf Ersatz der Hälfte der Kosten für die patentrechtliche Abmahnung vom 13.07.2016 in Höhe von 3.073,45 € ergibt sich aus abgetretenem Recht aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 677, 683, 670 BGB. Mit der Abmahnung hat die Zedentin, die S. AG, die Verletzung der Klagepatente 1 und 2 verfolgt. Die Klägerin hat jedoch nur eine Verletzung des Klagepatents 2 durch den Beklagten schlüssig dargelegt.

172

aa) Es liegt keine unmittelbare Verletzung der Ansprüche 1 und 2 des Klagepatents 1 gemäß § 9 PatG vor.

173

Bei dem Klagepatent 1 handelt es sich um ein Verwendungspatent. Bei diesen beginnt die Benutzung gemäß § 9 PatG schon mit der zweckgerichteten Bereitstellung der zu verwendenden Sache, so dass Dritten bereits solche Handlungen verboten sind, bei denen das Erzeugnis objektiv auf die geschützte Anwendung oder Verwendung ausgerichtet, d. h. sinnfällig hergerichtet wird (Scharen in Benkard, Patentgesetz, 11. Auflage 2015, § 9 Rn. 50). Der Beklagte hat das I hier jedoch nicht sinnfällig hergerichtet zur Verwendung bei der Behandlung und/oder Vorbeugung von Schwäche und/oder Verlust von Skelettmuskelgewebe verbunden mit einer DMD. Welchen Anwendungsbereich die I-Kapseln haben sollten, hat der Beklagte auf seiner Internetseite gemäß der Anlage K 1 unter der Überschrift "Therapieansätze" dargestellt. Dort hat er auf die DELOS-Studie verwiesen, die sich ausschließlich mit der Wirksamkeit von I bezüglich der Atemfunktion bei Patienten mit DMD befasst. Insoweit hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass gemäß der Studie der jährliche Verlust der maximalen Exspirationsrate um 66 % verringert worden sei. Aussagen zu einer I-Behandlung von anderen Symptomen, die mit DMD einhergehen und die der Beklagte in den Absätzen davor, etwa unter "Krankheitsverlauf", dargestellt hat, hat der Beklagte nicht gemacht. Insbesondere der allgemeine Hinweis unter der Überschrift "Welche Dosierung benötige ich?", dass "[b]ei Duchenne-Muskeldystrophie" eine Tagesdosis von 900 mg empfohlen werde, kann nicht so verstanden werden, dass I - über die Ausführungen im Abschnitt "Therapieansätze" hinaus - auch zur Behandlung weiterer Symptome von DMD geeignet sei, insbesondere einer Schwäche der Skelettmuskulatur. Zur Behandlung weiterer Symptome von DMD hat der Beklagte vielmehr überhaupt keine Aussage getroffen.

174

Ob eine mittelbare Verletzung der Ansprüche 1 und 2 des Klagepatents 1 gemäß § 10 PatG überhaupt Gegenstand der Abmahnung vom 13.07.2016 war und die Klägerin daher insoweit Ersatz von Abmahnkosten verlangen könnte, ist zweifelhaft, denn in der sehr allgemein gehaltenen Abmahnung wurde nur auf eine Verletzung des Patentrechts "gemäß § 9 PatG" Bezug genommen. Dies kann hier jedoch dahinstehen, da die Klägerin auch die Voraussetzungen einer mittelbaren Patentverletzung nicht schlüssig dargelegt hat. Gemäß § 10 Abs. 1 PatG setzt eine mittelbare Patentverletzung voraus, dass der Verletzer weiß oder es auf Grund der Umstände offensichtlich ist, dass das von ihm angebotene Mittel dazu geeignet und bestimmt ist, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden. Die Klägerin trägt insoweit lediglich vor, dass der Beklagte "[a]usweislich der Erläuterungen auf seiner Internetseite" gemäß Anlage K 1 wisse, "dass I zum Einsatz für den patentgemäß Zweck geeignet" sei, denn "für diesen" biete er I an. Der Beklagte fordere die Abnehmer gerade auf, "I zur Behandlung von DMD zu verwenden, d.h. gegen Muskelschwund, auch eines solchen der Skelettmuskulatur". Gerade dies ergibt sich aus der Anlage K 1 jedoch nicht. Aus den oben genannten Gründen hat der Beklagte I weder zur Behandlung "von DMD" noch zur Behandlung sämtlicher Symptome, die mit einer DMD einhergehen, angepriesen. Er hat vielmehr allein auf eine Verringerung des Verlustes der Exspirationsrate durch I hingewiesen.

175

bb) Die Ansprüche 1 und 2 des Klagepatents 2 hat der Beklagte demgegenüber gemäß § 9 PatG unmittelbar verletzt. Gemäß den Ausführungen zur Verringerung des Verlustes der Exspirationsrate im Abschnitt "Therapieansätze" in Anlage K 1 hat der Beklagte I sinnfällig hergerichtet zur Verwendung bei der Vorbeugung und/oder Behandlung von respiratorischer Schwäche und/oder Insuffizienz bei DMD.

176

cc) Die Wirkung des Klagepatents 2 ist auch nicht gemäß § 11 Nr. 3 PatG beschränkt gewesen. Bei den vom Beklagten angebotenen und in Verkehr gebrachten I-Kapseln handelte es sich nicht um unmittelbare Einzelzubereitungen von Arzneimitteln in einer Apotheke auf Grund ärztlicher Verordnungen.

177

§ 11 Nr. 3 PatG privilegiert allein die Herstellung eines Arzneimittels in der Apotheke aufgrund eines ärztlichen Rezepts. Die Zubereitung darf nur in einem Einzelfall für einen einzelnen Patienten und nur in der Apotheke erfolgen. Die Privilegierung greift nur bei einer solchen Zubereitung, die für den Einzelfall unmittelbar durch die ärztliche Verordnung veranlasst wurde und sie betrifft keine Vorratszubereitungen (LG Hamburg, Urteil vom 31.05.1995, Az. 315 O 224/95, BeckRS 1995, 31212782). Damit ein Arzneimittel § 11 Nr. 3 PatG unterfällt, muss es sich also um ein Rezepturarzneimittel handeln. Bei der Prüfung, ob ein Arzneimittel gemäß § 11 Nr. 3 PatG unmittelbar einzeln in einer Apotheke zubereitet worden ist, sind deshalb dieselben Maßstäbe anzulegen wie bei der Abgrenzung eines Rezepturarzneimittels von einem Fertigarzneimittel gemäß § 4 Abs. 1 AMG. Es kann daher auf die oben dargestellten Grundsätze der Rechtsprechung des I. Zivilsenats und 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs in den Entscheidungen GRUR 2005, 778 - Atemtest I und GRUR 2013, 84 - Münchener Apotheke Bezug genommen werden. Da es sich bei den I-Kapseln des Beklagten um Fertigarzneimittel und nicht Rezepturarzneimittel handelt (s.o. unter Ziffer I. 3. b) der Entscheidungsgründe), sind sie auch keine unmittelbaren Einzelzubereitungen in einer Apotheke im Sinne des § 11 Nr. 3 PatG.

178

dd) Da die Abmahnung vom 13.07.2016 daher nur bezüglich eines der beiden geltend gemachten Patente berechtigt war, kann die Klägerin nur die Hälfte der Abmahnkosten in Höhe von insgesamt 6.146,90 € ersetzt verlangen, also 3.073,45 €. Richtet sich die Höhe der Abmahnkosten nach dem Gegenstandswert der Abmahnung, sind die Kosten einer nur teilweise berechtigten Abmahnung nur zu ersetzen, soweit die Abmahnung berechtigt war. Dabei ist die Höhe des Ersatzanspruchs nach dem Verhältnis des Gegenstandswerts des berechtigten Teils der Abmahnung zum Gegenstandswert der gesamten Abmahnung zu bestimmen (BGH GRUR 2016, 516 Rn. 45 - Wir helfen im Trauerfall). Die Werte der beiden mit der Abmahnung geltend gemachten Unterlassungsansprüche, die auf die beiden Klagepatente gestützt wurde, sind hier gleich hoch anzusetzen.

179

10. Der Zinsanspruch bezüglich der Abmahnkosten folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB. Der Klägerin stehen Zinsen allerdings erst ab Rechtshängigkeit zu. Die Abmahnungen vom 11.07.2016 und 13.07.2016 waren nämlich jeweils nicht mit einer Mahnung gemäß § 286 Abs. 1 BGB verbunden. Die in den Abmahnungen enthaltenen Fristsetzungen bis zum 15.07.2016 bezogen sich nicht auf die Aufforderungen, die Abmahnkosten zu zahlen, sondern ausschließlich auf die Abgabe von Unterlassungsverpflichtungserklärungen.

II.

180

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

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