Beschluss vom Landgericht Hamburg (30. Zivilkammer) - 330 T 56/18
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 08.08.2018, Az. 68g IK 249/18, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
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Die Beschwerdeführerin ist Insolvenzgläubigerin und wendet sich gegen die Ersetzung ihrer Zustimmung zum Schuldenbereinigungsplan (§ 309 Abs. 1 InsO).
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Der Schuldner beantragte mit Schreiben vom 10.05.2018, dem ein Schuldenbereinigungsplan für das gerichtliche Verfahren vom 14.12.2017 beigefügt war, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen sowie die Erteilung der Restschuldbefreiung.
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Diesem Schuldenbereinigungsplan stimmten sechs der benannten zehn Gläubiger zu. Auf diese sieben Gläubiger entfielen 79,87 % der Forderungssumme. Vier Gläubiger, darunter die Beschwerdeführerin, erhoben Einwendungen. Die Beschwerdeführerin rügte mit Schreiben vom 11.06.2018, soweit im Beschwerdeverfahren noch relevant, das Fehlen der an den §§ 290, 295 InsO orientierten Nebenabreden. Der Schuldner beantragte, die Einwendungen der ablehnenden Gläubiger gemäß § 309 Abs. 1 InsO durch eine Zustimmung zu ersetzen.
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Mit dem angegriffenen Beschluss vom 08.08.2018 hat das Amtsgericht die erhobenen Einwendungen der Einwendungsgläubiger gegen den Schuldenbereinigungsplan antragsgemäß durch eine Zustimmung ersetzt.
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Gegen diesen, ihr am 24.07.2018 zugestellten Beschluss wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 27.07.2018, bei Gericht eingegangen am 01.08.2018. Sie wendet ein, dass ihre Ablehnung nicht hätte ersetzt werden dürfen. Eine den §§ 290, 295 InsO entsprechende Klausel müsse im Schuldenbereinigungsplan enthalten sein, da dieser ansonsten den Antragsteller gegenüber dem Insolvenzverfahren besser stelle. Wenn der Schuldner im Insolvenzverfahren gegen die Obliegenheiten dieser Vorschrift verstoße, könne ihm die Restschuldbefreiung versagt werden. Bei der vorliegenden Vertragsgestaltung dagegen habe ein Fehlverhalten des Schuldners für diesen keinerlei Konsequenzen. Die Gläubiger könnten sich von der einmal erklärten Zustimmung nicht wieder lösen.
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Mit Beschluss vom 10.09.2018 hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen. Zur Begründung hat das Amtsgericht auf die Nichtabhilfeentscheidung im Verfahren 330 T 52/18 verwiesen. Dort hat es ausgeführt, dass zwar die genannten Folgen einer Verletzung der Verpflichtungen aus dem Schuldenbereinigungsplan nicht einträten. Eine wirtschaftliche Schlechterstellung liege darin jedoch nicht, da diese Folge dem Inhalt des Schuldenbereinigungsplans entspreche. Dieser unterliege der privatautonomen Gestaltungsfreiheit der Beteiligten. Dem Insolvenzgericht sei es verwehrt, inhaltliche Mindestanforderungen an diesem Tag zu stellen.
II.
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Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet.
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I. Die Ersetzung der Zustimmung ist zu Recht erfolgt. Die Voraussetzungen für eine Ersetzung lagen vor und der Gläubiger wird durch die Ersetzung nicht wirtschaftlich benachteiligt.
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a) Nach § 309 Abs. 1 S. 1 InsO sind die Einwendungen der ablehnenden Gläubiger zu ersetzen, wenn mehr als die Hälfte der Gläubiger dem Schuldenbereinigungsplan zugestimmt haben und Summe der von den Zustimmenden erhobenen Forderungen mehr als die Hälfte der erhobenen Forderungssumme umfasst. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
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Eine Ersetzung scheidet gemäß § 309 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO jedoch aus, wenn der von der Ersetzung betroffene Gläubiger wirtschaftlich schlechter gestellt wird, als bei der Durchführung des Insolvenzverfahrens. Dies ist der Fall, wenn nach einer Gegenüberstellung des angebotenen Schuldenbereinigungsplans mit den prognostizierten Beträgen im Verbraucherinsolvenzverfahren bis zur Restschuldbefreiung eine Abweichung zulasten der Gläubiger vorliegt (HambKomm/Ritter § 309 Rn. 14). Nach § 309 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Hs. 2 InsO ist im Zweifel von gleichbleibenden Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnissen des Schuldners während der gesamten Verfahrensdauer auszugehen.
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Umstritten ist, ob eine solche Benachteiligung im Fall eines Schuldenbereinigungsplans vorliegt, der keine dem § 295 InsO entsprechende Regelung enthält. Diese Frage ist bislang, soweit ersichtlich, nicht höchstrichterlich geklärt.
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1) Überwiegend wird in Literatur und Rechtsprechung bislang die Ansicht vertreten, dass eine Ersetzung den Gläubiger wirtschaftlich benachteilige (LG Memmingen NZI 2000, 233; LG Lübeck ZVI 2002, 10; LG Köln NZI 2003, 559; Uhlenbruck/Sternal § 309, Rn. 62; HambKomm/Ritter § 309 Rn. 19). Denn in diesem Fall würden Verstöße des Schuldners gegen den Schuldenbereinigungsplan keine Sanktionen nach sich ziehen. Da insbesondere ein Verstoß nicht zur Nichtigkeit des Schuldenbereinigungsplans führe, wären die Gläubiger darauf angewiesen, ihre Rechte im Zweifel gerichtlich durchzusetzen. Das Risiko dieses Rechtsstreits stelle eine wirtschaftliche Benachteiligung dar (LG Memmingen, NZI 2000, 233).
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2) Dagegen wird eingewandt, dass eine wirtschaftliche Schlechterstellung nicht bestehe, da dem Gläubiger aufgrund von § 323 BGB ein Rücktrittsrecht auch dann zustehe, wenn dieses nicht explizit im Schuldenbereinigungsplan geregelt sei (LG Dortmund ZVI 2002, 32; LG Hannover NZI 2004, 389, 390; AG Bremerhaven ZVI 2007, 21; BeckOK-InsO/Savini § 309, Rn. 37, § 308, Rn. 20; MüKoInsO/Ott/Vuia § 309, Rn. 18, § 308 Rn. 15). Daneben wird auch auf die Möglichkeit verwiesen, sich gemäß § 119 BGB oder § 313 BGB vom Vertrag zu lösen. Eine wirtschaftliche Schlechterstellung liege danach nur vor, wenn von vornherein absehbar sei, dass dem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt werden würde (MüKoInsO/Ott/Vuia, a.a.O.). Weiter wird angeführt, eine spätere Versagung der Restschuldbefreiung könne schon deshalb nicht für die Beurteilung des Schuldenbereinigungsplans relevant sein, weil im Rahmen des § 309 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO auf eine voraussichtliche wirtschaftliche Schlechterstellung abgestellt werde. Ein späteres Fehlverhalten des Schuldners sei jedoch in aller Regel nicht vorhersehbar.
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3) Die Kammer schließt sich der zweiten Ansicht an. Der Schuldenbereinigungsplan führt lediglich zu einer – unbeachtlichen – rechtlichen, nicht aber zu einer wirtschaftlichen Schlechterstellung des Gläubigers.
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Im Vergleich zur Situation des Gläubigers im Regelinsolvenzverfahren ist die Vereinbarung einer Wiederauflebensklausel im Schuldenbereinigungsplan nicht erforderlich. Denn gemäß § 308 Abs. 1 S. 2 InsO hat der Schuldenbereinigungsplan die Wirkung eines Vergleichs im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Materiell-rechtlich handelt es hierbei um einen Vergleich nach § 779 BGB (vgl. Musielak/Voit/Lackmann § 794, Rn. 3 m. w. N.) mit dem Inhalt, dass Forderungen der Gläubiger nur noch nach Maßgabe des Schuldenbereinigungsplans fortbestehen und im Übrigen erlöschen. Der Vergleich kommt durch übereinstimmende Willenserklärungen von Schuldner und Gläubigern zustande. Im Fall des § 309 InsO wird die Willenserklärung des Gläubigers zwar gerichtlich ersetzt. Gleichwohl bleiben die Regelungen des BGB über Nicht- und Schlechterfüllung von Schuldverhältnissen anwendbar, insbesondere steht dem Gläubiger bei Pflichtverletzungen des Schuldners ein Rücktrittsrecht zu (BeckOK-InsO/Savini § 308, Rn. 20, MüKoInsO/Ott/Vuia § 308, Rn. 11). Folge des erklärten Rücktrittes wegen Pflichtverletzungen des Schuldners ist, dass der Schuldenbereinigungsplan gemäß § 346 BGB ex tunc unwirksam wird mit der Folge, dass die ursprüngliche Forderung des Gläubigers wieder auflebt.
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Im Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren zeigt sich kein wirtschaftlicher Nachteil. Im Unterschied zur Rechtslage bei einem Schuldenbereinigungsplan stellen die §§ 290, 296 InsO im Rahmen des Regelinsolvenzverfahrens die einzige Möglichkeit des Gläubigers dar, sich gegen eine ungerechtfertigte Restschuldbefreiung durch gerichtliche Entscheidung zu wehren. In diesem Fall leben die weiterhin bestehenden und während des Insolvenzverfahrens lediglich nicht durchsetzbaren Forderungen wieder auf.
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Das gesetzliche Rücktrittsrecht trägt den wirtschaftlichen Interessen des Gläubigers vollständig Rechnung. Zwar trifft es zu, dass ein Gläubiger dieses Rücktrittsrecht im Zweifel zunächst ausüben und sodann seinen weiteren Zahlungsanspruch gerichtlich verfolgen muss. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um rechtliche Nachteile, die für die Beurteilung im Rahmen des § 309 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO unerheblich sind (so für ein „vertragliches“ Rücktrittsrecht im Schuldenbereinigungsplan auch AG Köln NZI 2002, 116; Uhlenbruck/Sternal, InsO, § 309, Rn. 62).
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Auch die Darlegungs- und Beweislast des Gläubigers benachteiligt ihn nicht. Er muss zwar die Pflichtverletzung des Schuldners darlegen und beweisen. Dies ist dem Schuldenbereinigungsplan jedoch immanent. Auch bei einem Plan, welche die von der Beschwerdeführerin geforderten Regelungen enthielte, hätte sie darzulegen und zu beweisen, dass die Schuldnerin hiergegen verstoßen hat.
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Entgegen der Ansicht der Landgerichte Memmingen (NZI 2000, 233) und Lübeck (ZVI 2002, 10) liegt im Insolvenzverfahren auch keine starke Position des Gläubigers vor. Vielmehr unterscheiden sich die beiden Verfahren grundlegend. Die erweiterten Rechte des Gläubigers im Regelinsolvenzverfahren dienen der Sicherung seiner Rechte gegenüber dem Insolvenzgericht, wohingegen das Verfahren des Schuldenbereinigungsplans von der Gleichstellung der privat in autonom handelnden Beteiligten geprägt ist.
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Schließlich ist eine wirtschaftliche Benachteiligung auch nicht im Fehlen der Verpflichtungen entsprechend der §§ 290, 295 InsO selbst zu sehen (wie hier: HK-InsO/Kayser/Thole § 309, Rn. 28). Denn das Fehlen der dort normierten Versagungsgründe für die Restschuldbefreiung (§ 290 InsO) und Obliegenheiten des Schuldners (§ 295 InsO) begründet lediglich rechtliche Nachteile für den Gläubiger. Um die dort genannten Verfehlungen des Schuldners geltend zu machen, ist er auf die Ausübung von Rücktritts- bzw. Anfechtungsrechten angewiesen, während diese Folgen im Regelinsolvenzverfahren bereits auf Antrag des Gläubigers zur Versagung der Restschuldbefreiung führen. Wie gezeigt, begründet dies keine wirtschaftlichen Nachteile.
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b) Die Zustimmungsersetzung stellt auch kein Verstoß gegen die allgemeinen, dem Insolvenzverfahren zu Grunde liegenden Wertungen dar, die in § 1 InsO zum Ausdruck kommen. Wie oben unter a) dargestellt, begründet die Ersetzung keinen wirtschaftlichen Nachteil des Gläubigers. Im Falle des unredlichen Schuldners stehen dem Gläubiger der Rücktritt oder die Anfechtung offen. Dieses Ergebnis muss auch bei der Wertung der Grundsätze des § 1 InsO berücksichtigt werden.
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I. Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen. Die Frage ist entscheidungserheblich, da die Beschwerde nur diese zum Gegenstand hat. Die Rechtsfrage wird von den Beschwerdegerichten nicht einheitlich beantwortet (vgl. oben unter 1). Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist daher für die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Sie hat auch grundlegende Bedeutung, da derart formulierte Schuldenbereinigungspläne häufig vorkommen.
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