Urteil vom Landgericht Hamburg (18. Zivilkammer) - 318 O 368/19

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 361.441,30 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Auslegung einer Zinsgleitklausel in zwei Schuldscheindarlehen und die damit in Bezug stehende mögliche Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von negativen Zinsen an die Klägerin.

2

Die Klägerin schloss mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der S. G.- Z. Bank AG, am 28.09.1998 zwei Darlehen mit einer Laufzeit bis jeweils zum 23.09.2018 über je DM 50 Mio. (umgerechnet je EUR 25,6 Mio.) ab. Über die Verträge wurden zwei Schuldscheine mit der Nummer... (Anlage K 1.1) und der Nummer... (Anlage K 1.2) ausgestellt. Die Verträge sahen nach einer Festzinsperiode von 10 Jahren in Höhe von 4,43 % p.a. für die Restlaufzeit gemäß Ziffer 1b) eine variable Verzinsung gemäß dem 6-Monats-DEM-LIBOR abzüglich 3 Basispunkten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schuldscheindarlehen (Anlagen K 1.1 und 1.2) Bezug genommen.

3

Mit Abschluss der Schuldscheindarlehen vereinbarte die Klägerin mit der G. S. Bank E. SE den Abschluss von zwei Swap-Optionen („Swaption“). Die Swaptions räumten der Klägerin das Recht ein, nach Ablauf der Festzinsperiode der streitgegenständlichen Schuldscheindarlehen ab dem 23.09.2008 in zwei Payer-Swaps einzutreten (Anlagen K 2.1 und K 2.2). Mit Beginn der variabel verzinslichen Periode in beiden Schuldscheindarlehen zog die Klägerin die Swaptions jedoch nicht. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten war an den abgeschlossenen Swaptions der Klägerin weder beteiligt noch hatte sie hiervon Kenntnis.

4

Im Jahr 2000 fusionierte die S. G.- Z. Bank AG mit der G. Z. Bank AG zur GZ-Bank AG. Diese wiederum fusionierte im Jahr 2001 mit der D1 Bank D. G. Bank und firmierte um in die D.-Bank AG, die Beklagte. Die ursprünglich zwischen der Klägerin und der S. G.- Z. Bank AG getroffenen Vereinbarungen gingen auf die Beklagte über.

5

Der 6-Monats-DEM-LIBOR, ab dem 01.01.2002 6-Monats-EUR-LIBOR, fiel am 27.10.2015 zunächst auf 0,00 % und notiert seit dem 28.10.2015 negativ.

6

Zum Zinsfixing am 21.09.2015 für den Zinstermin 23.03.2016 notierte der 6-Monats-EUR-LIBOR bei 0,02286 % p.a. Abzüglich der in den Zinsklauseln unter Ziff. 1 b) jeweils vereinbarten Abschläge von 3 Basispunkten (0,03 Prozentpunkte) ergab sich ein rechnerisch negativer Zinssatz in Höhe von - 0,00714 % p.a., d.h. ein Betrag von EUR 922,90 in Bezug auf die Valuta von je EUR 25,6 Mio.

7

Die Klägerin macht vorliegend die nachfolgenden negativen Zinsbeträge geltend:

8
        

Schuldscheindarlehen Nr....

Schuldscheindarlehen Nr....

Zinstermin 23.03.2016

EUR 922,80

EUR 922,80

Zinstermin 23.09.2016

EUR 21.597,37

EUR 21.597,37

Zinstermin 23.03.2017

EUR 31.453,33

EUR 31.453,33

Zinstermin 23.09.2017

EUR 36.625,00

EUR 36.625,00

Zinstermin 23.03.2018

EUR 42.582,80

EUR 42.582,80

Zinstermin 23.09.2018

EUR 47.538,85

EUR 47.538,85

Gesamt

EUR 180.720,65

EUR 180.720,65

9

Mit E-Mail vom 30.03.2016 mahnte die Klägerin die Leistung von negativen Zinsen in Höhe von je 922,80 € für das jeweilige Schuldscheindarlehen bei der Beklagten an und verlangte die Zahlung unter Fristsetzung bis zum 30.04.2016. Mit E-Mail vom 31.03.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie sehe keine Rechtsgrundlage für die Zahlung eines negativen Zinses.

10

Mit weiterem Schreiben vom 19.01.2018 informierte die Klägerin die Beklagte über den aktuellen Stand ihrer Negativzinsforderungen und forderte diese erfolglos auf, den Gesamtbetrag bis zum 15.02.2018 an sie zu zahlen.

11

Die Darlehensvaluta wurden von der Klägerin vereinbarungsgemäß zum 23.09.2018 an die Beklagte zurückgeführt.

12

Die Klägerin trägt vor, die streitgegenständliche Zinsklausel in den Schuldscheindarlehen bestimme schon nach ihrem Wortlaut nicht, dass alleine der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber den vereinbarten Zins schulde. Vielmehr ergebe sich aus den jeweiligen Zinsgleitklauseln eine Zinszahlungspflicht derjenigen Partei des Darlehensvertrags, für die sich rechnerisch eine Zinslast ergebe. Danach schulde bei rechnerisch positiven Zinsen die Klägerin und bei rechnerisch negativen Zinsen die Beklagte den Zins.

13

Um den Veränderungen der Marktsituation gerecht zu werden zu können, hätten die Vertragsparteien mit Wirkung ab dem 23.09.2008 einen variablen Preis für die Kapitalnutzung und kein fixes, allein von der Klägerin an die Beklagte zu zahlendes Entgelt vereinbart. Die Parteien hätten sich bewusst für eine Preisvariable entschieden. Beide Parteien müssten die Variable für und gegen sich gelten lassen. Mit der Vereinbarung des 6-Monats-LIBOR als Maßstab der Verzinsung habe die Beklagte zum Ausdruck gebracht, sich indirekt zum 6-Monats-LIBOR refinanzieren zu können. Im Negativzinsumfeld generiere die Beklagte bereits bei der Mittelbeschaffung einen Ertrag, denn sie erhalte ihrerseits den Negativzins. Ein über die Generierung der anfänglich kalkulierten Marge hinausgehendes Interesse sei der Beklagten nicht zuzubilligen. Eine nicht kongruente Refinanzierung sei allein das Risiko der Beklagten, das in ihrer Sphäre verbleiben müsse.

14

Bei der im Rahmen der Vertragsauslegung gebotenen normativ-objektiven Betrachtungsweise des streitgegenständlichen Darlehensvertrags sei daher eine Auslegung der Zinsgleitklausel dahingehend vorzunehmen, dass die Beklagte den negativen 6-Monats-LIBOR an die Klägerin weitergeben wollte, sofern sie die anfänglich kalkulierte Marge realisiert habe. Der Zins stelle nicht das Entgelt für die Kapitalüberlassung, sondern den Preis für das Darlehen dar. Wenn der Zins negativ sei, trete die Erwirtschaftung eines Ertrages aus dem überlassenen Kapital in den Hintergrund und die Abnahme und Aufbewahrung des Kapitals gelange in den Vordergrund.

15

Lediglich hilfsweise sei darauf hinzuweisen, dass eine ergänzende Vertragsauslegung ergebe, dass im Falle negativer Zinsen dem Darlehensvertrag Elemente der unregelmäßigen Verwahrung hinzutreten. Auch dies begründe eine Leistungspflicht des Darlehensgebers an den Darlehensnehmer im Falle negativer Zinsen.

16

Für die Negativzinsen gelte nicht das Zinseszinsverbot des § 289 S. 1 BGB.

17

Die Klägerin beantragt,

18

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 180.720,65 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu bezahlen, aus

19

EUR 922,80 seit dem 24.03.2016,
EUR 21.594,37 seit dem 24.09.2016,
EUR 31.453,33 seit dem 24.03.2017,
EUR 36.625,50 seit dem 24.09.2017,
EUR 42.582,80 seit dem 24.03.2018,
EUR 47.538,85 seit dem 24.09.2018.

20

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere EUR 180.720,65 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu bezahlen, aus

21

EUR 922,80 seit dem 24.03.2016,
EUR 21.594,37 seit dem 24.09.2016,
EUR 31.453,33 seit dem 24.03.2017,
EUR 36.625,50 seit dem 24.09.2017,
EUR 42.582,80 seit dem 24.03.2018,
EUR 47.538,85 seit dem 24.09.2018.

22

Die Beklagte beantragt,

23

die Klage abzuweisen.

24

Sie trägt vor, die Darlehensverträge enthielten keine Zinszahlungsverpflichtungen der Darlehensgeberin. Nach der Vorstellung der Vertragsparteien bei Vertragsschluss habe die streitgegenständliche Zinsvereinbarung ausschließlich die Bemessung des von der Klägerin an die Beklagte zu zahlenden Entgelts für die Überlassung und Belassung des Darlehenskapitals geregelt. Es seien Darlehensverträge und keine unregelmäßigen Verwahrungsverträge geschlossen worden. Die Zahlungspflicht des Darlehensnehmers entspreche dem gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs. 1 S. 2 HS 1 BGB. Eine Auslegung der Zinsgleitklausel ergebe, dass die Beklagte keine Zinszahlung schulde. Die Vereinbarung sei so auszulegen, dass sie im für die Klägerin besten Fall dazu führe, dass die Kapitalbelassung unentgeltlich erfolge, aber nicht, dass die Beklagte als Darlehensgeberin hierfür Zahlungen an die Klägerin zu leisten habe. Eine Vertragslücke bestehe nicht.

25

Im Zeitpunkt des Abschlusses der Darlehensverträge hätten die Vertragsparteien nicht damit gerechnet, dass der in Bezug genommene Referenzzins eines Tages einen negativen Wert aufweisen könnte. Dies sei nicht vorhersehbar gewesen und habe außerhalb der für die Parteien vorstellbaren Entwicklung gelegen. Auch im Niedrigzinsumfeld entspreche es nicht dem mutmaßlichen Willen eines Darlehensgebers, ein Entgelt für die Verwahrung seines Kapitals durch den Darlehensnehmer zu bezahlen. Dies hätte einer ausdrücklichen Vereinbarung bedurft. Die bloße Aufnahme einer Zinsgleitklausel genüge hierfür jedenfalls nicht.

26

Vereinbarungen über eine Verwahrung bzw. Hinterlegung von Kapital der Beklagten bei der Klägerin hätten die Parteien nicht getroffen. Hieran habe sie auch kein Interesse gehabt.

27

Sie habe sich bezüglich der an die Klägerin ausgereichten Darlehen nicht durch kongruente Einzelgeschäfte refinanziert. Pfandbriefe gehörten nicht zu ihren Refinanzierungsprodukten.

28

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

29

Die zulässige Klage ist unbegründet.

1.)

30

Die Klägerin hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Zahlung eines Negativzinses bzw. eines Verwahrungsentgelts.

31

Die Parteien haben vorliegend zwei Schuldscheindarlehen gemäß § 488 Abs. 1 BGB geschlossen, aufgrund derer allein die Klägerin der Beklagten Zinsen für die Zurverfügungstellung der Darlehensvaluta schuldete. Eine Vereinbarung darüber, dass auch die Beklagte der Klägerin im Falle eines mathematisch errechneten negativen Zinses ihrerseits ein Zins bzw. ein Entgelt schulden sollte, haben die Vertragsparteien nicht getroffen. Dies folgt durch die Auslegung der jeweiligen streitgegenständlichen Zinsgleitklausel.

32

a.) Die jeweils in Ziffer 1b der Schuldscheindarlehen geregelten Klauseln sind als Zinsgleitklauseln zu qualifizieren. Die Vertragsparteien konnten die Zinsgleitklauseln im Rahmen der Vertragsfreiheit in zulässiger Weise vereinbaren. Es handelt sich hierbei um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die vorliegend von der Klägerin einseitig gegenüber der Rechtsvorgängerin der Beklagten in zulässiger Weise verwendet wurden.

33

Eine Zinsgleitklausel ist wirksam, wenn sie die wesentlichen Merkmale der Zinsänderung hinreichend deutlich bestimmt, namentlich die öffentlich zugängliche Bezugsgröße, die Anpassungsintervalle und die Anpassungsmarge. Eine weitere materielle Überprüfung gemäß §§ 307 ff. BGB scheidet aus, weil die entsprechenden Parameter die Hauptleistungspflichten des Vertrags betreffen (vgl. Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 3. Auflage 2020, Rn. 310, m.w.N., zitiert nach beck-online). Es handelt sich um eine gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der Inhaltskontrolle nicht unterliegende Preisregelung der Parteien (vgl. BGH, Urteil vom 10.06.2008 - XI ZR 211/07, WM 2008, 1493, Rn. 16 f., BGH, Urteil vom 13.04.2010 - XI ZR 197/09 – NJW 2010, 1742 Rn. 16 m.w.N., jeweils zitiert nach juris).

34

Für die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gilt der Grundsatz objektiver Auslegung (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Auflage 2020, § 305c, Rn. 16, m.w.N.). Allgemeine Geschäftsbedingungen sind ausgehend von den Verständnismöglichkeiten eines rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden einheitlich so auszulegen, wie ihr Wortlaut von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden wird (BGH, Urteil vom 13.11.2012 – XI ZR 500/11, BGHZ 195, 298-322, NJW 13, 995, Rn. 16, m.w.N., zitiert nach juris). In Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendete Rechtsbegriffe sind in der Regel entsprechend ihrer juristischen Fachbedeutung zu verstehen, insbesondere, wenn sie erkennbar auf eine gesetzliche Regelung Bezug nehmen (Palandt/Grüneberg, a.a.O., m.V.a. BGH WM 14, 1076). Hierbei ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 30.03.2010 – XI ZR 200/09, BGHZ 185, 133-151, Rn. 30, m.w.N., zitiert nach juris).

35

Nach den vorgenannten Maßstäben sind die streitgegenständlichen Zinsgleitklauseln zulässig und dahingehend auszulegen, dass die Vertragsparteien am 28.09.1998 zwei Darlehensverträge im Sinne des § 488 Abs. 1 BGB geschlossen haben. Im Rahmen dieser Darlehensverträge wurden ausschließlich Zinszahlungspflichten der Klägerin und eine Begrenzung des vertraglichen Zinses auf mindestens null Prozent gegenüber der Rechtsvorgängerin der Beklagten bestimmt. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:

36

aa.) Die Vertragsparteien haben zwei Darlehen nach dem gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs. 1 BGB geschlossen. In den Schuldscheinen (Anlagen K 1.1 und K 1.2) werden die Vertragsparteien als „Darlehensschuldner“ und „Darlehensgläubiger“ bezeichnet. Es ist vereinbart worden, dass der Darlehensschuldner, d.h. die Klägerin, dem Darlehensgläubiger, d.h. der Rechtsvorgängerin der Beklagten, je DM 50 Mio. „als Darlehen zu folgenden Bedingungen“ schuldet. In Ziffer 1b der jeweiligen Schuldscheine ist sodann die Zinsgleitklausel aufgeführt, wonach „ab dem 23. September 2008 bis zum 23. September 2018 das Darlehen mit 6-Monats-DEM-Libor abzüglich 3 Basispunkte zu verzinsen ist“. In Ziffer 5 Abs. 3 der jeweiligen Schuldscheine ist weiter bestimmt, dass der „Darlehensschuldner Zins- und Tilgungsleistungen auf ein Konto der Darlehensgläubiger in der Bundesrepublik Deutschland überweisen“ wird.

37

Unter Berücksichtigung der von den Vertragsparteien verwendeten Begrifflichkeiten lässt dies keinen Zweifel zu, dass die Parteien Darlehensverträge im Sinne des § 488 Abs. 1 BGB und den hieran sich anknüpfenden Leistungspflichten geschlossen haben. Durch die Eingangsformulierung in den Schuldscheinen, wonach die Klägerin „das Darlehen zu folgenden Bedingungen“ schuldet und sodann in Ziffer 1b) die Zinsgleitklausel folgt, ist klar zu entnehmen, dass die Schuld des Darlehensnehmers (der Klägerin) durch diese Zinsgleitklausel hinsichtlich der Verzinsung konkretisiert wird. Die geregelte Verzinsung wird als Bedingung für die Gewährung des Kapitals durch den Darlehensgeber an den Darlehensnehmer geregelt. Im Weiteren wird in Ziffer 5 Abs. 3 der jeweiligen Schuldscheine lediglich einseitig geregelt, dass der Darlehensschuldner Zins- und Tilgungsleistungen auf ein Konto des Darlehensgläubigers überweisen wird.

38

Entgegen der Ansicht der Klägerin war letztere im Rahmen der streitgegenständlichen Schuldscheine auch nicht nur Darlehensschuldnerin im Hinblick auf die Rückzahlung der Darlehensvaluta, sondern darüber hinaus auch alleinige Darlehensschuldnerin im Hinblick auf die Zinszahlungspflichten.

39

§ 488 Abs. 1 S. 2 BGB bestimmt, dass der Darlehensnehmer verpflichtet ist, einen geschuldeten Zins zu zahlen und bei Fälligkeit das zur Verfügung gestellte Darlehen zurückzuzahlen. Zins im Rechtssinne ist die nach der Laufzeit des Darlehens bemessene, gewinn- und umsatzunabhängige Vergütung für die Möglichkeit des Gebrauchs des auf Zeit überlassenen Kapitals (vgl. BGH, Urteil vom 13.05.2014 – XI ZR 405/12, BGHZ 201, 168-204, Rn. 43, m.w.N., zitiert nach juris). Die Zinszahlung ist beim entgeltlichen Darlehen Hauptleistungspflicht des Darlehensnehmers (Palandt/Weidenkaff, a.a.O., § 488, Rn. 15, m.w.N.). Die Belassungspflicht des Darlehensgebers und die Zinspflicht des Darlehensnehmers stehen im Synallagma (Staudinger/Freitag (2015) BGB § 488, Rn. 25, zitiert nach juris). Der Zins ist stets von demjenigen zu entrichten, der über das Kapital verfügen kann (Radke, BKR 2019, 178, zitiert nach beck-online).

40

Die Zinsgleitklauseln sahen keine Zinszahlungspflicht in beide Richtungen vor. Der Vertragsinhalt, wonach die Darlehen nach Ablauf der Festzinsperiode von 10 Jahren gemäß Ziffer 1b zu näher genannten Bedingungen zu verzinsen und gemäß Ziffer 2 am 23.09.2018 zur Rückzahlung fällig waren, entspricht vielmehr dem gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs. 1 BGB.

41

bb.) Aufgrund der vertraglichen Einordnung der Schuldscheine als Darlehen im Sinne des § 488 Abs. 1 BGB war die Untergrenze des Darlehenszinses und damit der implizierte Mindestzins von den Parteien stillschweigend auf null festgelegt. Die streitgegenständlichen Zinsgleitklauseln verändern nicht den Charakter des vereinbarten Darlehens, sondern lediglich die Höhe des Zinses, dessen Zahlungsrichtung feststeht. Andernfalls führte dies zu einer Umkehr der Zahlungsströme und zu einer Zahlungsverpflichtung der Beklagten als Rechtsnachfolgerin der Darlehensgeberin. Dies weicht vom gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs. 1 BGB ab und ist vorliegend nicht interessengerecht.

42

Unter der Annahme, der Darlehensgeber schulde aufgrund der Zinsgleitklausel einen Negativzins, verliert der Zins seinen Charakter als – synallagmatisch verknüpfte – Gegenleistung für die Gebrauchsüberlassung der Valuta (vgl. Binder/Ettensberger, WM 2015, 2069, 2071, m.w.N.). Eine Pflicht zur Zahlung von negativen Zinsen widerspricht dem gesetzlichen Leitbild eines Darlehensvertrages und den darin definierten Vertragspflichten der Parteien grundsätzlich (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 27.03.2019 – 4 U 184/18, Rn. 206 ff., zitiert nach juris). In einer solchen Situation wäre es für den Darlehensgeber offensichtlich vernünftig, von einer Darlehensvergabe abzusehen und das Darlehenskapital zu behalten (Coen, NJW 2012, 3329, zitiert nach beck-online). Die Verzinsung infolge einer Zinsklausel kann daher allenfalls auf null abfallen, nicht jedoch dazu führen, dass der Darlehensgeber für die Zurverfügungstellung von Kapital dem Darlehensnehmer seinerseits noch eine Vergütung zahlen muss (vgl. Krepold/Herrle, BKR 2018, 89, 90, m.w.N., zitiert nach beck-online).

43

Im Übrigen kann ein auf die Festlegung von Negativzinsen gerichteter Parteiwille allenfalls dann im Wege der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB ermittelt werden, wenn das Interesse des Kapitalgebers über die Gewinnung von Zinserträgen hinausgeht, also beispielsweise mangels Anlagealternativen bzw. mangels eigener Verwahrungsmöglichkeiten auf eine Fremdverwahrung des Kapitals gerichtet ist. Nur dann wäre die Kreditgewährung unter Inkaufnahme von Negativzinsen, die wirtschaftlich auf eine Kürzung des Rückerstattungsanspruchs nach § 488 Abs. 1 S. 2 BGB hinausliefe, aus Sicht des Kreditgebers rational überhaupt sinnvoll (vgl. Binder/Ettensberger, WM 2015, 2069, 2072).

44

Dass die Beklagte vorliegend auf einen Teil der Darlehensvaluta verzichten wollte, ist nicht anzunehmen und konnte von der Klägerin im Jahr 1998 auch nicht in berechtigter Weise erwartet werden

45

cc.) Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung von negativen Zinsen kann auch nicht aus dem Abschluss eines unregelmäßigen Verwahrungsvertrags im Sinne des § 700 BGB hergeleitet werden. Die Schuldscheine sind jeweils als Darlehen im Sinne des § 488 Abs. 1 BGB zu qualifizieren (s.o.). Dass die Parteien zusätzlich zu den Darlehensverträgen jeweils einen Verwahrungsvertrag mit einer Vergütung im Sinne eines Kapitalverwahrentgelts gemäß § 689 abgeschlossen haben, ist weder ersichtlich noch entspräche es der Interessenlage der Parteien.

46

Das Darlehensrecht kennt keine Entgeltpflicht des Darlehensgebers (vgl. MüKoBGB/Berger, 8. Auflage 2019, BGB, § 488, Rn. 154). Mit negativen Zinsen wird jedoch faktisch eine Entgeltverpflichtung für die Verwahrung begründet, was das nach § 488 BGB vorgesehene Modell in sein Gegenteil verkehrt (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O., m.V.a. Tröger NJW 2015, 657; Krepold/Herrle, BKR 2018, 89, m.w.N., zitiert nach juris). Im Rahmen eines unregelmäßigen Verwahrungsvertrags gemäß § 700 BGB kommt es dem Hinterleger in erster Linie auf eine sichere Aufbewahrung der überlassenen Sache und daneben auf die jederzeitige Verfügbarkeit darüber an (vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2019 – XI ZR 345/19, Rn. 26, zitiert nach juris).

47

Eine Vereinbarung über ein Entgelt haben die Vertragsparteien nicht getroffen. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten war gemäß den Schuldscheinen zur Überlassung des Kapitals verpflichtet. Eine jederzeitige Verfügbarkeit war durch den in den Schuldscheindarlehen geregelten Kündigungsausschluss schon nicht gegeben. Allein durch das Absinken des Referenzwertes konnte sich auch nicht der Vertragstypus ändern.

48

dd.) Entgegen der Ansicht der Klägerin entspricht die Zahlung negativer Zinsen vorliegend auch nicht der Interessenlage der Parteien. Die Klägerin führt insoweit an, die Beklagte habe mit der Vereinbarung des 6-Monats-Libor als Maßstab der Verzinsung zum Ausdruck gebracht, sich indirekt zum 6-Monats-Libor refinanzieren zu können. Im Negativzinsumfeld generiere die Beklagte bereits bei der Mittelbeschaffung einen Ertrag, denn sie erhalte ihrerseits den Negativzins. Ein über die Generierung der anfänglich kalkulierten Marge hinausgehendes Interesse habe die Beklagte nicht. Dieser sei ihre Marge zuzubilligen, nicht aber eine Ausweitung der Marge.

49

Dies vermag nicht zu überzeugen. Ob der gewählte Referenzzins vorliegend überhaupt die konkreten Refinanzierungskosten widerspiegelt, ist von der Klägerin bereits nicht hinreichend substantiiert dargetan. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang weiter vorträgt, dass Banken an Kommunen ausgegebene Gelder häufig über Pfandbriefe refinanzieren, so trifft dies in dem vorliegenden Fall nicht zu, denn die Beklagte hat sich bezüglich der an die Klägerin ausgereichten Darlehen unstreitig nicht durch kongruente Einzelgeschäfte refinanziert.

50

Im Ergebnis kann dies jedoch dahinstehen und bedarf keiner weiteren Aufklärung. Ob sich die Beklagte besser oder schlechter als zu dem in den Schuldscheindarlehen angegebenen Referenzzins refinanzieren konnte und inwiefern sich dies jeweils auf die Marge der Beklagten auswirkt, betrifft ihre Risikosphäre und ist für die Klägerin unerheblich, weil hierdurch nicht ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen betroffen sind. Die Klägerin trägt das Risiko eines für sie ungünstigen Geschäftsabschlusses. Dass sie sich im aktuellen Zinsumfeld günstiger hätte finanzieren können als mit dem streitgegenständlichen Darlehen, fällt in ihre Risikosphäre (vgl. Binder/Ettensberger, WM 2015, 2069, 2074).

51

Die Zahlung eines „Verwahrungsentgelts“ von der Beklagten an die Klägerin widerspricht ferner den wirtschaftlichen Interessen der Beklagten, da diese unternehmerisch tätig und ihre Kreditvergabe auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist (vgl. Staudinger/Piekenbrock/Rodi (2019) Anh zu §§ 305-310 Rn. F 96, zitiert nach beck-online). Gründe, warum der Beklagten lediglich ihre anfängliche Marge, nicht aber eine Ausweitung ihrer Marge zuzubilligen ist, sind insoweit weder dargetan noch sonst ersichtlich. Dass die Beklagte möglicherweise ihre Marge vergrößert, stellt die Klägerin weder besser noch schlechter, da diese an den Refinanzierungsgeschäften nicht beteiligt ist.

52

Soweit in diesem Zusammenhang weiter angeführt wird, dass im Falle einer Festlegung des Referenzzinses auf eine Untergrenze von null Prozent das Äquivalenzinteresse verletzt werden würde, weil die Zinsen nicht in gleicher Weise reduziert, wie sie andererseits erhöht würden, vermag dies auch unter der Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 13.04.2010 – XI ZR 197/09, BGHZ 185, 166-178, Rn. 27, zitiert nach juris) zu keiner anderen Bewertung führen. Eine Entscheidung über die Zulässigkeit von Negativzinsen aufgrund von Zinsgleitklauseln in Darlehen ist hierin nicht ergangen. Durch den Eintritt einer negativen Verzinsung aufgrund der Zinsgleitklausel in den Schuldscheindarlehen fielen die streitgegenständlichen Verträge ersichtlich nicht mehr unter die vereinbarte Vertragsart im Sinne des § 488 Abs. 1 BGB. Dies war vorliegend weder gewollt noch ist dies interessengerecht (s.o.). Allein durch das Absinken des Referenzwertes konnte sich im Jahr 1998 ohne entsprechende Vereinbarung einer Verwahrung weder die Zahlungsrichtung noch der Vertragstypus ändern.

53

Auch unter Berücksichtigung möglicher Abschlüsse von Swap-Geschäften kann hieraus mangels Vergleichbarkeit zwischen Swap- und Darlehensgeschäften kein Schluss über die rechtliche Zulässigkeit von negativen Zinsen gezogen werden. Denn ein Swap-Vertrag sieht im Gegensatz zu Darlehensgeschäften gerade Zahlungsverpflichtungen in beide Richtungen vor.

54

ee.) Soweit die Klägerin schließlich unter Bezugnahme auf Maßnahmen der Schweizer Nationalbank in den 1950er Jahren sowie auf negative Renditen auf Staatsanleihen seit 1995 in Japan, wo Referenzzinssätze mehrfach zwischen Januar 2002 und Januar 2006 und erneut seit Januar 2010 im Bereich von 0,00 % p.a. vorgelegen hätten, vorträgt, die Beklagte habe sich nicht darauf zurückziehen können, dass sie die Entwicklung negativer Zinsen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht in den Blick habe nehmen können, kann dem nicht gefolgt werden. Zum Zeitpunkt des Abschlusses der Schuldscheindarlehen im September 1998 war das Auftreten von negativen Zinsen in Deutschland weder konkret vorhersehbar noch konnte mit einer solchen Entwicklung zu diesem Zeitpunkt ernsthaft gerechnet werden. Dies trägt auch selbst die Klägerin nicht vor.

55

b.) Ob die streitgegenständlichen Zinsgleitklauseln im Übrigen einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB standhalten oder im Jahr 1998 als überraschend bzw. mehrdeutig im Sinne des § 305c BGB anzusehen sind und zu einer unangemessenen Benachteiligung der Beklagten führen, muss nicht entschieden werden. Eine überraschende bzw. mehrdeutige Klausel ginge im Übrigen zulasten der Klägerin.

56

c.) Eine ergänzende Vertragsauslegung ist nach alledem nicht angezeigt. Es besteht keine Vertragslücke.

2.)

57

Mit Wegfall der Hauptforderung entfällt der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen gegenüber der Beklagten. Es kann insoweit dahinstehen, ob der geltend gemachte Zinsanspruch gegen das Zinseszinsverbot gemäß § 289 BGB verstößt.

II.

58

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1 und S. 2 ZPO.

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