Beschluss vom Landgericht Nürnberg-Fürth - 18 Qs 56/18

Tenor

1. Dem Verurteilten B. wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Neumarkt i.d.OPf. vom 22.10.2018, Az. 20 Ls 411 Js 54469/18, gewährt.

2. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Amtsgerichts Neumarkt i.d.OPf. vom 22.10.2018, Az. 20 Ls 411 Js 54469/18, aufgehoben.

3. Die mit Strafbefehl des Amtsgerichts Neumarkt i.d.OPf. vom 26.03.2018, Az. 20 Cs 411 Js 53934/18, und mit Urteil des Amtsgerichts Neumarkt i.d.OPf. vom 18.06.2018, Az. 20 Ls 411 Js 54469/18, gegen den Verurteilten rechtskräftig verhängten Strafen werden - im Falle der zweitgenannten Verurteilung unter Auflösung der dort verhängten Gesamtfreiheitsstrafe in die zugrunde liegenden Einzelstrafen - auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten zurückgeführt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt bleibt.

4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Gegen den Verurteilten B. wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts Neumarkt i.d.OPf. vom 26.03.2018, Az. 20 Cs 411 Js 53934/18, rechtskräftig seit 13.04.2018, wegen Diebstahls mit Waffen - Tatzeit: 23.01.2018 - eine Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je 20 € verhängt. Die Geldstrafe ist noch nicht vollständig vollstreckt.

Mit Urteil des Amtsgerichts Neumarkt i.d.OPf. vom 18.06.2018, Az. 20 Ls 411 Js 54469/18, rechtskräftig seit 18.06.2018, wurde gegen den Verurteilten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung und Sachbeschädigung - Tatzeit: 05.11.2017 - eine Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verhängt, die aus Einzelstrafen von 7 Monaten Freiheitsstrafe und 40 Tagessätzen zu je 30 € Geldstrafe gebildet wurde. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt; die Bewährungszeit dauert an.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft sah das Amtsgericht Neumarkt i.d.OPf. mit Beschluss vom 22.10.2018 unter Anwendung von § 53 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 StGB von der nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe aus allen oben genannten Strafen ab. Zur Begründung führte es an, dass „der Verurteilte neben der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe auch mit einer sofort zu vollstreckenden Strafe getroffen werden soll“. Die Entscheidung wurde dem Verurteilten am 24.10.2018 (Datum der Postzustellungsurkunde) und seinem Verteidiger am 30.10.2019 (Datum des Empfangsbekenntnisses) zugestellt.

Gegen den vorbezeichneten Beschluss hat der Verurteilte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 13.11.2018, bei Gericht eingegangen am gleichen Tage, „Beschwerde“ eingelegt und diese im Wesentlichen damit begründet, dass § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB einen gesetzlichen Ausnahmetatbestand bilde, für dessen Anwendung in seinem Falle kein Bedürfnis bestehe, weil er durch die verhängte Bewährungsauflage (Zahlung von 1.000,00 € an eine gemeinnützige Einrichtung) ohnehin schon direkt und spürbar von der Vollstreckung getroffen werde und im Übrigen auch auf die Geldstrafe aus dem Strafbefehl bereits 600,00 € gezahlt habe.

Die Staatsanwaltschaft hat die Akten mit Verfügung vom 26.11.2018 mit dem Antrag vorgelegt, die „sofortige Beschwerde“ als „unbegründet“ zu verwerfen.

Die Beschwerdekammer hat mit Vorsitzendenverfügung vom 18.01.2019, dem Verteidiger zugestellt am 26.01.2019 (Datum des Empfangsbekenntnisses), darauf hingewiesen, dass das statthafte Rechtsmittel gegen den Beschluss vom 22.10.2018 die sofortige Beschwerde und das eingelegte Rechtsmittel daher wegen Verfristung unzulässig sei.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 31.01.2019, bei Gericht eingegangen am gleichen Tage, hat der Verurteilte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt und „vorsorglich nochmals Beschwerde“ gegen den in Rede stehenden Beschluss eingelegt. Der Wiedereinsetzungsantrag wurde im Kern auf das (von einer Kanzleimitarbeiterin an Eides Statt versicherte) Vorbringen gestützt, dass der Entscheidung eine falsche Rechtsmittelbelehrungbetreffend das Rechtsmittel der einfachen Beschwerde - beigelegen habe.

Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, dem Verurteilten die Wiedereinsetzung zu gewähren; in der Sache hat sie an ihrem Verwerfungsantrag festgehalten.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 462 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig; insbesondere ist das Verfahren durch die hier gebotene und erfolgte Gewährung von Wiedereinsetzung in den Zustand versetzt worden, der bestanden hätte, wenn die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO nicht - wie zunächst geschehen - versäumt worden wäre. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg, denn das Amtsgericht hat unter den gegebenen Umständen zu Unrecht von der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe abgesehen.

Die Voraussetzungen für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44, 45 StPO) lagen vor. Dies wurde von den Beteiligten des Beschwerdeverfahrens auch nicht in Zweifel gezogen. Die Antragstellung erfolgte rechtzeitig binnen einer Woche, nachdem die Kammer auf das Verstreichen der Frist des § 311 Abs. 2 StPO hingewiesen hatte. Was das erforderliche Fehlen eines Verschuldens in Bezug auf die maßgebliche Fristversäumung betrifft, wäre einem Angeklagten (ebenso: einem Verurteilten) ein Verschulden seines Verteidigers in der Regel ohnehin nicht zuzurechnen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 44 Rn. 18 m.w.N.). Hier war zudem zu berücksichtigen, dass die Versäumung einer Rechtsmittelfrist gemäß § 44 Satz 2 StPO grundsätzlich als unverschuldet anzusehen ist, wenn die Rechtsmittelbelehrungunterblieben ist; dem Fall der unterlassenen Belehrung steht - wenn es, wie hier, um einen wesentlichen Punkt geht - der Fall der unrichtigen Belehrung gleich (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 44 Rn. 23 m.w.N.). Durch die eidesstattliche Versicherung der Kanzleimitarbeiterin ist glaubhaft gemacht (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO), dass der angegriffene Beschluss mit einer Belehrung über das Rechtsmittel der (nicht fristgebundenen) einfachen Beschwerde (§ 304 StPO) übersandt worden war. Zu einem entsprechenden Versehen im Bereich der Serviceeinheit - richterlich verfügt war die Beigabe einer Belehrung betreffend die sofortige Beschwerde („mit RMB sof. B.“) - kann es durchaus einmal kommen. Der Akteninhalt gibt zu diesem Punkt keinen weiteren Aufschluss, denn die Aufdrucke auf der Postzustellungsurkunde und dem Empfangsbekenntnis sprechen nur allgemein von einer „Rechtsmittelbelehrung“ und das mit dem Wiedereinsetzungsantrag vorgelegte Belehrungsformular enthält, von der Nennung des Amtsgerichts Neumarkt i.d.OPf. abgesehen, keinen Zusatz (etwa: Aktenzeichen, Telefax-Übermittlungsdaten), der die Zugehörigkeit zum Beschluss vom 22.10.2018 belegen (oder: ausschließen) könnte.

In der Sache konnte der angegriffene Beschluss vom 22.10.2018 keinen Bestand haben. Zum einen verstößt die Entscheidung gegen § 55 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 StGB, denn es hätten zumindest die beiden Geldstrafen auf eine nachträgliche Gesamtgeldstrafe zurückgeführt werden müssen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 55 Rn. 15a m.w.N.). Zum anderen wird das Absehen von der Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe unter Einbeziehung sowohl der Freiheitsstrafe als auch der Geldstrafen - d.h. die Anwendung der als Ausnahme konzipierten Vorschrift des § 53 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 StGB - den Umständen des Falls nicht gerecht.

Als ein Gesichtspunkt, der bei Zusammentreffen von Freiheits- und Geldstrafen ausnahmsweise gegen die Bildung einer alle Einzelstrafen zusammenfassenden (hier: nachträglichen) Gesamtfreiheitsstrafe sprechen kann, ist die Überlegung anerkannt, dass es ggf. angezeigt ist, den Angeklagten, der zu einer bedingten - bis auf Weiteres nicht zu vollstreckenden - Freiheitsstrafe verurteilt wurde, auch mit einer sofort zu vollstreckenden Strafe zu treffen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 53 Rn. 6). Dieser Gesichtspunkt bildet vorliegend, ausweislich der knappen Begründung, die (einzige) Grundlage für die vom Amtsgericht getroffenen Entscheidung. Indes geht diese (angedeutete) Argumentation fehl, weil der Verurteilte ohnehin schon „sofort“ - durch laufende Zahlungsverpflichtungen - „getroffen“ wurde und wird. Gemäß Vorbringen seines Verteidigers hat er, von der Staatsanwaltschaft unwidersprochen, auf die per Strafbefehl verhängte Geldstrafe bereits 600,00 € gezahlt; diese Zahlung wird bei Einbeziehung der Geldin eine Gesamtfreiheitsstrafe nicht etwa erstattet, sondern bloß angerechnet. Die im Urteil vom 18.08.2018 bewilligte Strafaussetzung ist an die Bewährungsauflage (§ 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB) einer ratenweisen Zahlung von insgesamt 1.000,00 € geknüpft.

Sonstige Gründe, die eine Anwendung des § 53 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 StGB geboten erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil: § 55 StGB wäre hier an sich schon bei der Verurteilung vom 18.06.2018 zu berücksichtigen gewesen, denn zu diesem Zeitpunkt war der Strafbefehl hinsichtlich der einbeziehungsfähigen Geldstrafe seit mehr als zwei Monaten rechtskräftig. Warum diese Verurteilung in der Hauptverhandlung keine Rolle gespielt hat, erschließt sich aus den Akten nicht. Es überrascht ein wenig, weil die Anklageschrift vom 23.03.2018 von demselben Staatsanwalt stammt, der wenige Tage zuvor (am 16.03.2018) im anderen Verfahren den Strafbefehlsantrag an dasselbe Gericht verfügt hatte. Der Strafbefehl wiederum ist am 26.03.2018 von demselben Richter erlassen worden, der wenige Tage später (am 04.04.2018) die Zustellung der Anklageschrift veranlasst hat. Festzuhalten ist, dass im Urteil vom 18.06.2018 von § 53 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 StGB gerade nicht Gebrauch gemacht, sondern die Geldstrafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen wurde. Wäre der rechtskräftige Strafbefehl schon damals in den Blick genommen worden, wäre mutmaßlich - konsistente Überlegungen unterstellt - die weitere Geldstrafe durch Erhöhung der Gesamtfreiheitsstrafe ebenfalls mit eingeflossen. Dass der Strafbefehl „übersehen“ wurde, darf dem Verurteilten nicht im Nachhinein (bei im Übrigen unveränderter Sachlage) zum Nachteil gereichen.

Im Ergebnis hat die Kammer unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung eine Gesamtfreiheitsstrafe aus allen drei eingangs genannten Einzelstrafen gebildet (§ 55, § 53 Abs. 2 Satz 1 StGB). Die Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe erachtet sie, von den Vorgaben des § 54 StGB geleitet, mit 10 Monaten für sachgerecht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

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