Beschluss vom Landgericht Offenburg - 8 Qs 2/03

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Offenburg wird die Entscheidung über die Haftentschädigung im Urteil des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – Offenburg vom 12.12.2002 (7 Ls 5 Js 6343/02 jug.)

aufgehoben.

2. Die Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung der Verurteilten für die aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Offenburg vom 16.05.2002 (4 Gs 395/02) vom 16.05.2002 bis zum 28.06.2002 erlittene Untersuchungshaft bleibt dem Nachverfahren nach § 30 JGG vorbehalten.

3. Es wird davon abgesehen, der Verurteilten die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.

Gründe

 
I.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Offenburg (5 Js 6343/02) erließ das Amtsgericht Offenburg am 16.05.2002 gegen die Verurteilte Haftbefehl wegen des Verdachts eines am 10.05.2002 begangenen versuchten Raubes. Aufgrund dieses Haftbefehls befand sie sich vom 16.05. bis zum 28.06.2002 in Untersuchungshaft. Am 12.08.2002 erhob die Staatsanwaltschaft Offenburg wegen des im Haftbefehl bezeichneten Tatvorwurfs Anklage zum Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Offenburg. In einem weiteren Ermittlungsverfahren (5 Js 13 253/02 jug.) erhob die Staatsanwaltschaft Offenburg am 08.10.2002 gegen sie Anklage wegen eines am 26.08.2002 – also knapp zwei Monate nach der Haftentlassung – begangenen Diebstahls.
Das Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Offenburg verband die beiden Verfahren und schloss sie mit Urteil vom 12.12.2002 ab. Hierbei sprach es A S vom Vorwurf des versuchten Raubes frei und stellte fest, dass sie "für die Zeit der Untersuchungshaft" Anspruch auf Entschädigung hat. Im Übrigen sprach es sie des Diebstahls schuldig und setzte insoweit gemäß § 27 JGG die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe zur Bewährung aus.
Am 18.12.2002 legte die Staatsanwaltschaft Offenburg sofortige Beschwerde gegen die – ansonsten seit dem 20.12.2002 rechtskräftige – Entscheidung über die Entschädigungspflicht ein, die sie durch Schriftsatz vom 03.01.2003 damit begründete, dass wegen des Grundsatzes der Verfahrenseinheit erst im Nachverfahren gemäß § 30 JGG über die Entschädigung entschieden werden könne, weil vorher nicht feststehe, ob eine Anrechnung der Untersuchungshaft erfolge.
Die Verurteilte ist der Beschwerde mit Schriftsatz ihrer Verteidigerin vom 11.02.2003 entgegengetreten.
II.
Die gemäß § 8 Abs. 3 StrEG statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.
Nach dem Grundsatz der Verfahrenseinheit kommt vorliegend nur eine fakultative Billigkeitsentschädigung gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 JGG in Betracht, weil die Verurteilte teilweise – nämlich hinsichtlich des Diebstahls vom 26.08.2002 – verurteilt wurde und insoweit noch die nachträgliche Verhängung einer Jugendstrafe gemäß § 30 Abs. 1 JGG mit der obligatorischen Anrechnung der erlittenen Untersuchungshaft gemäß § 52 a Satz 1 JGG möglich ist (dazu unter 1.). Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 StrEG kann über die Entschädigung jedoch erst im Nachverfahren gemäß § 30 JGG entschieden werden, weil bis dahin nicht feststeht, ob und in welchem Umfang die Untersuchungshaft auf eine ggf. zu verhängende Jugendstrafe anzurechnen ist; mithin ist eine Entscheidung bereits im Urteil nach § 27 JGG aus Rechtsgründen nicht möglich (dazu unter 2.).
1. Nach dem Wortlaut von § 2 Abs. 1 StrEG ("soweit er freigesprochen ... wird") ist grundsätzlich auch im Falle eines Teilfreispruchs Haftentschädigung zu gewähren. Das Gesetz sieht jedoch keine obligatorische Einzelentschädigung für die Verfolgung bestimmter Taten vor. Nach dem Grundsatz der Verfahrenseinheit muss bei einem Teilfreispruch vielmehr gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG im Rahmen einer Gesamtabwägung unter Billigkeitsgesichtspunkten geprüft werden, ob ein Entschädigungsanspruch dem Grunde nach zuzusprechen ist. Hierbei ist in erster Linie an die in der teilweisen Verurteilung ausgesprochenen Rechtsfolgen anzuknüpfen und zu fragen, ob sie geringer sind als die Untersuchungshaft, die ausschließlich wegen der Taten angeordnet wurde, die zum Teilfreispruch geführt haben. Dies ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt (vgl. nur OLG Karlsruhe NJW 1974, 1008 und Meyer, Strafrechtsentschädigung, 5. A. § 4 Rn 18 a m. w. N.) und rechtfertigt sich vor allem daraus, dass die Untersuchungshaft auch dann auf die Strafe angerechnet wird, wenn sie aus Anlass einer Tat erlitten wurde, die zwar Gegenstand des Verfahrens war, aber nicht zur Verurteilung geführt hat. Denn durch diese Anrechung verliert die Untersuchungshaft den Charakter einer zu Unrecht erlittenen Strafverfolgungsmaßnahme, die allein eine Entschädigungspflicht auslösen kann (vgl. nur BGHSt 28, 29 m. w. N.).
Nach dem eindeutigen Wortlaut von § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB findet die Anrechnung sogar dann statt, wenn die Untersuchungshaft – wie hier – bereits beendet war, als die zur Verurteilung führende Tat begangen wurde, weshalb auch im vorliegenden Fall nur eine fakultative Billigkeitsentschädigung in Betracht kommt. Auch dies ist für das allgemeine Strafrecht anerkannt (vgl. BGHSt aaO; Tröndle/Fischer StGB 51. A. § 51 Rn 6 aE). Bei der Verhängung einer Jugendstrafe gilt insoweit nichts anderes, weil die Anrechnung der Untersuchungshaft in § 52 a S. 1 JGG genauso geregelt ist wie in § 51 Abs. 1 S. 1 StGB, zumal der Grundsatz der Verfahrenseinheit wegen § 31 JGG im Jugendstrafverfahren sogar noch stärker hervortritt als im allgemeinem Straf- und Strafverfahrensrecht (Brunner/Dölling JGG 11. A. §§ 52, 52 a Rn 2; Diemer/Schoreit/Sonnen JGG 4. A. § 52 a Rn 3).
2. Wenn die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe gemäß § 27 JGG zur Bewährung ausgesetzt wird, kann eine Billigkeitsentschädigung gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG erst im Nachverfahren gemäß § 30 JGG gewährt werden (insoweit zutreffend Diemer/Schoreit/Sonnen aaO § 62 Rn 5; a. A. Meyer aaO § 4 Rn 6). Denn bis dahin ist zum einen offen, ob es zur Verhängung einer Jugendstrafe kommt, sodass die endgültigen Rechtsfolgen der teilweisen Verurteilung, auf die es im Rahmen der Gesamtabwägung nach § 4 StrEG ankommt (vgl. nur BGH GA 1975, 208), noch gar nicht feststehen. Zum anderen wird über die Anrechnung der Untersuchungshaft auf eine ggf. zu verhängende Jugendstrafe ebenfalls erst im Nachverfahren entschieden (Diemer/Schoreit/Sonnen aaO § 27 Rn 13 und § 30 Rn 10; Brunner/Dölling aaO § 27 Rn 10). Eine Entschädigung gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG kann aber erst dann gewährt werden, wenn die vorrangige Frage der Anrechnung geklärt ist. Denn andernfalls wäre im Fall der Verhängung von Jugendstrafe nach § 30 Abs. 1 JGG die Untersuchungshaft – außer in den Fällen des § 52 a S. 2 JGG – auf eine im Nachverfahren verhängte Jugendstrafe anzurechnen, obwohl ein Verurteilter bereits für eben diese Freiheitsentziehung zuvor aus der Staatskasse entschädigt wurde.
10 
Der systematische Vorrang der Anrechnung schließt also jedenfalls eine positive Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung im Urteil nach § 27 JGG zwingend aus, weshalb der sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft in vollem Umfang stattzugeben war. Ob eine negative Entscheidung über die Entschädigungspflicht bereits im Urteil nach § 27 JGG oder ebenfalls immer erst im Nachverfahren gemäß § 30 JGG möglich ist, kann hier dahingestellt bleiben. Denn eine solche Entscheidung wird mit der Beschwerde nicht angestrebt und käme allenfalls dann in Betracht, wenn bereits feststünde, dass eine Billigkeitsentschädigung nicht zu gewähren ist, weil die Untersuchungshaft auch dann keine überschießende Strafverfolgungsmaßnahme im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG darstellt, wenn im Nachverfahren keine Jugendstrafe mehr verhängt werden sollte. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Bei der im Rahmen von § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG vorzunehmenden Gesamtabwägung dürfte nämlich der (noch) sanktionslose Schuldspruch nach § 27 JGG für sich betrachtet in einem Missverhältnis zu der vollzogenen Untersuchungshaft von mehr als sechs Wochen stehen: Das Jugendschöffengericht hat die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe nicht etwa wegen der erlittenen Untersuchungshaft zur Bewährung ausgesetzt. Es hat keine weiteren Maßnahmen nach § 8 JGG angeordnet und im Bewährungsbeschluss lediglich eine Therapieweisung erteilt. Unter diesen Umständen dürfte die Billigkeitsentschädigung gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG nur zu versagen sein, wenn im Nachverfahren eine Jugendstrafe verhängt werden sollte. Eine negative Entscheidung über die Entschädigungspflicht ist daher jedenfalls im vorliegenden Fall ebenfalls erst im Nachverfahren möglich.
11 
Aus den genannten Gründen war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und festzustellen, dass die Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung dem Nachverfahren vorbehalten bleibt.
12 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 JGG.

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