Urteil vom Landgericht Offenburg - 1 S 65/04

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Lahr vom 31.03.2004 (5 C 202/03) im Kostenpunkt aufgehoben, im übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Der Beklagte Ziffer 2 wird verurteilt an den Kläger 2133,66 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.09.2003 zu bezahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger hat von den Gerichtskosten des Rechtsstreits 50 % sowie 50% seiner eigenen außergerichtlichen Kosten und die außergerichtlichen Kosten des Beklagten Ziffer 1 zu tragen.

Der Beklagte Ziffer 2 hat 50 % der Gerichtskosten und 50 % der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen. Seine außergerichtlichen Kosten hat der Beklagte Ziffer 2 selbst zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

 
I. Von Ausführungen zu den tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Absatz 2, 313 a Absatz 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II. Die Berufung des Klägers ist zulässig und teilweise begründet.
Der Kläger hat gegen den Beklagten Ziffer 2 einen Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 2000 EUR und einen Anspruch auf Ersatz seines materiellen Schadens in Höhe von 133,66 EUR. Gegenüber dem Beklagten Ziffer 1 bestehen jedoch weder Schmerzensgeld - noch Schadensersatzansprüche.
1. Der Kläger hat gegen den Beklagten Ziffer 1 keine Ansprüche aus §§ 823 Abs. 1 BGB, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 229 StGB, 253 Abs. 2 BGB.
Zwar wurde der Kläger durch das Verhalten des Beklagten Ziffer 1 an seinem Körper verletzt. Der Kläger konnte jedoch nicht zur Überzeugung der Kammer nachweisen, dass der Beklagte Ziffer 1 hierbei die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Bei der Prüfung dieser Sorgfalt ist ein objektiver Maßstab anzuwenden. Im Verkehr erforderlich ist derjenige Grad von Sorgfalt, der in solchen Verhältnissen und den in Betracht kommenden Personenklassen von tüchtigen, gewissenhaften Leuten für genügend erachtet wird. Der grundsätzlich anzuwendende objektive Maßstab bei der Prüfung der Sorgfalt erleidet somit eine gewisse Einschränkung in subjektiver Hinsicht, als es auf den Personenkreis der Beteiligten, also der Rennfahrer, mit ankommt. Als Maßstab für den zur Verhütung eines Schadens anzuwendenden Grad von Umsicht und Sorgfalt gelten die Anforderungen des Verkehrs. Wo die Grenze des Erlaubten bei einem Rennen liegt und wann bei einem Rennen, das zweifellos einen anderen Maßstab erfordert als ein normaler Verkehr, von haftungsbegründender Fahrlässigkeit zu sprechen ist, kann nur im Einzelfall festgestellt werden (BGHZ 5, 318 ff.). Es ist jeweils zu prüfen, wie ein gewissenhafter Rennfahrer unter den gleichen Bedingungen gefahren wäre. Der Rennfahrer darf jedenfalls nicht solche Risiken eingehen, die für ihn ersichtlich zu einer Schädigung von Zuschauern führen können. Nur dann verhält er sich wie ein gewissenhafter Rennfahrer (BGH, NJW-RR 1991, 472).
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes kann dem Beklagten Ziffer 1 ein sorgfaltspflichtwidriges Verhalten nicht nachgewiesen werden.
a)  In diesem Zusammenhang kann der Kläger zunächst nicht geltend machen, der Beklage Ziffer 1 habe bewusst nach links gelenkt und somit den Unfall herbeigeführt. Zum einen handelt es sich hierbei um neuen, erstmals in der Berufungsinstanz erhobenen Sachvortag, für dessen Zulassung nach § 531 Absatz 2 ZPO nichts ersichtlich ist. Zum anderen lassen sich hinreichende Anhaltspunkte für ein solches Verhalten weder dem Sachvortrag des Klägers noch der beigezogenen Strafakte des Amtsgerichts Lahr (4 Cs 9 Js 9240/03 AK 248/03) entnehmen.
b)  Dass der Unfall durch Luftdruckunterschiede an der Bereifung der Seifenkiste verursacht wurde, ist nicht nachgewiesen. Der in erster Instanz gehörte Sachverständige hat nur auf die Möglichkeit einer solchen Schadensursache hingewiesen. Ob der Beklagte Ziffer 1 hierfür hätte verantwortlich gemacht werden können, kann deshalb dahingestellt bleiben.
c)  Ein haftungsbegründender Fahrfehler kann dem Beklagten Ziffer 1 nicht nachgewiesen werden. Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen in erster Instanz konnte die Kammer nicht feststellen, dass der Beklagte Ziffer 1 bei seiner Fahrt Risiken eingegangen wäre, die ersichtlich zu einer Gefährdung der Zuschauer führen konnten. Vielmehr kommt danach auch ein leichter Lenkfehler als Unfallursache in Betracht. In der besonderen Rennsituation mit selbst gebauten Seifenkisten wird jedoch auch ein gewissenhafter Seifenkistenfahrer leichte Lenkfehler nicht immer vermeiden können. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Seifenkiste über eine relativ direkt wirkende Lenkung verfügt.
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2. Gegenüber der Beklagten Ziffer 2 besteht ein Anspruch des Klägers auf Schmerzensgeld und Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 253 Abs. 2 BGB und aus §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB.
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Der Beklagte Ziffer 2 hat die ihm gegenüber dem Kläger obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt.
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Der Beklagte Ziffer 2 ist als Veranstalter und als derjenige, der die Gefahrenlage erst schafft, grundsätzlich verkehrssicherungspflichtig.
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Der Veranstalter von Sportwettkämpfen mit Publikumsinteresse ist verpflichtet, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um Zuschauer vor Gefahren, die typischerweise mit dem Sportbetrieb verbunden sind, zu schützen. Dabei muss nicht jeder nur denkbaren Gefahr begegnet werden. Vielmehr begründet eine Gefahr nur dann eine Haftung des Veranstalters, wenn sich für eine sachkundige Einschätzung die nahe liegende Möglichkeit einer Verletzung fremder Rechtsgüter ergibt. Die Gefahrenabwehr muss in derartigen Fällen im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren liegen (OLG Stuttgart, VersR 97,1152,1153). Grundsätzlich besteht auch gegenüber den Zuschauern die Pflicht, im erforderlichen und zumutbaren Umfang für einen Unfälle möglichst ausschließenden Ablauf der sportlichen Veranstaltungen zu sorgen (BGH, NJW-RR 1986,1029)
14 
Welche Maßnahmen im Einzelnen zu treffen sind, bestimmt sich nach den jeweiligen Umständen der Veranstaltung, vor allem nach der Intensität und Häufigkeit der sich für die Zuschauer ergebende Gefährdung, wobei auch der finanziellen Belastbarkeit des Veranstalters bei Abwägung der Zumutbarkeit eine gewisse, wenn auch untergeordnete Rolle zukommt. Eine Gefahr begründet erst dann eine Haftung, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit der Verletzung fremder Rechtsgüter ergibt (BGH, NJW 1984,801).
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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Beklagte Ziffer 2 die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt. Zwar war die Rennstrecke auch an der fraglichen Stelle standardgemäß (vgl. OLG Karlsruhe, NJW - RR 1994, 413) mit Strohballen abgesichert, doch war diese Sicherungsmaßnahme angesichts der mit dem Rennen verbundenen Gefahren nicht mehr ausreichend. Bei dem von der Beklagten Ziffer 2 veranstalteten Seifenkistenrennen besteht auch bei einer Fahrt auf gerader Strecke die naheliegende Möglichkeit der Verletzung fremder Rechtsgüter, da auch hier damit gerechnet werden muss, dass eine Seifenkiste von der Fahrbahn abkommen kann. In der Gewichtsklasse 3 werden Fahrzeuge ohne jegliche Gewichtsbeschränkung zugelassen. Die Konstruktionsmaterialien sind nicht vorgegebenen. So dürfen auch massive Stahlkonstruktionen wie die vom Beklagten Ziffer 1 gesteuerte Seifenkiste teilnehmen, die bei ihrer Fahrt ein Gesamtgewicht von ca. 180 kg hatte. Bestimmte Bauarten bzw. Bauweisen sind nicht vorgeschrieben. Jedes selbst entworfene Fahrzeug darf teilnehmen. Eine technische Abnahme oder eine technische Prüfung findet nach dem Sachvortrag der Parteien nicht statt. Die Kontrolle beschränkt sich auf die Sichtprüfung der Fahrzeuge. Die Seifenkisten dürfen von wechselnden Fahrern, die keine Erfahrung im Umgang mit Seifenkisten haben müssen, benutzt werden. Berücksichtigt man darüber hinaus den Wagemut, den möglichen Ehrgeiz der Fahrer, mögliche Ungeschicklichkeiten und die sich aus den oben beschriebenen Umständen ergebende Gefahr möglicher technischer Defekte oder Unzulänglichkeiten, begründet jedenfalls bei dem hier zu beurteilenden Rennen das Zusammenwirken all dieser Faktoren an jeder Stelle des Rennverlaufs die Möglichkeit, dass die Fahrer die Beherrschung über ihre Seifenkiste verlieren können. Vor der sich hieraus ergebenden Gefahr sind die Zuschauer zu schützen. Ob dieser Gefahr bereits durch eine technische Abnahme oder Prüfung der Seifenkisten ausreichend begegnet werden kann, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls die hier vorgenommene Absicherung der Strecke durch einfache Strohballen genügte nicht, da sie nicht geeignet war, ein Abkommen der Seifenkiste in den Zuschauerraum zu verhindern.
16 
Die Ersatzpflicht des Beklagten Ziffer 2 entfällt nicht deshalb, weil im Rahmen der verkehrsrechtlichen Anordnung der Stadt Lahr keine weitergehenden Auflagen erteilt waren. Dies schließt nämlich nicht aus, dass unter dem Gesichtspunkt der zivilrechtlichen Verkehrssicherungspflicht zusätzliche Vorkehrungen notwendig sind.
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Dass weitergehende Sicherungsmaßnahmen den Bereich des Möglichen oder Zumutbaren überschreiten würden, ist weder dargelegt noch ersichtlich.
18 
Ein Mitverschulden des Klägers vermag die Kammer nicht zu erkennen. Auch die Grundsätze über das Handeln auf eigene Gefahr sind nicht anwendbar, da jedenfalls ein Versicherungsschutz für den Schädiger besteht (Palandt, BGB, 63. Auflage, § 254 Anm. 77).
19 
Angesichts des Umfangs und der Schwere der in der Berufungsinstanz unstreitig gewordenen Verletzungen des Klägers erscheint der Kammer ein Schmerzensgeld in Höhe von 2000 EUR angemessen.
20 
Der materielle Schaden des Klägers beläuft sich unstreitig auf 133, 66 EUR.
21 
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 BGB. Den Schreiben vom 03.06.2004 und 04.06.2004 lässt sich eine endgültige Erfüllungsverweigerung nicht ausreichend entnehmen. Vielmehr wird dort auf die noch anstehende Prüfung der Ansprüche durch den Haftpflichtversicherer verwiesen.
22 
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 100 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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4. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, § 543 ZPO.

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