Urteil vom Landgericht Stuttgart - 5 S 329/15

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Esslingen vom 26.11.2015, Az. 4 C 2091/14, aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 2.771,67 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Kläger nimmt den Beklagten aus Schuldbeitritten zu einem im Jahr 2008 geschlossenen Werkstattvertrag sowie zu einem im Jahr 2013 geschlossenen Wohn- und Betreuungsvertrag in Anspruch.
Das Amtsgericht Esslingen hat mit Urteil vom 26.11.2015 der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Berufung.
Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird gem. § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen. Auf die Darstellung des Berufungsvorbringens wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a, 542, 544 ZPO verzichtet.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und mit einer Begründung versehene Berufung des Beklagten ist erfolgreich und führt zur Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils und Abweisung der Klage. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf aufgrund Schuldbeitritts gem. §§ 311 Abs. 1, 421 BGB.
1.
Der Kläger (nachfolgend auch "Leistungserbringer") schloss im Jahr 2008 mit Herrn H. (nachfolgend auch "Hilfeempfänger") einen Werkstattvertrag über die Aufnahme von Herrn H. in die von dem Kläger betriebene Werkstatt. Im Jahr 2013 wurde zwischen dem Kläger und Herrn H. ein Wohn- und Betreuungsvertrag betreffend die Aufnahme des Hilfeempfängers in eine vom Kläger geleitete Wohngruppe geschlossen.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Beklagte als Sozialhilfeträger der durch die oben genannten Verträge begründeten Schuld des Hilfeempfängers zivilrechtlich beigetreten ist. Der Hilfeempfänger hat gegenüber dem Sozialhilfeträger einen Anspruch auf Sachleistungsverschaffung. Diesen Anspruch erfüllt der Sozialhilfeträger dadurch, dass er den Dienst bezahlt, der die Pflege oder Betreuung leistet. Dies setzt voraus, dass der Hilfeempfänger mit dem Leistungserbringer einen zivilrechtlichen Vertrag abschließt, aufgrund dessen ein Anspruch auf Erbringung von Betreuungs- und Förderleistungen sowie ggf. Unterkunft und Verpflegung besteht (privatrechtliches Erfüllungsverhältnis). Diese privatrechtlichen Verträge hat der Hilfeempfänger, vertreten durch seine Betreuerin, mit dem Kläger geschlossen. Der Sozialhilfeträger erfüllt den Anspruch des Hilfeempfängers auf Sachleistungsverschaffung, indem er in Form eines zivilrechtlichen Schuldbeitritts die Zahlungsverpflichtung des Hilfeempfängers aus dem privatrechtlichen Vertrag übernimmt (BGH, Urt. v. 31. 03.2016, NJW 2016, 273 ff). Es handelt sich dabei um eine kumulative Schuldübernahme, d.h. der Hilfeempfänger bleibt weiter neben dem Sozialhilfeträger aus dem privatrechtlichen Vertrag mit dem Leistungserbringer verpflichtet (BGH, a.a.O. Rn. 20).
Der privatrechtliche Schuldbeitritt gem. § 311 Abs. 421 BGB wird in dem Bewilligungsbescheid des Sozialhilfeträgers über die gewährte Sozialhilfeleistung erklärt (BGH a.a.O.) Dieser an den Hilfeempfänger gerichtete Bewilligungsbescheid regelt das öffentlich-rechtliche Leistungsverhältnis (Grundverhältnis) zwischen dem bedürftigen Hilfeempfänger und dem Sozialhilfeträger. Dieses öffentlich-rechtliche Grundverhältnis ist Fundament und rechtlicher Maßstab für die übrigen Rechtsbeziehungen des sozialhilferechtlichen Dreiecks. Das Grundverhältnis an sich und die dieses Verhältnis prägenden Vorschriften sind daher bei der Auslegung der übrigen Vertragsbeziehungen zu berücksichtigen (Ausstrahlungswirkung des Grundverhältnisses (BGH, a.a.O. Rz. 16)).
Der Bewilligungsbescheid über die Sozialhilfeleistung ist aufgrund des in diesem erklärten zivilrechtlichen Schuldbeitritts als Verwaltungsakt mit Drittwirkung zu qualifizieren (BGH, a.a.O, Rz. 20). Der Leistungserbringer erhält aufgrund des zivilrechtlichen Schuldbeitritts einen zweiten Schuldner, der neben dem Hilfeempfänger in Höhe der aufgrund des Sozialhilfebescheids bewilligten Leistung als Gesamtschuldner gem. § 421 ff BGB für die Verbindlichkeiten aus dem zivilrechtlichen Vertrag über die Erbringung von Hilfe und Betreuungsleistungen haftet. Somit begründet der Schuldbeitritt einen unmittelbaren Zahlungsanspruch des Leistungserbringers gegen den Sozialhilfeträger (BGH, a.a.O., Rz. 21).
Am 19.02.2008 erließ der Beklagte einen an den Hilfeempfänger gerichteten Sozialhilfebescheid, in dem er die Übernahme der Kosten für die Aufnahme in den Arbeitsbereich der Werkstatt des Klägers ab 01.03.2008 übernahm. Mit Bescheid vom 12.03.2013 bewilligte der Beklagte gegenüber dem Hilfeempfänger die Übernahme der Kosten für die Unterbringung in einer Wohngruppe des Klägers ab dem Zeitpunkt der Aufnahme bis auf Weiteres. Diese Bewilligungsbescheide sind als privatrechtsgestaltende Verwaltungsakte mit Drittwirkung zu qualifizieren mit der Folge, dass zwischen dem Sozialhilfeträger und dem Leistungserbringer eine zivilrechtliche Rechtsbeziehung entsteht, die nach den Vorschriften des BGB zu beurteilen ist (BGH, a.a.O. Rz. 22). Für einen wirksamen Schuldbeitritt ist es nicht erforderlich, dass der Gläubiger, hier der Leistungserbringer, Kenntnis von dem Schuldbeitritt hat (Palandt, 75. Aufl. 20167, Vorbemerkung vor § 414 Rn. 2). Der Gläubiger erwirbt eine für ihn vorteilhafte Rechtsposition, da er neben dem ursprünglichen zivilrechtlichen Vertragspartner einen weiteren Schuldner erhält, der gesamtschuldnerisch haftet.
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Der Beklagte übersandte jeweils zeitgleich mit dem Erlass der Bewilligungsbescheide gesonderte Kostenübernahmebenachrichtigungen an den Kläger (Anlage K 2 und Anlage K 5). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, wonach das Grundverhältnis zwischen Hilfeempfänger und Sozialhilfeträger auf die übrigen Vertragsbeziehungen ausstrahlt, ist für die Beurteilung der Wirksamkeit und des Umfangs des erklärten Schuldbeitritts allein der gegenüber dem Hilfebedürftigen ergangene Bewilligungsbescheid maßgeblich. Die gegenüber dem Leistungserbringer erklärten Kostenübernahmeerklärungen können somit den erklärten Schuldbeitritt allenfalls konkretisieren, nicht aber modifizieren. Im vorliegenden Fall wurde der Schuldbeitritt zu dem Vertrag über die Aufnahme in die Werkstatt in der Kostenübernahmemitteilung mit dem konkretisierenden Zusatz versehen: "Wir gewähren ab 01.03.2008 längstens für die Dauer der tatsächlichen Anwesenheit folgende Leistungen". In der Kostenübernahmemitteilung vom 12.03.2013 bezüglich der Übernahme der Kosten für die Betreuung in einer Wohngruppe wurde mitgeteilt, dass die Kosten ab Heimaufnahme bis auf Weiteres übernommen werden. Der Umstand, dass in der ersten Kostenübernahmeerklärung die Kosten längstens für die Dauer der tatsächlichen Anwesenheit übernommen werden, ein solcher Zusatz in der Kostenübernahmeerklärung vom 12.03.2013 aber fehlt, ist unbeachtlich. Die Kostenübernahmeerklärungen stehen in keinem inneren Zusammenhang, vielmehr wurden sie in einem zeitlichen Abstand von fünf Jahren erlassen. Die Kostenübernahmeerklärung vom 12.03.2013 ist inhaltsgleich mit dem am selben Tag ergangenen Sozialhilfebescheid und bestätigt die Übernahme der Zahlungen für die Betreuung in einer Wohngruppe bis auf Weiteres. Unabhängig davon ist mit der Rechtsprechung des BGH davon auszugehen, dass allein der in dem öffentlich-rechtlichen Grundverhältnis ergangene Bewilligungsbescheid maßgebend ist für den Umfang des zivilrechtlichen Schuldbeitritts.
II.
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Der Schuldbeitritt des Beklagten und die damit einhergehende Zahlungsverpflichtung endete zum 07.02.2014 mit Auszug des Hilfeempfängers aus dem Heim des Klägers und der von diesem betriebenen Werkstatt. Die Bindung des Sozialhilfeträgers an den erklärten Schuldbeitritt besteht, solange und soweit der der Bewilligung zugrunde liegende (begünstigende) Verwaltungsakt nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (BGH, a.a.O. Rz. 25). Die Wirksamkeit des Schuldbeitritts hängt somit vom Schicksal des Bewilligungsbescheids ab. Der Schuldbeitritt erfolgte aufgrund der privatrechtsgestaltenden Wirkung des Bewilligungsbescheides und bleibt ohne eine weitere Entscheidung im Grundverhältnis grundsätzlich bindend. Wird der Bewilligungsbescheid und der darin erklärte Schuldbeitritt nach Maßgabe der §§ 44 ff SGB X aufgehoben, entfällt im Verhältnis zum Leistungserbringer der Rechtsgrund für die Zahlungen des Sozialhilfeträgers (BGH, a.a.O.). Nach unstreitigem Vortrag wurden die Bewilligungsbescheide vom 12.03.2013 für das betreute Wohnen sowie vom 19.02.2008 für den Arbeitsbereich der Werkstatt mit Bescheid des Beklagten vom 27.02.2014 (Anlage BK 3) aufgehoben. Dieser Bescheid wurde nicht angefochten und ist rechtskräftig. In diesem Bescheid wurden die Kostenzusagen jeweils rückwirkend zum 07.02.2014 aufgehoben. Aufgrund der Rechtskraft dieses Verwaltungsaktes ist die Frage, ob der Verwaltungsakt rechtmäßig ergangen ist, nicht entscheidungserheblich. Wird ein Bewilligungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, entfällt auch der Rechtsgrund für eine Inanspruchnahme des Sozialhilfeträgers rückwirkend mit der Folge, dass ab diesem Zeitpunkt keine Zahlungsansprüche gegen den Sozialhilfeträger mehr geltend gemacht werden können oder bereits geleistete Zahlungen nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Alternative 1 BGB zurückzuzahlen sind (BGH, a.a.O. Rz. 256). Die Frage, ob eine Kenntnis des Leistungserbringers vom Erlass des Aufhebungsbescheides zivilrechtlich erforderlich ist, um einen zivilrechtlichen Schuldbeitritt zum Erlöschen zu bringen, bedarf hier keiner Entscheidung. Unstreitig hat der Kläger durch Schreiben des Beklagten vom 18.02.2014 (Anlage K 9) Kenntnis von der Aufhebung der Kostenzusagen erhalten.
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Durch den rechtskräftigen Aufhebungsbescheid vom 27.02.2014, der die bewilligte Kostenübernahme rückwirkend zum 07.02.2014 aufgehoben hat, ist auch der Rechtsgrund für die Zahlungspflicht des Beklagten aufgrund des Schuldbeitritts rückwirkend zum 07.02.2014 entfallen. Ab diesem Zeitpunkt besteht kein Anspruch des Leistungserbringers mehr gegen den beklagten Sozialhilfeträger auf Zahlung ausstehenden Entgelts aufgrund der privatrechtlichen Vereinbarung mit dem Hilfebedürftigen. Das Argument, dass der Leistungserbringer das ausstehende Entgelt von seinem originären Vertragspartner - dem Hilfeempfänger - einfordern kann, wird dem Leistungserbringer häufig nicht nützen, da das sozialhilferechtliche Dreieck die finanzielle Bedürftigkeit des Hilfeempfängers voraussetzt mit der Folge, dass der Hilfeempfänger regelmäßig nicht die Mittel haben wird, seine privatrechtlichen Verbindlichkeiten gegenüber dem Leistungserbringer zu erfüllen. Andererseits ist zu akzeptieren, dass der Sozialhilfeträger primär dem Hilfeempfänger gegenüber verpflichtet ist und in diesem öffentlich-rechtlichen Grundverhältnis der gesetzlich bestimmte Umfang und Rahmen der Hilfeleistung vorgegeben ist. Der zivilrechtliche Schuldbeitritt ist nur die Erfüllung dessen, was im öffentlich-rechtlichen Grundverhältnis geschuldet ist und kann nicht darüber hinaus gehen. Dies berücksichtigend hat der Kläger keinen Anspruch gegen den Beklagten auf weitere Zahlung, so dass das Urteil des Amtsgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen war.
III.
13 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
14 
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 542, 544 ZPO i.V.m. § 26 Nr.8 EGZPO.
15 
Anlass, die Revision nach § 543 ZPO zuzulassen, besteht nicht, weil die Rechtssache als Einzelfall keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert.

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