Beschluss vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (5. Senat) - L 5 AS 452/13

Tenor

Die Berufungen des Klägers gegen die Urteile des Sozialgerichts Magdeburg vom 23. Januar 2013 werden als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

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Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger in der Zeit vom 1. Februar 2005 bis 31. Juli 2008, 1. August 2008 bis 31. Januar 2009 und 1. Februar bis 31. Juli 2010 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zustehen. In der Sache geht es um die Frage, ob der Kläger Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung (KdUH) unter Anerkennung mietvertraglicher Aufwendungen hat.

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Der am ... 1984 geborene Kläger lebte im vorgenannten Zeitraum im Haushalt seiner Pflegeeltern, Frau H. und Herrn L. D. Er beantragte erstmals am 30. September 2004 bei dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Er gab er an, über ein freies Wohnrecht bei seinen Pflegeeltern zu verfügen. Der Beklagte lehnte eine Leistungsbewilligung ab. Am 18. August 2006 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er zum 1. Januar 2005 mit Herrn D. einen Mietvertrag geschlossen habe, wonach er eine monatliche Miete iHv 325,62 EUR zu zahlen habe, und begehrte Leistungen für Unterkunft und Heizung in dieser Höhe. Der Beklagte gewährte dem Kläger ab dem 18. August 2006 bis zum 31. Juli 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, einschließlich anteiliger KdUH. Die geltend gemachten mietvertraglichen Aufwendungen erkannte der Beklagte nicht an.

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Das Sozialgericht Magdeburg hat die Klagen mit Urteilen vom 23. Januar 2013 teilweise abgewiesen.

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Gegen die dem Kläger am 21. Februar 2013 zugestellten Urteile hat Herr D. am 14. März 2013 Berufung eingelegt. Er habe Vollmacht für die gerichtliche Vertretung des Klägers. Der Berichterstatter hat ihn mit Schreiben vom 4. Juni und 29. Juli 2013 aufgefordert, die Vollmacht des Klägers im Original vorzulegen. Mit Schriftsatz vom 27. August 2013 hat Herr D. eine Kopie einer "Vorsorgevollmacht" des Klägers vom 1. August 2008 vorgelegt. Die Vollmacht soll nach dem Inhalt der Urkunde nur dann gelten, wenn der Bevollmächtigte das Original vorlegt. Weiterhin hat er erklärt: Es könne nicht sein, dass "mir keine Miete zusteht und ich nicht mal die Unkosten für das Haus vom Amt bekomme."

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Der Berichterstatter hat Herrn D. mit einem am 30. August 2014 zugestellten Schreiben darauf hingewiesen, dass zum Nachweis seiner Vertretungsbefugnis die Vorlage einer Originalvollmacht erforderlich ist. Zugleich ist ihm eine Frist zur Nachreichung einer solchen Vollmacht von vier Wochen gesetzt worden. Ferner ist er darauf hingewiesen worden, dass die Berufung ohne Vorlage der Originalvollmacht als unzulässig zu verwerfen wäre. Für den Fall der nicht fristgerechten Vorlage einer solchen Vollmacht ist eine Entscheidung über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung angekündigt worden.

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Mit Schriftsatz vom 18. September 2014 hat Herr D. eine durch den Kläger unterzeichnete "Generalvollmacht" sowie eine Stellungnahme des Klägers vom 4. Juni 2014, jeweils in einfacher Kopie, eingereicht. In dieser Erklärung versichert der Kläger, dass Herr D. in den Jahren 2005 bis 2012 von ihm keine Mietzahlungen erhalten habe. Zudem hat Herr D. vorgetragen, dass er den Kläger nach zwei Jahren in St. J. i. P. (Österreich) habe auffinden können. Dort habe er sich die vorgelegten Erklärungen ausstellen lassen. Er könne sich nicht vorstellen, dass er den Kläger "umsonst hier wohnen lassen" müsse. Zugleich hat er den Senat aufgefordert, den Kläger "nach H. zu holen", um den Fall abschließen zu können.

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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten ergänzend verwiesen.

II.

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Der Senat konnte die Berufungen nach § 158 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss verwerfen, da sie unzulässig sind. Diese Vorschrift gilt nicht nur für die in § 158 Satz 1 SGG genannten Fälle, sondern auch dann, wenn die Berufungen aus anderen Gründen unzulässig sind (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 158 Rn. 5).

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Die Berufungen sind form- und fristgerecht gemäß § 151 SGG eingelegt worden. Sie sind jedoch nicht zulässig, da der für den Kläger als Prozessbevollmächtigter auftretende Herr D. eine Vollmacht nicht nachgewiesen hat.

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Nach § 73 Abs. 2 Satz SGG können sich die Beteiligten vor dem Sozialgericht nach Maßgabe dieser Regelung durch Bevollmächtigte vertreten lassen. Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen, § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen, § 73 Abs. 6 Satz 2 SGG. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt, § 73 Abs. 6 Satz 5 SGG.

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Erforderlich ist die Vorlage einer vom Beteiligten bzw. dessen Vertreter eigenhändig unterschriebenen Vollmachtsurkunde. Die schriftliche Form kann durch die elektronische Form (§ 126a BGB) ersetzt werden. Die Schriftform verlangt die Vorlage der Originalvollmachtsurkunde oder einer öffentlichen Beglaubigung der Urkunde. Ein sonstiger urkundlicher Nachweis irgendwelcher Art, etwa durch Vorlage einer Fotokopie genügt nicht (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 23. Februar 2006 - III ZB 50/05, juris Rn. 9; Bundesfinanzhof (BFH), Urteil vom 18. Februar 1987 - II R 213/84, juris Rn. 20; Straßfeld, in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Auflage 2014, § 73 Rn. 127; Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 67 Rn. 61).

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Soweit in der Rechtsprechung und Literatur die Ansicht vertreten wird, im sozialgerichtlichen Verfahren sei die Vorlage einer Originalvollmacht nicht erforderlich, sondern auch eine Kopie der Vollmacht ausreichend (so etwa LSG BW, Urteil vom 7. April 2011 - L 6 U 3907/10, juris Rn. 15; Littmann, in: Lüdtke, SGG, 4. Auflage 2012, § 73 Rn. 21 m. w. N.), folgt der Senat dieser Auffassung nicht (wie hier: LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26. Januar 2010 - L 10 U 64/08, juris Rn. 6; BayLSG, Urteil vom 15. Dezember 2005 - L 9 EG 158/03, juris Rn. 18). Die für die Gegenauffassung angeführten Gründe sind nicht überzeugend. Diese könnten es zwar ggf. rechtfertigen, eine als Telefax übermittelte Vollmachtsurkunde als formgerecht anzusehen (vgl. dazu Leitherer, a. a. O., § 73 Rn. 62; eingehend LSG BW, Urteil vom 9. November 2006 - L 6 SB 1439/06; a. A. BGH, Urteil vom 23. Juni 1994, I ZR 106/92, juris Rn. 9). Eine einfache Fotokopie einer Vollmacht vermag den Anforderungen des § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG jedenfalls nicht zu genügen. Zwar konnte die Ansicht, die für die Vollmachtserteilung im sozialgerichtlichen Verfahren erleichterte Formerfordernisse annahm, nach der früheren Rechtslage darauf gestützt werden, dass § 73 Abs. 4 SGG a. F. nur auf die den Umfang und die Wirkungen der Vollmacht regelnden §§ 81, 84 bis 86 Zivilprozessordnung (ZPO) verwies, nicht aber auf den das Schriftformerfordernis begründenden § 80 Abs. 1 ZPO a. F. (vgl. Littmann, a. a. O.; LSG BW, a. a. O., Rn. 21). Diese Argumentation trägt nach der Neufassung des § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG ab dem 1. Juli 2008 nicht mehr. Der Wortlaut dieser Norm ist nunmehr identisch mit § 80 Satz 1 ZPO und § 67 Abs. 6 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Für eine unterschiedliche Auslegung findet sich im Wortlaut kein Anhalt. Sinn und Zweck der Neuregelung sprechen ebenfalls dagegen. Denn mit der Neufassung dieser Vorschriften sollte nach der Konzeption des Gesetzgebers eine Angleichung der Vorschriften zum Nachweis der Bevollmächtigung in den Prozessordnungen geschaffen werden (vgl. BT-Drucks. 16/3655, S. 90; Straßfeld, a. a. O., Rn. 127). Dies schließt den Nachweis der Vollmachtserteilung durch eine unbeglaubigte Fotokopie im sozialgerichtlichen Verfahren aus. Denn an der zweifelsfreien Feststellung der Bevollmächtigung bestehen ein öffentliches Interesse und ein Interesse des Prozessgegners (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2002 - III ZB 43/00, juris Rn. 8). Prozessrechtliche Erleichterungen hinsichtlich der Schriftform bei der Einlegung von Rechtsmitteln, wie die Einreichung einer Fotokopie der Rechtsmittelschrift, können nicht auf die Vollmacht übertragen werden. Die Einreichung einer schriftlichen Vollmacht ist nicht nur Sachurteilsvoraussetzung, sondern hat auch Beweisfunktion. Insoweit gilt nichts anderes als beim Urkundenbeweis (vgl. BFH, Urteil vom 18. Februar 1987 - II R 213/84, juris Rn. 20 f).

13

Das Vorhandensein einer ordnungsgemäßen Vollmacht und die daran geknüpfte Zulässigkeit der vorgenommenen Prozesshandlung sind grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen (vgl. BSG, Beschluss vom 16. Juli 2003 - B 13 RJ 83/02 B, juris Rn. 9). Das Gericht hat den vollmachtlosen Vertreter regelmäßig aufzufordern, die Vollmachtsurkunde binnen einer bestimmten Frist nachzureichen und darauf hinzuweisen, dass das Rechtsmittel anderenfalls als unzulässig verworfen werden wird (vgl. BSG, Beschluss vom 16. Juli 2003 - B 13 RJ 83/02 B, juris Rn. 10).

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Wird die Vollmacht nicht nachgewiesen, ist das Rechtsmittel unzulässig (vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB), Beschluss vom 17. April 1984 - 2/83, juris Rn. 9 und 12). Eine von einem vollmachtlosen Vertreter eingelegte Berufung ist nach Ablauf der gesetzten Frist ohne Prüfung in der Sache als unzulässig zu verwerfen (vgl. BSG, Beschluss vom 16. Juli 2003 - B 13 RJ 83/02 B, juris Rn. 10). Das gilt nur dann nicht, wenn der Mangel der Vollmacht bei Einlegung des Rechtsmittels durch spätere Genehmigung des Vertretenen mit rückwirkender Kraft geheilt wird (GmS-OGB, a. a. O., Rn. 13).

15

Gemessen an diesen Grundsätzen fehlt es am Nachweis einer schriftlichen Vollmacht für den als Prozessbevollmächtigten des Klägers auftretenden Herrn D. Dieser hat trotz wiederholter Aufforderung des Senats keine Originalvollmacht des Klägers vorgelegt. Die mit Schriftsatz vom 27. August 2013 vorgelegte "Vorsorgevollmacht" soll nach dem Inhalt der Erklärung nur dann gelten, wenn sie im Original vorgelegt wird. Zur Gerichtsakte wurde jedoch nur eine einfache Kopie gereicht. Gleiches gilt für die mit Schriftsatz vom 18. September 2014 übersandte "Generalvollmacht" vom 4. Juni 2014. Auch diese wurde lediglich als Fotokopie in das Verfahren eingeführt. Die Berufungen wurde damit durch Herrn D. als vollmachtlosem Vertreter eingelegt. Sie sind deshalb unzulässig. Dieser Mangel ist durch den Senat von Amts wegen zu berücksichtigen, da für den Kläger kein Rechtsanwalt aufgetreten ist. Der Senat hat Herrn D. mit Schreiben vom 22. August 2014 zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Berufungen ohne Vorlage einer Originalvollmacht als unzulässig zu verwerfen sind. Zudem wurde ihm eine Frist zur Nachreichung einer solchen Vollmacht von vier Wochen gesetzt. Dem ist er nicht nachgekommen. Herr D. wurde schließlich mit Schreiben des Berichterstatters vom 22. August 2014 vor der Entscheidung nach § 158 SGG angehört.

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Der Kläger hat die Prozessführung auch nicht genehmigt. Die in Kopie vorgelegte Stellungnahme vom 4. Juni 2014 ist nicht als Vollmachtserteilung anzusehen. Der Erklärung lässt sich nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass Herr D. für den Kläger die Berufungsverfahren führen soll. Ebenso geht aus der Stellungnahme nicht hervor, dass der Kläger die vollmachtlose Einlegung der Rechtsmittel nachträglich genehmigen oder das Verfahren selbst fortführen will. Vielmehr bestätigt er lediglich, dass Herr D. keine Mietzahlungen von ihm erhalten habe und er diese noch schulde. Dies ersetzt die erforderliche Prozesserklärung nicht, dass der Kläger die Berufungsverfahren selbst führen will oder Herr D. für ihn gehandelt haben soll. Gegen eine solche Auslegung der Erklärung spricht zudem, dass Herr D. in diesen Verfahren in der Sache erkennbar eigene Interessen verfolgt. Dies wird deutlich an seinem Vortrag, es könne nicht sein, dass "mir keine Miete zusteht und ich nicht mal die Unkosten für das Haus vom Amt bekomme." Auch die Forderung, den Kläger "nach H. zu holen", um das Verfahren abzuschließen, spricht dagegen, dass der Kläger tatsächlich die Berufungsverfahren führen will. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Herr D. die Berufungsverfahren des Klägers betreiben möchte, damit er sich aus den Leistungen befriedigen kann. Notfalls soll der Senat dazu den Kläger zwangsweise vorführen, wenn dies zur Sachaufklärung erforderlich erscheint. Nach dem Vortrag des Herrn D. erscheint es zudem ausgeschlossen, dass die Einlegung der Rechtsmittel mit Willen des Klägers erfolgt ist. Denn wenn Herr D. den Kläger nach seinem eigenen Vortrag nach zweijähriger Suche erst am 16. September 2014 in St. J. im P. auffinden konnte, ist nicht davon auszugehen, dass er die Berufungen für den Kläger einlegen sollte. Denn die Berufung wurde schon am 14. März 2013 eingelegt. Die Annahme, dass Herr D. als vollmachtloser Vertreter gehandelt hat, wird auch dadurch gestützt, dass er seine Vollmacht zunächst nur mit der Vorsorgevollmacht vom 1. August 2008 begründet hat. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist eine Genehmigung der Prozessführung durch den Kläger nicht festzustellen.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor (§ 158 Satz 3 SGG).


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