Beschluss vom Oberlandesgericht Celle (1. Strafsenat) - 1 Ausl 56/12

Tenor

Die Auslieferung des Verfolgten an die polnischen Justizbehörden zur Strafvollstreckung wegen der in dem Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts S. vom 4. Oktober 2012 (Az.: III Kop 150/12) bezeichneten Freiheitsstrafen ist zulässig.

Die Auslieferungshaft dauert fort.

Gründe

I.

1

Die polnischen Justizbehörden betreiben auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts S. vom 4. Oktober 2012 (Az.: III Kop 150/12) die Auslieferung des Verfolgten zum Zweck der Strafvollstreckung. Danach ist der Verfolgte

2

a. durch Urteil des Amtsgerichts S.-P. vom 12. Juni 2009 (Az.: VI K 797/09) wegen einer aus dem Bereich des Rowdytums eingestuften Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt worden, von der noch neun Monate und 29 Tage zu verbüßen sind. Er hatte am 26. November 2008 in S. ohne Grund, gemeinsam und in Absprache mit K. S. handelnd, Eigentum in einem Stadtbus mit dem amtlichen Kennzeichen xxx beschädigt, indem er die Heckscheibe, die Windschutzscheibe, das Geländer der zweiten Tür, einen Eintauchstab und die Öleinlaufkappe im Ventilatorgetriebe zerstörte, wodurch er insgesamt einen Schaden von 5000 PLN zum Nachteil des Unternehmens S.-P. P. K. Sp. z o.o. in P. verursachte,

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b. durch Urteil des Amtsgerichts S.-P. vom 21. Januar 2010 (Az.: VI K 627/09) wegen einer aus dem Bereich des Rowdytums eingestuften Körperverletzung sowie wegen Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden, von denen noch elf Monate und 29 Tage zu verbüßen sind. Er hatte am 30. Oktober 2008 in S. in einem Bus der Linie 63 und an einer Bushaltestelle in der Straße S.-K. ohne Grund gemeinsam und in Absprache mit L. W. und D. M. handelnd, den P. U. misshandelt, indem er diesen trat und mit den Händen auf dessen gesamten Körper einschlug, wodurch er die Person einer unmittelbaren Todesgefahr aussetzte und drohte am selben Tag in S. dem P. U. den Tod und Körperverletzung an, wobei die Drohungen bei der Person die berechtigte Furcht, dass sie wahr gemacht werden könnten, auslöste.

4

Beide Urteile sind gem. Art. 335 der polnischen StPO im Wege der Urteilsabsprache ergangen. Eine mündliche Verhandlung ist nicht erfolgt. Beim Termin zur Verkündung der Urteile ist der Verfolgte nicht anwesend gewesen. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen war zunächst zur Bewährung ausgesetzt worden. Durch Beschlüsse vom 8. September 2010 bzw. vom 16. März 2011 ist die Vollstreckung der Freiheitsstrafen angeordnet worden.

5

Der Verfolgte ist am 15. November 2012 in B. vorläufig festgenommen worden. In seiner Anhörung vor dem Amtsgericht Tostedt am selben Tag hat der Verfolgte sich nicht mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt und vorgetragen, dass er nur in Abwesenheit verurteilt worden sei. In Deutschland lebe er seit etwa 2010. Seine sozialen Kontakte beschränken sich auf seine Cousine, bei der er auch wohnhaft sei. Der Senat hat am 21. November 2012 gegen den Verfolgten die förmliche Auslieferungshaft angeordnet. Gegen ihn besteht in anderer Sache ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl des Amtsgerichts Hannover vom 19. April 2012 wegen versuchten Totschlags. Bis zu seiner Festnahme in hiesiger Sache befand sich der Verfolgte erst seit zwei Wochen wieder auf freiem Fuß.

6

Die Generalstaatsanwaltschaft hat als zuständige Bewilligungsbehörde mit Entschließung vom 23. November 2012 erklärt, dass sie nicht beabsichtige, Bewilligungshindernisse geltend zu machen. Diese Entschließung ist dem Verfolgten in polnischer Übersetzung am 26. November 2012 mit Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Woche zugestellt worden. Weder der Verfolgte noch sein Beistand haben sich dazu geäußert.

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Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Auslieferung zur Strafvollstreckung für zulässig zu erklären und Haftfortdauer zu beschließen.

II.

8

Den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft war zu entsprechen.

9

1. Die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Polen ist zulässig.

10

a) Der von den polnischen Behörden übermittelte Europäische Haftbefehl liegt in deutscher Übersetzung vor und genügt den Anforderungen des § 83a Abs. 1 IRG.

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b) Die Auslieferungsfähigkeit der dem Ersuchen zugrundeliegenden Straftaten ist gegeben. Sachbeschädigung, Körperverletzung und Bedrohung sind sowohl nach polnischem Recht (Art. 288 § 1, Art. 158 § 1 und Art. 190 § 1 des polnischen StGB) als auch nach deutschem Recht (§§ 303, 223, 241 StGB) unter Strafe gestellt. Zu vollstrecken sind zwei Freiheitsstrafen, die jeweils das Mindestmaß von vier Monaten übersteigen (§ 81 Nr. 2 IRG). Vollstreckungsverjährung ist nicht eingetreten. Die Grundsätze der Gegenseitigkeit und der Spezialität (§§ 5 und 11 IRG) sind im Verhältnis zu Polen gewahrt.

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c) Der Auslieferung stehen auch keine Gründe nach den Bestimmungen des IRG oder des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (EuAlÜbk) entgegen.

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aa. Der Verfolgte besitzt nicht die deutsche Staatsangehörigkeit.

14

bb. Der Auslieferung steht auch nicht der Umstand entgegen, dass die zu voll-streckenden Urteile in Abwesenheit des Verfolgten ergangen sind. Denn beide Urteile beruhen auf einer Absprache zwischen dem Verfolgten und der polnischen Staatsanwaltschaft nach Art. 335 der polnischen StPO. Der gerichtliche Termin dient allein der Urteilsverkündung, findet aber ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt und erfordert auch nicht die Anwesenheit des Beschuldigten. Auf Verfahren ohne mündliche Verhandlung findet indessen § 83 Nr. 3 IRG keine Anwendung (vgl. Hackner in Schomburg/Lagodny/Hackner/Gleß, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., § 83 IRG Rn. 7). Über § 73 Satz 2 IRG muss allein gewährleistet sein, dass dem Verfolgten rechtliches Gehör gewährt werden muss (vgl. Grützner/Pötz/Kress-Böse, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., § 83 IRG Rn. 9). Das rechtliche Gehör des Verfolgten ist indessen durch seine notwendige Zustimmung zu dieser Verfahrensweise und seiner Kenntnis von den Terminen zur Urteilsverkündung jedenfalls gewahrt worden. Auch nach Empfang der Urteile, gegen die der Verfolgte mit einem Antrag auf Urteilsbegründung hätte vorgehen können, hat er sich gegen die Vorwürfe nicht zur Wehr gesetzt, sondern allein einen Antrag auf Tilgung der Kosten und die Möglichkeit einer Ratenzahlung gestellt.

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cc. Dass der Widerruf der zunächst zur Bewährung ausgesetzten Vollstreckung der Strafen nicht in Anwesenheit des Verurteilten erfolgt ist, begründet weder ein Auslieferungshindernis nach § 83 Nr. 3 IRG (vgl. Senatsbeschluss vom 1. Juni 2011 - 1 Ausl 18/11) noch widerspricht die Leistung der Rechtshilfe deshalb wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung im Sinne von § 73 IRG (vgl. OLG Celle, NStZ-RR 2012, 260).

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d) Die Entschließung der Generalstaatsanwaltschaft über die Nichtgeltendmachung von Bewilligungshindernissen vom 23. November 2012 hält der vom Senat nach § 79 Abs. 2 Satz 3 IRG vorzunehmenden Nachprüfung stand. Das Oberlandesgericht überprüft die Entschließung lediglich darauf, ob sie aufgrund einer vollständig und zutreffend ermittelten Tatsachengrundlage getroffen worden ist und keine Ermessenfehler enthält. Zwar ist die Begründung der Generalstaatsanwaltschaft äußerst knapp ausgefallen, erkennbar hat sie dabei aber zu Recht den Umstand bewertet, dass die vom Verfolgten in seiner Vernehmung vor dem Amtsgericht Tostedt mitgeteilten sozialen Bezüge zur Bundesrepublik Deutschland nicht genügend ausgeprägt sind, um ein schutzwürdiges Interesse des Verfolgten, das gegen seine Auslieferung sprechen könnte, anzunehmen.

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2. Die Auslieferungshaft hatte fortzudauern. Es besteht weiterhin die Gefahr, dass der Verfolgte ohne die Anordnung der Auslieferungshaft sich dem Auslieferungsverfahren entziehen würde. Festere soziale Bindungen des Verfolgten im Bundesgebiet, die dem sich aus der Strafhöhe ergebenden Fluchtanreiz entgegenstehen könnten, sind nicht vorhanden. Der Verfolgte hat sich bis vor kurzer Zeit in anderer Sache in Untersuchungshaft befunden. Seine sozialen Kontakte im Bundesgebiet beschränken sich auf seine Cousine, bei der er auch wohnt.

18

Weniger einschneidende Maßnahmen als der Vollzug der Auslieferungshaft erscheinen hiernach nicht geeignet, deren Zweck, nämlich das Durchführen der zulässigen Auslieferung, zu gewährleisten (§ 25 IRG). Die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Maßnahmen steht gleichfalls nicht in Frage.

III.

19

Der Senat wird gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 IRG eine Haftprüfung durchführen, wenn sich der Verfolgte weitere zwei Monate in Auslieferungshaft befunden haben wird.

 


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