Urteil vom Oberlandesgericht Düsseldorf - I-24 U 77/14
Tenor
1 O 348/12Landgericht Mönchengladbach |
Verkündet am 16.12.2014 S., Justizbeschäftigte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle |
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Oberlandesgericht Düsseldorf IM NAMEN DES VOLKES Urteil |
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In dem Rechtsstreit pp.
hat der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorfauf die mündliche Verhandlung vom 2.12.2014 durch ….für R e c h t erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das am 24.4.2014 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12.481,70 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 8.496,53 EUR seit dem 3.10.2011 und aus 3.985,17 EUR seit dem 21.11.2012 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
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G r ü n d e :
2Die Berufung ist zulässig und - bis auf den gem. § 61 Abs. 8 SGB X geltend gemachten Pauschalbetrag i.H.v. 127,75 EUR - begründet.
31.
4a)Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aufgrund übergegangenen Rechts der Heimbewohnerin Frau B. (im Folgenden: Versicherte) aus §§ 611, 280 Abs. 1 BGB sowie aus §§ 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 116 Abs. 1 SGB X.
5Der Beklagten erwachsen aus dem Heimvertrag Obhutspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihr anvertrauten Versicherten, deren schuldhafte Verletzung zu Schadensersatzansprüchen führen kann (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2005 - III ZR 391/ 04-, juris). Zwar ist der genaue Inhalt des zwischen der Versicherten (gegebenenfalls vertreten durch ihren Betreuer, soweit die gerichtliche Betreuerbestellung diesen Aufgabenbereich umfasst) und der Beklagten geschlossenen Heimvertrages nicht bekannt, weil er im Rechtsstreit nicht eingeführt worden ist. Nach § 3 Abs. 1 HeimG sind Heime jedoch verpflichtet, ihre Leistungen nach dem jeweils allgemein anerkannten Stand fachlicher Erkenntnisse zu erbringen. Weiterhin verpflichtet § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB XI die Pflegeeinrichtungen Pflegebedürftigen entsprechend dem allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse zu pflegen, zu versorgen und zu betreuen. Vorbehaltlich einer hiernach weitergehenden Ausgestaltung der von der Beklagten wahrzunehmenden Pflegeaufgaben traf sie jedenfalls die oben bezeichnete Obhutspflicht.
6Ebenso besteht eine inhaltsgleiche allgemeine Verkehrssicherungspflicht zum Schutz der Heimbewohner vor Schädigungen, die diesen wegen Krankheit oder einer sonstigen körperlichen oder geistigen Einschränkung durch sie selbst oder durch die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Altenheims drohen können. Eine schuldhafte Verletzung dieser Pflichten ist daher geeignet, sowohl einen Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung des Heimvertrags als auch einen damit konkurrierenden deliktischen Anspruch aus §§ 823, 831 BGB zu begründen (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 2005 – III ZR 399/04-, juris; BGH, Urteil vom 14. Juli 2005 – III ZR 391/04 –, juris; Senat, Beschluss vom 20. März 2008 –I-24 U 166/07-, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 21. März 2002 – 5 U 1648/01 –, juris). Diese Pflichten sind allerdings begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind, wobei Maßstab das erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare sind (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 2005, aaO, mwN). Dabei ist insbesondere auch zu beachten, dass beim Wohnen in einem Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbstständigkeit, die Selbstbestimmung und Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern sind (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HeimG). Es kann daher nur aufgrund einer sorgfältigen Abwägung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalles entschieden werden, welchen konkreten Inhalt die Verpflichtung hat, einerseits die Menschenwürde und das Freiheitsrecht eines alten und kranken Menschen zu achten und andererseits sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit zu schützen (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 2005, aaO).
7Vorliegend ist der Unfallhergang vom 01.07.2010 im Einzelnen nicht mehr aufklärbar. Fest steht lediglich, dass die Versicherte trotz des angebrachten Beckengurtes, der sich - aus welchem Grund auch immer - löste, zu Boden gestürzt ist und sich dabei verletzt hat.
8Nach Auffassung des Senats trägt die Beklagte die Beweislast dafür, dass der Sturz der Versicherten nicht auf eine schuldhafte Pflichtverletzung des für sie tätigen Pflegepersonals zurückzuführen ist. Zwar kann, wie im Grundsatz vom Landgericht zutreffend ausgeführt, allein aus dem Umstand, dass die Heimbewohnerin im Bereich des Pflegeheimes der Beklagten gestürzt ist und sich dabei verletzt hat, nicht auf eine schuldhafte Pflichtverletzung des Pflegepersonals der Beklagten geschlossen werden. Vielmehr verbleibt es grundsätzlich bei der allgemeinen Darlegungs- und Beweislast der Anspruchstellerin verbleibt (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 2005, aaO; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. April 2005 – 12 U 170/04-, juris). Vorliegend ergibt sich der Anknüpfungspunkt für die Beweislastumkehr aber daraus, dass die Versicherte im Herrschafts- und Organisationsbereich der Beklagten zu Schaden gekommen ist und die der Beklagten zu treffenden Vertragspflichten auch dahin gegangen sind, die Versicherte gerade vor einem solchen Schaden zu bewahren (vgl. BGH, Urteil vom 18.12.1990 - VI ZR 169/90- juris; BGH, Urteil vom 28. April 2005, aaO). Die Versicherte befand sich im Unfallzeitpunkt in einer konkreten Gefahrensituation, die gesteigerte Obhutspflichten ausgelöst hat. Eine solche wird regelmäßig bei Stürzen während Bewegungs- und Transport- sowie sonstigen pflegerischen Maßnahmen, an denen Pflegepersonal unmittelbar beteiligt ist, angenommen (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 2005, aaO, mwN).
9Das Landgericht hat allein darauf abgestellt, dass sich der Unfall im Wohnbereich der Versicherten, der der vollständigen Überwachung durch das Pflegepersonal entzogen sei, ereignet hat. Hierbei hat es jedoch unberücksichtigt gelassen, dass die Versicherte zu diesem Zeitpunkt mit einem von den Mitarbeitern der Beklagten angelegten Beckengurt fixiert war. Vorliegend wurde dem Betreuer der Versicherten durch Beschluss des Amtsgerichts Erkelenz vom 16.4.2010 (Bl. 19 f. GA) die betreuungsgerichtliche Genehmigung erteilt, einen Beckengurt am Tage und in der Nacht während der Bettruhezeiten einzusetzen. Es handelt sich dabei um die Genehmigung einer unterbringungsähnlichen Maßnahme gemäß § 1906 Abs. 4 BGB (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 2012 - XII ZB 24/12 – ,juris). Die Beklagte durfte (außer vorübergehend in Notfällen) nicht von sich aus die Bewegungsfreiheit der Versicherten durch den Einsatz eines Beckengurtes einschränken, sondern bedurfte dazu der Zustimmung des Betreuers der Versicherten. Da vorliegend seit Geltung des amtsgerichtlichen Beschlusses der Beckengurt durch das Pflegepersonal der Beklagten bei der Versicherten eingesetzt worden ist, ist von einer solchen Anordnung/Zustimmung des Betreuers auszugehen. Die Beklagte war daher aufgrund des bestehenden Heimvertrages i.V.m. dieser Anordnung des Betreuers verpflichtet, einen Beckengurt bei der Versicherten fachgerecht einzusetzen und den Einsatz zu überwachen. Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 9 HeimG besteht eine Dokumentationspflicht für die Anwendung freiheitsbeschränkender Maßnahmen und hat damit auch haftungsrechtliche Relevanz. Der Einsatz und die Überwachung dieser pflegerischen Maßnahme unterliegen damit vollständig dem Gefahren- und Verantwortungsbereich der Beklagten. Da die Anbringung des Fixierungsgurtes und die Überwachung damit quasi als Dauermaßnahme eingesetzt worden sind, galten diesbezüglich auch durchgehend gesteigerte Obhutspflichten. In welchem Bereich des Pflegeheims die Maßnahme durchgeführt wird, ist dabei ohne Belang. Insofern besteht eine Situation, die mit einer Bewegungs- und Transportmaßnahme durchaus vergleichbar ist. Für solche Maßnahmen, bei denen Gefahren für den Pflegebedürftigen vom Pflegepersonal normalerweise beherrschbar sind, hat aber auch der Bundesgerichtshof die Umkehr der Beweislast gebilligt (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 2005, aaO).
10Die Beklagte konnte nicht beweisen, dass sie oder ihre Mitarbeiter keine schuldhafte Pflichtverletzung trifft. Alle denkbaren Ursachen für den Sturz liegen ausschließlich in der Sphäre der Beklagten, wie z.B. Verschleiß, Defekt und unsachgemäßes Verschließen des Beckengurts. Dass der Fixierknopf von der Versicherten selbst bzw. einem Dritten, z.B. einem anderen Bewohner, unbemerkt geöffnet worden sein könnte, ist nach dem erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten bereits ausgeschlossen. Die Beklagte hat insoweit selbst dargelegt, dass der Bauchgurt mit einem Patentschloss versehen war, welches nur mittels eines in Obhut der Pflegefachkräfte befindlichen Magnetschlüssels geöffnet werden konnte. Dies wurde von der Zeugin D., die sich zwar an die konkrete Fixierungsmaßnahme nicht mehr erinnern konnte, hinsichtlich der grundsätzlichen Handhabung bei der Beklagten auch so bestätigt. Die Aussage der Zeugin D. zu der Behauptung der Beklagten, dass diese den Beckengurt ordnungsgemäß angelegt und überwacht habe, ist unergiebig. Sie hatte weder Erinnerung an den Sturz, noch an etwaige Eintragungen in die Pflegedokumentation. Die Zeugin konnte lediglich bestätigen, dass sie in der Originalpflegedokumentation am 1. Juli um 18:30 Uhr den entsprechenden Eintrag vorgenommen hat und es sich eventuell bei den beiden letzten Unterschriften am 17. Juli um ihre Unterschriften gehandelt hat.
11Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch ein Handhabungsfehler nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Versicherte den Gurt bereits mehrere Stunden getragen hat, ohne dass es zu dem Vorfall gekommen ist. Es ist nicht ausgeschlossen, dass durch einen plötzlich auftretenden Unruhezustand es erst zu dem Vorfall kommen konnte.
12Der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es insoweit nicht, da andere Ursachen außerhalb der Sphäre der Beklagten als Ursache des Sturzes nicht in Betracht kommen.
13b)Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 12.481,70 EUR.
14Von den eingeklagten 12.609,45 EUR ist der geltend gemachte Pauschalbetrag i.H.v. 127,75 EUR in Abzug zu bringen. Gemäß § 61 Abs. 8 SGB X sind lediglich die Aufwendungen für ambulante ärztliche Behandlung einschließlich ambulanter Notfallbehandlungen in einem Krankenhaus und Versorgung mit Arznei- und Verbandsmitteln mit 5 Prozent der monatlichen Bezugsgröße (§ 18 SGB IV) zu ersetzen (v. Wulffen/Schütze/Bieresborn SGB X § 116 Rn. 42). Auf den Einwand der Beklagten, dass lediglich Ersatzansprüche aufgrund einer stationären Heilbehandlung geltend gemacht, hat die Klägerin als Anlage K 9 Systemausdrucke (Bl. 86 ff. GA) vorgelegt, aus denen jedoch nicht erkennbar ist, dass das Krankenhaus auch ambulante Leistungen erbracht hat. Gleiches gilt auch für die Rechnung des Hermann-Joseph Krankenhauses vom 16.12.2012 (Bl. 83 GA) sowie für den Entlassungsbericht vom 20.7.2010 (Bl. 84 f. GA).
15Soweit die Beklagte mit Nichtwissen bestreitet, dass die geltend gemachten Kosten in einem kausalen Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 01.07.2010 stehen würden, ist nach der Auffassung des Senats der Nachweis durch die Vorlage der Entlassungsberichte vom 20.7.2010 (Bl. 84 f. GA) und vom 23.8.2010 (Bl. 92 GA), sowie des Arztberichtes vom 06.08.2010 (Bl. 91 GA) sowie der Kausalitätsbestätigungen vom 28.9.2012 (Bl. 90 GA) und vom 17.8.2012 (Bl. 97 GA) gemäß § 287 ZPO erbracht, so dass es der Einholung des von der Klägerin angebotenen Sachverständigengutachtens nicht bedarf.
16Im Übrigen hat die Klägerin die entstandenen Kosten durch Vorlage aller maßgeblichen Rechnungen hinreichend substantiiert dargelegt. Den Einwand der Beklagten, dass die Abrechnung in Gänze nicht nachvollziehbar sei, teilt der Senat nicht. Aus den vorgelegten Arztabrechnungen ist erkennbar und nachvollziehbar, dass die dort aufgeführten Beträge auf die unfallbedingte Behandlung der Versicherten der Klägerin zurückzuführen sind. Die als Anlage K 14 vorgelegte Abrechnung des Sanitätshauses Jansen OHG (Bl. 102 f. GA) bezieht sich auf die Verordnung vom 5.8.2010 (Bl. 105 GA), was sich unzweifelhaft aus den übereinstimmenden Beträgen i.H.v. 1.042,50 EUR ergibt.‘2.Der Zinsanspruch ergibt sich hinsichtlich der Forderung in Höhe von 8.496,53 EUR aus §§ 286 Abs. 1, Abs. 3 i.V.m. 288 Abs. 1 BGB und hinsichtlich der Forderung in Höhe von 3.985,17 EUR aus §§ 291 i.V.m. 288 Abs. 1 BGB.3.Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
17Es bestand kein Anlass die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen.
18Wert der Berufung: 12.609,45 Euro.
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