Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 5 U 66/13
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 08.03.2013 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar; das angefochtene Urteil ist jetzt ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe:
23I.
4Die Klägerin ist Eigentümerin des Gebäudes L-Weg in C. Bei dem als Einfamilienhaus genutzten Gebäude handelt es sich um eine teilunterkellerte Doppelhaushälfte. Diese wurde in den 1930er-Jahren errichtet. In den 1960er-Jahren wurde ein Anbau hinzugefügt.
5Im Jahre 2006 erfolgte eine Sanierung des Gebäudes, die u.a. auch in einem Fassadenanstrich bestand.
6Im Zeitraum von Mitte Oktober 2007 bis April 2008 führte die Streithelferin im Auftrag der Beklagten Straßenbauarbeiten im L-Weg durch. Die Straße wurde ausgekoffert und - unter teilweisem Bodenaustausch - neu hergestellt. Dabei wurde ein neuer Geh-/Radweg angelegt. Vor Durchführung der Arbeiten hatte die Beklagte im Juni 2007 ein Bodengutachten der Fa. F GmbH eingeholt (vgl. Bl. 189 ff.).
7Im Jahr 2009 stellten einige Anwohner des L3 Rissbildungen an ihren Häusern fest und machten deshalb Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte geltend.
8Auch die Klägerin wandte sich mit Schreiben vom 15.10.2009 (vgl. Bl. 147) an die Beklagte. An ihrem Gebäude befinden sich Risse im Wesentlichen im Bereich der Außenwand zur Straße und im Keller.
9Die Nachbarin der Klägerin, L N, nahm die Beklagte ebenfalls auf Schadensersatz in Anspruch. An ihrem ca. 27 Jahre alten, nicht unterkellerten, hauptsächlich gewerblich genutzten Gebäude auf dem L2 waren Anfang des Jahres 2008 Risse in den aufgehenden Bauwerkswänden und Risse in den Fliesen im Wohnbereich (1. OG) aufgetreten. In Absprache mit der Beklagten wurde eine Begutachtung der Schadensursache durch das Erdlabor Dr. L in Auftrag gegeben. In seinem geotechnischen Gutachten vom 20.01.2010 und der ersten Ergänzung vom 17.03.2010 kam das Erdlabor zu dem Ergebnis, Schadensursache für die Rissschäden seien die Bauarbeiten auf dem L-Weg, insbesondere die Verdichtungsarbeiten. Durch die dynamische Beanspruchung der wasserführenden fließfähigen Sande sei es zu Setzungen im Bereich der Südostecke des Gebäudes gekommen (vgl. Bl. 18 ff. und Bl. 88 ff. d.A.).
10Die Klägerin hat behauptet, auch die Risse in ihrem Wohnhaus seien durch die Straßenbauarbeiten verursacht worden. Sie beruhten auf den dynamischen Beanspruchungen der wasserführenden fließfähigen Sande. Die von dem Sachverständigen Dr. L getroffenen Feststellungen seien auch auf ihr Grundstück übertragbar. Die Beklagte hätte die Untergrundverhältnisse der angrenzenden Grundstücke vor der Straßenbaumaßnahme eingehend prüfen müssen. Zur Sanierung der Risse sei ein Betrag von 11. 433,70 € netto erforderlich.
11Die Klägerin hat beantragt,
121.
13die Beklagte zu verurteilen, an sie 11.433,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.10.2009 zu zahlen;
142.
15festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr jeden zukünftigen Schaden als Folge der zwischen Herbst 2007 und Frühjahr 2008 durchgeführten Straßenbauarbeiten im L-Weg, ##### C am Wohnhaus L-Weg, 33607 C zu ersetzen.
16Die Beklagte und die Streithelferin haben beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Die Beklagte hat eine Ursächlichkeit der Straßenbauarbeiten für die Risse am Gebäude der Klägerin bestritten. Dazu hat sie behauptet, bei den gemäß dem Stand der Technik fachgerecht durchgeführten Straßenbauarbeiten sei ein ca. 30 cm hoher Bodenaustausch vorgenommen worden. Die durchzuführenden Arbeiten hätten das Auskoffern bis zu etwa 0,8 m unter der Geländeoberfläche sowie das schichtweise Einbauen der einzelnen Tragschichten unter Verwendung der üblichen Bau- und Verdichtungsgeräte umfasst. Die Schottertragschicht sei mit einem Walzenzug ZA 152 D (Baujahr 2002) auf 150 MN/m² verdichtet worden. Die Bauausführung durch die Streithelferin sei von ihr - der Beklagten - regelmäßig überprüft worden. Auffälligkeiten seien nicht festgestellt worden. Mit Bodenverhältnissen, wie sie das Erdlabor Dr. L auf dem Grundstück N festgestellt habe, habe sie nicht rechnen müssen. Auch sei sie nicht verpflichtet gewesen, die angrenzenden Grundstücke vor der Straßenbaumaßnahme auf die speziellen Untergrundverhältnisse zu untersuchen bzw. untersuchen zu lassen.
19Das Landgericht hat Beweis erhoben, durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen für Schäden an Gebäuden Dipl.-Ing. I vom 03.09.2012 (vgl. Anlage zur Gerichtsakte) und seine Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 18.01.2013 (vgl. Bl. 294 ff.).
20Sodann hat das Gericht die Klage abgewiesen.
21Ein Schadensersatzanspruch stehe der Klägerin weder nach dem verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB noch aus verschuldensabhängiger unerlaubter Handlung im Sinne von §§ 823 Abs. 1, 831 BGB zu.
22Hinsichtlich einiger der streitgegenständlichen Risse am Wohnhaus der Klägerin sei bereits eine Ursächlichkeit der Straßenbauarbeiten nicht feststellbar. Dies gehe zu Lasten der Klägerin, die für die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs beweispflichtig sei.
23Wegen der weiteren streitgegenständlichen Schäden komme zwar nach dem Sachverständigengutachten ein Einfluss der durch die Streithelferin durchgeführten Straßenbauarbeiten in Betracht. Einer weiteren Beweisaufnahme über die Frage der Kausalität bedürfe es jedoch gleichwohl nicht. Denn nach Auffassung des Gerichts stehe der Haftung der Beklagten eine anspruchsausschließende Mitverantwortung der Klägerin für die Schäden entgegen. Sowohl hinsichtlich des zum Teil abgerissenen gipsummantelten Rohrleitungspaketes an der Kellerdecke als auch der wieder aufgerissenen Bauteilfuge zwischen dem Altbau und dem Anbau seien als ganz überwiegende Hauptursachen die festgestellten konstruktiven Gebäudemängel anzuführen.
24Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.
25Das Gericht habe zu Unrecht die Ausführungen des Sachverständigen zur Kausalitätsfrage übernommen, obwohl es sich dabei um eine rechtliche Wertung handele. Baumängel als schadenanfällige Zweitursache schlössen nicht in jedem Fall eine Haftung für die Erstursache aus. Im Gegenteil: Ein schadensanfälliger Zustand gebiete, besondere Vorsicht walten zu lassen.
26Ursächlich im Sinne der Äqvivalenztheorie sei jede Ursache, die nicht hinweggedacht werden könne, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Vorliegend sei es so, dass die Erschütterungsarbeiten nicht hinweggedacht werden könnten, ohne dass die Schäden am Gebäude entfielen. Dabei komme es nicht darauf an, dass das Gebäude in irgendeiner Form anfällig für solche Erschütterungserscheinungen gewesen sei. Entscheidend sei nur, ob die Erschütterungsarbeiten die Schäden ausgelöst hätten und, ob die Klägerin dies dulden müsse.
27Das Landgericht habe ferner übersehen, dass ein Zurechnungszusammenhang auch dann gegeben sei, wenn eine Baumaßnahme den Schaden nicht allein, sondern nur im Zusammenwirken mit einer anderen Ursache herbeiführen habe können (sogenannte Doppelkausalität).
28Des weiteren habe das Landgericht übersehen, dass zugunsten der Klägerin ein Anscheinsbeweis greife, zumal weitere Baumaßnahmen als Schadensursache nicht in Betracht kämen.
29Hinzu komme, dass das Sachverständigengutachten erkennbar unrichtig und ungenügend sei. Der Sachverständige habe sich, da fachgebietsfremd, nicht mit seinem Gutachterauftrag auseinander gesetzt und überhaupt nicht damit begonnen, zu ermitteln, ob Erschütterungsarbeiten Ursache der Schäden an dem Haus der Kläger gewesen sein könnten oder nicht. Schon gar nicht habe er sich mit den Feststellungen der Bodensachverständigen befaßt.
30Sodann hat die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung die Feststellungen des Sachverständigen zu den Ursachen der konkreten Rissschäden in und an ihrem Gebäude im Einzelnen kritisiert.
31Des weiteren führt die Klägerin zur Begründung ihrer Berufung aus, dass die Annahme eines Mitverschuldens auf ihrer Seite auch ihre Kenntnis voraussetze, dass ihr Gebäude mit Baumängeln behaftet (gewesen) sei. Denn der Mitverschuldenseinwand erfordere Vorhersehbarkeit. Dies sei vorliegend aber nicht der Fall gewesen. Auch sei ihr etwaiges Verschulden der bauausführenden Personen, die das Gebäude errichtet und saniert hätten, nicht zuzurechnen. Im Verhältnis zu der Beklagten seien solche keine Erfüllungsgehilfen gewesen, §§ 254 Abs. 2 S. 2, 278 BGB.
32Die Klägerin beantragt,
33unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils
341.
35die Beklagten zu verurteilen, an sie 11.433,70 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.10.2009 zu zahlen;
362.
37festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr jeden zukünftigen Schaden als Folge der zwischen Herbst 2007 und Frühjahr 2008 durchgeführten Straßenbauarbeiten im L-Weg, ##### C, am Wohnhaus L-Weg, ##### C, zu ersetzen.
38Die Beklagte und ihre Streithelferin beantragen,
39die Berufung zurückzuweisen.
40Sie verteidigen das angefochtene Urteil, in dem sie ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholen und vertiefen.
41Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
42II.
43Die Berufung der Klägerin ist unbegründet, denn das Landgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen.
44Die Klage ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt (§§ 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG; 823 Abs. 1, 31, 89 und/oder 831 Abs. 1 BGB sowie § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog) begründet. Auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils wird zunächst Bezug genommen.
45Ergänzend wird noch angemerkt:
461.
47Eine Haftung der Beklagten aus verschuldensabhängiger unerlaubter Handlung im Sinne der §§ 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG; 823 Abs. 1, 31, 89 und/oder 831 Abs. 1 BGB scheidet von vornherein aus.
48Die Klägerin hat weder in erster Instanz noch in der Berufungsinstanz Anhaltspunkte aufgezeigt, die eine schuldhaft fehlerhafte Planung und/oder unfachmännisch durchgeführte Arbeiten der Streithelferin bei den Straßenbauarbeiten Mitte Oktober 2007 bis April 2008 nahelegen. Auch der dahingehend durch den Senat befragte Sachverständige Dipl.‑Ing. I hat ausgeführt, dass ihm keine Anhaltspunkte nach Aktenlage ersichtlich seien, die ein fehlerhaftes Arbeiten der Streithelferin kennen ließen. Dies gelte auch für das eingesetzte Gerät.
492.
50Auch ein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB kommt nicht in Betracht.
51a.
52Die Klägerin hat – obwohl insoweit beweispflichtig – nicht den Nachweis zu führen vermocht, dass die an und in ihrem Haus festgestellten Risse ausschließlich auf die Einwirkungen zurückzuführen sind, die in der Ausbauphase (Mitte Oktober 2007 bis April 2008) von dem Straßengrundstück ausgingen.
53Vielmehr ist umgekehrt nach den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. I in erster Instanz und vor dem erkennenden Senat hinsichtlich einiger der geltend gemachten Risse im und am Haus der Klägerin noch nicht einmal eine Mitursächlichkeit der Straßenbauarbeiten festzustellen.
54aa) Risse im Sockelbereich
55Der Sachverständige hat insoweit festgestellt, dass es sich nicht um Mauerwerksrisse handelt, sondern um Aufwölbungen und Korrosionen in der Bitumendickbeschichtung oder des Zementputzes/Mörtels (vgl. das schriftliche Gutachten S. 9 f. und die mündliche Anhörung des Sachverständigen durch die Kammer Bl. 295 d.A.).
56In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat hat der Sachverständige dazu noch einmal erläuternd ausgeführt, dass durch die kapillare Aufnahme von Feuchtigkeit sich das Volumen des Sockelputzes vergrößert hat, was zu den festgestellten Rissen geführt hat. Dies ist eine Art Korrosionsprozess. Konstruktive Mauerwerksrisse scheiden aus. Es kann dahingestellt bleiben, aus welchem Material der Putz hergestellt worden ist. Jedenfalls kann ein fachgerecht angebrachter Mörtel bei den hier in Rede stehenden Straßenbauarbeiten – trotz der sicherlich wahrnehmbaren Erschütterung – keinen Schaden nehmen.
57bb) Deckenriss in einem der hinteren Kellerräume, übergehend in einen Wandriss
58Der Sachverständige hat festgestellt, dass dieser Riss wegen seines ersichtlichen Alters, was an der starken Verschmutzung der Rissufer erkennbar sei und seiner Typologie (von oben nach unten verlaufend) durch Zugspannung in der Kellerdecke und nicht durch die Straßenbauarbeiten und die damit verbundenen Erschütterungen entstanden ist (vgl. sein schriftliches Gutachten S. 10 unten und seine Anhörung durch die Kammer, Bl. 295).
59In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Sachverständige dazu ergänzend ausgeführt, dass eine Mitursächlichkeit für die festgestellte Rissbildung durch die in Rede stehenden Straßenbauarbeiten entfällt. Hierfür hätte an irgendeiner Stelle eine Senkung des Bauwerkes als Ursache der Zugspannung in der Kellerdecke festgestellt werden müssen. Diese Senkung hätte ggf. zu Rissen im Bereich der Fundamente und insbesondere im unteren Bereich des Mauerwerkes geführt. Solche Risse sind aber nicht festgestellt worden. Vielmehr ist der vorliegende Riss von der Decke und nicht vom Fundamentbereich ausgegangen.
60cc) Diagonalrisse an den Fensterecken
61Der Sachverständige hat insoweit festgestellt, dass diese Risse kurz nach der Erstellung des Gebäudes durch unterschiedliche vertikale Druckspannungen entstanden sind (vgl. sein schriftliches Gutachten S. 8 f. und die mündliche Anhörung des Sachverständigen durch die Kammer Bl. 294 R).
62Vor dem Senat hat der Sachverständige nachvollziehbar erläutert, dass er nicht beurteilen kann, ob die Risse durch die Klägerin entdeckt worden seien oder nicht. Es handele sich um relativ feine Risse, die durch einen Anstrich leicht überdeckt werden. Aufgrund der Typologie der Risse scheidet als Ursache eine Setzung des Gebäudes aus. Setzrisse zeigen ein anderes Erscheinungsbild (s.o.). Eine Mitursächlichkeit der Straßenbauarbeiten diese Risse konnte der Sachverständige nicht feststellen.
63b.
64Hinsichtlich zweier Bauwerksschäden hat der Sachverständige eine Mitursächlichkeit der Straßenbauarbeiten für plausibel und vorstellbar gehalten, ohne dies allerdings sicher feststellen zu können.
65aa)
66Abriss des Rohrleitungspaketes von der Kellerdecke
67Insoweit hat der Sachverständige festgestellt, dass eine Erschütterung infolge der Straßenbauarbeiten „auslösend gewesen“ sein mag. Ursächlich sei jedoch eine fehlende mechanische Aufhängung des Rohrleitungspaktes an der Decke gewesen. Es sei Zufall gewesen, dass die Befestigung lediglich mit Gips über viele Jahre an der Decke gehalten habe. Bei handwerklich korrekter Ausführung mit einer Rohrschellenbefestigung hätte ein solches Paket auch bei Erschütterungen nicht von der Decke abreißen dürfen (vgl. schriftliches Gutachten Seite 10 und mündliche Anhörung durch die Kammer Bl. 295 unten).
68In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Sachverständige dieses Ergebnis noch einmal erläutert. Dabei hat er nicht ausgeschlossen, dass das Rohrleitungspaket ohne die Straßenbauarbeiten noch weitere ca. 20 Jahre unbeschädigt unter der Kellerdecke gehangen hätte. Andererseits hat er klargestellt, dass bereits die Erschütterung durch einen Schwerlastzug den vorgefundenen Schaden verursacht haben kann, so dass eine Mitursächlichkeit nicht festgestellt werden kann.
69Entgegen der Auffassung der Klägerin streitet für sie kein Anscheinsbeweis. An dem L-Weg grenzen mindestens 20 bebaute Grundstücke an (vgl. Google-earth). Allein der Umstand, dass sich angeblich bei 4 dieser Immobilien nach den in Rede stehenden Straßenbauarbeiten der Beklagten Risse und Schäden vergleichbarer Art zeigten, stellt nach der Lebenserfahrung keinen typischen Geschehensablauf dar, von dem auf den zu beweisenden Ursachenzusammenhang geschlossen werden kann. Dies gilt umso mehr, als die Risse nach Angaben der Klägerin erst etwa eineinhalb Jahre nach Abschluss der Arbeiten festgestellt worden sind. Wäre der Abriss des Rohrleitungspaketes durch die bebedingten Erschütterungen erfolgt, so wäre dieser Abriss zeitnah zu erwarten gewesen.
70Auch das Gutachten des Erbbaulabors L vom 20.01.2010 (Bl. 18 ff.) hilft der Klägerin hier nicht weiter. Die dort getroffenen Feststellungen sind auf ihre Immobilie nicht übertragbar. Bei dem Objekt ihrer Nachbarin N, L2 handelt es sich um ein Gebäude, was erst ca. 27 Jahre alt ist. Zudem ist es – anders als das Objekt der Klägerin L-Weg – nicht unterkellert. Das bedeutet, dass von einer ganz anderen Gründungstiefe (mindestens 2,5 m) mit ggf. völlig anderen Bodenverhältnissen auszugehen ist.
71Selbst wenn die Straßenbauarbeiten als Mitursache für den Abriss des Rohrleitungspaktes neben seiner unsachgemäßen Anbringung sicher feststünden, ist (bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen) gleichwohl ein Ausgleichsanspruch wegen der vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen (Mit-) Verursachungsbeiträge nicht gegeben.
72§ 254 Abs. 1 BGB ist im Rahmen des Ausgleichsanspruches entsprechend anzuwenden, wenn die Klägerin im Zuge der Errichtung ihrer Immobilie einen Mitverursachungsbeitrag zum Abriss des Rohrleitungspaketes – wenn auch schuldlos – geleistet hat. Die Klägerin soll im Rahmen der entsprechenden Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB lediglich einen billigen Ausgleich erhalten. Da es insoweit von vornherein auf die Abwägung aller Umstände ankommt, wäre es nicht zu rechtfertigen, dass die Beklagte der Klägerin ohne Verschulden Ersatz zu leisten hat, deren eigener Beitrag zu dem schädigenden Ereignis aber unberücksichtigt bliebe (vgl. BGH NJW-RR 1988, 136 ff. Rdn. 38 und Rdn. 40 zitiert nach Juris).
73Mithin kommt es bei der vorzunehmenden Abwägung – entgegen der Auffassung der Klägerin – weder darauf an, ob sie sich ein etwaiges Verschulden der bauausführenden Personen, die das Gebäude errichtet und später saniert haben, gegenüber der Beklagten gem. §§ 254 Abs. 2, 278 BGB zurechnen lassen muss oder nicht. Noch spielt es eine Rolle, ob die Klägerin Kenntnis von den Baumängeln an ihrem Gebäude hatte. Zu Lasten der Klägerin ist vielmehr auch eine schuldlose Mitverursachung zu berücksichtigen, da Haftungsbegründung und Haftungsbeschränkung korrespondieren (vgl. BGH a.a.O. und Palandt-Grüneberg, a.a.O., § 254 BGB, Rdn. 11).
74Der Verursachungsbeitrag der Klägerin steht hinsichtlich der abgerissenen Gipsummantelung des Rohrleitungspaketes derart im Vordergrund, dass etwaig mitursächliche Erschütterungen durch die Straßenbauarbeiten der Beklagten dahinter völlig zurücktreten. Es liegt nach der Darstellung des Sachverständigen wegen der fehlenden mechanischen Aufhängung ein eindeutiger konstruktiver Mangel vor. Je länger ein solches Rohrleitungspaket ohne mechanische Aufhängung an der Decke befestigt ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich von selbst löst. Allein die bloße Gebäudenutzung reicht dazu aus (vgl. die mündlichen Ausführungen des Sachverständigen Bl. 294 R, 295). Mithin war es tatsächlich reiner Zufall, dass sich das Rohrleitungspaket angeblich während der Straßenbauarbeiten gelöst hat. Durch die unfachmännische Art der Befestigung war der Schaden, wie er sich sodann realisiert hat, bereits angelegt. Es wäre unbillig, wenn dafür die Beklagte einzustehen hätte (BGH NJW 1956, 1027, vgl. Palandt, Grüneberg, a.a.O., vor § 249 Rdn. 57).
75bb.
76Rissbildung an der Bauteilfuge
77Sinngemäß gelten die Ausführungen wie unter 2 a).
78In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Sachverständige dazu ausgeführt, dass durch eine fachgerechte Sanierung dieser Bauteilfuge im Jahre 2006 – etwa im Rahmen der Malerarbeiten durch Verklebung mit einem Gazestreifen ‑ die erneute Öffnung der Fuge leicht hätte vermieden werden können.
79Die nicht fachgerecht geschlossene Fuge hat sich durch die Straßenbauarbeiten und die damit verbundenen Erschütterungen leicht wieder öffnen können. Alternative Ursachen können aber auch Schwerlastverkehr oder der bloße Zeitablauf sein.
80Selbst wenn die Straßenbauarbeiten als Mitursache für die Risse an der Bauteilfuge unterstellt würden, kommt ein Ausgleichsanspruch nach Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge nicht in Betracht. Nach den Ausführungen des Sachverständigen war auch insoweit der Schaden, wie er sich sodann realisiert hat, bereits angelegt. Das letztendlich auslösende Moment – also die durch die Straßenbauarbeiten bewirkten Erschütterungen – war rein zufällig. Es hätte auch – so der Sachverständige – ein Schwerlaster sein können. Die Klägerin hat es tatsächlich über Jahrzehnte versäumt, die Bauteilfuge handwerksgerecht mit dem Mauerwerk zu verzahnen. Es wäre unbillig, wenn diese Arbeiten nunmehr auf Kosten der Beklagten durchgeführt werden würden, obwohl die von der Beklagten gesetzte Mitursache für das vorliegende Schadensbild nur zufällig und beliebig austauschbar ist.
81III.
82Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
83Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
84Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
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Referenzen
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- ZPO § 543 Zulassungsrevision 1x
- BGB § 254 Mitverschulden 4x
- ZPO § 713 Unterbleiben von Schuldnerschutzanordnungen 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x
- BGB § 906 Zuführung unwägbarer Stoffe 3x
- BGB § 839 Haftung bei Amtspflichtverletzung 1x
- BGB § 823 Schadensersatzpflicht 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- BGB § 278 Verantwortlichkeit des Schuldners für Dritte 2x
- BGB § 831 Haftung für den Verrichtungsgehilfen 1x