Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 11 W 17/22
Tenor
Die Gegenvorstellung der Antragstellerin vom 02.06.2022 gegen den Senatsbeschluss vom 05.05.2022 wird als unzulässig verworfen
Gründe:
11.
2Die Gegenvorstellung ist unzulässig. Denn der Senat ist an seine Entscheidung vom 05.05.2022 in entsprechender Anwendung von § 318 ZPO gebunden und darf sie aufgrund der erhobenen Gegenvorstellung nicht nachträglich ändern.
3Die Gegenvorstellung stellt eine Anregung an das Gericht dar, eine für die Partei unanfechtbarer Entscheidung zu ändern. Daher kommt sie nur dann in Betracht, wenn das Gericht zu einer Änderung seiner Entscheidung befugt ist und diese auch von Amts wegen vornehmen durfte (BVerfG, Beschluss vom 25.11.2008 – 1 BvR 848/07, juris Rn. 39; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Auflage 2018, § 567 Rn. 30). Die Gegenvorstellung dient der Selbstkorrektur von unanfechtbaren Entscheidungen; diese können aber nicht über den Umweg der Gegenvorstellung anfechtbar gemacht werden (BGH, Beschluss vom 18.10.2018 – IX ZB 31/18, juris Rn. 13).
4Eine Gegenvorstellung kommt insbesondere in Betracht, wenn Entscheidungen angegriffen werden, die nicht der materiellen Rechtskraft fähig sind (BGH, Beschluss vom 19.07.2018 – V ZB 6/18, juris Rn. 11; Wulf, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 44. Edition, Stand: 01.03.2022, § 567 Rn. 19). Dazu zählen verfahrensleitende Verfügungen und Beschlüsse wie Terminverfügungen oder Entscheidungen in unselbständigen Nebenverfahren, wie die Erteilung der Vollstreckungsklausel oder die Ablehnung von Prozesskostenhilfe im Berufungs- und Revisionsverfahren. Soweit das Gericht oder der Vorsitzende eine Entscheidung auch ohne Antrag ändern darf, wie etwa in den Fällen der §§ 150, 155, 227 Abs. 4, 319, 360 ZPO, ist auch diese auf Gegenvorstellung jederzeit abänderbar.
5Unzulässig ist eine Gegenvorstellung aber gegen Entscheidungen, an die das Gericht entsprechend § 318 ZPO gebunden ist. Zwar bezieht sich § 318 ZPO dem Wortlaut nach nicht auf Beschlüsse; auch § 329 Abs. 1 S. 2 ZPO enthält keine dahingehende Verweisung. Gleichwohl können auch Beschlüsse für das erlassende Gericht bindend sein, wobei Eintritt und Reichweite der Bindungswirkung maßgeblich von der Art des jeweiligen Beschlusses abhängen. So ist anerkannt, dass Beschlüsse, die auf sofortige Beschwerde ergangen sind und der Rechtsbeschwerde unterliegen, in entsprechender Anwendung von § 318 ZPO unabänderlich und damit grundsätzlich bindend sind; eine Änderung kann nur im Wege der Rechtsbeschwerde durch das Rechtsbeschwerdegericht erfolgen, nicht aber auf eine Gegenvorstellung durch das Gericht, das den Beschluss erlassen hat (BGH, Beschluss vom 18.10.2018 – IX ZB 31/18, juris Rn. 13; BGH, Beschluss vom 19.07.2018 – V ZB 6/18, juris Rn. 10).
6Ist die Rechtsbeschwerde – wie im vorliegenden Fall – mangels Zulassung nicht eröffnet und die Beschwerdeentscheidung damit formell rechtskräftig, kommt eine Abänderung zwar grundsätzlich in Betracht, scheidet aber aus, wenn die Entscheidung bindend geworden ist, insbesondere wenn sie materielle Rechtskraft erlangt hat (Hamdorf, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, Vorbemerkung zu § 567 Rn. 19). So ist etwa die Entscheidung des Beschwerdegerichts, mit der ein versagter Zuschlag erteilt oder ein erteilter Zuschlag versagt wird, nicht abänderbar, da diese Entscheidung materielle Rechtskraft erlangt,
7weil sich durch sie unmittelbar die materielle Rechtslage hinsichtlich des Eigentums an dem Grundstück ändert (BGH, Beschluss vom 19.07.2018 – V ZB 6/18, juris Rn. 11; BGH, Beschluss vom 01.10.2009 – V ZB 37/09, juris Rn. 8 f.).
8Auch der Beschluss, mit dem der Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zurückgewiesen wird, entfaltet materielle Rechtskraft. Wird eine gegen diesen Beschluss erhobene sofortige Beschwerde zurückgewiesen, wie dies mit dem Senatsbeschluss vom 05.05.2022 erfolgt ist, entfaltet auch dieser Beschluss formelle Rechtskraft. Beschlüsse sind der materiellen Rechtskraft fähig, wenn sie in formeller Rechtskraft erwachsen und inhaltlich eine der Rechtskraft fähige Entscheidung enthalten (BGH, Beschluss vom 03.03.2004 – IV ZB 43/03, juris Rn. 6 m. w. N.). Der Senatsbeschluss vom 05.05.2022 ist formell rechtskräftig, da die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen wurde. Er ist auch materiell rechtskräftig. Ob materielle Rechtskraft vorliegt, ist am Zweck des in den §§ 322, 325 ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens zu messen. Dieser zielt darauf ab, einen kontradiktorischen Parteienstreit endgültig zu befrieden, der über denselben Streitgegenstand nicht wiederholt werden soll (BGH, Beschluss vom 03.03.2004 – IV ZB 43/03, juris Rn. 9). Für eine materielle Rechtskraftwirkung muss die Wirkung des Beschlusses also über das konkrete Verfahren hinausgehen (Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Auflage 2022, § 329 Rn. 17). Das selbstständige Beweisverfahren macht zwar den Hauptanspruch selbst nicht rechtshängig. In materieller Rechtskraft erwächst aber die Entscheidung über die Begründetheit des Antrages auf selbstständige Beweiserhebung (Kratz, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 44. Edition, Stand: 01.03.2022, § 485 Rn. 17; vgl. auch Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Auflage 2022, § 490 Rn. 7). Beschlüsse im selbständigen Beweisverfahren sind daher im Gegensatz zu Beweisbeschlüssen der materiellen Rechtskraft fähig, soweit sachlich darüber entschieden wird, ob der Antragsteller die angestrebte Maßnahme verlangen und die darauf beruhende Beweisaufnahme zur Grundlage weiterer Verfahrenshandlungen im Hauptprozess werden kann (Schreiber, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 485 Rn. 24; Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Auflage 2022, § 485 Rn. 3). Ferner können an diese Entscheidungen auch materiell-rechtliche Folgen geknüpft sein, wie etwa eine Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB.
9Auch der BGH geht davon aus, dass eine Entscheidung im selbstständigen Beweisverfahren in materieller Rechtskraft erwachsen kann. Tritt etwa der Antragsteller eines selbständigen Beweisverfahrens die von ihm behaupteten Gewährleistungsansprüche noch während der Begutachtung ab, so kann der Zessionar seinerseits nicht ein erneutes selbstständiges Beweisverfahren mit den identischen Beweisfragen einleiten. Dies folge aus dem auch auf das selbständige Beweisverfahren anwendbaren Rechtsgedanken des § 325 ZPO (BGH, Beschluss vom 27.10.2011 – VII ZB 126/09, juris Rn. 21).
10Die Bindung des Senats an den Beschluss vom 05.05.2022 folgt ferner aus dem Umstand, dass durch diesen Beschluss das Verfahren abgeschlossen wurde. Unanfechtbare Beschlüsse sind nur abänderbar, solange das Gericht noch mit dem Gegenstand befasst ist, auf den sich der Beschluss bezieht und der Beschluss nicht überholt ist. Beschlüsse, mit denen ein Verfahren abgeschlossen wird, sind daher stets bindend (Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Auflage 2015, § 329 Rn. 19). Dies betrifft unter anderem Verweisungsbeschlüsse oder Beschlüsse, mit denen ein Rechtsmittel verworfen wird (Bach, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 44. Edition, Stand: 01.03.2022, § 329 Rn. 39). Nichts anderes gilt für den angegriffenen Senatsbeschluss, durch den das Beschwerdeverfahren beendet wurde.
112.
12Die Gegenvorstellung hätte im Übrigen auch in der Sache keinen Erfolg.
13Der Senat nimmt zur Kenntnis, dass sich der Antragsgegner „inzwischen“ an die Antragstellerin gewandt haben und sie zu Nachweisen im Sinne von § 20a Abs. 2 IfSG aufgefordert haben soll. Dieser in der Gegenvorstellung nicht weiter präzisierte Sachvortrag ist neu und konnte dementsprechend bei der Beschlussfassung des Senats vom 05.05.2022 nicht berücksichtigt werden. Der Rechtsansicht, dass sich ein Rechtsverhältnis, aus dem sich ein möglicher Amtshaftungsanspruch der Antragstellerin als Grundlage für ein selbständiges Beweisverfahren ergeben könnte, unmittelbar aus dem IfSG ableiten lässt, ist aus den im Beschluss vom 05.05.2022 dargelegten Gründen nicht zu folgen. Hier wiederholt die Gegenvorstellung nur den – vom Senat nicht geteilten, unzutreffenden – Rechtsstandpunkt der Antragstellerin.
14Hinweise des Senats zur Zulässigkeit der von der Antragstellerin formulierten Beweisfragen waren nicht geboten, weil es an den weiteren Voraussetzungen für ein selbständiges Beweisverfahren fehlte, an denen eine Neufassung der Beweisfragen nichts geändert hätte. Der Gegenvorstellung kann der Senat zudem keine (geänderte) Antragstellung entnehmen, die zu einer in einem selbständigen Beweisverfahren zulässigen Antragstellung führen würde. Die diesbezüglichen Ausführungen der Antragstellerin in der Gegenvorstellung rechtfertigen keine von den Gründen des Senatsbeschlusses vom 05.05.2022 abweichende Bewertung der von der Antragstellerin in der Antragsschrift formulierten Beweisanträge.
15An seiner Rechtsauffassung, dass ein Rechtsschutzinteresse an der Durchführung eines zivilgerichtlichen selbständigen Beweisverfahrens zur Klärung der Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruch zweifelhaft ist, wenn die in Frage stehenden Beweisfragen im Rahmen eines Primärrechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten – auch bei diesen kann ggfls. gem. § 98 VwGO i.V.m. § 485 Abs. 2 ZPO ein selbständiges Beweisverfahren durchgeführt werden (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 12.04.2018 – 2 B 227/18, BeckRS 2018, 9397) – zu klären
16wären, hält der Senat aus den Gründen seines Beschlusses vom 05.05.2022 ebenfalls fest. Die Frage des Rechtsschutzinteresses steht auch im selbständigen Beweisverfahren nicht zur Disposition der Parteien, sondern ist vom angerufenen Gericht zu entscheiden. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde war insoweit bereits deswegen nicht veranlasst, weil der Senat diese Frage nicht abschließend entschieden hat.
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Referenzen
- ZPO § 150 Aufhebung von Trennung, Verbindung oder Aussetzung 1x
- ZPO § 485 Zulässigkeit 1x
- 1 BvR 848/07 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 227 Terminsänderung 1x
- ZPO § 325 Subjektive Rechtskraftwirkung 2x
- ZPO § 329 Beschlüsse und Verfügungen 1x
- ZPO § 360 Änderung des Beweisbeschlusses 1x
- VII ZB 126/09 1x (nicht zugeordnet)
- IV ZB 43/03 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 319 Berichtigung des Urteils 1x
- ZPO § 318 Bindung des Gerichts 4x
- BGB § 204 Hemmung der Verjährung durch Rechtsverfolgung 1x
- § 20a Abs. 2 IfSG 1x (nicht zugeordnet)
- V ZB 37/09 1x (nicht zugeordnet)
- V ZB 6/18 3x (nicht zugeordnet)
- IX ZB 31/18 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 98 1x
- ZPO § 322 Materielle Rechtskraft 1x
- ZPO § 155 Aufhebung der Aussetzung bei Verzögerung 1x
- 2 B 227/18 1x (nicht zugeordnet)