Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (2. Strafsenat) - 2 Ws 27/15

Tenor

Die Beschwerde der Zeugin B. gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 1, vom 2. Februar 2015, wird auf Kosten der Beschwerdeführerin verworfen.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin wurde in einem gegen den Angeklagten Bü. unter anderem wegen versuchten Mordes (§§ 211 Abs. 1, Abs. 2, 5. Var., 22, 23 Abs. 1 StGB StGB) und Geiselnahme (§ 239b Abs. 1 StGB) geführten Strafverfahren zu einem Hauptverhandlungstermin am 22. Dezember 2014 als Zeugin geladen, wo sie nach Erscheinen eine Vernehmung unter Hinweis darauf verweigerte, sie habe in ihrer früheren polizeilichen Vernehmung in diesem Verfahren möglicherweise einige „Dinge gesagt, die so nicht stimmen“. Die Strafkammer wies darauf hin, dass nach dortiger Auffassung keine Anhaltspunkte für ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht der Zeugin vorlägen. Aufgrund von Hinweisen auf behandlungsbedürftige psychische Probleme der Zeugin unterbrach die Strafkammer gleichwohl die Vernehmung, um sie im Beisein eines Rechtsbeistandes am 20. Januar 2015 fortzusetzen.

2

Mit Schreiben vom 8. Januar 2015 wies sich Rechtsanwältin D., die im vorliegenden Verfahren auch schon für den früheren Mitbeschuldigten Ba. als Verteidigerin tätig geworden ist, als von der Zeugin bevollmächtigt und mit der Wahrnehmung der Funktion eines Rechtsbeistandes in der Hauptverhandlung am 20. Januar 2015 beauftragt aus. Zugleich beantragte Rechtsanwältin D. für die Zeugin ihre Beiordnung als Rechtsbeistand gemäß § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO, die - obgleich die Zeugin nunmehr bereits über einen anwaltlichen Beistand verfügte - auch erfolgte.

3

Mit Schreiben vom 19. Januar 2015 reichte Rechtsanwältin D. ein Schreiben zur Verfahrensakte, mit welchem die Beschwerdeführerin in allgemeiner Form einer Straftat nach § 164 StGB beschuldigt wurde, da sie in ihren früheren polizeilichen Vernehmungen falsche Angaben gemacht habe, woraus sich ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO ergebe.

4

Im Rahmen der Fortsetzung ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung vom 20. Januar 2015 verweigerte die Beschwerdeführerin unter Berufung auf § 55 StPO Angaben zu sämtlichen „Punkten, die Gegenstand [ihrer] Vernehmung bei der Polizei waren“. Die Strafkammer verhängte daraufhin gegen sie ein Ordnungsgeld in Höhe von 200 EUR, ersatzweise vier Tage Ordnungshaft, und erlegte ihr die durch ihre Aussageverweigerung entstandenen Kosten und notwendigen Auslagen auf.

5

Hiergegen hat die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz der Rechtsanwältin D. vom 1. Februar 2015 Beschwerde eingelegt, der das Landgericht nicht abgeholfen hat und auf deren Verwerfung mit der Maßgabe, dass das festgesetzte Ordnungsgeld in zwei monatlichen Raten zu je 100 EUR zu zahlen sei, die Generalstaatsanwaltschaft angetragen hat.

II.

6

Die nach §§ 304 Abs. 1 und 2 StPO statthafte Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Voraussetzungen der Verhängung eines Ordnungsgeldes sowie der weiteren in § 70 Abs. 1 StPO vorgesehenen Rechtsfolgen liegen vor.

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1. Die Beschwerdeführerin hat in der Hauptverhandlung vom 20. Januar 2015 das Zeugnis ohne gesetzlichen Grund schuldhaft verweigert, § 70 Abs. 1 Satz 1 StPO. Insbesondere steht ihr kein Recht auf die Verweigerung von Auskünften nach § 55 Abs. 1 StPO zu.

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a) Nach § 55 Abs. 1 StPO kann ein Zeuge unter anderem die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat verfolgt zu werden.

9

Das Verweigerungsrecht besteht nur dann, wenn die Verfolgungsgefahr sich auf von dem Zeugen früher begangene Straftaten bezieht, und erfasst mithin nicht den Fall, dass ein Zeuge sich - aus welcherlei Gründen auch immer - veranlasst sieht, erst zukünftig im Rahmen derjenigen Auskünfte, die er unter Berufung auf § 55 StPO verweigert, falsche Angaben zu machen und sich auf diese Weise der Strafverfolgung wegen einer erst noch zu begehenden Tat auszusetzen (vgl. nur Fischer StGB § 55 Rn. 4).

10

Ein Auskunftsverweigerungsrecht im vorgenannten Sinne kann sich grundsätzlich auch daraus ergeben, dass ein Zeuge durch wahrheitsgemäße Angaben den Verdacht begründen würde, er habe sich bei früheren Aussagen durch falsche Angaben strafbar gemacht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 55 Rn. 7; BGH MDR 53, 402; BGH NJW 2008, 2038 zur insoweit vergleichbaren Regelung des § 384 Nr. 2 ZPO). Allerdings muss es für die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung konkrete tatsächliche Anhaltspunkte geben; bloße Vermutungen oder rein denktheoretische Möglichkeiten reichen nicht aus (BVerfG wistra 2010, 299 f.; BGH NJW 1994, 2839 f.; BGH NStZ 1999, 415 f.).

11

Ob eine Verfolgungsgefahr besteht, unterliegt der tatsächlichen Beurteilung durch den Tatrichter, dem insoweit ein Beurteilungsspielraum zukommt (BVerfG aaO. m. w. Nachw.).

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b) Nach diesen Grundsätzen kann es im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob die Behauptung früherer Falschangaben der Beschwerdeführerin, die jedenfalls in dem von der Strafkammer im Nichtabhilfebeschluss mitgeteilten vorläufigen Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme keine Stütze finden, bereits hinreichend konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für die Gefahr einer Strafverfolgung darstellen.

13

Jedenfalls ist die Beschwerdeführerin im vorliegenden Verfahren schon deshalb nicht zur Verweigerung von Auskünften berechtigt, weil auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht davon auszugehen ist, dass im Falle wahrheitsgemäßer Angaben die Gefahr einer Strafverfolgung, namentlich wegen einer Straftat nach § 164 Abs. 1 StGB, besteht.

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aa) Die Strafbarkeit nach § 164 Abs. 1 StGB setzt eine objektiv falsche Verdächtigung eines anderen durch den Täter voraus. Wer lediglich wider besseres Wissen ein falsches Beweismittel oder Beweisanzeichen für die rechtswidrige Tat eines anderen vorbringt, erfüllt den Tatbestand nicht, wenn der andere die rechtswidrige Tat (möglicherweise) begangen hat (BGHSt 35, 50 ff.; vgl. Fischer § 164 Rn 6 m. w. Nachw.). Der Tatbestand des § 164 Abs. 1 StGB ist deshalb - unbeschadet selbst bewusst wahrheitswidriger Behauptungen des Verdächtigenden - nur dann erfüllt, wenn der Verdächtigte tatsächlich nicht Täter der ihm vorgeworfenen rechtswidrigen Tat ist (OLG Koblenz NZV 2011, 93 f.).

15

Hiernach droht der Beschwerdeführerin auch dann keine Strafverfolgung wegen des Vorwurfs einer Straftat nach § 164 Abs. 1 StGB, wenn sie tatsächlich wie vorgetragen bei ihren früheren polizeilichen Vernehmungen Angaben gemacht haben sollte, die in dem Sinne unwahr sind, als der Angeklagte dadurch mit der Behauptung tatsächlich unzutreffender Tatsachen belastet wird. Denn aus den Ausführungen der Strafkammer im Nichtabhilfebeschluss vom 4. Februar 2015 geht hervor, dass nach vorläufiger Auffassung der Strafkammer die Täterschaft des Angeklagten Bü. sowohl durch andere Zeugen als die Beschwerdeführerin, als auch durch objektive Beweismittel wie insbesondere Schmauchspuren an seiner Hand belegt sei.

16

Diese von der Strafkammer knapp, aber noch ausreichend konkret mitgeteilte Bewertung erscheint nachvollziehbar. Eine darüber hinausgehende Überprüfung kann im Beschwerdeverfahren nicht stattfinden, da die entsprechende Würdigung maßgeblich auf einer Bewertung des bisherigen Ergebnisses der in der Hauptverhandlung durchgeführten Beweisaufnahme beruht, in deren Verlauf der Senat keinen Einblick hat.

17

Da mithin keine Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, dass der Angeklagte nicht zumindest möglicherweise die ihm im vorliegenden Verfahren vorgeworfenen Taten begangen hat, ist von der Gefahr einer Strafverfolgung der Beschwerdeführerin nach § 164 Abs. 1 StGB auch dann nicht auszugehen, wenn sich aus ihrer Aussage in der Hauptverhandlung Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sie bei ihren früheren polizeilichen Vernehmungen bewusst wahrheitswidrige Angaben gemacht hat.

18

bbb) Dass der Beschwerdeführerin die Gefahr der Strafverfolgung wegen anderer Delikte droht, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Der Tatbestand des § 164 Abs. 2 StGB ist nicht einschlägig. An einer Strafbarkeit nach § 145d StGB fehlt es mangels Anhaltspunkten dafür, dass die in Rede stehenden Taten schon nicht begangen worden sind (§ 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder dass die Beschwerdeführerin die strafrechtlichen Ermittlungen in eine falsche Richtung gelenkt haben könnte (§ 145d Abs. 2 Nr. 1 StGB).

19

2. Ergänzend bemerkt der Senat, dass die Beschwerdeführerin sich auch im Falle drohender Strafverfolgung wegen einer Straftat nach § 164 Abs. 1 StGB nicht im Hinblick auf sämtliche Gegenstände ihrer früheren polizeilichen Vernehmung auf ein in diesem Sinne „umfassendes“ Auskunftsverweigerungsrecht berufen könnte.

20

a) § 55 StPO gibt dem Zeugen grundsätzlich nur das Recht, die Auskunft auf einzelne Fragen zu verweigern. Ausnahmsweise ist der Zeuge zur umfassenden Verweigerung der Auskunft berechtigt, wenn seine gesamte in Betracht kommende Aussage mit einem möglicherweise strafbaren oder ordnungswidrigen eigenen Verhalten in so engem Zusammenhang steht, dass im Umfang der vorgesehenen Vernehmungsgegenstände nichts übrig bleibt, was er ohne die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit aussagen könnte (BGH NStZ-RR 2005, 316 f.).

21

b) Hiernach liegt ein Fall umfassender Berechtigung zur Aussageverweigerung im vorgenannten Sinne schon nach dem Vorbringen in der Beschwerdeschrift und im Schriftsatz vom 19. Januar 2015 nicht vor. Zutreffend lässt die Beschwerdeführerin dort ausführen, dass die Gegenstände ihrer polizeilichen Vernehmungen sich in mehrere sachlich weitgehend voneinander unabhängige Themengebiete bzw. Sachzusammenhänge zertrennen lassen. Zugleich sollen „Angaben wider besseres Wissen“ der Beschwerdeführerin im Rahmen früherer polizeilicher Vernehmungen nur hinsichtlich eines dieser Sachverhaltskomplexe erfolgt sein.

22

Hieraus ergibt sich, dass gerade nicht die gesamte auf die Gegenstände der polizeilichen Vernehmungen bezogene Aussage der Beschwerdeführerin in der Hauptverhandlung mit etwaigen früheren Falschangaben in so engem Zusammenhang steht, dass daraus ein umfassendes diesbezügliches Auskunftsverweigerungsrecht folgt. Vielmehr stellt die Beschwerdeführerin selbst klar, dass es nicht nur einzelne Fragen, sondern ganze Themenkomplexe gibt, zu denen sie ohne Gefahr einer Selbstbelastung Auskunft geben kann.

23

Im Übrigen kann die sich aus § 55 StPO ergebende Begrenztheit des Auskunftsverweigerungsrechts auch nicht dadurch überwunden werden, dass ein Zeuge beliebige Sachverhaltskomplexe, hinsichtlich derer seine Aussage ihn keiner Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen würde, mit den tatsächlich von seinem Auskunftsverweigerungsrecht erfassten Vernehmungsgegenständen zu einer „Sachverhaltsgesamtheit“ zusammenfasst, um sodann ein Auskunftsverweigerungsrecht hinsichtlich dieser Gesamtheit möglicher Vernehmungsgegenstände mit der Begründung geltend zu machen, dass auch wahrheitsgemäße Angaben zu Fragen oder ganzen Sachverhaltskomplexen, die er durchaus ohne Gefahr eigener Inkriminierung beantworten könnte, Rückschlüsse darauf zuließen, im Hinblick auf welche anderen Sachverhalte er sich durch wahrheitsgemäße Angaben selbst belasten müsste. Andernfalls könnte der Zeuge ein hinsichtlich bestimmter Fragen oder Sachverhalte bestehendes Auskunftsverweigerungsrecht auf willkürlich gewählte weitere Vernehmungsgegenstände ausweiten und damit die Begrenztheit seines Verweigerungsrechts praktisch unbegrenzt umgehen. Dies widerspricht der gesetzlichen Regelung des § 55 StPO und folgt auch erkennbar nicht aus der in der Beschwerdeschrift als „Mosaiktheorie“ bezeichneten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

24

3. Die mit dem angefochtenen Beschluss ausgesprochenen Rechtsfolgen sind, insbesondere auch unter Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit, nicht zu beanstanden.

25

a) Die Auferlegung der durch die unberechtigte Zeugnisverweigerung verursachten Kosten folgt unmittelbar aus dem Gesetz, § 70 Abs. 1 Satz 1 StPO. Der von § 70 StPO verwandte Kostenbegriff umfasst auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten (LR-Ignor/Bertheau § 51 Rn. 18).

26

b) Das verhängte Ordnungsgeld liegt mit einem Betrag von 200 EUR im deutlich unteren Bereich des von Art. 6 Abs. 1 EGStGB eröffneten, bis zu einem Höchstbetrag von eintausend Euro reichenden Rahmens. Angesichts der besonders erheblichen Bedeutung der Straftaten, deren Aufklärung die Aussage der Beschwerdeführerin dient, sowie der ebenfalls erheblichen Bedeutung der verweigerten Aussage für diese Aufklärung, spricht auch unter Berücksichtigung der geringen Einkünfte der Beschwerdeführerin nichts dafür, dass der Betrag des Ordnungsgeldes noch geringer hätte ausgewählt werden müssen.

27

c) Die Anordnung der ersatzweise für den Fall der Uneinbringlichkeit des Ordnungsgeldes angeordneten Ordnungshaft folgt aus § 70 Abs. 1 Satz 2 StPO. Aus den zu Buchst. b) genannten Gründen ist das Maß der Ordnungshaft innerhalb des durch § 6 Abs. 2 Satz 1 EGStGB festgelegten Rahmens ebenfalls nicht zu beanstanden.

28

d) Für die von der Generalstaatsanwaltschaft beantragte Bewilligung einer Zahlung des verhängten Ordnungsgeldes in Teilbeträgen, die gem. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 EGStGB die Unzumutbarkeit der sofortigen Zahlung voraussetzt, sieht der Senat keine Veranlassung. Es bleibt der Beschwerdeführerin unbenommen, unter Vorbringen entsprechender Gründe einen nach Art. 7 Abs. 2 EGStGB zu bescheidenden Antrag zu stellen.

III.

29

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

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