Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (2. Senat) - 2 UF 107/14

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Kindesmutter und des Kindesvaters wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-... 353 F 204/13 vom 8.7.2014 dahingehend abgeändert, dass der Kindesmutter der Teilbereich der elterlichen Sorge „Gesundheitsfürsorge" für das Kind T. L. allein übertragen wird und die elterliche Sorge im Übrigen beiden Elternteilen gemeinsam zusteht. Die weitergehenden Beschwerden der Kindesmutter und des Kindesvaters werden zurückgewiesen.

2. Die Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren tragen die Kindeseltern je zur Hälfte. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

3. Der Beschwerdewert beträgt 5.000,00 €.

4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: Kindesmutter) und der Beschwerdegegner (im Folgenden: Kindesvater) streiten um die Übertragung des Sorgerechts für die gemeinsamen Kinder L. und T. L. auf die Kindesmutter allein.

2

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf den angefochtenen Beschluss verwiesen. Ergänzend gilt nach dem schriftsätzlichen Vorbringen und der Anhörung durch den Einzelrichter Folgendes:

3

Bis zu dem Erlass des Beschlusses des Amtsgerichts Hamburg-... 353 F 204/13 vom 08.07.2014 übten die Eltern das Sorgerecht gemeinsam aus und die Kinder lebten im paritätischen Wechsel bei der Mutter und beim Vater. Seitdem steht der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht alleine zu und die Kinder haben ihren Lebensmittelpunkt bei der Kindesmutter. Es findet alle 14 Tage ein Kontakt mit dem Kindesvater über ein verlängertes Wochenende statt.

4

Die Kindesmutter ist von Beruf Physiotherapeutin und Osteopathin und betreibt als solche eine Praxis. Der Kindesvater gibt Rollenspielkurse an einer Ganztagsschule und arbeitet gelegentlich als Schreiner oder fertigt Übersetzungen ins Englische.

5

L. L. besucht die siebte Klasse des Gymnasiums ..., das mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ca. eine halbe Stunde entfernt von den jeweiligen Wohnorten der Eltern liegt. Er erzielt gute schulische Leistungen.

6

T. L. besucht die zweite Klasse der Grundschule... Der Schulweg beträgt ca. 40 Minuten von dem Wohnort des Vaters aus.

7

Die Kindeseltern erklärten sich einverstanden mit Hilfe eines Therapeuten an ihrer Kommunikationsfähigkeit zu arbeiten. Außerdem besucht die Kindesmutter mit den Kindern einen Familientherapeuten. L. besucht seit dem 1.9.2015 eine Gruppe für Kinder getrenntlebender Eltern.

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Das Amtsgericht beschloss am 08.07.2014 (Bl. 134 f. d. A.) nach durchgeführter Beweisaufnahme durch Anhörung der Kinder L. und T. L., der Kindeseltern, der Vereinigung P. sowie des Verfahrensbeistandes und durch Einholung eines Gutachtens der Sachverständigen Dipl.-Psych. B. mit Beweisbeschluss vom 30.12.2013 zu der Frage, ob es insbesondere unter Berücksichtigung der Erziehungsfähigkeiten und der Bindungstoleranz der Eltern dem Kindeswohl am besten entspreche, künftig den Lebensmittelpunkt bei der Kindesmutter oder dem Kindesvater zu haben, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsamen minderjährigen Kinder L. L., geboren am ..., und T. L., geboren am ..., der Kindesmutter zu übertragen und den weitergehenden Antrag auf Übertragung des alleinigen Sorgerechts im Übrigen zurückzuweisen. Der Antrag des Kindesvaters wurde zurückgewiesen.

9

Zur Begründung führte das Gericht im Wesentlichen aus, dass es nach den Anhörungen und aufgrund der umfangreichen Auseinandersetzung der Sachverständigen B. mit den Lebensverhältnissen und Vorstellungen der Eltern und der Kinder zu der Überzeugung gelangt sei die Aufhebung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Übertragung auf die Kindesmutter entspreche dem Wohl der Kinder L. und T. am besten. Die gemeinsame Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts scheitere an den unterschiedlichen Vorstellungen über eine Alltagsregelung für die Kinder. Die Kindesmutter sei der Meinung, die Kinder bräuchten einen Lebensmittelpunkt um zur Ruhe zu kommen. Dahingegen sei der Kindesvater der Ansicht die Kinder sollten ihre Eltern zu gleichen Teilen sehen. Die Kindesmutter biete den Kindern derzeit im Vergleich zu dem Kindesvater einen verlässlicheren Alltagsrahmen. So sei T. von ihrem Vater nicht zu den vorgegebenen Zeiten zur Kindertagesstätte ... gebracht worden. Außerdem werde L. durch den Kindesvater einem gewissen emotionalen Druck ausgesetzt. Dieser binde ihn unter Verweisung auf seine hohe soziale Intelligenz im Vergleich zur Kindesmutter stärker in den Konflikt zwischen den Eltern ein. So führe der Kindesvater mit L. Diskussionen auf Augenhöhe über das Wechselmodell und konfrontiere ihn mit anwaltlichen Schriftsätzen, was zu einer Überforderung von L. führe. Des Weiteren lebe der Kindesvater in relativ beengten Verhältnissen für eine dreiköpfige Familie. Freizeitaktivitäten würden zum Großteil von der Kindesmutter finanziert. Ein ausschlaggebendes Argument für die Übertragung des Lebensmittelpunktes auf die Kindesmutter seien die sogenannten „sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen“. Die Kindesmutter sei wirtschaftlich unabhängig, wohingegen der Kindesvater seit 2010 von staatlichen Hilfen lebe. Der Wille der Kinder, weiterhin gleichberechtigt bei beiden Elternteilen leben zu wollen, spreche nicht gegen die Entscheidung den Lebensmittelpunkt der Kinder bei der Kindesmutter zu verorten. Bei der Äußerung des zum Zeitpunkt der Begutachtung 10-jährigen Kindes L. für den Fall einer das Wechselmodell ablehnenden Entscheidung bei dem Vater leben zu wollen, handle es sich in erster Linie um Äußerungen für den Vater und nicht gegen die Mutter. Eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Mutter sei insofern auch für L. hinnehmbar. Die Erziehungsfähigkeit der Eltern sei nicht in Frage zu stellen und es sei aufgrund des Sachverständigengutachtens davon auszugehen, dass die unterschiedlichen Erziehungsschwerpunkte und bestehenden Differenzen, insbesondere auf dem Gebiet der Gesundheit, eine gute Ergänzung und eine dem Kindeswohl entsprechende Mischung darstellten. Die Eltern hätten in den letzten elf Jahren gezeigt, dass sie trotz der Kommunikationsschwierigkeiten in der Lage seien gemeinsame Lösungen zu finden. Eine weitergehende Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter allein entspreche insofern nicht dem Wohl der Kinder.

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Gegen diesen, der Kindesmutter am 09.07.2014 zugestellten, Beschluss hat diese am 8.08.2014 Beschwerde eingelegt. Die Kindesmutter macht mit ihrer Beschwerde geltend, dass ihr die weiteren Bereiche der elterlichen Sorge zu übertragen seien, da es an einer hinreichenden grundsätzlichen Übereinstimmung zwischen den Eltern in Angelegenheiten ihrer Kinder fehle. Der Kindesvater sei nach wie vor grundsätzlich gegen alle Entscheidungen und Vorgaben, die die Kindesmutter treffen wolle und für richtig halte. Entgegen der Auffassung des Gerichts entspreche eine Mischung der verschiedenen Haltungen und Kompetenzen der Eltern nicht dem Kindeswohl. Die Gegensätzlichkeit der Haltungen führe vielmehr zu einer Entscheidungsunfähigkeit. Beispiele hierfür seien der Verlauf der Schulwahl für T., welche letztlich durch eine einstweilige Anordnung des Gerichts erfolgt sei und die Schwierigkeiten sich auf einen Therapeuten wegen des sexualisierten Verhaltens von T. zu einigen. Des Weiteren fehle es an einer Übereinstimmung in dem Bereich der Vermögenssorge aufgrund der verweigerten Unterhaltszahlungen durch den Kindesvater.

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Die Kindesmutter beantragt,

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den Beschluss vom 08.07.2014 in Ziffer 1 abzuändern und der Antragstellerin die gesamte elterliche Sorge für die Kinder L. L., geb. am ..., und T. L., geb. am ..., zur alleinigen Ausübung zu übertragen.

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Der Kindesvater hat seinerseits mit Fax vom 08.08.2014 Beschwerde eingelegt und beantragt,

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den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg .353 F 204/13 vom 08.07.2014 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin insgesamt zurückzuweisen.

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Die Kindesmutter beantragt,

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die Beschwerde des Kindesvaters zurückzuweisen.

17

Der Kindesvater macht mit seiner Beschwerde geltend, dass der Beschluss in unvertretbarer Weise in sein Elternrecht eingreife und die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts allein auf die Kindesmutter nicht dem Wohl der Kinder entspreche. Entgegen der Ausführungen des Gerichts sei es in seinem Haushalt nicht öfters zu Unregelmäßigkeiten beim Kindergartenbesuch von T. als im Haushalt der Kindesmutter gekommen. Außerdem seien die Freizeitaktivitäten nicht zum Großteil von der Mutter finanziert worden. Vielmehr bestehe die Absprache, die laufenden Kosten der Hobbys der Kinder durch das Kindergeld zu decken und darüber hinausgehende Kosten zu teilen. Anderweitige Lebenshaltungskosten würden jeweils von dem Elternteil erbracht, bei welchem sich die Kinder gerade aufhielten. Insofern bestünden keine Verpflichtungen zur Leistung von Unterhaltszahlung durch den Kindesvater. Die Einbeziehung von L. in das Verfahren sei auf dessen Wunsch geschehen. Die Kindesmutter habe entgegen der Absprache mit dem Kindesvater L. nicht über das Verfahren informiert, so dass dieser erst durch den Verfahrensbeistand von diesem erfahren habe, was er als Vertrauensbruch empfunden habe. Hinsichtlich der Wohnsituation sei auszuführen, dass die Möglichkeit bestehe größeren Wohnraum zu erlangen. Die Kinder hätten sich jeweils für eine weitere Ausübung des Wechselmodells und andernfalls für die Verortung des Lebensmittelpunktes bei dem Kindesvater ausgesprochen. Die derzeitige Umgangsregelung entspreche nicht dem Kindeswohl.

18

Beide Kinder wirkten auf Außenstehende traurig und insbesondere T. habe Schwierigkeiten sich umzugewöhnen. Der Kindesmutter fehle es an der für die alleinige Ausübung von Teilen des Sorgerechts notwendigen Bindungstoleranz, was insbesondere durch die dem Verfahren zugrunde liegende Antragsschrift zum Ausdruck komme, in welcher ausschließlich auf Konfrontation gesetzt werde. Die Kindeseltern seien in der Lage sich in den wesentlichen Bereichen zu einigen. Sie würden beide Bezugspersonen für die Kinder darstellen und seien zu deren Erziehung und Förderung geeignet. Die Notwendigkeit einer gleichberechtigten Einbeziehung der Eltern werde insbesondere in dem Bereich der Gesundheitsfragen deutlich.

19

Der Verfahrensbeistand hat keinen eigenen Antrag gestellt. Er hat ausgeführt, dass bis auf den Bereich des Aufenthaltsbestimmungsrechts die gemeinsame elterliche Sorge beibehalten werden solle. Es sei deutlich geworden, dass die Kindeseltern in den vergangenen Jahren trotz ihrer unterschiedlichen Haltungen Lösungen gefunden hätten. Sowohl die Sachverständigen als auch die Kinder befänden die unterschiedlichen Haltungen der Kindeseltern für wichtig. Eine Übertragung der elterlichen Sorge auf die Kindesmutter allein werde erwartungs- gemäß zu einem Rücktritt der Haltung des Kindesvaters zu Erziehungsfragen führen. Die Kommunikation zwischen den Kindeseltern sei nicht als derart zerrüttet zu bewerten, als dass sie keine gemeinsamen Entscheidungen mehr treffen könnten. So würden die Kindeseltern trotz Probleme in der Abstimmung über eine Therapiemaßnahme für T. letztlich gemeinsam vereinbarte Termine wahrnehmen. Allerdings sei eine Weiterführung des Wechselmodells aufgrund der für die Ausübung notwendigen und mittlerweile bei den Kindeseltern nicht mehr vorhandenen erforderlichen hohen Kommunikations- und Konfliktfähigkeiten nicht möglich. Die Kindeseltern hätten sich nicht über die gemeinsame weitere Betreuung einigen können, so dass eine gerichtliche Entscheidung notwendig geworden sei. Die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Kindesmutter sei nicht zu beanstanden. Gegen eine Übertragung auf den Kindesvater würden die Überforderung der Kinder durch seinen Erziehungsansatz und die berufliche Lage und Wohnsituation sprechen.

20

Mit Verfügung vom 15.08.2014 hat das Amtsgericht Hamburg-. die Beschwerde der Kindesmutter dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

21

Mit Beschluss vom 22.10.2014 hat das Hanseatische Oberlandesgericht, 2. Familiensenat, durch ... die Richter ... den Rechtsstreit dem Richter ... als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

22

Das Gericht hat am 14.01.2015 und am 14.10.2015 im Beisein des Verfahrensbeistandes die Kinder persönlich angehört. Am 28.01.2015, 06.03.2015 und am 25.11. 2015 wurden in den mündlichen Verhandlungen die Kindeseltern, sowie der Verfahrensbeistand der Kinder angehört. In der mündlichen Verhandlung am 06.03.2015 wurden außerdem die Paten der Kinder als Zeugen vernommen.

23

Das Gericht hat mit Beweisbeschluss vom 14.04.2015 Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psychologen Dr. B. über die Frage, ob eine Übertragung der elterlichen Sorge für die Kinder L. und T. allein auf die Kindesmutter dem Wohl der Kinder am besten entspreche. Es hat darauf hingewiesen, dass der Prüfungsauftrag dahin gehe zu prüfen, ob die Eltern geeignet und in der Lage seien, die elterliche Sorge ganz oder in Teilbereichen gemeinsam auszuüben oder ob es dem Kindeswohl am besten entspreche, die gesamte elterliche Sorge oder Teilbereiche der elterlichen Sorge auf die Mutter zu übertragen. Maßgeblich dafür dürften dabei die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit- und Bereitschaft der Eltern sein und zwar auch, allerdings nicht allein, in Bezug auf die Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Sofern der Sachverständige zu dem Ergebnis komme, die Übertragung der elterlichen Sorge oder von Teilbereichen der elterlichen Sorge auf die Kindesmutter entspreche dem Kindeswohl am besten, sei die Frage, welche Aufteilung der Betreuungszeiten dem Wohl der Kinder am besten entspreche, zu beantworten.

24

Am 08.07.2015 hat das Gericht den Beweisbeschluss dahingehend ergänzt, dass der Sachverständige auf die Herstellung des Einvernehmens der Beteiligten hinwirken solle. Das Gutachten ist am 15.7.2015 erstellt worden. Die Beteiligten hatten ausgiebig Zeit zu Stellungnahme.

25

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die an das Gericht gerichteten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

26

Die zulässigen Beschwerden der Kindesmutter und des Kindesvaters sind zu einem geringen Teil begründet und im Übrigen unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Der Beschluss des Amtsgerichts das Aufenthaltsbestimmungsrecht aufgrund des Kindeswohls auf die Kindesmutter zu übertragen ist aufgrund der Begründetheit der Beschwerde des Kindesvaters aufzuheben. Das Gericht hält aufgrund des Ergebnisses der Anhörungen der Kinder und der weiteren Verfahrensbeteiligten sowie unter Berücksichtigung der Sachverständigengutachten die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge für geboten, mit Ausnahme des Aufgabenkreises Gesundheitsfürsorge, welcher der Kindesmutter für T. allein zu übertragen ist. Nach den Feststellungen des Gerichts entspricht diese Regelung dem Kindeswohl am besten.

27

Vorab ist klarzustellen, dass das Beschwerdegericht vorliegend keine rechtstheoretische Entscheidung über das Für und Wider eines "Wechselmodells" trifft sondern bewusst und ausschließlich eine am konkreten Einzelfall und hier am Wohl der Kinder L. und T. orientierte Entscheidung über das Sorgerecht trifft. Soweit sich nachfolgend gleichwohl Ausführungen zur Frage des "Wechselmodells" finden, sind sie überwiegend dem Vorbringen der Beteiligten geschuldet, die aus Sicht des Beschwerdegerichts in dem Streit über rechtliche Grundlagen, Voraussetzungen sowie Sinn und Zweck eines "Wechselmodells“ leider die Gefahr laufen, das Gespür für die eigentlichen Belange der Kinder aus den Augen zu verlieren. Dieser Blick auf die Entscheidung steht im Einklang mit der aktuellen Gesetzeslage, die eben nicht die Entscheidung zwischen verschiedenen abstrakten Betreuungsmodellen sondern vielmehr eine einzelfallorientierte, den Gegebenheiten bestmöglich angepasste Entscheidung zum Sorgerecht festschreibt.

28

Nach den Feststellungen des Gerichts ist nicht zu erwarten, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge - mit Ausnahme des Bereichs Gesundheitsfürsorge für T. - dem Kindeswohl der Kinder L. und T. L. am besten entspricht. Es konnten insbesondere keine hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür festgestellt werden, dass die Aufhebung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Übertragung auf die Antragstellerin aus Kindeswohlaspekten nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB geboten war oder die Übertragung der gesamten elterlichen Sorge auf einen Elternteil vorzunehmen ist.

29

Das Gericht ist der trotz der vorgetragenen und in der Verhandlung offensichtlichen Kommunikationsprobleme der Eltern miteinander der Überzeugung, dass dennoch eine tragfähige soziale Beziehung und ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen den Kindeseltern besteht. Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung entspricht dem Kindeswohl unter Beachtung der Erziehungs- und Förderungsfähigkeit der Eltern, der Bindung zu den Kindern und dem Kontinuitätsgrundsatz am besten (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 18. Dezember 2003 - 1 BvR 1140/03-, - juris). Der von beiden Kindern über den gesamten Zeitraum des Verfahrens geäußerte Wille weiterhin von beiden Eltern zu gleichen Teilen betreut zu werden kommt in dem konkreten Fall für die Bestimmung des Kindeswohls eine besonders hohe Bedeutung zu. Die Betreuung zu gleichen Teilen erschöpft sich dabei nicht in einem mehr oder minder paritätischen tatsächlichen Kontakt sondern umfasst auch die Mitentscheidungsverantwortung.

a.)

30

Entgegen der in den Gründen des angefochtenen Beschlusses dargelegten Annahme des Amtsgerichts scheitert die gemeinsame Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht an den unterschiedlichen Vorstellungen über eine Alltagsregelung für die Kinder (S. 4 des angefochtenen Beschlusses). Die Begründung, die Kindesmutter sei der Ansicht die Kinder bräuchten einen Lebensmittelpunkt um zur Ruhe zu kommen und müssten zumindest zu Beginn der Woche am selben Ort sein, ist hierfür nicht ausreichend. Vielmehr kann die ablehnende Haltung der Kindesmutter gegenüber der Weiterführung des seit der Geburt von T. L. gelebten Modells der parallelen Elternschaft allein nicht zu der Annahme führen, dass es an dem ausreichenden Mindestmaß an Übereinstimmung vorliegend fehlt.

31

Das jahrelang mit Variationen praktizierte Modell der parallelen Elternschaft zeigt, dass die Kindeseltern zur Kooperation fähig sind, auch wenn dies von der Kindesmutter anders empfunden wird. Das Gericht teilt die Auffassung des Amtsgerichts, dass die Eltern in den letzten elf Jahren gezeigt haben, dass sie in der Lage sind, trotz ihrer unterschiedlichen Auffassungen gemeinsame Lösungen zu finden (S. 5 des angefochtenen Beschlusses).

32

Bis zu dem Erlass des gerichtlichen Beschlusses haben die Eltern auch nach dem Umzug der Kindesmutter eine Art Wechselmodell erfolgreich und kindesgerecht durchgeführt. Die Kinder sind beide gut und altersentsprechend entwickelt. Sie zeigen erfreulicherweise keine gravierenderen Auffälligkeiten in ihrem Verhalten und sind aktiv, neugierig, aufgeweckt und zugewandt. Die bei den Kindern teilweise bestehenden, durch die Zeugen F. und S. glaubhaft dargestellten, Einschlafschwierigkeiten und die Albträume von T. lassen nicht zwangsläufig auf eine durch ein Wechselmodell entstandene Unruhe schließen. Vielmehr scheinen diese Schwierigkeiten zumindest teilweise Folge einer Verunsicherung der Kinder zu sein, welche auf den langandauernden leidigen Konflikt um ihre Betreuung zurückzuführen ist. Die von der Kindesmutter gegen eine Weiterführung der gemeinsamen elterlichen Sorge angeführten Gründe können nach der Überzeugung des Gerichts nicht zu der Annahme einer Beeinträchtigung des Kindeswohls durch die Weiterführung der gemeinsamen Verantwortung in nahezu allen Teilbereichen der elterlichen Sorge führen. Sie sprechen außerdem nicht gegen das Vorhandensein eines Mindestmaßes an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit im konkreten Fall. Als Hauptgrund für ihre Ablehnung führt die Kindesmutter die Gegensätzlichkeit zwischen ihren und den Auffassungen des Kindesvaters an, welche zu einer Entscheidungsunfähigkeit führten. Die Angabe, der Kindesvater sei grundsätzlich gegen alle Entscheidungen und Vorgaben, die die Kindesmutter treffen wolle, ist letztlich unsubstantiiert wenngleich auch während des Verfahrens eine Tendenz des Kindesvaters dahingehend, sich einem manchmal unumgänglichen Mindestmaß an Strukturen zu entziehen, nicht zu verkennen war.

33

Dass die Kindeseltern sich nicht auf eine Schule für T. einigen konnten und eine Entscheidung letztlich durch das Gericht herbeigeführt worden ist, belegt nicht, dass diese grundsätzlich nicht in der Lage sind, sich zu einigen. Es kann immer dazu kommen, dass hinsichtlich einer Einzelfrage keine Einigkeit erzielt werden kann. Hinsichtlich der zwischen den Eltern bestehenden Differenzen in dem Bereich der Gesundheitsfürsorge, schließt sich das Gericht der in den Stellungnahmen der Sachverständigen und des Verfahrensbeistandes getroffenen Feststellungen an. Die unterschiedlichen Ansichten der Eltern stellen danach eine dem Kindeswohl entsprechende Mischung dar, den vorliegenden Familiensystem für die Kinder eine ganz außergewöhnliche Bedeutung zukommt. Die Kindeseltern haben bewusst entschieden, ihre Lebenskreise nicht um der Kinder willen zu vereinen sondern vielmehr weitestgehend eigenständig und eigenverantwortlich zu leben. Dadurch haben sie ihre Kinder in die Lage versetzt, sehr unterschiedliche Lebensmodelle im täglichen Alltagsleben zu erleben und in die eigene Entwicklung aufzunehmen. Die Fähigkeit und Notwendigkeit zur Kommunikation zwischen den Eltern durch die räumliche Trennung weniger beeinträchtigt als durch eine Trennung nach emotionaler Partnerschaft. Die gemeinsame Sorge schafft auch vorliegend ein Korrektiv, falls ein Elternteil in seinen Entscheidungen oder Schwerpunktsetzungen zu einseitig wird. Die Kinder haben gegenüber dem Verfahrensbeistand deutlich gemacht, dass die Haltungen beider Eltern für sie wichtig seien, was für die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge spricht.

34

§ 1627 BGB bestimmt, dass die Eltern die elterliche Sorge in eigener Verantwortung und im gegenseitigen Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben haben. Bei Meinungsverschiedenheiten müssen sie versuchen, sich zu einigen. Die Differenzen sollten dazu genutzt werden, dem Kindeswohl dienliche Kompromisse einzugehen und auf diese Weise eine kindgerechte Lösung zu finden.

35

Dafür, dass sich die Kommunikations- und Kooperationsschwierigkeiten darüber hinaus in der Alltagserziehung nachteilig für das Kindeswohl auswirken, liegen en keine konkreten Anhaltspunkte vor. Der Sachverständige B. hat in seinem Gutachten festgestellt, dass die Eltern in der Lage sind, in weniger bedeutsamen Alltagsangelegenheiten gemeinsam getragene Lösungen zu finden (S. 68 des Gutachtens der Sachverständigen B.). Der Verfahrensbeistand der Kinder sieht die Eltern ebenfalls in der Lage, die Bedürfnisse der Kinder zu erkennen und gemeinsam in deren Sinne zu handeln. Außerdem ist ihm zu Folge die Kommunikation zwischen den Kindeseltern noch nicht derart zerrüttet, als dass diese keine gemeinsamen Entscheidungen mehr treffen könnten. Die Kindeseltern hatten sich grundsätzlich dazu bereit erklärt an ihrer Kommunikation unter Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe zu arbeiten, was in Zukunft auf ihre ureigenste Aufgabe sein wird. Dies zeigt, dass sie gewillt sind zum Wohl der Kinder eine Ebene zu finden, auf der sie in Zukunft ihre Standpunkte dem anderen gegenüber besser vermitteln und Konflikte vermeiden können.

36

Des Weiteren geht das Gericht von der Möglichkeit einer teilweisen Deeskalation durch die Abweisung des Antrags der Kindesmutter und Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge aus. Nach den nachvollziehbaren Untersuchungen der Sachverständigen betrifft ein Teil des derzeitigen Konflikts den Streit um das Sorgerecht, welcher sich mit der vorliegenden Entscheidung insofern erledigen könnte. Des Weiteren ist das Gericht der Auffassung, dass mit einer endgültigen Entscheidung auch die Möglichkeit einer Verbesserung des Verhältnisses der Eltern an sich besteht und sich damit einhergehend auch deren Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit noch verbessern könnte. Wie von dem Sachverständigen B. festgestellt, ist das Verhältnis der Eltern zur Zeit von Misstrauen geprägt (S. 67 des Gutachtens des Sachverständigen B.). Durch die im Laufe des Verfahrens erhobenen wechselseitigen Beschuldigungen, der jeweils andere Elternteil würde den Konsum von für die Kinder noch nicht geeigneter Filme zulassen, und die von der Sachverständigen B. festgestellten Beschönigungen von Missständen durch den Kindesvater (S. 59 des Gutachtens der Sachverständigen B.) wird deutlich, dass beide Elternteile in Angesicht des Verfahrens versuchen der bessere Elternteil zu sein. Die Sachverständige B. hat außerdem festgestellt, dass die Wahrnehmung der Erziehungsvorstellungen als weit auseinander liegend durch die Kindeseltern selbst, ebenfalls dem „aktuellen Kampf um die Kinder“ geschuldet sein dürfte (Bl. 120 d.A., S. 56 des Gutachtens der Sachverständigen B.). Beide Eltern würden sich selbst als Opfer des jeweils anderen Elternteils erleben.

37

Vor diesem Hintergrund ist das Gericht der Überzeugung, dass trotz bestehender Divergenzen zwischen den Kindeseltern derzeit die Voraussetzungen für ein dem Kindeswohl dienendes gemeinsamen Sorgerechts noch vorhanden sind. Im Gegenteil sieht das Gericht die Gefahr, dass beispielsweise der Kindesvater infolge einer Verwehrung der rechtlichen Teilnahme an der aus Übung der Erziehung und Verantwortung gehindert wäre, seinen Anteil zukünftig entsprechend einzubringen.

38

Das Gericht hat somit keine erheblichen Gründe des Kindeswohls feststellen können, welche die Abweichung von der bisherigen gemeinsamen elterlichen Sorge - mit Ausnahme des Bereichs Gesundheitsfürsorge - rechtfertigen würden. Beide Sachverständige und der Verfahrensbeistand haben festgestellt, dass es den Eltern trotz ihrer Konflikte nicht an der Erziehungsfähigkeit fehlt. Sie sind fähig die Bedürfnisse der Kinder nach körperlicher, seelischer und gesundheitlicher Versorgung und Schutz zu erfüllen und sind für diese stabile und positive Vertrauenspersonen. Sie können beiden Kindern ein Mindestmaß an Regeln und Werten vermitteln und ihnen grundlegende Lernchancen eröffnen (S. 55 des Gutachtens des Sachverständigen B.). Beide Eltern legen Wert auf eine gute Beziehung zu ihren Kindern und wollen diese als Eltern optimal fördern und begleiten, was ihnen bisher gut gelungen ist.

39

Die von der Sachverständigen B. (S. 58 des Gutachtens der Sachverständigen B.) festgestellten Überforderung L.s durch die Einbeziehung in den Prozess durch den Kindesvater und einer darin erkennbaren Tendenz zur Parentifizierung ist vor dem Hintergrund der an sich festgestellten Erziehungsfähigkeit des Kindesvaters nicht als Kindeswohlgefährdend zu bewerten. Vielmehr wurde von der Sachverständigen B. im direktem Zusammenhang mit der eben dargestellten Feststellung die gute, stabile und liebevolle Beziehung des Kindesvaters zu beiden Kindern wiederholend hervorgehoben. Insbesondere L. hat nach den Feststellungen beider Sachverständigen eine besonders starke Bindung zu dem Kindesvater (S. 54 des Gutachten der Sachverständigen B.; Bl. 311 d. A.- 2 UF 106/14- S.65 des Gutachtens des Sachverständigen B.).

40

Die Kinder haben auch zu der Kindesmutter eine gute, stabile und liebevolle Beziehung. Aus Sicht des Sachverständigen B. sind diese Bindungen zum Wohl der Kinder unbedingt aufrechtzuerhalten. Dazu sei eine zumindest annähernd gleiche Aufteilung der Betreuung durch die Eltern erforderlich (S. 65 des Gutachtens des Sachverständigen B.), der durch die Entscheidung zum Umgangsrecht im Parallelverfahren Rechnung getragen wird. Soweit L. die Kindesmutter ihren eigenen Angaben zu Folge von seiner Beziehung zu dem Kindesvater ausschließt (S. 57 des Gutachtens des Sachverständigen B.), ist das Gericht der Überzeugung, dass die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts allein auf die Kindesmutter insofern die Bindungen der Kinder zu den Eltern gefährden würde.

41

Entscheidendes Kriterium für die Bewertung des Kindeswohls ist vorliegend maßgeblich insbesondere der geäußerte Kindeswillen, welcher gerade mit zunehmenden Alter der Kinder zu beachten ist, sofern er frei und unbeeinflusst ist (Münchener Kommentar zum BGB- Hennemann, 6. Aufl. 2013, § 1671, Rn. 41). L. und T. sind mittlerweile zwölfeinhalb und fast acht Jahre alt. Beide Kinder haben sich konstant über die gesamte Dauer des Verfahrens und nachdrücklich gegenüber unterschiedlichen Personen und auch in der Kindesanhörung gegenüber dem Gericht für eine gleichberechtigte Aufteilung ausgesprochen. Die Bekundungen betreffen zwar prima Vista den tatsächlichen Aufenthalt, nach Überzeugung des Gerichts steckt in ihnen jedoch auch der Wunsch nach gleichberechtigte Elternschaft in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. L. hat in der Kindesanhörung erklärt, dass sie zurzeit so lebten, wie es das Gericht gesagt habe, was er „nicht so gut" fände, weil er seinen Vater dabei vermisse. Er finde das so „zwischen mittel schlecht und schlecht". T. sagte ebenfalls, dass sie die neue Regelung „nicht so gut" fände. Am liebsten wäre sie gleich viel bei Mama und Papa. Bei L. ist zwar eine ausgeprägte Loyalität zu dem Kindesvater festzustellen, welche sich in seinem Verhalten gegenüber der Kindesmutter und auch in Äußerungen gegenüber dem Sachverständigen und dem Verfahrensbeistand widerspiegelt. Sein Wille beruht jedoch nicht maßgeblich auf Manipulationen oder Beeinflussungen durch den Kindesvaters (S. 56 des Gutachtens des Sachverständigen B.) und wird von dem Gericht insgesamt als autonom bewertet. Das Gericht bewertet seine Äußerungen außerdem nicht lediglich als Ausdruck des Wunsches durch eine gleichmäßige Aufteilung Gerechtigkeit für die Eltern herzustellen. Zwar spielen für L. Gerechtigkeitsaspekte eine bedeutende Rolle. Er empfindet eine gleichberechtigte Aufteilung jedoch auch für sich selber als gerecht, was er in dem Gespräch mit der Sachverständigen B. dargestellt hat (S. 39 des Gutachtens der Sachverständigen B.). T.s Wille wird nach den Ausführungen des Sachverständigen B. durch ihre Loyalität zu L. mitbestimmt (S. 61 des Gutachtens des Sachverständigen B.). Die Weiterführung der gleichberechtigten Aufteilung ist dennoch insgesamt als ihr eigenständiger Wunsch einzuordnen. Der Sachverständige hat festgestellt, dass sich der Wunsch der Fortführung eines Wechselmodells bei beiden Kindern zu einem festen inneren Arbeitsmodell verdichtet hat (S.60, 62 des Gutachtens des Sachverständigen B.). Der Wille der Kinder ist erlebnisgestützt, denn beide haben den Großteil ihres Lebens in dem Wechselmodell gelebt. Insbesondere besteht der Wille auch vor dem Hintergrund des nunmehr seit Erlass des angefochtenen Beschlusses des Gerichts und der tatsächlichen Ausübung des Residenzmodells fort. Dies zeigt, dass der Wille der Kinder nicht lediglich auf der Angst vor Veränderungen beruht, sondern sie nach der nunmehr gemachten Erfahrung beider gelebter Modelle eine Betreuung in einer Art „Wechselmodell" bevorzugen. Insbesondere die Nichtbeachtung des Willens des zwölfeinhalb Jahre alten Kindes L., welcher einen sehr verständigen und differenzierten Eindruck macht, birgt die Gefahr der Kindeswohlschädigung. Die Ermittlung des Kindeswillen dient neben der Verdeutlichung zu welcher Person das Kind die stärkere Bindung hat auch dazu die Selbstbestimmung des heranwachsenden Kindes zu fördern (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 18. Mai 2009 - 1 BvR 142/09 -, juris; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 27. Juni 2008 - 1 BvR 311/08 -, juris). Je älter das Kind ist, desto mehr tritt die letztgenannte Funktion in den Vordergrund (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 19. Dezember 2013 - 15 UF 55/13-, juris). Deswegen kommt dem Willen von L. eine besondere Bedeutung zu.

42

Unter diesen Umständen entspricht es nach Auffassung des Gerichts dem Wohl der Kinder am besten, ihrem Willen zu folgen und sie nicht in der Selbstwahrnehmung zusätzlich zu schwächen. Der Eindruck auf Außenstehende, dass durch die seit der amtsgerichtlichen Entscheidung gelebte neue Regelung Ruhe eingetreten sei, kann für sich allein keine positive Prognose für eine Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil allein begründen. Nach Auffassung des Gerichts spricht dies vielmehr dafür, dass es einer Regelung bedarf, welche gewährleistet, dass wieder ein beständiger Alltag für die Kinder besteht, auf den diese sich einstellen können.

43

Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Ausführungen kommen entgegen der Annahme des erstinstanzlichen Gerichts den Umständen der besseren sozio- ökonomischen Rahmenbedingungen der Kindesmutter und der Wohnsituation des Kindesvaters kein besonderes Gewicht zu. Allerdings sind die Wohnverhältnisse des Kindesvater beengt und bieten auf längere Sicht nicht genügend Rückzugsmöglichkeiten für die Kinder, welche die Wohnsituation zur Zeit noch als besonders gemütlich und beruhigend empfinden. Das Gericht regt insofern tatsächlich an, dass der Kindesvater sich um die Anmietung eines größeren Wohnraums bemüht. Eine Kindeswohlgefährdung kann auch nicht in der beruflichen Situation des Kindesvaters gesehen werden. Der Sachverständige B. hat herausgestellt, dass dieser kein schlechtes Vorbild dadurch statuiert, dass er keiner geregelten Tätigkeit nachgeht, da die Kinder die regelmäßige Ausübung einer anspruchsvollen Tätigkeit durch die Mutter, deren Lebenspartner und den männlichen Mitbewohner erlebten (S. 56 des Gutachtens des Sachverständigen B.). Die Kindesmutter wiederum hat den jetzigen Vater unter vergleichbaren Rahmenbedingungen als Vater ihrer gemeinsamen Kinder ausgewählt.

44

Die Entscheidung des Gerichts wahrt die Kontinuität, welche in der Weiterführung der gemeinsamen elterlichen Sorge besteht.

45

Eine Ausnahme sieht das Beschwerdegericht derzeit für den Teilbereich der Gesundheitsfürsorge. In diesem Teilbereich besteht derzeit insbesondere für T. ein deutlich überdurchschnittlicher Regelungsbedarf. In diesem Teilbereich sind die Eltern derzeit auch nicht zu einer gerechten gemeinsamen Entscheidungsfindung in der Lage. Einzelentscheidungen wirken sich kontraproduktiv aus. Eine quasi zwangsweise Anordnung einer gemeinsamen Entscheidungsfindung in diesem Teilbereich belastet die gesamte Kommunikationsstruktur der Eltern, die momentan, nicht zuletzt durch das vorliegende Verfahren, beeinträchtigt ist. Soweit für diesen Teilbereich eine Notwendigkeit zur gemeinsamen Entscheidungsfindung aufgehoben wird, dient dies im Interesse der Kinder zur Befriedung und kurzfristigen Handlungsfähigkeit sowie nachhaltigen Handlungsmöglichkeit. Aufgrund der Geschlechtsgleichheit und des Umstandes, dass sich T. infolge der Umgangsregelung tatsächlich mehr bei der Mutter aufhalten wird, die dadurch auch die Hauptlast der praktischen Durchführung etwaiger physischer und psychischer Behandlungen trägt, ist die elterliche Sorge insoweit allein der Kindesmutter zu übertragen.

46

Das Beschwerdegericht formuliert im Interesse der Kinder ausdrücklich die Erwartung an die Eltern, den inhaltlichen Zusammenhang der Entscheidungen zum Sorgerecht und zum Umgangsrecht zu akzeptieren und Kindeswohl dienlich umzusetzen. Eine aus Sicht des Gerichts weit gehend unnötige Weiterführung der Auseinandersetzung wird sich mit Sicherheit zulasten von L. und T. auswirken, wobei die gerichtliche Entscheidung immer nur Reaktion und niemals Auslöser sein kann.

III.

47

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 S. 1, 84 FamFG. Vor dem Hintergrund der gemeinsamen Elternschaft entspricht es der Billigkeit, dass beide Eltern ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen und die Gerichtskosten hälftig geteilt werden.

48

Der Verfahrenswert ist gemäß den §§ 55 Abs. 1, 40 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG festgesetzt worden.

49

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor.

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