Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (2. Strafsenat) - 2 Rev 8/21

Tenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 14, vom 26. November 2020 wird mit der Maßgabe verworfen, dass die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt entfällt.

2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht Hamburg-Harburg hat den Angeklagten am 28. Februar 2020 wegen Diebstahls in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat es die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 1053,90 Euro angeordnet.

2

Am 3. März 2020 hat die Staatsanwaltschaft Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegt und diese zunächst auf den Rechtsfolgenausspruch, in der Berufungshauptverhandlung sodann auf das Strafmaß beschränkt. Das Landgericht Hamburg, Kleine Strafkammer 14, hat mit Urteil vom 26. November 2020 auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Harburg im Strafausspruch dahingehend abgeändert, dass es den Angeklagten zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt hat. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet.

3

Gegen dieses Urteil hat der beigeordnete Verteidiger am 30. November 2020 Revision eingelegt, die Verletzung materiellen Rechts gerügt und die Aufhebung des Urteils beantragt. Nach am 30. November 2020 erfolgter Fertigstellung des Protokolls sind die schriftlichen Urteilsgründe aufgrund richterlicher Anordnung dem Verteidiger am 17. Dezember 2020 zugestellt worden.

4

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit beim Senat am 23. Februar 2021 eingegangener Stellungnahme angetragen, die Revision zu verwerfen.

II.

5

Die gemäß § 333 StPO statthafte und auch im Übrigen gemäß §§ 341 Abs. 1, 344, 345 StPO zulässige Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt getroffen, obwohl die Staatsanwaltschaft die Nichtanordnung der Unterbringung wirksam aus ihrer Berufung ausgenommen hat. Im Übrigen deckt die Revision keinen Rechtsfehler zuungunsten des Angeklagten auf und war daher gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

6

1. Zu Recht hat das Landgericht keine Feststellungen zur Sache sowie keine eigene Entscheidung über den Schuldspruch getroffen. Die in der Berufungshauptverhandlung durch die Staatsanwaltschaft erklärte Beschränkung „auf das Strafmaß“ war formell und materiell wirksam, insbesondere tragen die amtsgerichtlichen Feststellungen zur Sache den ergangenen Schuldspruch.

7

2. Mit der Beschränkung „auf das Strafmaß“ war es dem Landgericht aber verwehrt, über die Strafzumessung hinausgehend erstmalig eine Unterbringungsentscheidung zu treffen.

8

a) Nach dem Rechtsmittelsystem der Strafprozessordnung hat der Rechtsmittelführer bei der Entscheidung, ob und wieweit er ein Urteil angreifen will, eine weitreichende Dispositionsbefugnis. Dies gebietet, dem in der Rechtsmittelerklärung zum Ausdruck kommenden Willen im Rahmen des rechtlich Möglichen Rechnung zu tragen (vgl. BGHSt 24, 185; 29, 359).

9

Wegen der sich aus der Zweispurigkeit des strafrechtlichen Rechtsfolgensystems ergebenden prinzipiellen Unabhängigkeit von Strafe und Maßregel ist die Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB ein für eine selbständige Nachprüfung geeigneter Urteilsteil und damit ein Beschwerdepunkt, auf den das Rechtsmittel grundsätzlich beschränkt werden kann (vgl. BGH NJW 1963, 1414; BGHSt 24, 132). Daher ist die Herausnahme der Nichtanordnung aus dem Rechtsmittelangriff grundsätzlich möglich (vgl. BGHSt 38, 362, Urteil vom 7. Oktober 1992, Az.: 2 StR 374/92).

10

Diese Beschränkung unterliegt – wie auch im Übrigen bei Rechtsmittelbeschränkungen – den allgemeinen Voraussetzungen der Trennbarkeit und Widerspruchsfreiheit.

11

Trennbarkeit ist gegeben, wenn die verbleibenden Beschwerdepunkte sich auf Entscheidungsteile beziehen, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen (vgl. Urteil des Senats vom 16. Juni 2021, Az.: 2 Rev 19/21 m.w.N.). Im Hinblick auf das Erfordernis der Widerspruchsfreiheit ist zu gewährleisten, dass die im Falle nach einer Teilanfechtung stufenweise entstehende aus zwei Erkenntnissen zusammengefügte Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt (vgl. BGHSt 29, 359; BGHSt 41, 57; BGHSt 62, 155; BGH NStZ-RR 2012, 202; BGH NStZ-RR 2013, 54, Urteil vom 18. Juli 2012, Az.: 2 StR 605/11; BGH NStZ-RR 2014, 58, Beschluss vom 24. September 2013, Az.: 2 StR 397/13; Senat, Beschluss vom 3. Juni 2019, Az.: 2 Rev 16/19). Ob diese Voraussetzungen einer wirksamen Beschränkung vorliegen, ist grundsätzlich vom Berufungsgericht aus Perspektive der abschließenden Beratung nach Durchführung der Beweisaufnahme zu beurteilen (Schmitt aaO. Rn. 8 m.w.N.).

12

Unwirksam ist die Beschränkung auf die Frage der Strafzumessung, wenn der Rechtsmittelführer sich mit seiner beschränkten Berufung gegen Tatsachen wendet, die zugleich im Sinne einer „Doppelrelevanz“ auch einem anderen, nicht angefochtenen Teil der Entscheidung zugrunde liegen (vgl. BGH NJW 2001, 3134, betreffend Anfechtung der Aussetzungsentscheidung bei nicht angefochtener Maßregel nach §§ 69, 69a StGB).

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Nicht schon zur Unwirksamkeit der Beschränkung auf die Aussetzungsentscheidung führt demgegenüber eine Überscheidung der Prüfungsprogramme zwischen dem bei wirksamer Beschränkung rechtskräftigen und dem nach dem Willen des Rechtsmittelführers noch zu überprüfenden Teil des angefochtenen Urteils im Sinne einer Doppelrelevanz bestimmter Tatsachen für beide Entscheidungsteile. Solche Überschneidungen zwischen Strafzumessungsentscheidung einerseits und anderen Entscheidungselementen andererseits sind in aller Regel nicht vermeidbar, so dass die in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte grundsätzliche Möglichkeit der Rechtsmittelbeschränkung praktisch kaum jemals bestände, wenn bereits die Überschneidung der Prüfungsprogramme bzw. der relevanten Tatsachen die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung hinderte (vgl. Senatsbeschluss v. 9. Februar 2005, Az.: II - 10/05, NStZ-RR 2006, 18 ff.; Senats-beschluss v. 15. September 2004, Az. II-72/04).

14

Ferner liegt eine Widersprüchlichkeit zwischen im Falle wirksamer Beschränkung bestandskräftigen Feststellungen und Wertungen des erstinstanzlichen Urteils und den späteren Feststellungen und Wertungen des Berufungsgerichts nicht schon dann vor, wenn das Berufungsgericht zu Umständen, die im Verlauf der Zeit Veränderungen unterworfen sind (sog. dynamische Faktoren), deshalb von dem amtsgerichtlichen Urteil abweichende Feststellungen trifft, weil sich die entsprechenden Verhältnisse seit Ergehen des Urteils erster Instanz verändert haben. Vielmehr handelt es sich insoweit um widerspruchsfreie Ergänzungen der – notwendigerweise in ihrer Aussagekraft auf den Sachstand zur Zeit der amtsgerichtlichen Entscheidung beschränkten – amts-gerichtlichen Feststellungen (vgl. Senatsbeschluss v. 9. Februar 2005 aaO.).

15

b) Nach diesen Grundsätzen erweist sich die vorliegende Beschränkung der Berufung aus das Strafmaß unter Ausschluss einer erstmaligen Anordnung einer Unterbringung als wirksam. Weder mangelnde Trennbarkeit noch das Gebot der inneren Widerspruchsfreiheit stehen der Annahme einer wirksamen Berufungsbeschränkung allein auf das Strafmaß entgegen.

16

aa) Das Trennbarkeitserfordernis steht der Wirksamkeit der Beschränkung aus das Strafmaß unter Ausschluss einer erstmaligen Anordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB nicht entgegen, da die Tatumstände keinen Anlass zur Prüfung der Maßregel geboten hatten, die Straffrage mithin mit der Maßregelfrage nicht zu einer untrennbaren Einheit verbunden war.

17

bb) Der innere Zusammenhang der aus zwei Erkenntnissen bestehenden Urteilsgründe (Amtsgericht/Landgericht) weist schon deshalb keine Widersprüche auf, da sich das Amtsgericht nicht mit der Frage der Unterbringung befasst hat.

18

3. Die zulässige Rechtsmittelbeschränkung der Staatsanwaltschaft hat somit die Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Berufungsgerichts auf den angefochtenen Urteilsteil verengt, so dass auf die Revision des Angeklagten allein die Anwendung des richtigen Strafrahmens, der Strafzumessung und der Frage der Strafaussetzung zu überprüfen war. Diese Überprüfung des Urteils hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht. Insoweit war die Revision nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

19

Da aufgrund der Beschränkung des Rechtsmittels auf das Strafmaß vertikale Rechtskraft eingetreten ist, hat das Landgericht zu Recht keine Entscheidung über die Einziehung von Wertersatz getroffen.

III.

20

Trotz dieses Teilerfolges der Revision hält es der Senat nicht für unbillig, den Angeklagten mit den vollen Rechtsmittelkosten zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO). Bei der Beurteilung dieser Frage kommt es entscheidend darauf an, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Angeklagte die angefochtene Entscheidung hingenommen hätte, wenn sie schon entsprechend der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts gelautet hätte (vgl. BGH NStZ 2004, 384; BGH NStZ-RR 1998, 70). Dies ist nicht der Fall, da der Angeklagte mit seiner Revision offensichtlich auch die Aufhebung der verhängten Strafe, jedenfalls aber deren Strafaussetzung zur Bewährung bezweckt.

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