Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 14 U 87/03

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Offenburg vom 09.04.2003 - 3 O 518/02 - dahin abgeändert, daß die Klage abgewiesen wird.

2. Die Klägerin trägt die Kosten beider Instanzen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Der jetzige Beklagte, der den Beruf eines Rechtsanwalts ausübt, ist Testamentsvollstrecker über den Nachlaß des am 15.10.1995 verstorbenen Erblassers O. B., der die jetzige Klägerin und deren Bruder testamentarisch zu Erben eingesetzt hatte. Der Bruder der Beklagten hat seinen Erbteil mit Vertrag vom 04.04.1997 auf seine Ehefrau übertragen.
Mit der Begründung, der Bruder der jetzigen Klägerin habe sich der Durchführung der letztwilligen Verfügungen des Erblassers nachhaltig widersetzt und sei daher nach der Anordnung des Erblassers im Testament vom 19.12.1994 auf den Pflichtteil gesetzt, hatte der jetzige Beklagte im Verfahren 2 O 370/01 des Landgerichts O. gegen die jetzige Klägerin, gegen deren Bruder sowie gegen dessen Ehefrau Feststellungsklage erhoben und zuletzt die Feststellung beantragt, daß der Bruder der jetzigen Klägerin nicht Erbe bzw. Miterbe nach dem Erblasser O. B. sei und die Ehefrau des Bruders der Klägerin aus dem Erbteilübertragungsvertrag vom 04.04.1997 keinerlei vermögensrechtliche Stellung am Nachlaß des Erblassers erworben habe. Mit Urteil vom 15.10.2002 hat das Landgericht die Klage in bezug auf die jetzige Klägerin als unzulässig und in bezug auf die übrigen damaligen Beklagten als unbegründet zurückgewiesen. Bezüglich der jetzigen Klägerin hat der jetzige Beklagte das landgerichtliche Urteil hingenommen.
Die jetzige Klägerin, die die Auffassung vertritt, der jetzige Beklagte habe durch  Erstreckung des damaligen  Rechtsstreits auch auf sie seine Pflichten als Testamentsvollstrecker verletzt, nimmt ihn im jetzigen Rechtsstreit auf Ersatz der wegen des früheren Rechtsstreits zu Lasten des Nachlasses entstandenen und nach ihrer Auffassung unnützen Kosten in Anspruch.
Wegen des von der Klägerin verfolgten Anspruchs und des zugrunde liegenden Sachverhalts im einzelnen, wegen des Parteivorbringens sowie wegen der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht den Beklagten verurteilt, in den Nachlaß auf Ableben des Erblassers O. B. 8.940,52 EUR nebst Zinsen zu bezahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte habe sich als Testamentsvollstrecker deswegen ersatzpflichtig gemacht, weil er im Verfahren 2 O 370/01 des Landgerichts Offenburg auch die jetzige Klägerin mitverklagt habe. Die Unzulässigkeit der Klageerstreckung auf die Klägerin sei für den Beklagten als Rechtsanwalt schon bei Vornahme der entsprechenden Prüfung erkennbar gewesen.
Mit der Berufung verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter. Er vertritt die Auffassung, das die gegen die jetzige Klägerin gerichtete Klage als unzulässig zurückweisende Urteil des Landgerichts vom 15.10.2002 im früheren Verfahren sei rechtsfehlerhaft gewesen; als er die Klägerin in seine Feststellungsklage einbezog, habe er  ein solches offensichtliches Fehlurteil einer Zivilkammer nicht voraussehen müssen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils abzuweisen.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für richtig und beantragt
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die Zurückweisung der Berufung.
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Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
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II. Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
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Der Senat vermag nicht der Auffassung des Landgerichts zu folgen, wonach der Beklagte mit der Folge einer Schadensersatzpflicht nach § 2219 Abs. 1 BGB seine ihm als Testamentsvollstrecker obliegenden Pflichten dadurch schuldhaft verletzt hat, daß er im Verfahren 2 O 370/01 des Landgerichts Offenburg (künftig: Vorprozeß) auch die jetzige Klägerin verklagt hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die im Vorprozeß in bezug auf die jetzige Klägerin ergangene und in Rechtskraft erwachsene Entscheidung richtig war oder nicht, so daß sich die Frage einer Bindungswirkung im jetzigen Verfahren nicht stellt (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl. 2004, Rn. 24 vor § 322).
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1. Hat der Testamentsvollstrecker gegen einen Erben schuldhaft einen ordnungsgemäßer Verwaltung (§ 2216 BGB) nicht entsprechenden Prozeß geführt, so ist er gemäß § 2219 BGB zur Rückzahlung der aus dem Nachlaß entnommenen Prozeßkosten verpflichtet (vgl. Staudinger/Reimann, BGB, 2003, Rdn. 31 zu § 2218, und Rdn. 5 zu § 2219).
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Entgegen der von der Klägerin offenbar vertretenen Auffassung besteht eine Rückzahlungsverpflichtung des Testamentsvollstreckers - nicht anders als dies bei einem Anwalt der Fall ist - freilich nicht immer schon dann, wenn ein von ihm geführter Prozeß verloren gegangen ist. Vielmehr fallen auch in einem solchen Fall die Prozeßkosten dem Nachlaß zur Last, wenn sich der Testamentsvollstrecker unter Anwendung der von einem gewissenhaften Testamentsvollstrecker zu erwartenden Sorgfalt unter Berücksichtigung etwaiger besonderer beruflicher Qualifikationen - hier: die eines Rechtsanwalts -  zur Prozeßführung entschlossen hatte (vgl. BGH, WM 1967, S. 25 ff., 29, m.w.N.; J. Mayer, in: Bamberger/Roth, BGB, 2003, Rdn. 8 zu § 2219).
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2. Bei Anlegung dieses Maßstabes ergibt sich nach Auffassung des Senats, daß der jetzige Beklagte durch die Einbeziehung der jetzigen Klägerin in die im Vorprozeß von ihm erhobene Feststellungsklage die Grenzen ordnungsgemäßer Verwaltung nicht überschritten hat: Weder war die Klage gegen die Klägerin von vornherein als aussichtslos anzusehen, noch mußte sie ihm ohne weiteres als überflüssig erscheinen. Der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch besteht daher nicht.
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a) Die Auffassung des jetzigen Beklagten, die damalige Feststellungsklage sei auch in bezug auf die jetzige Klägerin zulässig, war zumindest vertretbar.
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aa) Streitgegenstand der Feststellungsklage kann der Streit über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses sein (§ 256 Abs. 1 ZPO). Daß zwischen dem Testamentsvollstrecker einerseits und dem Erben andererseits entgegen der von der jetzigen Klägerin vertretenen Auffassung ein Rechtsverhältnis - nämlich ein gesetzliches Schuldverhältnis - besteht, ergibt sich unmittelbar aus § 2218 Abs. 1 BGB. Außer Frage steht deshalb - und so hat es auch das Landgericht im Vorprozeß gesehen (vgl. Abschnitt II, 1. Absatz der Entscheidungsgründe [I 37]) -, daß die im Vorprozeß erhobene Feststellungsklage, soweit sie sich gegen den Bruder der jetzigen Klägerin und seine Ehefrau richtete, ein Rechtsverhältnis zum Gegenstand hatte, nicht dagegen ging es um das Erbrecht als solches (daß der Testamentsvollstrecker um dieses keine Prozesse führen darf, steht in der Tat außer Zweifel). Schon in Hinblick darauf, daß nach vom Schrifttum teilweise bekämpfter höchstrichterlicher Rechtsprechung auch ein Drittrechtsverhältnis Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann, falls dieses zugleich für die Rechtsbeziehungen der Parteien von Bedeutung ist und der Kläger ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Klärung hat (vgl. die Nachweise bei Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl. 2004, Rdn. 3 b zu § 256), erscheint die Auffassung des jetzigen Beklagten vertretbar, daß die jetzige Klägerin unter diesem Gesichtspunkt als Beklagte in die gegen ihren Bruder und dessen Ehefrau zu erhebende Klage einbezogen werden könne. Davon abgesehen erscheint es aber auch als nicht fernliegend, die im Vorprozeß vom jetzigen Beklagten erhobene Feststellungsklage als auf die Klärung eines zwischen ihm und der jetzigen Klägerin zweifelsfrei bestehendes Rechtsverhältnis gerichtet anzusehen. Zwischen beiden stand zwar außer Streit, daß die Klägerin zusammen mit ihrem Bruder vom Erblasser als Erbin eingesetzt worden war. Streit bestand aber zwischen dem Beklagten als Testamentsvollstrecker und der Klägerin (also nicht nur zwischen dem Beklagten und dem Bruder der Klägerin und seiner Ehefrau), ob infolge des Verhaltens des Bruders dessen Erbteil der Klägerin angewachsen ist (§ 2094 BGB). Dies ergibt sich ohne weiteres daraus, daß die Klägerin im Vorprozeß Abweisung der Klage zwar in erster Linie als unzulässig, hilfsweise aber als unbegründet beantragt hat - was zeigt, daß sie sich eben im Verhältnis zum Testamentsvollstrecker nicht als Alleinerbin, sondern als Miterbin neben ihrem Bruder angesehen hat. Der damalige Kläger konnte angesichts des klaren Ziels seiner Klage, Klarheit darüber zu schaffen, ob er es mit der damaligen Beklagten Nr. 3 als Alleinerbin oder aber als Miterbin zu tun habe, damit rechnen, daß das Gericht gemäß § 139 ZPO auf eine sachgerechte Antragstellung hinwirken werde.
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bb) Als zumindest vertretbar erscheint weiter die damalige Auffassung des jetzigen Beklagten, wonach in bezug auf die jetzige Klägerin das Feststellungsinteresse als besondere Sachurteilsvoraussetzung für die Feststellungsklage gegeben sei. Es liegt auf der Hand, daß es von rechtlicher Bedeutung ist, ob der vom Testamentsvollstrecker verwaltete Nachlass einem oder mehreren Erben zusteht. So muß der Testamentsvollstrecker beispielsweise Klarheit darüber haben, wessen Zustimmung zu unentgeltlichen Verfügungen erforderlich und ausreichend ist und mit wem Sondergebühren zu vereinbaren sind. Bei Einleitung des Vorprozesses war dies etwa in bezug auf die Frage akut, ob der Beklagte aufgrund des allein von der jetzigen Klägerin erteilten Einverständnisses zur Entnahme eines hohen Betrages aus dem Nachlaß für eine von ihm als Testamentsvollstrecker beanspruchte Konstituierungsgebühr befugt gewesen war. So wäre es der jetzigen Klägerin bei einem Erfolg der damaligen Feststellungsklage auch in bezug auf sie etwa verwehrt, die Entlassung des jetzigen Beklagten als Testamentsvollstrecker mit der Begründung zu verlangen, diesem stehe die Konstituierungsgebühr deshalb nicht zu, weil nur sie, nicht aber auch ihr Bruder sich damit einverstanden erklärt habe.
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cc) Davon, daß die Feststellungsklage im Vorprozeß auch gegen die jetzige Klägerin zu erheben war, konnte der Beklagte aus Gründen der nur zwischen den Parteien gegebenen (vgl. Palandt/Edenhofer, BGB, 63. Aufl. 2004, Rdn. 8 vo § 2197) Rechtskrafterstreckung ausgehen. Es ist daher nicht zu beanstanden, daß er den Rechtsstreit - auch - in bezug auf die jetzige Klägerin nicht als überflüssig ansah.
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b) Der Beklagte brauchte die Prozeßführung auch nicht aus sachlich-rechtlichen Gründen als nicht gerechtfertigt ansehen. Ob seine Feststellungsklage erfolgreich sein würde, hing davon ab, ob der Bruder der Klägerin nach den im Testament des Erblassers enthaltenen Bestimmungen aufgrund seines Verhaltens seine Erbenstellung verloren hatte. Die Entscheidung dieser Frage hängt letztlich von der Auslegung des Testaments und einer Bewertung des Verhaltens des Bruders der Klägerin ab. Selbst wenn der Beklagte bei Klageerhebung - ob dem Testamentsvollstrecker ein Verschuldensvorwurf zu machen ist, ergibt sich aufgrund einer Beurteilung ex ante (vgl. J. Mayer, a.a.O., Rdn. 10 zu § 2219) - von einer irrtümlichen Auslegung des Testaments sowie einer falschen  Bewertung des Verhaltens des Bruders der Klägerin ausgegangen sein sollte, träfe ihn eine Haftung indessen nur dann, wenn Auslegung und Bewertung  nicht vertretbar gewesen wären (vgl. etwa Staudinger/Reimann, a.a.O., Rdn. 31 zu § 2218 und Rdn. 5 zu § 2219; Soergel/Damrau, BGB, 13. Aufl. 2003, Rdn. 12 zu § 2218). Dies war hier aber nicht der Fall.
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III. Dementsprechend war das landgerichtliche Urteil dahin abzuändern, daß die Klage abgewiesen wird.
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Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 7, 713 ZPO.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 1 Satz 1 ZPO) liegen nicht vor.

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