Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (2. Strafsenat) - 2 Ss 85/10

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 9. kleinen Strafkammer des Landgerichts Halle vom 18. März 2010 mit den Feststellungen, soweit diese nicht das äußere Tatgeschehen betreffen, aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Halle zurückverwiesen.

Gründe

1

Der Strafrichter des Amtsgerichts Halle hat den Angeklagten am 19. August 2009 vom Vorwurf der vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr freigesprochen. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht am 18. März 2010 dieses Urteil aufgehoben und den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 8 € verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen und angeordnet dass die Entziehung der Fahrerlaubnis die Wirkung hat, dass dem Angeklagten das Recht von der in Polen erteilten Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, für die Dauer von noch drei Monaten aberkannt wird, mit der Rechtskraft der Entscheidung das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland erlischt und während der Dauer der Sperre weder das Recht, von der ausländischen Fahrerlaubnis wieder Gebrauch zu machen, noch eine ausländische Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Ferner wurd angeordnet, dass der in Polen ausgestellte Führerschein des Angeklagten eingezogen und an die ausstellende Behörde zurückgesandt wird. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Berufung, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

2

Die Revision ist zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, 344, 345 Abs. 1 StPO) und führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Schuldspruchs. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt (§ 349 Abs. 2 StPO).

3

Die bisherigen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 und 2 StGB) nicht.

4

Gegen die Verwertung der Blutprobe bestehen keine Bedenken. Insoweit wird auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 16. Juni 2010 Bezug genommen.

5

Nach den bisherigen Feststellungen ist jedoch nicht auszuschließen, dass der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit handelte (§ 20 StGB). Nach dem Ergebnis der Blutuntersuchung war zur Tatzeit am 29. September 2008 gegen 08.20 Uhr erheblich alkoholisiert. Die ihm um 09.10 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 2,83 ‰ auf. Unter Berücksichtigung eines stündlichen Anbaus von 0,2 ‰ und eines Sicherheitszuschlages von weiteren 0,2 ‰ errechnet sich zur Tatzeit eine mögliche Blutalkoholkonzentration von 3,23 ‰. Bei Blutalkoholkonzentrationen von 3 g ‰ und darüber sind die Voraussetzungen des § 20 StGB naheliegend, daher stets zu prüfen und in der Regel auch gegeben (BGH StV 1991, 297). Ob die Steuerungsfähigkeit ausgeschlossen ist, muss der Tatrichter unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles beurteilen, wobei er neben der errechneten Blutalkoholkonzentration alle wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände, die sich auf das Erscheinungsbild und das Verhalten des Täters vor, während und nach der Tat beziehen, zu berücksichtigen hat (BGH NStZ 1995, 539). Wird Schuldfähigkeit - wie hier - bei hohen BAK-Werten bejaht, bedarf dies näherer Begründung; es setzt meist die Anhörung eines Sachverständigen voraus (Fischer, a.a.O.). Auf einen Sachverständigen kann grundsätzlich nur verzichtet werden, wenn es an den tatsächlichen Grundlagen für das zu erstattende Gutachten fehlt oder das Gericht ausnahmsweise, etwa in einfacheren Fällen der Feststellung und Bewertung der Blutalkoholkonzentration oder sonst bei Vorliegen von besonderem richterlichen Erfahrungswissen auf bestimmten Teilbereichen über die erforderliche besondere Sachkunde verfügt, was dann in der Regel näher darzulegen ist (OLG Koblenz VRS 104, 300; OLG Rostock Beschluss vom 22.03.2001 1 Ss 244/00 -zitiert nach juris-). Ein solcher Ausnahmefall, unter dem die alkoholbedingte Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit ohne sachverständige Hilfe aufgeklärt werden kann, liegt hier nicht vor. Die Erwägungen des Landgerichts, mit dem es die Schuldfähigkeit bejaht hat, vermögen auch nicht zu überzeugen. Dass der Angeklagte zur Arbeit fahren wollte, ansprechbar war, sich ohne fremde Hilfe bewegen konnte und die Durchführung eines Blutalkoholtests möglich war, schließt eine Aufhebung des Steuerungsvermögens für sich nicht aus (s. BGH StV 1991, 297). Zu den Trinkgewohnheiten des Angeklagten und dazu, wie er sich während der ärztlichen Untersuchung verhielt, wurde nichts festgestellt. Auch der Untersuchungsbefund des blutabnehmenden Arztes ist nicht mitgeteilt.

6

Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind von Rechtsfehlern nicht beeinflusst und bleiben bestehen (§ 353 Abs. 2 StPO).

7

Der Schriftsatz des Verteidigers vom 22. Juni 2010 lag bei der Beschlussfassung vor.


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