Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (1. Senat für Familiensachen) - 3 UF 202/11

Tenor

Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts –Familiengerichts - Wittenberg vom 29. August 2011, erlassen am 30. August 2012, abgeändert:

Der Antrag des Antragstellers, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz trägt der Antragsteller.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Das Kind R. wurde am 18.08.2005 in B. geboren. Die Kindesmutter ist Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina. Der Antragsgegner zu 3. hat die Vaterschaft zu dem betroffenen Kind am 30.08.2005 mit Zustimmung der Kindesmutter vor dem Standesamt F. zu Urkundsnummer 2101/05 anerkannt. Am 29.01.2008 haben die Kindesmutter und der Antragsgegner zu 3. vor dem Bezirksamt N. zu B. – Jugendamt – zur Urkundsnummer 115/2008 eine gemeinsame Sorgeerklärung für das beteiligte Kind abgegeben.

2

Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Abstammungsgutachtens nach der Methode des genetischen Fingerabdrucks und Anhörung der Kindesmutter und des rechtlichen Vaters durch die angefochtene Entscheidung dem Antrag des Antragstellers (für die behördliche Anfechtung der Vaterschaft zuständige Landesbehörde) entsprochen und festgestellt, dass der Antragsgegner zu 3. (im angefochtenen Beschluss Antragsgegner zu 2.) nicht der Vater des Kindes (im angefochtenen Beschluss Antragsgegner zu 1.) ist.

3

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Kindesmutter.

4

Sie meint, die angefochtene Entscheidung beruhe auf einem nicht ausreichend aufgeklärten Sachverhalt. Das Amtsgericht habe das Jugendamt nicht angehört, was nach § 176 FamFG nicht nur geboten, sondern zur Klärung der Problematik der sozial-familiären Beziehung und zur Aufklärung der Bindung des Kindesvaters erforderlich gewesen wäre. Bereits nach dem erstinstanzlichen Vorbringen hätte das Vorliegen einer sozial-familiären Beziehung zwischen R. (und auch der Schwester M. ) angenommen werden müssen; eine solche habe von Geburt an bestanden und bestehe nach wie vor. Der Antragsgegner zu 3. habe eine starke und innige Beziehung zu den beiden Kindern, er sei bei den Kindern in Bosnien gewesen, als sie noch dort aufhältig gewesen seien, sehe sie mindestens zweimal im Monat, telefoniere mit der Kindesmutter und den Kindern und werde an allen wichtigen Entscheidungen beteiligt. Er habe für beide Kinder bei der B. eine Familienversicherung.

5

Überdies bestünden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB.

6

Die Beschwerdeführerin beantragt,

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unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung, den Antrag des Antragstellers abzuweisen.

8

Der Antragsteller beantragt,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

10

Er vertieft seinen Vortrag aus der ersten Instanz.

II.

11

Die Beschwerde der Kindesmutter ist nach §§ 58, 59, 60, 63, 64, 65 FamFG zulässig; sie hat in der Sache auch Erfolg. Denn entgegen der Auffassung des Antragstellers und des Amtsgerichts ist hier davon auszugehen, dass zwischen dem Antragsgegner zu 1. (R. ) und dem Antragsgegner zu 3. eine sozial-familiäre Beziehung im Sinne von § 1600 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 und 4 BGB bestanden hat und nach wie vor besteht.

12

Dass das Ergebnis des eingeholten Abstammungsgutachtens gegen die Vaterschaft des Antragsgegners zu 3. streitet, ist deshalb unerheblich, noch dazu es erst nach Klärung dieser „Vorfrage“ – vgl. Senatsbeschluss vom 25.08.2010 - 3 UF 106/10 - hätte eingeholt werden dürfen.

13

Dabei bestehen zunächst keinerlei Bedenken, dass die Anfechtungsfristen des § 1600 b 1 a BGB gewahrt sind; ebenso wenig bedenklich ist, dass die maßgeblichen Normen erst zum 01.06.2008 in Kraft getreten sind, das Kind jedoch schon weit vor diesem Zeitpunkt geboren wurde. Der Senat hat zur Problematik der rückwirkenden Anwendung der Normen bereits in seiner Entscheidung vom 25.08.2010 ausführlich Stellung genommen und die rückwirkende Anwendung für rechtens befunden, sodass darauf Bezug genommen werden kann (vgl. Beschluss 3 UF 106/10).

14

Bedenken bestehen allerdings, und darauf weist die Beschwerde zu Recht hin, dass das Amtsgericht entgegen § 176 FamFG das Jugendamt nicht beteiligt hat. Denn gerade für die Klärung der hier mit entscheidenden Frage des Bestehens oder Nichtbestehens einer sozial-familiären Beziehung ist die Mitwirkung des Jugendamtes von Bedeutung.

15

Zur Aufklärung des Sachverhalts in diese Richtung geboten war auch die Anhörung der Kinder durch das Gericht selbst, die kraft gesetzlicher Regelung von Amts wegen ohnehin am Verfahren zu beteiligen sind (vgl. §§ 171, 175 Abs.1 FamFG).

16

Der Senat hat dies nachgeholt und alle Beteiligten und das Jugendamt persönlich angehört. Mit Blick auf die grundsätzliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 21.03.2012 - XII ZB 510/10) hat auf Anregung des Senats das Amtsgericht die Ergänzungspflegschaft für den minderjährigen R. angeordnet und das Jugendamt W. zum Ergänzungspfleger bestellt. Der Ergänzungspfleger hat von der Möglichkeit, Stellung zu nehmen, keinen Gebrauch gemacht.

17

Nach dem Anhörungsergebnis erweist sich das Begehren des Antragstellers als unbegründet, weil eine sozial-familiäre Beziehung zwischen rechtlichem Vater und dem Kind (Kindern) vorliegt.

18

Das ergibt sich besonders aus dem Ergebnis der Anhörung der Kinder vor dem Senat und dem -rein zufälligen- eigenen Erleben des Zusammentreffens von R. (und seiner Schwester M. ) mit dem Antragsgegner zu 3. auf dem Gerichtsflur vor Beginn der mündlichen Anhörung. Dieses Zusammentreffen des (rechtlichen) Kindesvaters mit den Kindern zeigte sich den Senatsmitgliedern als von großer Innigkeit, Freude und Wärme getragen. In der Anhörung der Kinder hat sich dieses herzliche Verhältnis der Kinder zum Antragsgegner zu 3. bestätigt, den sie beiläufig als Papa/ Papo bezeichneten.

19

Der Antragsgegner zu 3. hat in seiner Anhörung unwiderlegt auf jahrelange enge Beziehungen zur Kindesmutter hingewiesen, die bereits vorgeburtlich gelegentlich seines Einsatzes als Soldat in Bosnien entstanden waren, danach weiter bestanden hätten und seit der Geburt der Kinder nach wie vor zu ihr und den Kindern bestehen. Dabei erklärte er dem Senat gegenüber trotz des vorliegenden Gutachtens, dass für ihn selbst keine Wertigkeit habe, dass er der Vater der Kinder – auch von M. – sei und immer sein werde. Er habe sich trotz seiner ihn immer stärker beeinträchtigenden Krankheit - der Grad der gesundheitlichen Beeinträchtigung betrage 100 % - immer um die Kinder gekümmert, wenn er auch zur Unterhaltszahlung nicht in der Lage sei, den Kindern gegeben, was er konnte, und die Kinder bei der Mutter regelmäßig, zweimal im Monat, besucht. Dabei habe er sich mit ihnen beschäftigt und Probleme der Kinder mit der Kindesmutter besprochen. Dies reicht auch mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH XII ZR 164/04) und des Senats (vgl. Beschluss 3 UF 106/10) aus, um im Sinne der genannten Normen vom Vorliegen einer sozial-familiären Beziehung zwischen (rechtlichem) Vater und dem Kind auszugehen, die einem erfolgreichen Anfechtungsbegehren der Landesbehörde entgegensteht.

20

Angesichts dessen kann dahingestellt bleiben, ob gegen die gesetzlichen Anfechtungsregelungen deshalb verfassungsrechtliche Bedenken bestehen können, weil sie unehelich und scheinehelich geborene Kinder ungleich behandeln, wie mit der Beschwerde geltend gemacht.

21

Die weiteren Entscheidungen folgen aus §§ 40, 47 Abs. 1 FamGKG, 84, 81, 70 Abs. 1 FamFG.


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