Urteil vom Oberlandesgericht Naumburg (2. Zivilsenat) - 2 U 24/10 (Hs), 2 U 24/10

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 23. Februar 2010 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Magdeburg teilweise abgeändert und unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 692.993,85 € nebst Zinsen hieraus seit dem 15. Oktober 2009 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen haben die Klägerin zu 44 % und die Beklagte zu 56 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte ebenfalls durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

A.

1

Der Senat hat mit seinem am 10.02.2011 verkündeten Grundurteil rechtskräftig darauf erkannt, dass die Klägerin gegen die Beklagte dem Grunde nach einen vertraglichen Anspruch auf Schadenersatz statt der Leistung im Hinblick auf die Verpflichtungen der Beklagten aus den sechs streitgegenständlichen Lieferverträgen (Kontrakte K 1 bis K 6) zur Abnahme von restlichen 3.454.351 Litern Biodiesel der Gattung „... (FAME) DIN EN 14214 einschließlich Oxistabilisatoren“ hat, wobei sich die ursprüngliche Abnahmeverpflichtung der Beklagten auf sog. „Sommerware“ bezog, d.h. auf Biodiesel mit einer Mindestfiltrierbarkeit bis zu einer Temperatur von null Grad Celsius. Die Erfüllung der Abnahmeverpflichtung war mit Ablauf des 30.09.2008 endgültig unmöglich geworden, zu diesem Zeitpunkt entstand der Schadenersatzanspruch. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts, der Rechtsauffassungen der Parteien und des Verfahrensverlaufs wird auf den Inhalt des Grundurteils Bezug genommen.

2

Mit ihrer der Beklagten am 15. Oktober 2009 zugestellten Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Schadenersatz in Höhe von 1.237.387,47 €. Die Bezifferung des Anspruchs hat die Klägerin auf eine abstrakte Schadensberechnung gestützt. Wegen der Einzelheiten der ursprünglichen Schadensermittlung der Klägerin wird auf den Inhalt der Klageschrift (S. 23 bis 25, GA Bd. I Bl. 23 bis 25) sowie die hierzu eingereichten Anlagen (Zeitraumübersicht offene Liefermengen, Anlage K 15; Preisauskünfte der S. <künftig: S.>, Anlagen K 41 und K 42, einschließlich Übersetzung, Anlagen K 45 und K 46; Zusammenstellung offene Liefermengen für August und September 2008 sowie Differenz zwischen Vertragspreis und Marktpreis zum jeweiligen Stichtag nach dem Ablauf der Nachfrist, Anlage K 42) verwiesen. Das Landgericht hat mit seinem am 23.02.2010 verkündeten Urteil der Klage in vollem Umfang stattgegeben.

3

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie u.a. auch die Höhe der Verurteilung angreift. Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass das Vorbringen der Klägerin zur Schadensberechnung nicht schlüssig sei. Die „Sommerware“ sei ab dem 01.10.2008 am Handelsplatz Hamburg nicht mehr verkehrsfähig gewesen, weshalb ihr auch kein Marktwert mehr zukomme. Die Klägerin habe sich auch zu Unrecht auf Auskünfte eines Brokers in der Schweiz gestützt; insoweit hat sie behauptet, dass Marktpreise in einschlägigen Fachkreisen üblicherweise auf der Grundlage der taggleich veröffentlichten Preisangaben des Oil Market Reports (künftig: O.M.R.) erfolgten. Im Übrigen betrage die Klageforderung mehr als das Dreifache dessen, was die Klägerin vorprozessual gefordert habe, woraus sich die Unbilligkeit der Berechnung ergebe.

4

Nachdem der Senat mit Beschluss vom 10.02.2011 Hinweise zum vorläufigen Sach- und Streitstand erteilt und den Prozessparteien Auflagen zur weiteren Prozessleitung gemacht hat, hat die Klägerin u.a. die Auskunft von S. vom 28.02.2011 vorgelegt. Hieraus ergibt sich eine Preisfeststellung in Höhe von 68,47 € / 100 l für entsprechende Gattungsware am Handelsplatz Hamburg (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 09.03.2011, GA Bd. III Bl. 56 ff.) und mithin rechnerisch ein Anspruch in Höhe von 692.993,85 €. Wegen der Einzelheiten der Schadensberechnung der Klägerin wird auf die Anlage K 55 (GA Bd. III Bl. 61) sowie auf die tabellarische Zusammenstellung der Rechnungspositionen (GA Bd. III Bl. 58) Bezug genommen.

5

Die Beklagte behauptet, dass die Preisfeststellung von S. offensichtlich unrichtig sei. Sie hat sich hierfür auf Preisindikationen der Klägerin und anderer Marktteilnehmer bzw. Marktbeobachter gestützt. Sie ist der Auffassung, dass das Vorgehen von S. schon im Ansatz fehlerhaft sei, weil der Marktpreis für eine andere Verkaufsregion, nämlich West oder auch ARA (Amsterdam – Rotterdam – Antwerpen), zu der auch der deutsche Hafenstandort Duisburg gehört, herangezogen und die Distanz zur Verkaufsregion Hamburg lediglich durch einen Ausgleichsbetrag berücksichtigt worden sei. Maßgeblich sei jedoch der regionale Markt, weil für die Beklagte als typische Abnehmerin ein Einkauf in der Region West nicht in Betracht komme.

6

Die Beklagte beantragt,

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unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils

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die Klage abzuweisen,

9

hilfsweise für den Fall der Zurückweisung der Berufung,

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die Revision zuzulassen.

11

Die Klägerin beantragt,

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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

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Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil auch hinsichtlich des Betrages der Verurteilung.

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Der Senat hat mit seinem Hinweis- und Auflagenbeschluss vom 10.02.2011 u.a. darauf hingewiesen, dass die Klägerin ihre Klageforderung auf eine abstrakte Schadensberechnung gestützt habe, dass sie nach Ziffer 2.7 der Allgemeinen Vertragsbedingungen der Lieferverträge zur Feststellung des Marktpreises durch Preisfeststellung durch einen Dritten berechtigt sei und dass der Senat insoweit den Stichzeitpunkt 30.09.2008, 24:00 Uhr, (künftig: Bewertungszeitpunkt) für maßgeblich erachte. Der Senat hat mit Beschluss vom 11.05.2011 weitere Hinweise zur Sach- und Rechtslage erteilt und eine Beweisaufnahme durch Einholung eines kaufmännischen Sachverständigengutachtens angeordnet. Als gerichtlichen Sachverständigen hat der Senat D. N. bestimmt. Im Rahmen der Beweisaufnahme sind dessen schriftliches Gutachten vom 08.11.2011 nebst Anlagen (vgl. GA Bd. III Bl. 146 bis 205) und dessen Tischvorlagen vom 03.04.2012 (vgl. GA Bd. IV Bl. 64 bis 66) und vom 14.06.2012 (GA Bd. IV Bl. 99 bis 101) eingeholt worden; der Sachverständige hat darüber hinaus sein Gutachten im Termin der mündlichen Verhandlung vom 15.06.2012 erläutert (vgl. Sitzungsprotokoll GA Bd. IV Bl. 94 bis 98).

15

Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Beklagten vom 05.07.2012 und vom 09.07.2012 sind Gegenstand der abschließenden Urteilsberatung des Senats gewesen.

B.

16

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden. Sie hat jedoch in der Sache nur teilweise Erfolg, soweit der abstrakten Schadensberechnung ein anderer als der ursprünglich von der Klägerin vorgesehene Stichzeitpunkt – nämlich der 30.09.2008, 24:00 Uhr – zugrunde zu legen ist. Die gegen die nach Maßgabe der Hinweise des Senats vorgenommene Preisfeststellung der Klägerin gerichteten Angriffe der Berufung sind unbegründet.

17

I. Der – dem Grunde nach bereits rechtskräftig zuerkannte – Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Schadenersatz statt der Leistung wegen der nicht vollständigen Erfüllung der Abnahmeverpflichtung für Biodiesel für die Monate August und September 2008 aus den Kontrakten K 1 bis K 6 beträgt 692.993,85 €.

18

1. Nach dem insoweit übereinstimmenden Inhalt der sechs streitgegenständlichen Lieferverträge, insbesondere nach Ziffer 2.7 Satz 1 der Allgemeinen Vertragsbedingungen, ist die Klägerin berechtigt, ihren Schaden wegen Nichterfüllung abstrakt und auf der Grundlage einer Preisfeststellung durch einen Dritten (z. Bsp. Makler) zu berechnen (vgl. Anlage K 7, S. 2). Hiervon hat die Klägerin zulässigerweise Gebrauch gemacht.

19

a) Die Möglichkeit der abstrakten Schadensberechnung eines entgangenen Gewinns ist nicht nur im hier anzuwendenden Schweizer Recht vorgesehen, sie besteht auch nach dem deutschen Recht. Ein gewerblicher Vertragspartner kann danach seinen Schaden abstrakt berechnen, d.h. unter Inanspruchnahme einer Beweiserleichterung in der Gestalt der Vermutung, dass er jederzeit imstande gewesen wäre, das ihm entgangene Geschäft mit dieser (Gattungs-)Ware zu den aktuellen Marktpreisen zu tätigen. In diesem Falle ist die volle Gewissheit, dass der Gewinn gezogen worden wäre, nicht erforderlich; vielmehr genügt der Nachweis einer gewissen Wahrscheinlichkeit (vgl. § 252 S. 2 BGB, vgl. BGH, Urteil v. 29.06.1994, VIII ZR 317/93, BGHZ 126, 305; Urteil v. 27.05.1998, VIII ZR 362/96, NJW 1998, 2901; Urteil v. 22.12.1999, VIII ZR 135/99, NJW 2000, 1409; Urteil v. 19.10.2005, VIII ZR 392/03, NJW 2006, 243).

20

b) Die wirksame Einbeziehung der Allgemeinen Vertragsbedingungen in die Lieferverträge zwischen den Parteien des Rechtsstreits ist im Rahmen des Grundurteils bereits festgestellt worden; auf die entsprechenden Ausführungen (Abschnitt B. II. 2. der Gründe, UA S. 14 f.) wird Bezug genommen.

21

c) Soweit die Beklagte einwendet, dass die Auswahl von S.  durch die Klägerin ermessensfehlerhaft gewesen sei, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die vertraglichen Bestimmungen treffen nähere Regelungen zu dem auszuwählenden Dritten für die Preisfeststellung nicht. Aus der beispielhaften Benennung des Berufsstandes der Makler ergibt sich allenfalls, dass der Dritte ein mit dem Biodieselhandel vertrauter Marktteilnehmer sein soll. Dies trifft für den hier ausgewählten Broker jedenfalls auch nach den Angaben der Beklagten zu. Eine weitere Bindung, z. Bsp. an den Handelsplatz Deutschland – Region Nord -, ist der Vertragsbestimmung nicht zu entnehmen. Aus diesem Grund ist es für die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit unbeachtlich, ob – wie die Beklagte wiederholt behauptet hat – andere zur Preisfeststellung geeignete Auskunftspersonen oder -einrichtungen ebenfalls geeignet oder besser geeignet sein könnten oder ggf. branchenüblich in Anspruch genommen werden. Für den von ihr mehrfach angeführten O.M.R. trifft dies selbst nach den Angaben der Beklagten im Übrigen allenfalls ab dem Jahre 2010 zu, also für einen Zeitraum lange nach demjenigen Zeitraum, in dem die hier streitgegenständlichen Verträge mit der Vereinbarung zur Preisfeststellung zustande gekommen sind.

22

d) Im Übrigen ist rechtlicher Maßstab der Verbindlichkeit der Leistungsbestimmung durch einen Dritten allein ein materielles Kriterium, nämlich die offenbare Unbilligkeit bzw. Unrichtigkeit der getroffenen Preisfeststellung. Dieser rechtliche Maßstab entspricht im deutschen Recht der Vorschrift des § 319 BGB.

23

2. Die von S. getroffene Preisfeststellung in Höhe von 68,47 € / 100 l für den vom Senat für maßgeblich erachteten Bewertungszeitpunkt 30.09.2008, 24:00 Uhr, ist nicht unwirksam. Die Voraussetzungen für eine von der Beklagten begehrte Ersetzung durch einen anderen Betrag liegen nicht vor.

24

a) Die getroffene Preisfeststellung weicht bei der hier gebotenen relativen Betrachtung nur geringfügig vom festgestellten Verkehrswert der Ware ab. Der gerichtliche Sachverständige hat für den Handelsplatz Hamburg einen Marktwert in Höhe von 71,53 € / 100 l Biodiesel ermittelt. Der von der Klägerin im Rahmen ihres einseitigen Leistungsbestimmungsrechts festgestellte Preis in Höhe von 68,47 € / 100 l ist nur um 4,28 % niedriger als der vorgenannte Marktpreis. Eine offensichtliche Unrichtigkeit wird regelmäßig erst bei einer Abweichung von 20 bis 25 % angenommen (vgl. Grüneberg in: Palandt, 71. Aufl. 2012, § 319 Rn. 3 m.w.N.).

25

b) Die tatsächlichen Feststellungen des Senats zum Verkehrswert der Ware beruhen auf der Würdigung der erhobenen Beweise nach § 286 ZPO, insbesondere auf den Ergebnissen der Einbeziehung des gerichtlichen Sachverständigen D. N. .

26

aa) Die Auswahl des Sachverständigen ist nach Maßgabe des § 404 ZPO erfolgt. Insoweit nimmt der Senat auf die Gründe des Beschlusses vom 11.10.2011 Bezug. Zweifel an der Richtigkeit der getroffenen Auswahlentscheidung sind entgegen der Auffassung der Beklagten auch im Verlaufe der Beweisaufnahme nicht zu Tage getreten. Soweit die Beklagte angibt, dass sich ihre anfänglichen Bedenken gegen die Unvoreingenommenheit des ausgewählten Sachverständigen durch dessen Ausführungen bestätigt hätten, vermag der Senat diesem Vorbringen nicht zu folgen. Der gerichtliche Sachverständige hat nach der Beobachtung des Senats nicht den Eindruck vermittelt, dass seine Ausführungen davon beeinflusst sein könnten, dass sein Arbeitgeber geschäftliche Beziehungen auch zur Klägerin unterhält. Dem Senat war bei Auswahl des Sachverständigen bewusst, dass ein mit langjährigen praktischen Erfahrungen im Biodieselhandel ausgestatteter Sachverständiger notwendigerweise auch geschäftlichen Kontakt zur Klägerin haben musste. Allein aus diesem Umstand kann aber gerade auch angesichts der Größe und Marktstellung des Arbeitgebers des Sachverständigen nicht auf eine Abhängigkeit des Sachverständigen vom Wohlwollen der Klägerin geschlossen werden, wie die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 05.07.2012 unterstellt.

27

bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen nicht in sich widersprüchlich oder enthält gar objektiv falsche Angaben.

28

(1) Die Vertragsware ist auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich die Kontrakte ausschließlich auf sog. „Sommerware“, d.h. auf Biodiesel mit einer garantierten Filtrierbarkeit bis null Grad Celsius (cold filtr plugging point- CFPP), und auf Lieferbedingungen „FOT Hamburg“, d.h. Abholung mittels Tanklastwagen in Hamburg, bezogen, zum Bewertungszeitpunkt nicht etwa wertlos geworden. Allerdings war die Ware in der Absatzregion Deutschland Nord, also Hamburg und elbaufwärts (vgl. S. 3 des Gutachtens), nicht mehr verkehrs- und verwendungsfähig, und zwar auch nicht im Rahmen einer anteiligen Beimischung (vgl. § 5 der 36. BlmSchV i.V.m. DIN EN 14214, Nationaler Anhang, Punkt 3). Diese Einschränkung, die der gerichtliche Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten ausführlich dargestellt hat (vgl. S. 2, „Rechtliche Rahmenbedingungen“), beruht jedoch auf einer nationalen Regelung. In andren Regionen mit anderen klimatischen Bedingungen, z. Bsp. in Spanien, sind Biodieselkraftstoffe mit einer Filtrierbarkeit bis null Grad Celsius ganzjährig handel- und verwendbar. Der Zugang zu diesen Märkten ist, wie der Sachverständige nachvollziehbar ausgeführt hat, in Deutschland vor allem über den Hafen in Duisburg mit Anschluss an den Fernhandel in Rotterdam (lt. Gutachter die sog. „ARAG-range“, d.h. die Transportmöglichkeit auf dem Rhein nach Amsterdam über Rotterdam, Antwerpen und Gent, vgl. S. 3 f. des Gutachtens sowie Tischvorlage vom 14.06.2012, S. 1) gewährleistet. Gerade innerhalb des EU-weiten Binnenmarktes, in dem Handelsbeschränkungen beseitigt sind, ist eine Verkehrsfähigkeit der Ware mithin gegeben.

29

Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass sich eine Unverkäuflichkeit der Ware zu Ungunsten der Beklagten auswirken würde, weil sie den Schaden der Klägerin erhöhen würde.

30

(2) Der gerichtliche Sachverständige hat – im Übrigen ebenso, wie die S. im Rahmen ihrer Preisfeststellung für die Klägerin – mit den notierten Marktpreisen für sog. „Sommerware“ am Handelsplatz Duisburg (Export) einen zutreffenden Ausgangswert für seine Verkehrswertermittlungen herangezogen. Aus dem Vorausgeführten ergibt sich, dass in Duisburg auch zum Bewertungszeitpunkt ein funktionierender Markt für Biodiesel in der Qualität von „Sommerware“ besteht. Für eine abstrakte Schadensberechnung ist der Rückgriff auf den Marktpreis am Handelsplatz Duisburg sachgerecht.

31

(3) Die Beklagte ist schon nicht materiell beschwert dadurch, dass sowohl der gerichtliche Sachverständige als auch die S. bei der Wertermittlung einen Aufschlag auf den Marktpreis am Handelsplatz Duisburg vorgenommen haben. Wie die Beklagte zutreffend selbst angeführt hat, wäre im Hinblick auf die Lieferbedingung „FOT Hamburg“ auch ein Abschlag in Betracht gekommen, weil danach der Abnehmer die Aufwendungen für den Transport von Hamburg nach Duisburg und den Umschlag von den Tanklastwagen auf ein Schiff als übliches Weitertransportmittel zu tragen hätte. Die vorgenannte Vorgehensweise erfolgte zugunsten der Beklagten, weil sie die Differenz zwischen Vertragspreis und Marktpreis reduziert. Sie ist aber auch sachlich nachvollziehbar. Dem Aufschlag liegt die Sicht des Verkäufers zugrunde, der die Ware eben nicht in Hamburg, sondern nur in Duisburg absetzen kann, der daher u.U. den Transport und den Umschlag ggf. selbst durchführt und deshalb daran interessiert sein muss, für die fiktiv in Hamburg befindliche Ware einen höheren Preis zu erzielen, um diese Aufwendungen auszugleichen. Insoweit hat der gerichtliche Sachverständige jedoch nachvollziehbar ausgeführt, dass Preisunterschiede zwischen den Handelsplätzen in Hamburg und Duisburg von mehr als 0,50 € / 100 l am Markt nicht durchsetzbar seien (vgl. Gutachten S. 5), so dass selbst bei günstigster Betrachtung für die Beklagte allenfalls ein um 0,50 € / 100 l höherer Preis als am Handelsplatz Duisburg erzielbar wäre. Angesichts dieser Verweise auf Marktmechanismen und -zusammenhänge kommt es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht darauf an, welche konkreten Transport-, Umschlags-, Versicherungs- und sonstigen Nebenkosten bzw. auch Wagnis- und Gewinnaufschläge des Spediteurs tatsächlich anfallen könnten, sondern nur darauf, dass am Markt ein höherer Preisaufschlag jedenfalls nicht durchsetzbar wäre (vgl. auch Tischvorlage vom 14.06.2012, S. 1 f.).

32

(4) Der gerichtliche Sachverständige hat zur Untersetzung seiner Ausführungen auf konkrete Beispiele von einvernehmlichen Vertragsaufhebungen seines Arbeitgebers, an denen er verantwortlich mitgewirkt hat, verwiesen (vgl. Gutachten S. 5 f.). Die Beklagte hat zwar zutreffend angemerkt, dass die dort zugrunde gelegten Preisniveaus von 76,50 € / 100 l bzw. 77,00 € / 100 l über dem hier ermittelten Verkehrswert liegen. Dies widerspricht dem Gutachtenergebnis jedoch nicht, sondern ist geeignet, es zu bestätigen. Denn einerseits beziehen sich diese Rückkäufe auf andere Bewertungszeitpunkte, den 26.09. und den 29.09.2008, also vor Eintritt des Verlustes der Verkehrsfähigkeit am Handelsplatz Hamburg. Andererseits – und dies ist entscheidend – resultiert das (höhere) Preisniveau auf einem Entgegenkommen der Verkäuferin im Rahmen eines Vergleichsabschlusses, der für die Verkäuferin gegenüber dem vorliegenden Fall den erheblichen geldwerten Vorteil einer zeitnahen, ohne größeren zeitlichen, personellen und finanziellen Aufwand erzielten Problemlösung hatte. Letzteres gilt auch für den dritten, vom Sachverständigen angeführten Vergleichsfall (vgl. Gutachten S. 6 f.). Insoweit waren darüber hinaus strategische Überlegungen der Verkäuferin i.S. einer Pflege langfristiger Kundenbeziehungen maßgeblich, welche zwar in einen individuellen Vertragsabschluss einfließen können, nicht aber in eine allgemeine Verkehrswertermittlung. Dies hat der Sachverständige auch zu Recht deutlich gemacht.

33

(5) Die Beklagte vermag das Beweisergebnis auch mit ihrem Einwand, dass die Preisindikationen der Klägerin (Spot-Preise Hamburg) vom 18.09., vom 25.09. und vom 26.09.2008 (vgl. Anlage 37), die Preisindikationen des Arbeitgebers des gerichtlichen Sachverständigen vom 08.09.2008 (Anlage 9 zum Gutachten, GA Bd. III Bl. 178) sowie die Auskunft der O. Consult für die offerierten Preise am 29./30.09.2008 (vgl. Anlage 35, GA Bd. III Bl. 75) ein höheres Preisniveau aufweisen, nicht zu erschüttern.

34

Zunächst ist festzuhalten, dass alle genannten Preisindikationen vor dem Bewertungszeitpunkt liegen und mithin in einer Zeit, in der Biodiesel in der Qualität von „Sommerware“ auch am Handelsplatz Hamburg selbst noch verkehrsfähig war. Maßgeblich ist, dass es sich nicht um ein Preisniveau aus Vertragsabschlüssen handelt, sondern um das Preisniveau, welches die Verkäuferseite zu erzielen beabsichtigte. Es ist ohne Weiteres nachvollziehbar, dass der angestrebte Preis eher über dem erzielbaren Preis liegt. Dies hat der Sachverständige auch als Hauptbegründung für die Abweichungen angegeben.

35

Erst auf mehrere gezielte Nachfragen der Beklagten hat er einen weiteren möglichen, z. T. aber auch spekulativen Grund genannt, ausgehend von der Praxis in dem Unternehmen, in dem er selbst tätig ist (vgl. Tischvorlage vom 14.06.2012, S. 2). Für die weitere Beweiswürdigung des Senats ist entscheidungserheblich, dass der Sachverständige ausdrücklich klargestellt hat, dass hierin nicht etwa der Hauptgrund der unzureichenden Aussagekraft der ihm vorgehaltenen Preisindikationen liegt.

36

Der gerichtliche Sachverständige hat darauf verwiesen, dass für die Preisindikationen der einzelnen Anbieter, und nicht etwa für den Marktpreis (vgl. z. Bsp. Sitzungsprotokoll S. 3 f.), auch von Bedeutung sein könne, ab welchem Zeitpunkt der jeweilige Verkäufer seinen Einkauf und seine Lagerhaltung darauf umstelle, dass er ab dem 01.10. eines Jahres nur noch sog. „Übergangsware“ ausliefern dürfe. Beginne er mit dieser Umstellung schon mehrere Tage vor dem Stichtag 30.09., könnten höhere Preisindikationen auch darauf beruhen, dass der Verkäufer wegen der bereits erfolgten internen Umstellung nur noch „Übergangsware“ zu liefern vermöge (vgl. Sitzungsprotokoll S. 2).

37

Die weiteren Vorhalte der Beklagten haben auf einem – bewussten oder unbewussten – Missverständnis dieser Ausführungen beruht, weshalb der Senat im Termin mehrfach darauf hingewiesen hat, dass sich die Fragen der Beklagten zunehmend vom Beweisthema entfernten, ohne die Fragen als unzulässig zurückzuweisen. Dies betrifft insbesondere den von der Beklagten mehrfach gemachten und variierten Vorhalt, ob der Sachverständige aus dem Datum der jeweiligen Preisindikation darauf zurückschließe, dass es sich in jedem Falle um Angebotspreise handele, die sich auf höherwertige Ware (etwa Rapsölfettsäuremethylester – RME – statt Palmölfettsäuremethylester – PME -) bezögen. Die Antworten mussten, wie der Sachverständige auch deutlich gemacht hat, spekulativ bleiben, weil es hierfür auf die Kenntnis interner Vorgänge in den jeweiligen Unternehmen, z. Bsp. den Zeitpunkt der Umstellung, die Kundenstruktur und deren übliches Nachfrageverhalten oder die Einkaufsbedingungen, ankam, von denen der Sachverständige nicht oder jedenfalls nicht ad hoc Kenntnis hatte. Unerheblich für das Beweisthema waren zudem die Fragen der Beklagten nach der chemischen Zusammensetzung der Produkte; hierauf bezieht sich auch die durch das Gericht vom Sachverständigen in Anspruch genommene Fachkunde nicht. Soweit die Beklagte in ihren Schriftsätzen vom 05.07.2012 und vom 09.07.2012 aus der Beantwortung von – teilweise suggestiv gestellten – Fragen zu chemischen Produkteigenschaften auf die Unglaubwürdigkeit des kaufmännischen Sachverständigen schließt, folgt der Senat dieser Bewertung nicht.

38

(6) Soweit dem gerichtlichen Sachverständigen schließlich die von O.M.R. angegebenen Preise für Biodiesel vorgehalten worden sind, hat er nachvollziehbar darauf verwiesen, das diese Preise bereits Marktpreise für Biodiesel in der Qualität von „Übergangsware“ (CFPP bis – 10º C) beschreiben (vgl. Tischvorlage vom 03.04.2012, S. 2). Er hat diese subjektive Bewertung überzeugend damit untersetzt, dass die Differenz zwischen den vorgenannten Preisen von O.M.R. und dem von ihm ermittelten Verkehrswert in Höhe von ca. 14,00 € / 100 l etwa dem kalkulatorischen Mehraufwand für die Erstellung von „Übergangsware“ gegenüber der Erstellung von „Sommerware“ entspreche (vgl. Tischvorlage vom 14.06.2012, S. 2).

39

cc) Eine Beeidigung des gerichtlichen Sachverständigen zur Bekräftigung der Richtigkeit seiner Ausführungen hat der Senat nicht für erforderlich erachtet; sie ist auch von keiner der Prozessparteien beantragt bzw. angeregt worden.

40

Der Senat hat den Sachverständigen sowohl anlässlich der Beauftragung fernmündlich durch den Berichterstatter als auch anlässlich der Anhörung vor dem Senat im Termin vom 15.06.2012, dort auch zu Protokoll der Sitzung (S. 1, GA Bd. IV B. 94), darüber belehrt, dass er verpflichtet sei, sein Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten. Für den Senat waren die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, obwohl sie subjektive Einschätzungen beinhalteten, bereits ohne die mündliche Anhörung nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei. Die Anhörung ist lediglich auf Antrag der Beklagten erfolgt. Eine Pflicht zur Beeidigung besteht nicht (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 410 Rn. 1). Eine Beeidigung wäre vom Senat allenfalls dann in Erwägung gezogen worden, wenn die Beklage auch nach Durchführung dieser Anhörung in der mündlichen Verhandlung die Besorgnis der ungerechtfertigten Begünstigung der Klägerin durch den Sachverständigen geäußert und einen Antrag auf Beeidigung gestellt bzw. eine entsprechende Anregung erklärt hätte. Das hat sie jedoch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht getan. Das Vorbringen in den nicht nachgelassenen Schriftsätzen vom 05.07.2012 und vom 09.07.2012 gibt dem Senat keine Veranlassung, erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten, um u.U. eine Beeidigung des Sachverständigen nachzuholen.

41

dd) Aus den in Abschnitt B. I. 2 b) aa) bis cc) dieser Gründe genannten Erwägungen sieht der Senat auch keine Veranlassung für die Einholung eines neuen Gutachtens durch einen anderen Sachverständigen nach § 412 Abs. 1 ZPO.

42

3. Unter Zugrundelegung der wirksamen Preisfeststellung durch die S. ist die abstrakte Schadensberechnung der Klägerin nicht zu beanstanden.

43

a) Die Klägerin hat zunächst zutreffend die infolge der Nichtabnahme von Biodiesel verbleibenden offenen Mengen (in mt) je Kontrakt ermittelt. Die nach den einzelnen Kontrakten differenzierende Schadensberechnung führt zu einer angemessenen Berücksichtigung der unterschiedlichen Vertragspreise trotz teilweise übereinstimmender Lieferzeiträume in den Kontrakten K 1 bis K 6. Dabei hat die Klägerin lediglich die offenen Mengen für die Monate August und September 2008 berücksichtigt, nicht etwaige offene Mengen aus den vorangegangenen Liefermonaten (vgl. Schadensberechnung im Schriftsatz vom 09.03.2011, Tabelle S. 4, Spalte 4). Diese Vorgehensweise begünstigt die Beklagte.

44

b) Die Klägerin hat sodann für jeden Kontrakt die Differenz aus dem jeweiligen Vertragspreis und dem festgestellten Marktpreis zum Bewertungszeitpunkt berechnet (vgl. Spalte 8 der tabellarischen Schadensberechnung). Hierdurch werden durch die Nichtabnahme entstandenen Einnahmeausfälle der Klägerin pro mt Biodiesel i.S. einer abstrakten Schadensberechnung zutreffend abgebildet.

45

c) Schließlich ist kontraktweise das Produkt aus der jeweiligen offenen Menge und der ermittelten Preisdifferenz errechnet worden (Spalte 9 der tabellarischen Schadensberechnung) und die Summe aller sechs Einzelwerte ermittelt worden. Alle Rechenschritte sind mathematisch korrekt.

46

II. Der Zinsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

C.

47

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

48

Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nr. 8 EGZPO i.V. mit §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1 sowie 543, 544 Abs. 1 S. 1 ZPO.

49

Die Revision war nicht nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Soweit sich die Beklagte zur Begründung ihrer Anregung auf eine vermeintliche Abweichung der Rechtsauffassung des Senats von tragenden Rechtssätzen der Urteile des Oberlandesgerichts Naumburg vom 13.03.2009, 6 U 143/08, und des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 30.06.2009, 6 U 69/08, beruft, betrifft dies nicht die Rechtssätze des vorliegenden Urteils, sondern einen rechtlichen Aspekt bei der Auslegung der Lieferverträge, der lediglich für den Erlass des inzwischen rechtskräftigen Grundurteils maßgeblich gewesen ist. Im Übrigen liegt eine Abweichung nicht vor, wie bereits im o.g. Grundurteil ausgeführt worden ist. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs. wie sie die Beklagte mit Schriftsatz vom 05.07.2012 geltend macht, ist nicht ersichtlich. Insbesondere hat der erkennende Senat das Vorbringen der Beklagten in den beiden nicht nachgelassenen Schriftsätzen zum Gegenstand seiner abschließenden Urteilsberatung gemacht.


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