Beschluss vom Oberlandesgericht Rostock (1. Strafsenat) - I Ws 373/11

Tenor

I. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

II. Der Antrag der Staatsanwaltschaft Stralsund vom 19.09.2011, die mit Beschluss des Landgerichts Rostock vom 19.05.2011 angeordnete Aussetzung der Vollstreckung der dort genannten Restfreiheitsstrafen zu widerrufen, wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

I.

1

Die zulässige sofortige Beschwerde hat Erfolg, da die Voraussetzungen für den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung derzeit nicht vorliegen.

1.

2

Der Widerruf kann nicht auf den Abbruch der stationären Suchttherapie gestützt werden, da die entsprechende Weisung im Hinblick auf die zeitliche Dauer der Therapie nicht hinreichend bestimmt gefasst war.

3

Auflagen nach § 56b StGB und Weisungen nach § 56c Abs. 1 StGB müssen gemäß Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz genügen. Danach hat das Gericht und nicht erst der Bewährungshelfer (oder gar Dritte) die Vorgaben so bestimmt zu formulieren, dass Verstöße einwandfrei festgestellt werden können und der Verurteilte unmissverständlich weiß, wann er einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB zu erwarten hat. Das Bestimmtheitsgebot kann allerdings nicht bedeuten, dass die Weisung bis ins Letzte präzisiert sein muss. Da dem Bewährungshelfer nach § 56d Abs. 3 Satz 2 StGB die Aufgabe zukommt, die Erfüllung der Weisungen zu überwachen, kann es sinnvoll sein, von ihm gewisse Einzelheiten der Mitwirkung des Verurteilten an Kontrollmaßnahmen festlegen zu lassen. Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die von der Regelung Betroffenen zu berücksichtigen. Danach können gewisse Konkretisierungen der Verhaltensmaßgaben eines Bewährungsbeschlusses dem Bewährungshelfer überlassen werden, soweit eine Konkretisierung unmittelbar durch gerichtlichen Bewährungsbeschluss - beispielsweise im Hinblick auf organisatorische oder durch Interessen des Verurteilten bedingte Flexibilitätserfordernisse - nicht sinnvoll praktikabel ist. Dies kann auch Festlegungen zur Bestimmung der Zeitpunkte betreffen, zu denen bestimmte Leistungen zu erbringen sind, ohne dass darin eine Übertragung des gesetzlich dem Gericht vorbehaltenen Weisungsrechts zu sehen wäre. Dies ändert aber nichts daran, dass ein Bewährungswiderruf nur in Betracht kommt, wenn dem Verurteilten zuvor unmissverständlich verdeutlicht wurde, was genau von ihm erwartet wird und wann er einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB zu erwarten hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.09.2011 - 2 BvR 1165/11, Abs. Nr. 18, BeckRS 2011, 55537).

4

Die mit Beschluss vom 19.05.2011 unter Ziffer 4. a) getroffene Weisung genügt diesen Anforderungen nicht. Dort wurde dem Verurteilten aufgegeben, an einer stationären Suchttherapie teilzunehmen, solange dies von Seiten der behandelnden Therapeuten für erforderlich gehalten wird. Die Weisung, sich einer stationären Heilbehandlung zu unterziehen, ist mit Einwilligung des Verurteilten, welche hier zum Zeitpunkt der Anordnung vorlag, nach § 56c Abs. 3 StGB grundsätzlich zulässig. Aus den oben genannten grundsätzlichen Erwägungen zum Bestimmtheitsgrundsatz und weil es es sich hier um eine Weisung handelt, die besonders schwerwiegend in die Lebensführung des Verurteilten eingreift, sind an die Bestimmtheit der Fassung der Weisung hohe Anforderungen zu stellen. Der Richter hat möglichst präzise zu bestimmen, welche Art von Heilbehandlung durchgeführt werden soll, in welcher Einrichtung sie zu erfolgen hat und innerhalb welchen Zeitraums die Behandlung zu erfolgen hat (vgl. zu ambulanten Maßnahmen: OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 07.05.2003 - 3 Ws 528/03, NStZ-RR 2003, 199). Die Bestimmung des Zeitraums der Heilbehandlung kann keinesfalls den behandelnden Ärzten bzw. Therapeuten überlassen werden. Soweit eine Höchstdauer der Behandlung zum Zeitpunkt der Anordnung der Weisung noch nicht bestimmt werden kann, ist unter Angabe des klar zu bestimmenden Behandlungsziels die Weisung zunächst auf unbestimmte Zeit auszusprechen und ein Prüfungstermin festzulegen, an welchem der Richter nach § 56e StGB über den Fortbestand der Weisung zu entscheiden hat.

2.

5

Der Abbruch der stationären Suchttherapie wäre auch bei hinreichend bestimmter Fassung der Weisung kein hinreichender Anlass zum Widerruf der Strafaussetzung.

6

Die Einwilligung, sich einer stationären Behandlung zu unterziehen, kann durch den Verurteilten jederzeit zurückgenommen werden. Dies macht die Anordnung der entsprechenden Weisung zwar nicht unrechtmäßig. Macht der Verurteilte jedoch von der ihm zustehenden Willensentschließung Gebrauch, nimmt er also die Einwilligung zurück und verlässt er das Heim oder die Anstalt, so kann ihm dies nicht ohne weiteres als gröblicher oder beharrlicher Verstoß gegen die ihm erteilte Weisung zur Last gelegt werden mit der Folge, dass die Strafaussetzung gem. § 56f I Nr. 2 StGB zu widerrufen wäre (BGH, Beschl. v. 01.02.1989 - 4 BJs 45/88 - StB 48/88, NJW 1989, 1556; Fischer 58. Aufl. StGB § 56c Rn. 11). Außerdem rechtfertigen Weisungsverstöße auch nur dann den Widerruf der Strafaussetzung, wenn sich aus ihnen die Befürchtung ableiten lässt, der Verurteilte werde künftig neue Straftaten begehen.

7

Ausreichende Anhaltspunkte für einen aktuellen Drogenmissbrauch des Verurteilten und eine dadurch erhöhte Gefahr der Begehung neuer Straftaten liegen nicht vor. Der Verurteilte ist bereit, an einer ambulanten Suchtbehandlung teilzunehmen und regelmäßige Drogen- und Alkoholtests durchführen zu lassen. Da bei dem Verurteilen bisher kein Zustand der Suchtmittelabhängigkeit festgestellt werden konnte, welcher allein durch eine stationäre Therapie behandelt werden könnte, kann durch alternative Weisungen im ausreichenden Maß präventiv auf den Verurteilten eingewirkt werden.

3.

8

Ob weitere Weisungen nach § 56e StGB nachträglich angeordnet werden sollen, hat die Strafvollstreckungskammer im pflichtgemäßen Ermessen zu prüfen. Eine Sachentscheidungsbefugnis des Senats nach § 309 Abs. 2 StPO wäre hier nur gegeben, wenn ein Fall des § 57 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 56f Abs. 2 StGB vorliegen würde, weitere Auflagen und/oder Weisungen also an der Stelle des Widerrufs als mildere Maßnahmen anzuordnen wären.

II.

9

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO. Dieser Beschluss ist nicht weiter anfechtbar (§ 310 Abs. 2 StPO).

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