Beschluss vom Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken - 6 UF 48/09

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht – in Saarlouis vom 13. März 2009 – 20 F 131/07 SO – festgestellt, dass die Voraussetzungen für Maßnahmen nach § 1666 BGB nicht vorliegen mit der Folge, dass es uneingeschränkt bei der gemeinsamen elterlichen Sorge der Kindeseltern verbleibt.

2. Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

3. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

4. Der Antragstellerin wird mit Wirkung vom 20. Mai 2009 ratenfreie Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwalt, bewilligt.

5. Dem Antragsgegner wird mit Wirkung vom 21. September 2009 Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwältin, bewilligt. Der Antragsgegner hat ab 1. November 2009 monatliche Raten von 45 EUR auf die Verfahrenskosten zu zahlen.

Gründe

I.

Das betroffene, am … Januar 1998 geborene Kind A. K. ist aus der – seit dem 21. September 2000 geschiedenen – Ehe der Beteiligten zu1) und 2) hervorgegangen. Seit der Trennung der Kindeseltern lebt das Kind im Haushalt der Antragstellerin. Die Kindeseltern üben die elterliche Sorge für A. K. gemeinsam aus.

Die Antragstellerin hat aus früheren Ehen drei – am … Januar 1994, am ... August 1996 und am … Januar 2003 geborene Kinder. Sie ist ferner Mutter eines am ... November 2007 aus einer neuen Beziehung hervorgegangenen weiteren Kindes.

Der Antragsgegner ist seit Dezember 2003 wieder verheiratet. Seine jetzige Ehefrau hat aus erster Beziehung eine am ... November 1990 geborene Tochter.

Die Kindeseltern hatten erstinstanzlich zunächst wechselseitig auf Übertragung der elterlichen Alleinsorge für das Kind auf sich sowie Zurückweisung des Antrags des anderen Elternteils angetragen.

Nach Einholung eines am 3. Mai 2007 eingegangenen Jugendamtsberichts, in dem keine hinreichenden Gründe dafür gesehen wurden, das Kind aus seinen derzeitigen familiären Bezügen und seinem gewohnten sozialen Umfeld herauszureißen, in dem aber eine Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern nicht gesehen und ein regelmäßiger Umgang des Antragsgegners mit dem Kind befürwortet wurde, hat das Familiengericht das Kind am 15. Mai 2007 persönlich angehört. Das Kind erklärte, wenn es bei der Mutter sei, vermisse es den Vater; wenn es beim Vater sei, vermisse es die Mutter. Am liebsten wolle es alle drei Wochen beim Vater sein, dorthin umziehen wolle es allerdings nicht.

In der mündlichen Anhörung vom selben Tage hat das Familiengericht dem Kind einen Verfahrenspfleger bestellt, der am 14. September 2007 berichtet hat, dass das Kind eine eindeutige Beziehung zu beiden Elternteilen habe, es werde aber deutlich, dass es lieber in der Familie der Mutter verbleiben wolle.

Mit Beschluss vom 18. Oktober 2007 hat das Familiengericht die Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens zu der Frage angeordnet, welche Form des Aufenthaltes des Kindes dem Kindeswohl am Besten entspreche. In seinem Gutachten vom 17. Oktober 2008, auf das ergänzend Bezug genommen wird, hat der Sachverständige einen Wechsel des Kindes in den Haushalt des Antragsgegners empfohlen. Zwar sprächen die Kontinuität der Lebensbedingungen und der Kindeswille für einen Verbleib des Kindes im Haushalt der Antragstellerin. Auf der anderen Seite legten die Förderkompetenz und größere Bindungstoleranz einen Wechsel in den Haushalt des Antragsgegners nahe. Ausschlaggebend für die sachverständige Empfehlung sei aus psychologischer Sicht hier die drohende Entwicklungsgefährdung, welche sich für das Kind aus den pathologischen Beziehungsmustern der Antragstellerin ergebe. Zudem sei entscheidend, welcher der beiden Elternteile am ehesten in der Lage sein werde, auf diese potenzielle Gefährdung adäquat zu reagieren; dies sei der Antragsgegner.

Mit Schriftsatz vom 12. November 2008 hat die Antragstellerin den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und beantragt, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen sowie vor dessen Einholung den Namen des in Betracht kommenden Sachverständigen bekannt zu geben. Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 19. November 2008 um Zurückweisung dieser Anträge gebeten.

In der mündlichen Anhörung vom 4. Dezember 2008 hat der Antragsgegner mitgeteilt, dass für ihn möglicherweise ein beruflicher Wechsel nach G. anstehe, der mit einem Ortswechsel verbunden sei, weshalb er seinen Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihn selbst nicht mehr weiter verfolge, aber unter Bezugnahme auf das Gutachten anrege, für das Kind Jugendhilfemaßnahmen einzuleiten, wozu er bereit sei.

Die Antragstellerin hat erklärt, für derartige Maßnahmen keine Notwendigkeit zu sehen. Der Verfahrenspfleger hat den von ihm im Übrigen geteilten Vorschlag des Sachverständigen eines Wechsels des Kindes zum Antragsgegner in Ansehung dessen bevorstehenden Berufswechsels nicht mehr befürwortet, hat sich aber zugleich für die Durchführung von Jugendhilfemaßnahmen ausgesprochen.

Die Kindeseltern sind sodann übereingekommen, dass sie die elterliche Sorge weiterhin gemeinsam ausüben wollen und haben die wechselseitigen Sorgerechtsanträge für erledigt erklärt.

Das Jugendamt hat mit Bericht vom 12. Dezember 2008 mitgeteilt, dass die Einleitung einer Jugendhilfemaßnahme nicht für notwendig gehalten werde.

Der Antragsgegner hat am 19. Dezember 2008 beantragt, Termin zur mündlichen Erläuterung des Gutachtens des Sachverständigen zu bestimmen und dem Antragsgegner nach § 1628 BGB das Recht zur Beantragung einzuleitender Jugendhilfemaßnahmen für das Kind einschließlich der Beantragung sozialpädagogischer Familienhilfe zur alleinigen Ausübung zu übertragen.

Auf Anfrage des Gerichts hat der Sachverständige mit Schreiben vom 26. Januar 2009 „ dringendst “ empfohlen, folgende Hilfsmaßnahmen zu installieren:

- Einrichtung einer sozialpädagogischen Familienhilfe mit einer entsprechend qualifizierten Fachkraft zur Unterstützung des Kindes im jetzigen Konflikt sowie zur Unterstützung der Mutter mit dem Ziel der Verbesserung der psychoemotionalen Entwicklung des Kindes;

- Aufnahme einer zunächst niederfrequenten ambulanten psychothera-peutischen Behandlung des Kindes zur Bewältigung der jetzigen Situation;

- Aufnahme einer längerfristigen strukturierten psychotherapeutischen Intervention für die Kindesmutter zur Reflektion ihrer eigenen persönlichen Entwicklungsgeschichte im Hinblick auf die Auswirkungen auf das Kind und dessen Entwicklung.

Er hat weiter ausgeführt, dass bei einer unveränderten jetzigen Situation eine langfristige Kindeswohlgefährdung für das Kind nicht auszuschließen sei. Es werde deutlich darauf hingewiesen, dass diese Umstände bereits jetzt psychologisch beschreib- und vorhersagbar seien.

In seiner Stellungnahme hierzu hat das Jugendamt weiterhin keine Kindeswohl-gefährdung gesehen; die Antragstellerin hat beantragt, den auf § 1628 BGB gestützten Antrag des Antragsgegners zurückzuweisen, die Beurteilung des Sachverständigen in dessen Stellungnahme vom 26. Januar 2009 bestritten und die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens begehrt. Sie hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass sie bereits 2008 freiwillig eine Therapie bei einer Psychotherapeutin durchgeführt habe, wohingegen der Antragsgegner dies nicht unternommen habe, und hat zum Beweis der Tatsache, dass das Kindeswohl nicht gefährdet sei, sachverständiges Zeugnis dieser Psychotherapeutin angeboten. Ferner sei die Tochter zwischenzeitlich ebenfalls in kinderpsychologischer Behandlung. Es lägen in Anbetracht dessen keinerlei Gründe vor, die einen Sorgerechtseingriff rechtfertigten.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 13. März 2009, auf den Bezug genommen wird, hat das Familiengericht der Antragstellerin aufgegeben, das Kind unverzüglich einer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung zur Bewältigung der jetzigen Situation zuzuführen (Ziffer I.); sich einer eigenen psychotherapeutischen Behandlung zur Reflektion der eigenen persönlichen Entwicklungsgeschichte im Hinblick auf die Auswirkungen auf das Kind und dessen Entwicklung zu unterziehen (Ziffer II.) und den Vater über den Verlauf der Behandlungen nach Aufforderung zu informieren (Ziffer III.), und hat seine Entscheidung auf § 1666 Abs. 1 BGB gestützt.

Gegen diesen – ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 17. März 2009 zugestellten – Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 17. April 2009 eingegangenen und mit am 5. Mai 2009 eingegangenem Schriftsatz begründeten Beschwerde.

Sie beantragt,

den angefochtenen Beschlusses aufzuheben und den Antrag des Antragsgegners vom 19. Dezember 2008 zurückzuweisen.

Sie hat ferner um Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gebeten.

Der Antragsgegner, der ebenfalls um Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nachsucht, beantragt unter Verteidigung der angefochtenen Entscheidung,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Mit Schriftsatz vom 24. Juli 2009 hat die Antragstellerin eine Bescheinigung der Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie M. vorgelegt, aus der hervorgeht, dass die Antragstellerin das Kind Anfang November 2008 erneut vorgestellt hat und die vereinbarten Termine bis Mitte Mai regelmäßig wahrgenommen worden sind. Dass danach erst am 15. Juli 2009 ein neuer Termin erfolgt sei, beruhte ausweislich der Bescheinigung auf personellen Veränderungen innerhalb der Praxis.

Mit Bericht vom 30. Juli 2009 hat das Jugendamt – unter Bezugnahme auf seine vorangegangenen Berichte im Übrigen – mitgeteilt, das Kind müsse die 5. Klasse der Erweiterten Realschule wiederholen, und hat das Ergebnis mit der Antragstellerin und dem Kind geführter Einzelgespräche dargelegt. Die Antragstellerin habe durchaus einen psychotherapeutischen Behandlungsbedarf für das Kind erkannt und sei der gerichtlichen Anordnung nachgekommen. Sie habe sich darüber hinaus bereit erklärt, andere erforderliche Maßnahmen, die der schulischen Unterstützung dienlich seien, und die Teilnahme des Kindes an Entspannungskursen zu billigen. Eine Notwendigkeit, sich selbst in psychotherapeutische Behandlung zu begeben, sehe sie nicht und wolle sich dies auch nicht von anderen Personen vorschreiben lassen. Das Kind habe erzählt, es würde gerne mehr Zeit mit seinem Vater verbringen, z.B. in den Sommerferien, aufgrund der immer wiederkehrenden Konflikte zwischen seinen Eltern sei dies aber nicht möglich. Mit seiner Situation zu Hause sei es zufrieden, es verstehe sich vor allem mit dem Sohn des derzeitigen Lebensgefährten seiner Mutter sehr gut.

Der Stellungnahme des Verfahrenspflegers vom 8. September 2009 zufolge hat das Kind ihm Gleichlautendes berichtet. Der Verfahrenspfleger ist der Auffassung, dass nach dem Verzicht des Antragsgegners, A. K. zu sich zu nehmen, nur der Verbleib bei der Antragstellerin und deren sozialem Umfeld mit regelmäßigen Umgangskontakten zum Antragsgegner möglich sei. Die Antragstellerin wolle für das Kind weiterhin an externen Hilfen festhalten.

II.

Die Senatsentscheidung richtet sich im vorliegenden, vor dem 1. September 2009 eingeleiteten Verfahren gemäß Art. 111 Abs. 1 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (FGG-Reformgesetz – FGG-RG; BGBl. 2008 I, S. 2585) nach den bis zum 31. August 2009 geltenden Vorschriften.

Die gemäß §§ 621 e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 1, 517, 520 ZPO zulässige Beschwerde der Antragstellerin führt zu der aus dem Tenor ersichtlichen Abänderung des angefochtenen Beschlusses.

1. Bereits das Verfahren des Familiengerichts leidet an einem wesentlichen Mangel.

a) Rechtlich unbedenklich und von den Beteiligten zweitinstanzlich unangegriffen – anders noch die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 19. März 2009 – hat das Familiengericht allerdings das Verfahren trotz der übereinstimmenden Erledigungserklärung der wechselseitig gestellten Anträge auf Übertragung der Alleinsorge amtswegig fortgesetzt.

Zwar ist das Verfahren nach § 1671 Abs. 1 BGB ein Antragsverfahren (Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 12, Rz. 10), indessen kein Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit; denn die Beteiligten können über den Streitgegenstand – hier das Sorgerecht für das betroffene Kind – nicht abschließend disponieren (Keidel/Kuntze/Winkler, a.a.O., § 12, Rz. 226 ff.). Infolgedessen sind die Erledigungserklärungen der wechselseitig von den Kindeseltern gestellten Sorgerechtsanträge zwar als Rücknahmen derselben auszulegen (Keidel/Kuntze/Winkler, a.a.O., § 12, Rz. 42). An diese Rücknahmen ist allerdings das Gericht nicht gebunden (Keidel/Kuntze/Winkler, a.a.O., § 19, Rz. 89); vielmehr kann es – wie § 1671 Abs. 3 BGB zeigt – sein Verfahren amtswegig fortsetzen, wenn und weil es dafürhält, dass die elterliche Sorge aufgrund anderer Vorschriften – hier § 1666 BGB – abweichend geregelt werden muss.

Dies gilt auch in Ansehung des von dem Antragsgegner auf der Grundlage von § 1628 BGB gestellten Antrags, ihm das Alleinentscheidungsrecht in Bezug auf das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen einschließlich der Beantragung sozialpädagogischer Familienhilfe für das betroffene Kind zu übertragen. Denn gefährdet die Nichteinigung der Eltern aus Sicht des erkennenden Gerichts das Kindeswohl, so hat dieses von Amts wegen die nach §§ 1666, 1666 a BGB angezeigten Maßnahmen zu treffen (Palandt/Diederichsen, BGB, 68. Aufl., § 1628 Rz. 7).

b) Jedoch hat das Familiengericht in der Sache entschieden, aktenersichtlich ohne zuvor oder zumindest zugleich über die Ablehnung des Sachverständigen durch die Antragstellerin befunden zu haben, obwohl es eine in die Rechte der Antragstellerin eingreifende Sorgerechtsregelung getroffen und sich dabei entscheidend auf die Empfehlungen des Sachverständigen gestützt hat.

Die Bescheidung des Antrags der Antragstellerin ist auch nicht etwa deshalb hinfällig geworden, weil diese ihren eigenen Antrag auf Zuweisung der alleinigen elterlichen Sorge an sie für erledigt erklärt hat; denn ersichtlich umfasste die Erledigungserklärung nicht die Sachverständigenablehnung, wenn und weil das Familiengericht das Sorgerechtsverfahren von Amts wegen fortsetzen und eine – der Antragstellerin nachteilige – Endentscheidung auch auf das Gutachten stützen wollte.

2. Der Senat sieht jedoch von der bereits hiernach angezeigten Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und der Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht ab und entscheidet in der Sache selbst, weil es hier für die Entscheidung keiner weiteren Sachaufklärung mehr bedarf, so dass dahinstehen kann, ob die Ablehnung des Sachverständigen durch die Antragstellerin für begründet hätte erklärt werden müssen.

Denn das Familiengericht hat die Voraussetzungen der §§ 1671 Abs. 3 i.V.m. 1666 BGB, auf deren Grundlage es in das Sorgerecht der Antragstellerin eingegriffen hat, verkannt und diese dementsprechend im Ergebnis zu Unrecht bejaht.

a) Nach § 1666 Abs. 1 BGB kann das Familiengericht, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet wird und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen treffen.

Bei der Beurteilung, ob und wenn ja welche Maßnahmen nach § 1666 BGB erforderlich sind, ist der besondere Schutz zu beachten, unter dem die Familie sowohl nach dem Grundgesetz (Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG), aber auch nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8 EMRK) steht, deren Vorschriften die nationalen Gerichte im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zu beachten haben und als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten des Grundgesetzes dienen (vgl. BVerfGE 111, 307).

Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Die Erziehung des Kindes ist damit primär in die Verantwortung der Eltern gelegt, die grundsätzlich frei von staatlichen Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden können, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen. Es gehört insbesondere nicht zur Ausübung des Wächteramtes des Staates, gegen den Willen der Eltern für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen. Vielmehr zählen die Eltern und deren sozioökonomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes, wobei auch in Kauf genommen wird, dass Kinder durch den Entschluss der Eltern wirkliche oder vermeintliche Nachteile erleiden. Diese primäre Entscheidungszuständigkeit der Eltern beruht auf der Erwägung, dass die Interessen ihres Kindes grundsätzlich am besten von ihnen wahrgenommen werden.

Greift der Staat auf der Grundlage seines Wächteramtes in die elterliche Sorge eines oder beider Elternteile ein, ist zudem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in den Blick zu nehmen. Dieser gebietet es, dass Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs sich nach dem Grund des Versagens der Eltern und danach bestimmen müssen, was im Interesse des Kindes geboten ist. Der Staat muss daher nach Möglichkeit zunächst versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen.

Voraussetzung der Entziehung elterliche Sorge ist zudem eine Gefährdung des Kindeswohls, also ein bereits eingetretener Schaden oder eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei seiner weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfG, FamRZ 2009, 1472; 2008, 492 und 2185; Senatsbeschlüsse vom 8. Oktober 2009 – 6 UF 82/09 – und vom 13. September 2007 – 6 UF 23/07 –; Beschluss des 9. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 2. April 2009 – 9 UF 15/09).

b) Diesen einfach- und verfassungsrechtlichen Maßstäben hält die Entscheidung des Familiengerichts aus mehreren Gründen nicht stand.

aa) Eine gegenwärtige und derart konkretisierte Gefahr, dass sich bei weiterer Entwicklung eine erhebliche Schädigung des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt, hat das Familiengericht bereits in der angefochtenen Entscheidung nicht dargelegt; sie ist dem Senat auch nicht ersichtlich.

Das Familiengericht führt aus, es gehe mit dem Sachverständigen davon aus, dass aufgrund der Persönlichkeitsstruktur der Mutter ohne weitere Intervention eine Kindeswohlgefährdung für das Kind nicht auszuschließen sein werde. Die Auffassung des Jugendamtes, bis dato sei eine Kindeswohlgefährdung bei der Mutter nicht festzustellen, möge zutreffend sein, aufgrund der Ausführungen des Gutachters sei jedoch davon auszugehen, dass bei einer unveränderten jetzigen Situation eine langfristige Kindeswohlgefährdung für das Kind nicht auszuschließen sei. Das Gericht gehe davon aus, dass das Jugendamt die Mutter bei der Erziehung des Kindes unterstützend begleite, so dass auch von daher einer Kindeswohlgefährdung begegnet bzw. eine solche rechtzeitig erkannt werden könne.

Diese Darlegungen lassen den Schluss auf eine konkrete, mit ziemlicher Sicherheit voraussehbare erhebliche Schädigung des Kindes vermissen. Im Gegenteil teilt das Familiengericht durch seine Entscheidungsbegründung mit, dass es eine – zudem langfristige – Kindeswohlgefährdung (nur) nicht auszuschließen vermag. Eine solche Gefährdungslage kann zwar nach § 50 f FGG (künftig: § 157 FamFG) Grundlage für ein Erörterungsgespräch sein, um zu klären, wie einer möglichen Gefährdung des Kindeswohls begegnet werden kann. Keinesfalls aber ist sie hinreichend, um – auf § 1666 BGB gestützt – in das Sorgerecht eines Elternteils einzugreifen.

Auch der Sachverständige, auf den sich das Familiengericht zur Stützung seiner Auffassung berufen hat, hat in seinem Gutachten lediglich von einer drohenden Entwicklungsgefährdung bzw. einer potentiellen Gefährdung des Kindes gesprochen und in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 26. Januar 2009 eine langfristige Kindeswohlgefährdung nicht auszuschließen vermocht.

Dies genügt ebenfalls nicht den Anforderungen, die von Gesetzes und Verfassungs wegen an amtswegige Sorgerechtseingriffe gestellt werden müssen, zumal weder das Jugendamt, das die Familie seit geraumer Zeit kennt, noch der Verfahrenspfleger des Kindes – trotz mehrfach von ihm gewonnener unmittelbarer Eindrücke – eine Kindeswohlgefährdung zu erkennen vermocht haben. Das Jugendamt hat zudem berichtet, dass die Antragstellerin mit der Jugendhilfe zusammenarbeite und einen psychotherapeutischen Behandlungsbedarf des Kindes sehe. Dies steht damit in Einklang, dass die Antragstellerin das Kind – was sie bereits erstinstanzlich vorgetragen und im Beschwerdeverfahren auch belegt hat – im November 2008 erneut bei einer Kinder- und Jugendpsychiaterin vorgestellt hat, die mit dem Kind seitdem Therapiegespräche führt; die diesbezügliche Unterbrechung von Mitte Mai bis Mitte Juli 2009 lag ausweislich des Attests der behandelnden Ärztin in Veränderungen innerhalb der Arztpraxis begründet.

Nach alledem fehlte es im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses und mangelt es auch weiterhin an den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach § 1666 BGB vorliegen müssen.

Weitere Ermittlungen des Senats sind nicht angezeigt, weil neue, der Antragstellerin nachteilige Erkenntnisse weder von den Beteiligten vorgetragen noch aktenersichtlich sind. Nachdem mithin keine weitere Aufklärung des Sachverhalts zu erwarten ist, kann hier im Beschwerdeverfahren auch von einer persönlichen Anhörung der Kindeseltern und des Kindes abgesehen werden.

Es besteht auch kein Anlass, dem Antragsgegner – wie von ihm erstinstanzlich beantragt – nach § 1628 BGB das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaß-nahmen zu übertragen. Zwar hat sich das Familiengericht nicht erschöpfend mit diesem Antrag auseinandergesetzt. Dies beschwert allerdings die Antragstellerin – die um Abweisung dieses Antrags gebeten hatte und allein Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss eingelegt hat – nicht. Der Antragsgegner hat im Beschwerderechtszug die Ablehnung einer Entscheidung nach § 1628 BGB durch das Familiengericht nicht angegriffen. Nachdem die Antragstellerin mit dem Jugendamt kooperiert und die von dort für erforderlich gehaltene Hilfe eingeleitet hat, besteht für eine Entscheidung nach § 1628 BGB kein Bedarf.

bb) Die Auflage des Familiengerichts, die Antragstellerin müsse sich einer eigenen psychotherapeutischen Behandlung zur Reflektion der eigenen persönlichen Entwicklungsgeschichte im Hinblick auf die Auswirkungen auf das Kind A. und dessen Entwicklung unterziehen, entbehrt einer rechtlichen Grundlage; dies ungeachtet des Umstandes, dass hier § 1666 BGB bereits deswegen nicht einschlägig ist, weil keine Kindeswohlgefährdung besteht.

Denn die Anordnung des Familiengerichts verletzt – worauf die Antragstellerin zu Recht hinweist – ihr in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtlich verbrieftes allgemeines Persönlichkeitsrecht. Dieses Recht schützt die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (vgl. BVerfG 65, 1; 80, 367). Der Schutz ist umso intensiver, je näher die Daten der Intimsphäre des Betroffenen stehen, die als unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung gegenüber aller staatlichen Gewalt Achtung und Schutz beansprucht (vgl. BVerfGE 32, 373; 65, 1; 89, 69). Zwar ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht absolut geschützt. Vielmehr muss jeder Bürger staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit auf gesetzlicher Grundlage unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots getroffen werden, soweit sie nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 32, 373; 65, 1; 89, 69).Aus der gesetzlichen Grundlage müssen sich allerdings die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben (vgl. BVerfGE 65, 1). In grundlegenden normativen Bereichen hat der Gesetzgeber dabei alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen (vgl. BVerfGE 61, 260; 88, 103).

An einer solchen verfassungsrechtlich gebotenen klaren und unmissverständlichen gesetzlichen Grundlage fehlt es für den hier vorliegenden weitreichenden Eingriff. Die Anordnung, die die Antragstellerin hier zwingt, sich gegen ihren Willen psychotherapeutisch behandeln zu lassen, kann sich auf keine sie legitimierende Gesetzesnorm stützen und ist daher verfassungswidrig.

Als Grundlage hierfür käme im vorliegenden Zusammenhang allein § 1666 BGB in Betracht. Diese Norm gestattet indes nur Eingriffe in das Sorgerecht eines Elternteils. Die Anordnung, dass sich ein Elternteil selbst in Therapie begibt, betrifft aber nicht das sorgerechtliche Band, das ihn mit seinem Kind verbindet.

Mithin wäre es zwar – unterstellt, die Voraussetzungen des § 1666 BGB lägen vor – möglicherweise statthaft, einem Elternteil das Sorgerecht oder Teile davon zu entziehen, wenn er nicht zur Aufnahme einer zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung erforderlichen eigenen Therapie bereit ist. Ihm die Therapie jedoch förmlich und damit verpflichtend aufzuerlegen, ist mangels Rechtsgrundlage für diese Maßnahme nicht statthaft (vgl. dazu auch BVerfG FamRZ 2004, 523).

cc) Auch die der Antragstellerin vom Familiengericht gemachte Auflage, den Antragsgegner „über den Verlauf der Behandlungen nach Aufforderung zu informieren“, entbehrt – mangels Einschlägigkeit von § 1666 BGB – erneut einer Rechtsgrundlage.

Soweit das Familiengericht – das mit dieser Auflage ausdrücklich („Verlauf der Behandlung en “) auch den Verlauf der der Antragstellerin aufgegebenen Therapie erfasst hat – dem Antragsgegner insoweit einen Auskunftsanspruch eingeräumt hat, verletzt auch dies – in Fortdenkung der vorgenannten verfassungsrechtlichen Erwägungen – das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin.

Insoweit, als das Familiengericht dem Antragsgegner einen Auskunftsanspruch hinsichtlich des Verlaufs der Therapie des betroffenen Kindes zuerkannt hat, kann dahinstehen, ob dem Antragsgegner aus § 1686 BGB ein solcher Anspruch grundsätzlich zusteht (vgl. Palandt/Diederichsen, a.a.O., § 1687, Rz. 2). Allerdings kann sich die Antragstellerin – entgegen ihrem Beschwerdevortrag – insoweit nicht allein damit freizeichnen, dass der Antragsgegner bei den behandelnden Therapeuten Rückfrage halten mag, da so nicht gewährleistet sein muss, dass er zuverlässig erfährt, wo das Kind behandelt wird. Jedoch bedarf die familiengerichtliche Zuerkennung eines Auskunftsanspruchs auf der Grundlage von § 1686 BGB eines entsprechenden Verfahrensantrags, den der Antragsgegner aktenersichtlich nicht gestellt hat. Soweit er in seiner Beschwerdeerwiderung ausgeführt hat, ihm stehe aus § 1686 BGB ein Auskunftsanspruch zu, kann darin kein förmlicher Verfahrensantrag gesehen werden, zumal ein solcher nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war und neue, einen anderen Verfahrensgegenstand betreffende Anträge in der Beschwerdeinstanz grundsätzlich nicht gestellt werden dürfen, es diesbezüglich vielmehr gegebenenfalls der Einleitung eines gesonderten Verfahrens vor dem Familiengericht bedarf (Senatsbeschluss vom 13. September 2007 – 6 UF 23/07 m.w.N.).

3. Die Niederschlagung der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 16 KostO, die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens auf § 13a Abs. 1 S. 1 FGG.

Die Entscheidung über die Festsetzung des Geschäftswertes folgt aus § 30 Abs. 2 und Abs. 3 KostO.

Beiden Kindeseltern ist für das Beschwerdeverfahren gemäß §§ 14 FGG, 114 ZPO Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres jeweiligen Verfahrensbevoll-mächtigten zu bewilligen, der Antragstellerin ratenfrei, dem Antragsgegner nach Abzug der von ihm in seiner Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 7. Juli 2009 geltend gemachten Belastungen mit der aus dem Tenor ersichtlichen Ratenzahlungsanordnung.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerde-gerichts nicht erfordern (§§ 621 e Abs. 2, 543 Abs. 2 ZPO).

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