Urteil vom Oberlandesgericht Stuttgart - 4 Ss 469/03

Tenor

Gründe

Siehe Entscheidungsgründe
I. Der Angeklagte wurde vom Amtsgericht u.a. wegen verbotener Mitteilung über Gerichtsverhandlungen zu einer Geldstrafe verurteilt. Auf seine Berufung hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und ihn vom Vorwurf eines Vergehens nach § 353 d Nr. 3 StGB freigesprochen.
Die Strafkammer hat u.a. folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:
Die Staatsanwaltschaft führte gegen den Fabrikanten X ein Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Betreibens von Anlagen nach § 327 StGB. Anzeige hatte neben anderen auch der Angeklagte erstattet. Um den Ermittlungen Nachdruck zu verleihen, wollte der Angeklagte die Öffentlichkeit informieren. Nachdem er durch einen Rechtsanwalt Einsicht in die Akten der Staatsanwaltschaft im Verfahren gegen X bekommen hatte und ihm zumindest Teile der Ermittlungsakten in Kopie vorlagen, lud er deswegen mit Schreiben vom 10. Juli 2001, gerichtet an die "Medien der Region", zu einer Pressekonferenz am 11. Juli 2001 in seinem Wohnhaus ein. Der Einladung folgten die weiteren Mitglieder der Bürgerinitiative gegen die Chemiefabrik X, der auch der Angeklagte angehörte. Außerdem fanden sich am 11. Juli 2001 zur Pressekonferenz auch zwei Journalisten ein. Bei dieser Veranstaltung, die etwa eine ¾ Stunde bis 1 Stunde dauerte, saßen der Angeklagte und die weiteren 5 Personen im Kreis an Tischen; Kopien aus den Akten im Strafverfahren gegen X lagen dem Angeklagten vor. Der Angeklagte zitierte dann u.a. wörtlich aus den Akten, und zwar mindestens die Sachverhaltszusammenfassung aus dem Ermittlungsbericht des Wirtschaftskontrolldienstes (WKD) der Polizeidirektion. Der Angeklagte wusste, dass er wörtlich aus den Akten zitierte und die anwesenden Pressevertreter dies zur Kenntnis nahmen. Er hielt es auch für möglich und nahm es billigend in Kauf, dass von ihm wörtlich vorgetragene Passagen aus den Ermittlungsakten, d. h. hier der Sachverhalt in der Anzeige, wörtlich in den zu erwartenden Presseartikeln auftauchen könnten. Der Angeklagte wusste - ebenso wie bei der späteren Veröffentlichung die Journalisten - dass eine öffentliche Verhandlung gegen X noch nicht stattgefunden hatte, dass dieser Sachverhaltsbericht des WKD noch nicht in öffentlicher Verhandlung verlesen worden und das Verfahren auch nicht abgeschlossen war.
Aufforderungen oder Hinweise darüber, ob und in welcher Form etwas zu veröffentlichen sei oder dahingehende Wünsche äußerte der Angeklagte nicht.
Die Redakteure nahmen die vom Angeklagten gegebenen Informationen entgegen und verfassten daraufhin Artikel. Dabei entschlossen sie sich, wörtliche Zitate aus den Ermittlungsakten im Verfahren gegen X zu übernehmen; diese Informationen hatten sie vom Angeklagten im Laufe der "Pressekonferenz" erhalten.
Am 12. Juli 2001 erschienen die von den beiden Redakteuren verfassten Artikel in den jeweiligen Zeitungen.
Erst im Herbst 2001 wurde Anklage gegen X wegen unerlaubten Betreibens von Anlagen u.a. zum Amtsgericht erhoben.
Gegen den Freispruch richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird.
II.
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Das Rechtsmittel hat Erfolg.
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Der Freispruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht der Strafkammer sind sämtliche tatbestandlichen Voraussetzungen des § 353 d Nr. 3 StGB erfüllt.
1. ...
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2. Der Angeklagte hat auch "öffentlich" i.S.v. § 353 d Nr.3 StGB mitgeteilt.
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a) Für die Auslegung des Tatbestandes ist in erster Linie der für den Norm-adressaten aus seiner Sicht erkennbare und verstehbare Wortlaut des Gesetzes maßgebend, andererseits ist auch der Schutzzweck der Norm zu beachten. Geschütztes Rechtsgut dieser Vorschrift ist einerseits der Schutz des vom Strafverfahren Betroffenen vor einer vorzeitigen Bloßstellung, andererseits aber auch der Schutz der Unbefangenheit der Verfahrensbeteiligten (vgl. BVerfGE 71, 206, 218). Ausgehend von dieser Zielsetzung muss die Mitteilung deshalb eine so weite Verbreitung finden, dass eine Beeinflussung der Verfahrensbeteiligten in Betracht kommt. Sie ist dann öffentlich, wenn sie entweder in einer Weise erfolgt, dass unbekannt viele und unbestimmt welche Personen Kenntnis hiervon nehmen können (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 353 d Rdnr. 6; LK-Träger, StGB, 10. Aufl., § 353 d Rdnr. 56) oder jedenfalls für einen nicht durch persönliche Beziehungen innerlich verbundenen größeren bestimmten Kreis von Personen zugänglich gemacht wird, gleichgültig, ob sie auch tatsächlich wahrgenommen wird (vgl. S/S-Lenckner/Perron, StGB, 26. Aufl., § 353 d Rdnr. 46; Lackner/Kühl, StGB, 24. Aufl., § 353 d Rdnr. 4 unter Hinweis auf Rdnr. 7 zu § 201; Tröndle/Fischer a.a.O. § 353 d Rdnr. 6 unter Verweis auf Rdnr. 5 zu § 111). Demgegenüber ist sie nicht öffentlich, wenn sie sich lediglich an einen engeren, in sich verbundenen, nach außen bestimmt abgegrenzten Personenkreis wendet (vgl. LK-Träger a.a.O. § 353 d Rdnr. 56 m. w. N.) Dieser Auslegung folgend hat die Rechtsprechung bei der Weitergabe einer Anklageschrift an einen mit dem Angeklagten verbundenen Personenkreis (von 5 bis 6 Personen: AG Weinheim, NJW 1994, 1545; bzw. an 12 Personen: LG Mannheim, NStZ-RR 1996, 361) eine öffentliche Mitteilung verneint. Die Abhaltung einer Pressekonferenz, bei der Vertreter der Medien anwesend sind, ist demgegenüber grundsätzlich darauf angelegt, dass die in diesem Rahmen mitgeteilten Informationen durch die anschließende Veröffentlichung in Zeitschriften oder in Rundfunk und Fernsehen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Soweit im Rahmen der Pressekonferenz aus Aktenteilen wörtlich zitiert wird, besteht für die Journalisten auch die naheliegende Möglichkeit, durch eine wortgetreue Wiedergabe den Eindruck amtlicher Authentizität zu erwecken (vgl. BVerfGE a.a.O. S.216). Es fehlt nur dann an der Tatbestandsmäßigkeit, wenn anlässlich einer Pressekonferenz, bei der eine Justizbehörde Teile der Anklageschrift verlesen lässt, Vertraulichkeit ausbedungen worden ist (vgl. LK-Träger a.a.O.; Tröndle/Fischer a.a.O; S/S-Lenckner/Perron a.a.O.). Die insoweit erforderliche Abgrenzung zur nichtöffentlichen Mitteilung hat deshalb unter Einbeziehung eines voluntativen Elements zu erfolgen.
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b) Weder die von der Strafkammer angeführte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch ein Vergleich mit den weiteren innerhalb der Strafrechtsordnung verwendeten Begriffe einer "öffentlich" begangenen Tathandlung führen zu einem anderen Ergebnis.
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Das Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) hat gerade bei Veröffentlichungen von amtlichen Schriftstücken durch die Presse einen Verstoß gegen das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und -verbreitung bzw. der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) nicht angenommen.
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Auch im Rahmen der §§ 80a; 86a; 111, 140 Nr.2; 186; 201 StGB erfordert eine "öffentliche" Tatbegehung, dass die jeweilige Handlung von einer unbestimmten Vielzahl von Personen oder von einer bestimmten, nicht durch persönliche Beziehungen verbundenen Mehrzahl von Personen wahrgenommen werden kann (vgl. statt vieler: Tröndle/Fischer a.a.O. § 80a Rdnr.2; § 86a Rdnr.9; § 111 Rdnr.5; § 140 Rdnr.7; § 186 Rdnr.16; § 201 Rdnr.3).
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Das OLG Karlsruhe ( Die Justiz 1991, 200) hat eine öffentliche Aufforderung i. S. d. § 111 StGB bejaht, wenn diese gegenüber einem Journalisten erfolgt, der sie dann in einer Zeitung veröffentlicht.
18 
Das OLG Frankfurt (StV 1990, 209) hat zwar bei Zuleitung einer vom Angeklagten selbst verfassten Pressemitteilung an den Redakteur einer Zeitung eine "öffentliche" Aufforderung i.S.d. § 111 StGB verneint, wenn diese im Anschluss daran nur teilweise wörtlich, teilweise in indirekter Rede wiedergegeben wurde, weil der Einsender regelmäßig nicht mit einem wörtlichen Abdruck rechne, vielmehr lediglich auf eine inhaltlich möglichst genaue Wiedergabe hoffe und auch keinen Einfluss darauf habe, ob und in welcher Weise die Pressemitteilung überhaupt zu einer Nachricht verbreitet werde. Offengelassen hat das OLG Frankfurt allerdings (a.a.O. 210), wie zu entscheiden wäre, wenn der Verfasser aufgrund besonderer Umstände damit rechnet, dass seine Mitteilung ganz oder teilweise im Wortlaut veröffentlicht werde und wenn dies auch tatsächlich geschieht. Im Unterschied zu einer Pressemitteilung besteht bei der Bekanntgabe von Aktenteilen im Wortlaut an die im Rahmen einer Pressekonferenz erschienenen Journalisten für den Berichtenden jedoch die naheliegende Möglichkeit, einer entsprechenden Zeitungsmeldung durch die Verwendung des Zitates den Eindruck amtlicher Authentizität zukommen zu lassen, während es bei einer "einfachen" Pressemitteilung in aller Regel nicht auf die wörtliche Wiedergabe ankommt.
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Hinsichtlich der Tatbestandsvariante der "öffentlichen" Tatbegehung im Rahmen von § 186 2. Alt. StGB ist eine üble Nachrede nicht schon dann "öffentlich" begangen, wenn sie Dritten (hier: einer Zeitungsredaktion) zum Zwecke der Veröffentlichung mitgeteilt wird, da das Merkmal der Öffentlichkeit noch nicht dadurch begründet wird, dass eine Behauptung dazu bestimmt ist, von ihren Empfängern weiterverbreitet zu werden (vgl. OLG Stuttgart, NJW 1972, 2320, 2321). Der Tatbestand ist allerdings dann erfüllt, wenn die - mit Einverständnis des Äußernden - erfolgte Meldung in der Zeitung tatsächlich veröffentlicht wurde (vgl. OLG Stuttgart a.a.O.).
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Auch ein Vergleich mit § 201 StGB, in dem das nichtöffentlich gesprochene Wort ausdrücklich geschützt wird, führt nicht zu einer - einschränkenden - Auslegung des Tatbestandsmerkmals der öffentlichen Mitteilung in § 353 d Nr. 3 StGB. Ausgehend von den insoweit maßgeblichen Vorstellungen des Sprechenden wird ein "öffentlich" gesprochenes Wort in dem Fall angenommen, in dem er sich an die Öffentlichkeit wenden will, selbst wenn tatsächlich nur wenige - befreundete - Zuhörer lauschen (vgl. LK-Schünemann a.a.O. § 201 Rdnr. 7 m. w. N.).
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c) Bei den Teilnehmern der vom Angeklagten abgehaltenen Pressekonferenz handelte es sich zwar einerseits um einen - durch die Mitarbeit in derselben Bürgerinitiative - untereinander verbundenen, nach außen bestimmt abgrenzbaren Personenkreis. Andererseits war diese durch die Teilnahme der beiden - nach konkreter Einladung erschienenen - Pressevertreter gerade nicht auf Vertraulichkeit angelegt, sondern auf eine massenmediale Weiterverbreitung des vom Angeklagten vertretenen Anliegens ausgerichtet, wobei es der Angeklagte nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen auch für möglich hielt und es insoweit billigend in Kauf nahm, dass die von ihm wörtlich vorgetragenen Passagen aus den Ermittlungsakten - hier die Sachverhaltszusammenfassung aus dem Ermittlungsbericht des WKD - wörtlich in den zu erwartenden Presseartikeln auftauchen könnten. Durch die unmittelbar nach der Pressekonferenz erfolgte teilweise wortgetreue Veröffentlichung der vom Angeklagten aus den Ermittlungsakten erteilten Informationen haben dessen Mitteilungen eine so weite Verbreitung gefunden, dass - entsprechend dem Schutzzweck der Norm - auch eine Beeinflussung der Verfahrensbeteiligten in Betracht kommt. Angesichts der auf die Verbreitung durch die Presse zielenden Willensrichtung des Angeklagten und auch im Hinblick auf den festgestellten Vorsatz betreffend die wörtliche Wiedergabe der Aktenteile ist dem Angeklagten der erfolgte Abdruck in der Presse - wenn auch durch den eigenständigen Entschluss des jeweiligen ebenfalls deliktisch handelnden Redakteurs - zuzurechnen (§ 25 Abs.2 StGB). Jedenfalls mit Erscheinen der Pressemeldung liegt daher eine vollendete öffentliche Mitteilung i.S.v. § 353 d Nr. 3 StGB vor.

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