Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 11 WF 38/11

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragsstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Schorndorf vom 03.11.2010 dahingehend abgeändert, dass dem Antragssteller für seinen Sorgerechtsantrag in erster Instanz Verfahrenskostenhilfe ohne Anordnung von Ratenzahlungen unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... bewilligt wird.

Gründe

 
Die nach § 76 Abs. 1 FamFG i.V. mit §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte, gemäß § 569 ZPO form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist begründet. Der Sorgerechtsantrag des Antragstellers (Vaters) vom 05.08.2010 hatte zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife, die mit Eingang der Stellungnahme der Antragsgegnerin (Mutter) am 31.08.2010 eingetreten ist, hinreichende Aussicht auf Erfolg und erschien nicht mutwillig (§ 114 ZPO). Auch ist der Vater nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die voraussichtlichen Prozesskosten zu bestreiten.
1.
Nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB kann das Familiengericht für den Fall, dass die Eltern eines Kindes getrennt leben, einem Elternteil auf dessen Antrag die elterliche Sorge oder einen Teil hiervon alleine übertragen, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den antragstellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Da sich vorliegend der Vater mit der Mutter über den ständigen Aufenthaltsort des gemeinsamen Sohnes P., geboren am ..., nicht einigen konnte, war das für § 1671 BGB erforderliche Regelungsbedürfnis gegeben.
Entscheidungsmaßstab nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist das Kindeswohl. Dabei sind neben den persönlichen Beziehungen des Kindes die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität zu beachten. Ferner ist die Bindungstoleranz der Eltern von Bedeutung. Die genannten Kriterien stehen aber letztlich nicht wie Tatbestandsmerkmale nebeneinander, sondern jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger ausschlaggebend für die Beurteilung sein (BGH, FamRZ 1990, 392).
Nach diesen Vorgaben war der Antrag des Vaters, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den Sohn auf ihn allein zu übertragen, nicht von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Denn eine Antwort auf die Frage, welche Regelung dem Kindeswohl am besten dient, hätte nur aufgrund zuverlässiger Ermittlungen gegeben werden können, hätte also mindestens eine Anhörung der Eltern und des Sohnes sowie eine Beteiligung des Jugendamtes voraus gesetzt (§§ 159, 160, 162 FamFG). Dies galt besonders vor dem Hintergrund, dass der Vater konkrete Anhaltspunkte geschildert hatte, die Anlass boten, die Erziehungseignung der Mutter zu prüfen. So hatte sie dem Sohn beispielsweise damit gedroht, ihn einem Kinderheim zu überantworten und hatte mit P. das SOS-Kinderdorf in O. besichtigt, um das Kind „abzuschrecken“. Dass sich die Eltern im Zuge eines Gesprächs unter der Leitung des Jugendamtes am 15.10.2010 darauf verständigt haben, dass P. seinen Lebensmittelpunkt mit Unterstützung im Rahmen sozialpädagogischer Familienhilfe im Haushalt der Mutter beibehalten wird, ändert an dieser Beurteilung nichts. Denn für die Erfolgsprognose ist grundsätzlich auf den Kenntnisstand bei Eintritt der Entscheidungsreife des Verfahrenskostenhilfegesuchs abzustellen (OLG Karlsruhe, FamRZ 1994, 1123), die hier bereits nach Eingang der Stellungnahme der Mutter mit Anwaltsschriftsatz vom 31.08.2010 und damit lange vor der außergerichtlichen Einigung der Beteiligten eingetreten war. Auch war der Ausgang des Verfahrens bis zur Beilegung des Streits offen, insbesondere waren die - für das Kindeswohl maßgebenden - Gesichtspunkte einer zuverlässigen Einschätzung anhand der Aktenlage nicht zugänglich. Eine andere Sichtweise hätte den noch ausstehenden Feststellungen vorgegriffen, diese in das summarische Prüfungsverfahren nach § 114 ZPO vorverlagert und gegen das Gebot der Rechtsschutzgleichheit verstoßen (BVerfG, 2009, 1654; BVerfG, NJW-RR 2005, 140; BVerfG NJW-RR 2004, 933).
2.
Ferner war die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig im Sinn von § 114 ZPO. Für eine solche Annahme reicht es nicht aus, dass sich der Vater vor Anrufung des Gerichts nicht an das Jugendamt gewandt hatte. Da sich die Mutter dem Wunsch des Vaters, P. in seine Obhut zu nehmen, widersetzt hatte, eine sachliche Auseinandersetzung über diesen Streitpunkt zunächst nicht möglich war und sogar Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung vorlagen, lag eine Konfliktlösung mit Hilfe des Jugendamtes jedenfalls nicht derart nahe, dass eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei von gerichtlichen Schritten abgesehen hätte.
3.
Soweit dem Vater aufgrund seines Rechtschutzbedürfnisses, der hinreichenden Erfolgschancen und der fehlenden Mutwilligkeit seines Antrags grundsätzlich Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen war, war schließlich auch die Beiordnung eines Anwalts nach § 78 Abs. 2 FamFG geboten. Da Sorgerechtsregelungen gravierend in den Lebens- und Rechtskreis der Beteiligten eingreifen, besteht grundsätzlich ein Bedürfnis nach anwaltlicher Unterstützung. Dabei beurteilt sich das Vorliegen der Voraussetzungen der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Einzelfall nicht nur nach Umfang und Schwierigkeit der Sache, sondern auch nach der Fähigkeit des Rechtsuchenden, sich mündlich und schriftlich auszudrücken (BVerfGE 63, 380). Weiter ist zu prüfen, ob tatsächliche Fragen im Streit sind, deren Beantwortung vom Ergebnis eines Sachverständigengutachtens abhängen wird (BVerfG, FamRZ 2002, 531).
Hiervon ausgehend kann die Beiordnung eines Rechtsanwalts in isolierten Sorgerechtsverfahren im Rahmen bewilligter Verfahrenskostenhilfe nur ausnahmsweise unterbleiben, etwa wenn der Streitstoff weder in tatsächlicher noch - aus Sicht eines juristischen Laien - in rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten aufweist, der Hilfsbedürftige hinreichend wortgewandt erscheint oder aber der Gegner dem Sorgerechtsantrag zustimmt (vgl. zu § 121 ZPO OLG Köln, FamRZ 2003, 107; OLG Hamm, FamRZ 2003, 1936 und FamRZ 1999, 393). Diese allgemeingültigen Kriterien werden insbesondere nicht etwa deshalb außer Kraft gesetzt, weil in Sorgerechtsverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz gilt (§ 26 FamFG). Denn der Anwalt kann aufgrund seiner Aufklärungs- und Beratungspflicht gehalten sein, Ermittlungen anzuregen und zu fördern, die für den Richter aufgrund des Beteiligtenvorbringens nicht veranlasst sind (BVerfG, FamRZ 2002, 531).
Aufgrund der vorstehenden Erwägungen war eine Beiordnung des Verfahrensbevollmächtigten des Vaters deshalb veranlasst, weil die Mutter der erstrebten Sorgerechtsregelung entgegengetreten ist und der Sachverhalt wegen der gebotenen umfassenden, gegebenenfalls mit sachverständiger Unterstützung vorzunehmenden Prüfung der Kindesbelange nicht derart einfach gelagert war, dass der Vater mit seinem Anliegen, Gefahren für die gesunde Entwicklung seines Sohnes abzuwenden, auch ohne anwaltliche Hilfe durchgedrungen wäre.

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