Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 1 Ws 116/15

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts - Große Jugendkammer - Ellwangen vom 30. Juni 2015 wird als unbegründet

verworfen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

 
I.
1.
Das Landgericht - Große Jugendkammer- Ellwangen verurteilte den Beschwerdeführer am 12. Dezember 2008 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sieben Fällen, schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in dreizehn Fällen, sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in fünf Fällen, unerlaubter Verbrauchsüberlassung von Betäubungsmitteln an Minderjährige und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und ordnete Sicherungsverwahrung an.
Dieses Urteil ist rechtskräftig seit 23. April 2009.
Taten 1 bis 6 (sexueller Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB in der Fassung vom 10. März 1987) beging der Beschwerdeführer im Zeitraum zwischen seinem 14. Geburtstag und dem 3. November 1998, mithin als Jugendlicher.
Tat 7 (sexueller Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB in der Fassung vom 13. November 1998) und Tat 8 (schwerer sexueller Missbrauch von Kindern gemäß §§ 176 Abs. 1, 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Fassung vom 13. November 1998) beging der Beschwerdeführer im Zeitraum 2002/2003 möglicherweise noch als Heranwachsender.
Taten 9 bis 20 (schwerer sexueller Missbrauch von Kindern gemäß §§ 176 Abs.1, 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB, jeweils in der Fassung vom 27.12.2003), Tat 21 (sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB), Taten 22 bis 26 (unerlaubter Erwerb von Betäubungsmitteln gemäß §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG), Tat 27 (unerlaubte Verbrauchsüberlassung von Betäubungsmitteln an Minderjährige gemäß §§ 29a Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) sowie Taten 28 und 29 (vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG) beging er als Erwachsener im Zeitraum zwischen Ende Februar/Anfang März 2008 und 8. August 2008.
Auf der Grundlage von § 32 JGG wandte das Landgericht Ellwangen Erwachsenenstrafrecht an und verhängte hinsichtlich der Taten 1 bis 6 jeweils eine Freiheitsstrafe von neun Monaten, für Tat 7 eine solche von einem Jahr und für Tat 8 eine Freiheitsstrafe von einem Jahr sechs Monaten.
Für die Taten 9 bis 20 wurde jeweils eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren zwei Monaten, für Tat 21 eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten, für die Taten 22 bis 26 jeweils zwei Monate Freiheitsstrafe, für Tat 27 eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und für die Taten 28 und 29 jeweils eine dreimonatige Freiheitsstrafe festgesetzt.
2.
Durch Strafbefehl des Amtsgerichts Schwäbisch Gmünd vom 27. Januar 2006 - rechtskräftig seit 17. Februar 2006 - war der Beschwerdeführer wegen eines am 13. Dezember 2005 begangenen Diebstahls einer geringwertigen Sache zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 10,00 EUR verurteilt worden.
In dieser Sache verbüßte der Beschwerdeführer in der Zeit vom 11. Dezember 2006 bis 20. Dezember 2006 zehn Tage Ersatzfreiheitsstrafe.
10 
Diese Verurteilung hat die Jugendkammer im Urteil festgestellt; ob die Strafe vollstreckt ist, teilen die Urteilsgründe nicht mit.
3.
11 
Mit Anwaltsschriftsatz vom 20. Mai 2015 beantragte der Beschwerdeführer die Gesamtstrafe aus dem Urteil des Landgerichtes Ellwangen vom 12. Dezember 2008 aufzulösen, aus den Einzelstrafen Ziffer 1 bis 8 dieses Urteils unter Einbeziehung der Strafe aus dem oben genannten Strafbefehl eine einheitliche Jugendstrafe und aus den Einzelstrafen Ziffer 9 bis 29 eine neue Gesamtstrafe festzusetzen.
12 
Mit Beschluss des Landgerichts Ellwangen vom 30. Juni 2015 wurde die Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren aus dem Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 12. Dezember 2008 aufgelöst. Aus den Einzelstrafen für die Taten 1 bis 8 wurde unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Schwäbisch Gmünd vom 27. Januar 2006 eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren vier Monaten und aus den Einzelstrafen für die Taten 9 bis 29 eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren acht Monaten gebildet.
13 
Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung blieb aufrechterhalten.
14 
Gegen den seinem Verteidiger am 8. Juli 2015 zugestellten Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit am 15. Juli 2015 beim Landgericht eingegangener sofortiger Beschwerde insoweit, als das Landgericht hinsichtlich der Taten 1 bis 8 aus dem Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 12. Dezember 2008 und der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Schwäbisch Gmünd vom 27. Januar 2006 keine einheitliche Jugendstrafe festgesetzt hat.
II.
15 
Die sofortige Beschwerde ist zulässig erhoben (§§ 460, 462 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 StPO), bleibt jedoch ohne Erfolg.
16 
Das Landgericht Ellwangen hat zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat vollumfänglich Bezug nimmt, hinsichtlich der Taten 1 bis 8 aus dem Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 12. Dezember 2012 und dem Strafbefehl des Amtsgerichts Schwäbisch Gmünd vom 27. Januar 2006 nicht auf eine Einheitsjugendstrafe gemäß § 31 Abs. 1 JGG erkannt, sondern erneut eine Gesamtfreiheitsstrafe nach allgemeinem Strafrecht gebildet; auch nach Auffassung des Senats liegt nach wie vor das Schwergewicht der zu beurteilenden Taten, auch unter nunmehriger Berücksichtigung der einzubeziehenden Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Schwäbisch Gmünd, im Erwachsenenalter.
17 
Im Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 12. Dezember 2008 wurde nicht berücksichtigt, dass die durch diesen Strafbefehl verhängte Geldstrafe gesamtstrafenfähig war, weil sie eine Zäsur nach § 55 Abs. 1 StGB bildete. Daher war nunmehr gemäß §§ 460 StPO, 55 StGB nachträglich durch die Jugendkammer (§ 462a Abs. 3 StPO) zu entscheiden, ob die Geldstrafe gemäß §§ 55 Abs. 1, 53 Abs. 1 Satz 1 StGB einbezogen wird oder gemäß §§ 55 Abs. 1, 53 Abs. 2 Satz 2 StGB gesondert bestehen bleibt.
18 
Die Jugendkammer war in der angefochtenen Entscheidung daran gehindert für die Taten 1 bis 8 unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Schwäbisch Gmünd - entgegen der Entscheidung im Urteil vom 12. Dezember 2008 - eine Einheitsjugendstrafe gemäß § 31 Abs. 1 JGG zu bilden. Hätte das Landgericht Ellwangen in seiner Entscheidung vom 12. Dezember 2008 über die Einbeziehung der Strafe aus dem oben genannten Strafbefehl befunden, hätte es nicht für die Taten 1 bis 8 unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl Jugendstrafrecht und für die Taten 9 bis 29 Erwachsenenstrafrecht anwenden dürfen. Dies hätte gegen § 32 JGG verstoßen (BGH, StV 1998, 657 - juris). Auch wenn ein nach Jugendstrafrecht zu verurteilender Täter bereits wegen einer Erwachsenentat rechtskräftig verurteilt ist, ist unter Anwendung von § 32 JGG zu entscheiden, ob das Schwergewicht auf den nach allgemeinem Strafrecht oder auf den nach Jugendstrafrecht abzuurteilenden Taten liegt und somit eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe nach den §§ 53-55 StGB oder eine Einheitsjugendstrafe nach § 31 Abs. 1 JGG zu bilden ist, da der Vorschrift des § 32 JGG das Prinzip der möglichst einheitlichen Reaktion zugrunde liegt (BGHSt 40, 1 - juris Rn. 6).
19 
Etwas anderes kann bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 460 StPO nicht gelten, da durch die Nachholung der unterlassenen Gesamtstrafenbildung im Nachtragsverfahren nach § 460 StPO der Verurteilte weder besser noch schlechter gestellt werden soll, als hätte der letzte Tatrichter die Gesamtstrafe gebildet (Appl in Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Auflage, § 460, Rn. 1). Andernfalls würde die Vorschrift des § 32 JGG, die der Tatrichter anzuwenden hatte, umgangen werden. Daher bleibt es dem Gericht im Nachtragsverfahren gemäß § 460 StPO verwehrt, anstelle von Erwachsenenstrafrecht nunmehr Jugendstrafrecht anzuwenden. Hinzu kommt, dass das Gericht im Verfahren nach § 460 StPO, in dem die unterlassene Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB nachzuholen ist, auch nicht befugt ist, die vom Tatrichter ausgesprochenen Einzelstrafen zu ändern, vielmehr sind frühere Gesamtstrafen in ihre Einzelstrafen aufzulösen und sodann eine neue Gesamtstrafe zu bilden (Rissing-van Saan in Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2007, § 55 Rn. 30; Appl aaO Rn. 24).
20 
Die Bildung der beiden neuen Gesamtfreiheitsstrafen erfolgte fehlerfrei und ist nicht zu beanstanden. Die Entscheidung der Jugendkammer, von einer Einbeziehung der Geldstrafe gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB nicht abzusehen, ist ebenfalls nicht zu beanstanden, zumal sie den Beschwerdeführer nicht beschwert und die Gesamtstrafenbildung nach § 53 Abs. 1 StGB die Regel bildet.
21 
Zu Recht hat das Landgericht in seinem Beschluss vom 30. Juni 2015 die Maßregel der Sicherungsverwahrung gemäß §§ 55 Abs. 2 Satz 1, 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB aufrechterhalten.
III.
22 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

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