I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 24.10.2019 – 11 O 245/18 – wie folgt abgeändert:
1.
beim Abschluss von Versicherungsverträgen mit Tarifen, die eine Rente gegen Einmalzahlung versichern
in der Widerrufsbelehrung zu diesen Verträgen in den Hinweisen zu den Widerrufsfolgen hinsichtlich des Teils der Prämie, der auf die Zeit bis zum Zugang des Widerrufs entfällt und den sie im Fall des Widerrufs behalten darf,
wie geschehen im vorliegenden Fall des Vertragsschlusses mit der Frau C., Anlage K 1, sofern dies nicht gegenüber einem Unternehmen im Sinne des § 14 BGB geschieht.
2.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug. Von den Kosten des Verfahrens im zweiten Rechtszug tragen der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3.
IV.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung aus Ziffer I.1 der Entscheidungsformel durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 2.500,00 Euro abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen kann der jeweilige Vollstreckungsschuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V.
Die Revision wird im Umfang der Verurteilung der Beklagten zugelassen.
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| Der Kläger, ein Verbraucherschutzverband, verlangt im Wege der Verbandsklage von der Beklagten die Unterlassung einer Belehrung über Widerrufsfolgen. |
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| Wegen des Sachverhalts wird auf die tatbestandlichen Feststellungen im landgerichtlichen Urteil verwiesen. Zusammenfassend und ergänzend: |
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| Die Beklagte bietet mit dem Tarif „X-PrivatSofortRente Klassik“ Versicherungsverträge an, die gegen Zahlung einer Einmalprämie Rentenansprüche ab dem Erreichen einer bestimmten Altersgrenze begründen. Im November 2016 schloss die damals 84jährige S. C. mit der Beklagten einen solchen Rentenversicherungsvertrag gegen Zahlung einer Einmalprämie von 50.000,00 Euro ab. Als Versicherungsbeginn war der 01.11.2016 vereinbart. Ab dem 01.11.2017 sollten neben einer Überschussbeteiligung jährliche Zahlungen in Höhe von 4.166,71 Euro garantiert sein. Ab Beginn der Rentenzahlung war eine Todesfallleistung bis zum 31.10.2026 vorgesehen in Höhe der 10-fachen jährlichen, ab Rentenbeginn garantierten Rente abzüglich bereits gezahlter, ab Rentenbeginn garantierter Renten. |
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| Der Versicherungsschein vom 09. November 2016 enthielt die folgende eingerahmte Widerrufsbelehrung mit hervorgehobenen Zwischenüberschriften (Anlage K 1): |
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| Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 30 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. [...] |
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| Im Falle eines wirksamen Widerrufs endet der Versicherungsschutz, und wir erstatten Ihnen den auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfallenden Teil der Beiträge, wenn Sie zugestimmt haben, dass der Versicherungsschutz vor dem Ende der Widerrufsfrist beginnt. Den Teil der Beiträge, der auf die Zeit bis zum Zugang des Widerrufs entfällt, dürfen wir in diesem Fall einbehalten; dabei handelt es sich um einen Betrag in Höhe von 138,89 EUR pro Tag des Versicherungsschutzes. Die Erstattung zurückzuzahlender Beträge erfolgt unverzüglich, spätestens 30 Tage nach Zugang des Widerrufs. Beginnt der Versicherungsschutz nicht vor dem Ende der Widerrufsfrist, hat der wirksame Widerruf zur Folge, dass empfangene Leistungen zurückzugewähren und gezogene Nutzungen (z. B. Zinsen) herauszugeben sind (...).“ |
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| Den Betrag von 138,89 Euro errechnete die Beklagte nach der Formel „Tagessatz lebenslange SofortRente = Einmalbetrag / ((Lebensalter [gemeint ist die Lebenserwartung] – Eintrittsalter der versicherten Person) x 360)) und legte dabei eine geschlechtsunabhängige Lebenserwartung von 85 Jahren zugrunde. |
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| Das Landgericht hat die Unterlassungsklage insgesamt abgewiesen. Der auf Unterlassung der Widerrufsbelehrung gestützte Hauptantrag sei unbegründet, weil die Hinweise im Sinne von § 8 Absatz 5 Satz 1 VVG vollständig dem Muster der Anlage zum Versicherungsvertragsgesetz genügten. Der Hilfsantrag, gerichtet auf Unterlassung der Benennung eines Betrages, der nicht dem Anteil des erbrachten Versicherungsschutzes im Vergleich zum Gesamtumfang des Versicherungsschutzes entspreche, sei im Verbandsklageprozess unzulässig, weil damit weder die Unwirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen geltend gemacht werde noch ein Handeln zuwider solchen Vorschriften, die dem Schutz der Verbraucher dienten. Es werde lediglich gerügt, dass im Falle eines Widerrufs unangemessen hohe Beiträge eingehalten würden. |
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| Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und ergänzt dieses um einen weiteren Hilfsantrag Ziff. 3, der sich auf die Berechnung des einzubehaltenden Betrages bezieht. |
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| 1. unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils vom 24.10.2019, Az. 11 O 245/18 die Beklagte zu verurteilen, |
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| es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an den Vorstandsmitgliedern, zu unterlassen |
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| beim Abschluss von Versicherungsverträgen mit Tarifen, die eine Rente gegen Einmalzahlung versichern – wie in dem als Anlage K1 vorgelegten Vertragsformular zu einer Versicherung mit der Produktbezeichnung „X-PrivatSofortRente Klassik“ geschehen – in der Widerrufsbelehrung zu diesen Verträgen die folgenden oder inhaltsgleiche Hinweise zu den Widerrufsfolgen zu verwenden |
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| sich gegenüber Versicherungsnehmern bei der Abwicklung bereits abgeschlossener Verträge der vorgenannten Art auf diese oder inhaltsgleiche Widerrufsbelehrung den zu berufen, |
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| sofern dies nicht gegenüber einem Unternehmer im Sinne des § 14 BGB geschieht: |
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| „Im Falle eines wirksamen Widerrufs endet der Versicherungsschutz, und wir erstatten Ihnen den auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfallenden Teil der Beiträge, wenn Sie zugestimmt haben, dass der Versicherungsschutz vor dem Ende der Widerrufsfrist beginnt. Den Teil der Beiträge, der auf die Zeit bis zum Zugang des Widerrufs entfällt, dürfen wir in diesem Fall einbehalten; dabei handelt es sich um einen Betrag in Höhe von ... [...]“ |
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| hilfsweise, soweit das Gericht dem Antrag zu Ziff. 1 nicht in vollem Umfang stattgibt, |
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| 2. unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils vom 24.10.2019, Az. 11 O 245/18 die Beklagte zu verurteilen, |
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| es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an den Vorstandsmitgliedern, zu unterlassen |
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| beim Abschluss von Versicherungsverträgen mit Tarifen, die eine Rente gegen Einmalzahlung versichern – wie in dem als Anlage K1 vorgelegten Vertragsformular zu einer Versicherung mit der Produktbezeichnung „X-PrivatSofortRente Klassik“ geschehen – |
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| in der Widerrufsbelehrung zu diesen Verträgen in den Hinweisen zu den Widerrufsfolgen hinsichtlich des Teils der Prämie, der auf die Zeit bis zum Zugang des Widerrufs entfällt und den sie im Fall des Widerrufs behalten darf, einen Betrag zu benennen, der nicht dem Anteil des erbrachten Versicherungsschutzes im Vergleich zum Gesamtumfang des Versicherungsschutzes entspricht |
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| sich gegenüber Versicherungsnehmern bei der Abwicklung bereits abgeschlossener Verträge der vorgenannten Art auf diesen Betrag zu berufen, |
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| sofern dies nicht gegenüber einem Unternehmer im Sinne des § 14 BGB geschieht. |
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| äußerst hilfsweise, soweit das Gericht weder dem Antrag Ziff. 1 noch Ziff. 2 in vollem Umfang stattgibt, |
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| Zurückweisung der Berufung. |
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| Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen. |
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| Die Berufung ist zulässig. Die Klage ist mit dem Berufungsantrag Ziff. 1 unbegründet, mit dem Hilfsantrag Ziff. 2 unzulässig, hat aber mit dem weiteren Hilfsantrag Ziff. 3 Erfolg. |
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| Zutreffend hat das Landgericht den Hauptantrag Ziff. 1 abgewiesen. |
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| Dieser Antrag ist zwar zulässig, insbesondere ist der Kläger gemäß § 3 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG für den Hauptantrag klagebefugt, was zwischen den Parteien nicht im Streit steht. |
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| Der Antrag ist aber unbegründet. Wer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bestimmungen, die nach den §§ 307 bis 309 BGB unwirksam sind, verwendet, kann gemäß § 1 UKlaG auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. |
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| Bei vorformulierten Widerrufsbelehrungen handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen (BGH, Urteil vom 20. Juni 2017 – XI ZR 72/16, juris Rn. 28). Genügen diese nicht den gesetzlichen Anforderungen, liegt im Sinne von § 1 UklaG ein Verstoß gegen § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB vor. Allgemeine Geschäftsbedingungen benachteiligen den Verbraucher unangemessen, wenn sie bei ihm einen falschen Eindruck über die tatsächliche Rechtslage hervorrufen und ihn so davon abhalten können, seine Rechte wahrzunehmen (OLG Stuttgart, Urteil vom 30. Januar 2020 – 2 U 199/19, juris Rn. 120) oder wenn sie dem Verwender die Gelegenheit eröffnen, begründete Ansprüche unter Hinweis auf eine in der Sache unzutreffende Darstellung der Rechtslage in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen abzuwehren (ebda., juris Rn. 129). |
|
| Offen bleiben kann, ob eine Schutzwirkung des § 8 Absatz 5 Satz 1 VVG besteht. Demnach genügt die nach § 8 Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 VVG zu erteilende Belehrung den dort genannten Anforderungen, wenn das Muster der Anlage zum Versicherungsvertragsgesetz in Textform verwendet wird. |
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| Gemäß § 8 Absatz 1 i.V.m. § 152 Absatz 1 VVG kann der Versicherungsnehmer seine Vertragserklärung innerhalb von 30 Tagen widerrufen. Der Beginn der Widerrufsfrist ist gemäß § 8 Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 VVG u.a. abhängig von einer deutlich gestalteten Belehrung über das Widerrufsrecht und über die Rechtsfolgen des Widerrufs, die dem Versicherungsnehmer seine Rechte entsprechend den Erfordernissen des eingesetzten Kommunikationsmittels deutlich macht und die den Namen und die ladungsfähige Anschrift desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist, sowie einen Hinweis auf den Fristbeginn und auf die Regelungen des § 8 Absatz 1 Satz 2 VVG enthält. Eine Belehrung genügt diesen Anforderungen, wenn das Muster der Anlage zum Versicherungsvertragsgesetz in Textform verwendet wird (§ 8 Absatz 5 Satz 1 VVG). Eine Pflicht zur Erteilung einer entsprechenden Widerrufsbelehrung ergibt sich aus § 1 Nr. 13 VVG-Informationspflichtenverordnung. |
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| Unschädlich ist zunächst, dass die Widerrufsbelehrung der Beklagten in der Formatierung vom Muster abweicht. Der Versicherer darf – in den Grenzen einer deutlichen Gestaltung – in Format und Schriftgröße von dem Muster abweichen und Zusätze wie die Firma oder ein Kennzeichen des Versicherers anbringen (§ 8 Absatz 5 Satz 2 VVG). Während im Muster die Überschrift „Widerrufsbelehrung“ zentriert gesetzt wird, hat die Beklagte die Überschrift linksbündig angeordnet. Hierdurch wird die gesetzlich vorgesehene deutliche Gestaltung nicht beeinträchtigt. |
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| Eine relevante Abweichung besteht auch nicht darin, dass die Beklagte in dem Abschnitt über die Widerrufsfolgen den Begriff der „Beiträge“ anstatt des im gesetzlichen Muster vorgesehenen Begriffs der „Prämien“ verwendet. |
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| Ungeachtet der gemäß § 8 Absatz 5 Satz 2 VVG möglichen Abweichungen entfaltet sich die Schutzwirkung des § 8 Absatz 5 Satz 1 VVG nur, wenn die Belehrung dem Muster in der jeweils maßgeblichen Fassung sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 – XI ZR 349/10, juris Rn. 37). Greift der Versicherer in den ihm zur Verfügung gestellten Mustertext ein, kann er sich schon deshalb auf eine etwa mit der unveränderten Übernahme der Musterbelehrung verbundene Schutzwirkung nicht berufen. Das muss unabhängig vom konkreten Umfang der von ihm vorgenommenen Änderungen gelten, zumal sich schon mit Rücksicht auf die Vielgestaltigkeit möglicher individueller Veränderungen des Musters keine verallgemeinerungsfähige bestimmte Grenze ziehen lässt, bei deren Einhaltung eine Schutzwirkung noch gelten und ab deren Überschreitung sie bereits entfallen soll (BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 – XI ZR 349/10, juris Rn. 39). Der Versicherer darf mithin lediglich die in § 8 Absatz 5 Satz 2 VVG genannten Abweichungen vornehmen, will er sich auf die Schutzwirkung des § 8 Absatz 5 Satz 1 VVG berufen (Langheid/Rixecker, Kommentar zum VVG, 6. Aufl. 2019, § 8 VVG Rn. 12). Weitere Zusätze, Abweichungen oder Streichungen führen zum Verlust der Fiktionswirkung, selbst wenn sie sinnvoll erscheinen (Brand in Beck’scher Onlinekommentar zum VVG, 8. Ed. 1.8.2020, § 8 VVG Rn. 51; Eberhardt in Langheid/Wandt, Kommentar zum VVG, 2. Aufl. 2016, § 8 VVG Rn. 50). |
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| Die Verwendung von Synonymen wird in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch nicht als inhaltliche Bearbeitung betrachtet (BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 – XI ZR 564/15, juris Rn. 23; a.A. Maier, BKR 2020, 225 [228]). Nur wenn die in Frage stehenden Begrifflichkeiten auch unterschiedliche Bedeutungen erlangen können, geht die Schutzwirkung des § 8 Absatz 5 Satz 1 VVG demnach verloren. Dies ist bei der Verwendung des Begriffs des „Beitrages“ statt des im Muster vorgesehenen Begriffs der „Prämie“ nicht ersichtlich (vgl. Reiff in: Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, § 33 VVG Rn. 5). |
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| Nicht entschieden werden muss, ob eine inhaltliche Abweichung darin liegt, dass der Gestaltungshinweis Nr. 5 nicht befolgt wurde. Demnach ist bei der Lebensversicherung ggf. folgender Satz einzufügen: „Den Rückkaufswert einschließlich der Überschussanteile nach § 169 des Versicherungsvertragsgesetzes zahlen wir Ihnen aus.“ Die Beklagte stellt sich auf den Standpunkt, ein Rückkaufswert sei nicht auszuzahlen, weil der Versicherungsfall bei einer Sofortrente bereits mit dem Versicherungsbeginn eintrete. Dass die erste Rentenzahlung erst ein Jahr nach Versicherungsbeginn erfolge, liege an einer nachschüssigen Auszahlung. |
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| Offen bleiben kann, ob ein Hinweis auf den Rückkaufswert gleichwohl geboten war. Der Versicherer hat gemäß § 169 Absatz 1 VVG den Rückkaufswert zu zahlen, wenn eine Versicherung, die Versicherungsschutz für ein Risiko bietet, bei dem der Eintritt der Verpflichtung des Versicherers gewiss ist, durch Kündigung des Versicherungsnehmers oder durch Rücktritt oder Anfechtung des Versicherers aufgehoben wird. Bei Vereinbarung einer Rentengarantiezeit ist für diesen Zeitraum eine Leistungspflicht des Versicherers gewiss, weshalb nach dem Sinn und Zweck des § 169 VVG ein Anspruch auf Zahlung des Rückkaufswertes während dieser Rentengarantiezeit möglich erscheint (vgl. Mönnich in: Langheid/Wandt, a.a.O., § 169 VVG Rn. 40). Als denkbar erscheint es zudem, § 152 Absatz 2 Satz 1 VVG als Rechtsfolgenverweisung auf § 169 Absatz 1 VVG zu verstehen. Hierfür spricht, dass in § 169 Absatz 1 VVG zwar Kündigung, Rücktritt und Anfechtung als anspruchsbegründende Ereignisse genannt sind, nicht aber der Widerruf des Versicherungsvertrages. Zudem stellt der Charakter einer Rechtsfolgenverweisung bei einem Widerruf den gesetzgeberischen Grundgedanken sicher, dass dem Einbehalt der erhaltenen Prämien der Rückkaufswert gegenübersteht (vgl. unten III 2 b bb). |
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| Jedenfalls stellt der mit dem Hauptantrag zur Überprüfung gestellte Teil der Widerrufsbelehrung die Rechtslage nicht falsch dar. Er lautet: |
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| „Im Falle eines wirksamen Widerrufs endet der Versicherungsschutz, und wir erstatten Ihnen den auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfallenden Teil der Beiträge, wenn Sie zugestimmt haben, dass der Versicherungsschutz vor dem Ende der Widerrufsfrist beginnt. Den Teil der Beiträge, der auf die Zeit bis zum Zugang des Widerrufs entfällt, dürfen wir in diesem Fall einbehalten; dabei handelt es sich um einen Betrag in Höhe von ... [...]“ |
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| Der Kläger greift diese Formulierung in Bezug auf eine fehlerhafte Belehrung über die Rückzahlung der Beiträge an. Beiden Sätzen kann diesbezüglich entnommen werden, dass Beiträge für den bis zum Widerruf einverständig erteilten Versicherungsschutz nicht zurückgezahlt werden müssen. Mit dem Hauptantrag nicht angegriffen wird die in der Belehrung enthaltene konkrete Höhe des Betrages, den die Beklagte einzubehalten beansprucht. Diese Frage ist Gegenstand der Hilfsanträge. Die Antragstellung ist dahingehend auszulegen, dass der Kläger mit dem Hauptantrag erreichen möchte, dem Beklagten zu untersagen, in Verträgen der vorliegenden Art überhaupt den Einbehalt von Prämien im Falle des Widerrufs vorzusehen. Bei einer Leibrentenversicherung, die keine Todesfallleistungen biete oder lediglich eine Todesfallleistung, die beständig deutlich unterhalb der bereits vom Versicherten gezahlten einmaligen Versicherungsprämie liege, fehle es nach Auffassung des Klägers an einem Versicherungsschutz bzw. einem Risiko, für das die Beiträge das Äquivalent bildeten. |
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| Dieser Angriff bleibt erfolglos. Die Belehrung über die Rechtsfolgen des Widerrufs ist nicht zu beanstanden. Sie steht im Einklang mit § 8 Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 VVG. |
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| § 9 Absatz 1 Satz 1 VVG sieht vor, dass der Versicherer denjenigen Teil der Prämien einbehalten darf, der dem zeitlichen Anteil des bis zum Widerruf erteilten Deckungsschutzes entspricht. Übt der Versicherungsnehmer das Widerrufsrecht aus, hat der Versicherer demnach nur den auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfallenden Teil der Prämien zu erstatten, wenn der Versicherungsnehmer in der Belehrung nach § 8 Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 VVG auf sein Widerrufsrecht, die Rechtsfolgen des Widerrufs und den zu zahlenden Betrag hingewiesen worden ist und zugestimmt hat, dass der Versicherungsschutz vor Ende der Widerrufsfrist beginnt. Diese Regelung bezieht sich – was sich schon aus ihrer systematischen Stellung im Kapitel 1 des Teils 1 („Vorschriften für alle Versicherungszweige“) ergibt – auch auf die vorliegende Rentenversicherung mit Todesfallschutz. Die Anwendbarkeit dieser Regelungen auf die Lebensversicherung wird durch den Gesetzgeber auch in § 152 VVG bestätigt, der den Schutz des Versicherungsnehmers in zweifacher Hinsicht verstärkt, zum einen durch eine Verlängerung der Widerrufsfrist und zum anderen durch die Pflicht zur Zahlung des Rückkaufswertes einschließlich der Überschussanteile im Falle des Widerrufs. |
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| Die Bestimmungen sind – entgegen der Auffassung des Klägers – auch nicht ausschließlich auf eine laufende Prämienzahlung für eine klassische Risikoversicherung ausgerichtet. Vielmehr kommt auch bei einer Einmalzahlung die Anwendung von §§ 152, 9 VVG in Betracht (zur fondsgebundenen Lebensversicherung: OLG Stuttgart, Urteil vom 06. Dezember 2018 – 7 U 107/18, juris Rn. 40). |
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| Die Widerrufsbelehrung stellt sich auch nicht unter dem (streitigen) Gesichtspunkt als unrichtig dar, der Versicherungsschutz beginne erst nach Ablauf der Widerrufsfrist. |
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| Zwar ist richtig, dass sich die Rückzahlung in einem solchen Fall nicht nach § 9 Absatz 1 Satz 1 VVG richtet, die ausgetauschten Leistungen vielmehr gemäß § 357 Absatz 1, § 346 Absatz 1 BGB zurückzugewähren sind (Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie u.a. vom 21. Januar 2009, Bundestags-Drucksache 16/11643, Seite 150). |
|
| Ob der Versicherungsschutz indes erst nach Ablauf der Widerrufsfrist beginnt, hängt nicht nur von der konkreten Vereinbarung der Vertragsparteien, sondern auch von sonstigen Umständen des Einzelfalls ab. Insbesondere ist es denkbar, dass die Widerrufsfrist erst zu einem vergleichsweise späten Zeitpunkt beginnt, etwa weil bestimmte Vertragsunterlagen dem Versicherungsnehmer nicht zeitig zugehen (§ 8 Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 VVG) oder weil die Widerrufsbelehrung aus irgendwelchen Gründen nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht (§ 8 Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 VVG). Das Widerrufsrecht kann in einem solchen Fall in den Grenzen der Verwirkung unter Umständen jahrelang bestehen (hierzu Langheid/Rixecker, a.a.O., § 8 VVG Rn. 18; Armbrüster, VersR 2012, 513). Der Gesetzgeber hat auch die Möglichkeit eines späten Widerrufs erkannt und in § 152 Absatz 2 VVG angeordnet, dass bei dem Widerruf einer Lebensversicherung auch der Rückkaufswert nebst Überschussanteilen zu zahlen ist. Diese Vermögenswerte werden regelmäßig erst nach einem schon längere Zeit andauernden Vertragsverhältnis gebildet. |
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| Die Widerrufsbelehrung darf nicht nur – sondern muss zur Darstellung eines vollständigen Bildes über die Rechtsfolgen – auch den Fall erfassen, dass das Widerrufsrecht nach einem längeren Zeitraum berechtigt ausgeübt wird. |
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| Diesem Umstand trägt die Widerrufsbelehrung der Beklagten Rechnung, indem sie beide Sachverhaltsalternativen klar kennzeichnet: Die Belehrung spricht zunächst den Fall des bereits begonnenen Versicherungsschutzes an („wenn Sie zugestimmt haben, dass der Versicherungsschutz vor dem Ende der Widerrufsfrist beginnt“) und im letzten Satz den Fall, dass der Versicherungsschutz nicht vor dem Ende der Widerrufsfrist beginnt („Beginnt der Versicherungsschutz nicht vor dem Ende der Widerrufsfrist...“). Dies entspricht dem Muster der Widerrufsbelehrung in der Anlage zu § 8 Absatz 5 VVG und begegnet keinen Bedenken. Ob eine zulässigerweise in eine Widerrufsbelehrung aufgenommene Sachverhaltsalternative auch im konkreten Einzelfall gegeben ist, darf dem Verbraucher – in den Grenzen der Verständlichkeit – zur Beurteilung überlassen werden (vgl. auch BGH, Urteil vom 09. Dezember 2009 – VIII ZR 219/08, juris Rn. 24). Falls die Sachverhaltsvariante nicht zutrifft, ist die Belehrung in diesem Punkt gegenstandslos. |
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| Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht den Hilfsantrag Ziff. 2 als unzulässig abgewiesen. Damit verfolgt der Kläger das Ziel, der Beklagten zu untersagen, in der Widerrufsbelehrung zu den hier streitgegenständlichen Verträgen mit Verbrauchern „in den Hinweisen zu den Widerrufsfolgen hinsichtlich des Teils der Prämie, der auf die Zeit bis zum Zugang des Widerrufs entfällt und den sie im Fall des Widerrufs behalten darf, einen Betrag zu benennen, der nicht dem Anteil des erbrachten Versicherungsschutzes im Vergleich zum Gesamtumfang des Versicherungsschutzes entspricht und/oder sich gegenüber Versicherungsnehmern bei der Abwicklung bereits abgeschlossener Verträge der vorgenannten Art auf diesen Betrag zu berufen.“ |
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| Ein Verbotsantrag darf nicht derart undeutlich gefasst sein, dass sich der Beklagte nicht erschöpfend verteidigen kann und, wenn dem gestellten Antrag im Erkenntnisverfahren stattgegeben würde, die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen würde (BGH, Urteil vom 11. Oktober 1990 - I ZR 35/89, juris Rn. 18 - Unbestimmter Unterlassungsantrag). Ein daraufhin erlassener Titel ist nur dann bestimmt genug und zur Zwangsvollstreckung geeignet, wenn er den Anspruch des Gläubigers ausweist und Inhalt und Umfang der Leistungspflicht bezeichnet (BGH, Beschluss vom 07. Februar 2013 – VII ZB 2/12, juris Rn. 11). |
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| Die Reichweite des Verbots muss sich aus dem beantragten gerichtlichen Verbot ergeben, das begründete Zweifel an seiner Bestimmtheit nicht aufkommen lassen darf. Dabei ist aber eine gewisse Verallgemeinerung zur Vermeidung von unnötigen, einen vergleichbaren Sachverhalt betreffenden Rechtsstreitigkeiten zulässig, wenn dabei das Charakteristische der Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt und der Kern des Verbots unberührt bleibt (BGH, Urteil vom 12. Juli 1990 – I ZR 236/88, juris Rn. 26 – Flacon). Anders liegt es aber dann, wenn die Bedeutung von Begriffen oder Bezeichnungen zwischen den Parteien streitig ist. In solchen Fällen würden, wenn Sinngehalt und Bedeutung der verwendeten Begriffe dahingestellt blieben, Inhalt und Umfang des begehrten bzw. des erkannten Verbots nicht eindeutig feststehen (BGH, Urteil vom 11. Oktober 1990 – I ZR 35/89, juris Rn. 18 – Unbestimmter Unterlassungsantrag). Entsprechendes gilt bei einem Rückgriff auf den Gesetzeswortlaut. Zwar kann dieser zur Formulierung eines Schlechthinverbots herangezogen werden, wenn entweder bereits der gesetzliche Verbotstatbestand selbst entsprechend eindeutig und konkret gefasst oder der Anwendungsbereich einer Rechtsnorm durch eine gefestigte Auslegung geklärt ist (BGH, Urteil vom 30. April 2015 – I ZR 196/13, juris Rn. 10 – Rückkehrpflicht V; BGH, Urteil vom 16. Juni 2016 – I ZR 46/15, juris Rn. 36; BGH, Urteil vom 05. Oktober 2010 – I ZR 46/09, juris Rn. 10 – Verbotsantrag bei Telefonwerbung). Die Annahme der Bestimmtheit setzt in solchen Fällen allerdings wiederum voraus, dass zwischen den Parteien kein Streit darüber besteht, ob das beanstandete Verhalten das fragliche Tatbestandsmerkmal erfüllt (BGH, Urteil vom 06. Oktober 2011 – I ZR 117/10, juris Rn. 15 – Delan; BGH, Urteil vom 28. November 2013 – I ZR 7/13, juris Rn. 15 – Online-Versicherungsvermittlung; BGH, Urteil vom 02. April 1992 – I ZR 131/90, juris Rn. 24 – Ortspreis). |
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| Diesen Anforderungen genügt der Hilfsantrag nicht. Im wesentlichen Kern soll der Beklagten untersagt werden, in der Widerrufsbelehrung „einen Betrag zu benennen, der nicht dem Anteil des erbrachten Versicherungsschutzes im Vergleich zum Gesamtumfang des Versicherungsschutzes entspricht.“ Zwischen den Parteien wird jedoch im vorliegenden Rechtsstreit darum gestritten, ob im konkreten Fall, der Anlass zur Erhebung der Klage gegeben hat, überhaupt bzw. in welchem Umfang ein Versicherungsschutz bereits erbracht worden ist. Mithin ist der Antrag nicht geeignet, den Inhalt und den Umfang des begehrten Verbots eindeutig festzustellen. |
|
| Eine hinreichende Bestimmtheit des Antrags ergibt sich auch nicht durch die Bezugnahme auf die Anlage K 1. Ein auf Unterlassung einer konkreten Verletzungsform gerichteter Antrag ist regelmäßig ausreichend bestimmt. Die Bestimmtheit eines Unterlassungsantrages ist in der Regel dann unproblematisch, wenn der Kläger lediglich das Verbot der Handlung begehrt, so wie sie begangen worden ist (BGH, Urteil vom 29. April 2010 - I ZR 202/07, juris Rn. 36 – Erinnerungswerbung im Internet). |
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| Die Bezugnahme auf die Anlage K 1 erfolgt allerdings nicht im Zusammenhang mit den zu unterlassenden Handlungen (Benennung oder Verlangen eines nicht dem Versicherungsschutz entsprechenden Betrages), sondern im Zusammenhang mit der Beschreibung des Vertragstypus, der den Umfang des abstrakten Handlungsverbots bestimmt. Gegenständlich erfasst von dem Antrag sind „Versicherungsverträge mit Tarifen, die eine Rente gegen Einmalzahlung versichern, wie in dem als Anlage K 1 vorgelegten Vertragsformular zu einer Versicherung mit der Produktbezeichnung ‚X-PrivatSofortRente Klassik‘ geschehen. Der Sache nach wird ein abstraktes Verbot verfolgt. |
|
| Erfolg hat die Klage mit dem Hilfsantrag Ziff. 3. Der Kläger kann unter den in der Entscheidungsformel genannten Bedingungen von der Beklagten die Unterlassung verlangen, nach dem Widerruf eines Vertrages über eine Rente gegen Bezahlung eines Einmalbetrages für die Zeit bis zum Widerruf einen Betrag entsprechend der Formel |
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| „Tagessatz lebenslange SofortRente = Einmalbetrag / ((Lebensalter – Eintrittsalter der versicherten Person) x 360)) |
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| einzubehalten, wenn dabei für das „Lebensalter“ eine Lebenserwartung von 85 Jahren zugrunde gelegt und bei Eintrittsaltern von mehr als 85 Jahren mit einer Lebenserwartung von 84 Jahren gerechnet wird. |
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| Dieser Klageantrag ist zulässig. |
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| Der Kläger ist gemäß § 2 Absatz 1 Satz 1 UKlaG klagebefugt. Wer in anderer Weise als durch Verwendung oder Empfehlung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen Vorschriften zuwiderhandelt, die dem Schutz der Verbraucher dienen (Verbraucherschutzgesetze), kann nach dieser Regelung im Interesse des Verbraucherschutzes auf Unterlassung und Beseitigung in Anspruch genommen werden. |
|
| Einen verbraucherschützenden Charakter haben Bestimmungen, die die Rechtsfolgen eines Widerrufs regeln (vgl. BGH, Urteil vom 07. Juli 2010 – VIII ZR 268/07, juris Rn. 8; Micklitz/Rott in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2017, § 2 UKlaG Rn. 18). Hierzu gehören auch gesetzliche Regelungen über den Umfang der Rückgewähr empfangener Leistungen im Falle eines Widerrufs, hier gemäß § 9 VVG. |
|
| Der verbraucherschützende Charakter des § 9 VVG ergibt sich auch aus § 2 Absatz 2 Satz 2 lit. f UKlaG. Demnach sind u.a. die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts, die für Fernabsatzverträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher gelten, Verbraucherschutzgesetze im Sinne von § 2 Absatz 1 Satz 1 UKlaG. Dies trifft auf § 9 VVG zu, denn mit dieser Bestimmung wurde auch Artikel 7 der Richtlinie 2002/65/EG über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher umgesetzt (vgl. Langheid/Rixecker, a.a.O., § 9 VVG Rn. 2). |
|
| Verlangt die Beklagte mithin eine für einen konkreten Einzelfall vorberechnete, gesetzlich nicht gerechtfertigte Zahlung als Widerrufsfolge, kann der Kläger diesbezügliche Unterlassung verlangen. Dieses Verlangen kam nach dem Klagevorbringen beim Vertragsschluss mit Frau C. bereits in der Widerrufsbelehrung zum Ausdruck und wirkte bereits in diesem Stadium auf die Verbraucherin ein, da sie hierdurch von der Ausübung ihrer Rechte abgehalten werden konnte. |
|
| Die Klageerweiterung ist auch noch in der Berufungsinstanz zulässig. Nach § 533 ZPO ist die Klageänderung im zweiten Rechtszug nur zulässig, wenn (1.) der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält und (2.) sie auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat. |
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| Die ausdrücklich verweigerte Zustimmung zur Klageerweiterung steht nicht entgegen, da die Klageänderung sachdienlich ist. |
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| Die Sachdienlichkeit einer Klageänderung ist im Allgemeinen zu verneinen, wenn ein völlig neuer Streitstoff in den Rechtsstreit eingeführt werden soll, bei dessen Beurteilung das Ergebnis der bisherigen Prozessführung nicht verwertet werden kann (BGH, Urteil vom 10. Januar 1985 – III ZR 93/83, juris Rn. 25). Nach diesem Maßstab kann dem neuen Antrag die Sachdienlichkeit nicht abgesprochen werden, denn schon mit dem – unzulässigen – Hilfsantrag Ziff. 2 hat der Kläger geltend gemacht, dass der in der Widerrufsbelehrung angegebene Betrag unangemessen hoch war. |
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| Entgegen der Auffassung der Beklagten steht der Sachdienlichkeit auch nicht § 531 Absatz 1 ZPO entgegen. Demnach bleiben Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, ausgeschlossen. Bei einem Klageantrag handelt es sich jedoch nicht um ein Angriffsmittel, sondern um den Angriff als solchen (BGH, Beschluss vom 20. September 2016 – VIII ZR 247/15, juris Rn. 18). Damit werden nach Schluss der mündlichen Verhandlung gestellte Sachanträge zwar nicht von § 296a ZPO erfasst. Sie sind aber unzulässig, weil sie spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen (BGH, Beschluss vom 19. März 2009 – IX ZB 152/08, juris Rn. 8). Dies schließt es jedoch nicht aus, den Sachantrag unter den Voraussetzungen des § 533 ZPO in der Berufungsinstanz zu stellen. |
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| Gegeben ist auch die weitere Voraussetzung des kongruenten Tatsachenvortrags. Die Klageänderung muss sich auf die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen stützen, die den Prozessstoff der Berufungsinstanz im Hinblick auf das ursprüngliche Berufungsbegehren bilden (OLG Stuttgart, Urteil vom 21. März 2019 – 2 U 29/18, juris Rn. 45). Dies ist der Fall, denn auch der Hilfsantrag Ziff. 3 stützt sich auf die in der Anlage K 1 erteilte Widerrufsbelehrung und die dortige Berechnung des einzubehaltenden Betrages. |
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| Der Hilfsantrag Ziff. 3 ist auch begründet. Die genannte Formel berechnet den einzubehaltenden Prämienanteil nicht nach den Maßstäben des § 9 Absatz 1 Satz 1 VVG. |
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| § 9 Absatz 1 Satz 1 VVG regelt eine Pflicht des Versicherers zur Erstattung von Prämien unter Anrechnung erbrachter Leistungen. Demnach kann der Versicherer unter weiteren Voraussetzungen den bis zur Ausübung des Widerrufsrechts entfallenden Teil der Prämien behalten. Die Regelung soll den Versicherer, der im Einverständnis mit dem Versicherungsnehmer das versicherte Risiko getragen hat, vor einer Störung des Äquivalenzverhältnisses bewahren. Nach den Vorgaben der umgesetzten Richtlinie darf die Höhe des vom Verbraucher zu zahlenden Betrages einen Betrag nicht überschreiten, der dem Anteil der bereits erbrachten Dienstleistungen im Vergleich zum Gesamtumfang der vorgesehenen Dienstleistungen entspricht (Artikel 7 Absatz 1 Satz 3 Var. 1 RL 2002/65/EG). Der zu zahlende Betrag darf auch nicht so bemessen sein, dass er als Vertragsstrafe ausgelegt werden kann (Artikel 7 Absatz 1 Satz 3 Var. 2 RL 2002/65/EG). Bei Versicherungen, die über einen bestimmten Zeitraum ein bestimmtes Risiko abdecken, führt dies dazu, dass die Prämie für den entsprechenden Zeitanteil zu entrichten ist. Die Höhe lässt sich in einem solchen Fall anhand der Monats- oder Jahresprämie bestimmen (vgl. Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie u.a. vom 21. Januar 2009, Bundestags-Drucksache 16/11643, Seite 150). Vorliegend ist dieses Rechenmodell nicht umsetzbar, da der Versicherungsvertrag über einen unbestimmten Zeitraum bis zum Tod der versicherten Person abgeschlossen wurde. Zudem hat die Versicherungsnehmerin eine Einmalprämie geleistet, so dass sich die Prämie nicht nach Zeitabschnitten aufteilen lässt. |
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| Den zum Schutz der Versicherungsnehmerin halbzwingenden Anforderungen (§ 18 VVG) des § 9 Absatz 1 Satz 1 VVG wird die Berechnung entsprechend der Formel der Beklagten nicht gerecht. |
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| Die Beklagte übernimmt im konkreten Anlassfall für die Zeit bis zum Widerruf kein wirtschaftliches Risiko und erbringt auch sonst keine Leistungen gegenüber der Verbraucherin. |
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| Die Beklagte hat wirtschaftlich kein Todesfallrisiko übernommen. Im zugrundeliegenden Fall einer Einmalzahlung von 50.000,00 Euro wurde der Versicherungsnehmerin eine jährliche Rente in Höhe von 4.166,71 Euro nebst Überschussanteilen versprochen. Bei Tod der versicherten Person innerhalb der ersten zehn Versicherungsjahre sollte der zehnfache Betrag der Garantierente (41.667,10 Euro) ausgezahlt werden abzüglich der bereits erhaltenen Garantierente. Wirtschaftlich besteht damit für den Versicherungsnehmer die Gewähr, wenigstens einen Teil der Einmalzahlung zurückzuerhalten. Damit verleihen die Parteien dem Vertrag den Charakter einer kapitalbildenden Altersvorsorge. Die Übernahme eines wirtschaftlichen Todesfallrisikos durch die Beklagte liegt darin nicht. |
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| Die Beklagte hat auch nicht das „Risiko“ eines langen Lebens der versicherten Person übernommen. Ein langes Leben vollzieht sich nicht innerhalb des Widerrufszeitraums, der bei Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen, denen die Berechnung des einzubehaltenden Betrages gerecht werden muss, 30 Tage beträgt. Die Beklagte hat in diesem Zeitraum auch noch keine Rente geleistet, weil die Zahlung nachschüssig ein Jahr später erfolgen sollte. |
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| Eine zu vergütende Leistung liegt auch nicht darin, dass die Beklagte zur Deckung des „Langlebigkeitsrisikos“ die Verwaltung und Anlage des Kapitals übernommen hat, mit dem die späteren Rentenzahlungen erwirtschaftet werden sollten. Dies wäre nur dann als gegenüber der Versicherungsnehmerin erbrachte Leistung anzuerkennen, wenn die Beklagte einen Rückkaufswert im Sinne von § 169 Absatz 1 VVG auszahlen würde. Die Beklagte stellt sich jedoch auf den Standpunkt, einen solchen nicht zu schulden. Dann dient die Bildung des Deckungskapitals jedoch ausschließlich der Sicherung der Leistungsfähigkeit der Beklagten zur dauerhaften Auszahlung der Rente. |
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| Die Berechnungsformel berücksichtigt zudem nicht hinreichend, dass es sich vorliegend um eine kapitalbildende Altersvorsorge handelt. |
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| Dem Risikoanteil kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Rücktritt des Versicherungsnehmers vom Lebens- und Rentenversicherungsvertrag gemäß § 8 Absatz 5 VVG in der Fassung vom 21.07.1994 besondere Bedeutung bei der Bestimmung des Wertersatzes gemäß § 346 Absatz 2 BGB für die bis zum Rücktritt erbrachten Versicherungsleistungen zu (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2014 – IV ZR 260/11, juris Rn. 37; BGH, Urteil vom 07. Mai 2014 – IV ZR 76/11, juris Rn. 45). Nach dem Wortlaut von § 9 Absatz 1 Satz 1 VVG und von Artikel 7 Absatz 1 Satz 3 RL 2002/65/EG erscheint es möglich, neben den Rückstellungen zur Deckung des versicherten Risikos auch einen Gewinnanteil des Versicherers zu berücksichtigen (vgl. auch die Umsetzung der Richtlinie in § 357a Absatz 2 Satz 4 BGB und die zur Parallelvorschrift ergangene Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 12. Oktober 2016 – VIII ZR 55/15, juris Rn. 47; ausdrücklich zur Lebens- und Rentenversicherung auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 17. Mai 2019 – 12 U 141/17, juris Rn. 93). |
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| Zu den Rückstellungen zur Deckung des versicherten Risikos gehört zwar grundsätzlich auch der Prämienanteil, der in den Rückkaufswert einschließlich der Überschussanteile einfließt. Da der Versicherer gemäß § 152 Absatz 2 Satz 1 VVG zu dessen Auszahlung verpflichtet ist, darf er im Gegenzug die entsprechenden (bis zum Widerruf geleisteten) Prämienanteile einbehalten. |
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| Für den vorliegend zu bewertenden Vertrag stellt sich die Beklagte jedoch auf den Standpunkt, zur Zahlung des Rückkaufswertes nicht verpflichtet zu sein, was trotz Zweifeln an der Richtigkeit dieser Auffassung (vgl. oben unter Ziff. I 2 lit. c) bei der zur Bewertung gestellten Praxis gem. § 2 Absatz 1 UKlaG zugrunde zu legen ist. Durch diese Praxis stört die Beklagte das vom Gesetzgeber für die kapitalgedeckte Lebens- und Rentenversicherung vorgesehene Ausgleichssystem, wonach die Prämienanteile nur bei Zahlung des Rückkaufswertes behalten werden dürfen. Nach der zu beurteilenden Berechnungsformel erhielte die Versicherungsnehmerin bei einem Widerruf nach 30 Tagen noch 45.833,30 Euro bei einem Einbehalt von 4.166,70 Euro von der Einmalzahlung. Für den Einbehalt erhielte die Versicherungsnehmerin jedoch keinen Rückkaufswert. Näher am gesetzlichen Grundgedanken läge die Betrachtung, dass die Versicherungsnehmerin den Rückkaufswert aus der Einmalprämie von 50.000,00 Euro erhielte. Da dieser ohne Abzug anteiliger Abschluss- und Vertriebskosten zu zahlen ist (OLG Karlsruhe, a.a.O., juris Rn. 70), wäre er im Wesentlichen lediglich durch den Risikoanteil und durch einen Gewinnanteil geschmälert. Dies entspräche der erbrachten Dienstleistung. |
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| Weiter ist auch ein Verstoß gegen Artikel 7 Absatz 1 Satz 3 RL 2002/65/EG darin zu sehen, dass der einbehaltene Betrag so bemessen ist, dass er als Vertragsstrafe ausgelegt werden kann. Der Versicherungsnehmer darf durch eine unverhältnismäßig hohe Forderung nicht von der Geltendmachung seines Rechts zum Widerruf abgehalten werden. Dies ist hier aber der Fall, denn bei einem Betrag von 138,89 Euro pro Tag handelt es sich um eine exorbitant hohe Summe, die erkennbar in keiner Weise durch ein übernommenes Versicherungsrisiko gerechtfertigt werden kann. |
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| Die Berechnungsformel erweist sich aber selbst dann als nicht sachgerecht, wenn unterstellt wird, dass die Einmalprämie bei einem ungewissen Endzeitpunkt der Versicherung auf eine rechnerisch bei Vertragsschluss zu erwartende Vertragsdauer aufgeteilt werden könne (so bei einer fiktiven Laufzeit von 31 Jahren auch OLG Stuttgart, Urteil vom 06. Dezember 2018 – 7 U 107/18, juris Rn. 46/49). In einem solchen Fall wäre die Pauschalierung nur auf der Grundlage objektiver Anhaltspunkte gerechtfertigt. Dieser Anforderung entspricht nicht die Annahme, bei 84jährigen Kunden sei lediglich eine Vertragsdauer von einem Jahr zu erwarten. Die statistische Lebenserwartung ist vom jeweiligen Lebensalter abhängig, so dass es nicht den objektiven Maßstäben entspricht, eine – über alle Altersklassen verteilt – einheitliche Lebenserwartung von 85 Jahren zugrunde zu legen. Wie der Kläger vorgetragen hat, beträgt für Frauen, die das 80. Lebensjahr bereits erreicht haben, eine Lebenserwartung von 9,2 Jahren. Frauen, die das 90. Lebensjahr erreicht haben, haben eine Lebenserwartung von 4,2 Jahren. Eine entsprechende Anpassung der Berechnungsformel würde sich erheblich auswirken. |
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| Es besteht auch eine Wiederholungsgefahr. Unterlassungsansprüche nach § 2 UKlaG setzen das Bestehen einer Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr voraus (BGH, Urteil vom 06. Juni 2018 – VIII ZR 247/17, juris Rn. 35 – Strompreise). Die durch einen bereits begangenen Verstoß begründete tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr kann regelmäßig nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden (BGH, Urteil vom 17. Juli 2008 – I ZR 219/05, juris Rn. 33 – Clone-CD). Dabei entfällt diese Vermutung unabhängig von der Annahmeerklärung des Gläubigers und daher gegebenenfalls schon vor einer solchen (BGH, Urteil vom 18. Mai 2006 – I ZR 32/03 – Vertragsstrafevereinbarung, juris Rn. 20). |
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| Im vorliegenden Fall hat die Beklagte zwar erklärt, sie habe ihre Praxis dahingehend geändert, den einzubehaltenden Tagesbetrag auf 9,99 Euro zu deckeln. Unabhängig von der Frage, ob diese Erklärung dem Unterlassungsanspruch des Klägers vollständig gerecht wird, hat sie jedoch keine entsprechende strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Die Parteien haben sich auch nicht auf einen entsprechenden Vergleich geeinigt. Das unterbreitete Vergleichsangebot der Beklagten lässt die Wiederholungsgefahr noch nicht entfallen. Notwendig ist das Zustandekommen eines bestandskräftigen Vergleichs (Bornkamm in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, Kommentar zum UWG, 39. Aufl. 2021, § 8 UWG Rn. 1.62; a.A. OLG Celle, Urteil vom 01. Dezember 2004 – 3 U 160/04, Rn. 26 mit ablehnender Anmerkung Beuchler, VuR 2007, 66). |
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| Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Absatz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Revision ist zugunsten der Beklagten unbeschränkt zuzulassen, da die Bestimmung des Prämienanteils für auf unbestimmte Zeit geschlossene Verträge über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Demgegenüber ist die Revision nicht zuzulassen, soweit die Klage abgewiesen wurde. Der Hauptantrag zielt mittelbar auf die Überprüfung des gesetzlichen Widerrufsmusters ab, wofür ebensowenig ein Klärungsbedarf besteht wie für die hinsichtlich des abgewiesenen Hilfsantrags maßgebende Frage der Bestimmtheit des Klageantrags. |
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| Entsprechend der allgemeinen Erwägungen ist der Streitwert – entgegen der Auffassung des Klägers – auf 2.500,00 Euro je überprüfter Klausel anzusetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 05. Februar 2019 – VIII ZR 277/17, juris Rn. 10). |
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