Urteil vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (5. Senat) - 5 K 4/14

Tenor

Die vom Beklagten zu Gunsten der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 12.03.2007 wird aufgehoben.

Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen eine immissionsschutzrechtliche (Änderungs)Genehmigung für eine Abfallverbrennungsanlage in Rostock.

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Mit Bescheid vom 04. September 2000 erteilte das seinerzeit zuständige Staatliche Amt für Umwelt und Natur (StAUN) Rostock zu Gunsten der EVG Entsorgungs- und Verwertungsgesellschaft mbH Rostock eine Genehmigung für die Errichtung und Inbetriebnahme einer Restabfallbehandlungsanlage im Seehafen Rostock (RABA Rostock), bestehend aus den Anlagenteilen mechanisch-biologische Abfallbehandlungsanlage (MBA) und thermische Abfallbehandlungsanlage (TAB), mit einer Gesamtkapazität von 230.000 Mg/a (1 Mg [Megagramm] entspricht 1 t [Tonne]). Bei der TAB, deren genehmigte Kapazität 166.440 Mg/a betrug, handelte es sich um eine Verbrennungsanlage, die überwiegend in der MBA vorbehandelten Abfall verbrennen sollte. Zum Verhältnis von MBA und TAB hieß es in den Antragsunterlagen, zwar sei es Hauptziel der RABA Rostock, durch die Vorbehandlung in der MBA einen definierten Brennstoff für die Behandlung in der TAB herzustellen, doch könnten beide Anlagenteile grundsätzlich weitgehend unabhängig voneinander betrieben werden. Die TAB sei auch dafür geeignet und ausgelegt, andere Abfälle als die in der MBA behandelten zu verbrennen; dies sei auch vorgesehen. Deshalb sollte die RABA zur Nachweisführung für die ordnungsgemäße Entsorgung für MBA und TAB zwei getrennte Entsorgernummern erhalten. In der Beschreibung der MBA hieß es, der vorbehandelte Abfall sei stabilisiert und könne z. B. bei Stillstand der TAB zu lagerfähigen Ballen verpresst werden. In der Regel werde er aber direkt in den Müllbunker der TAB gefördert. Die Beschreibung der TAB führte aus, die der MBA nachgeschaltete thermische Behandlung sei als Rostfeuerung ausgeführt; nach Beschickung über die Krananlage werde der Abfall über einen Aufgabetrichter der Feuerung zugeleitet. Das Genehmigungsverfahren wurde mit Öffentlichkeitsbeteiligung und Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchgeführt.

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Die MBA wurde am 01. Juni 2005 in Betrieb genommen; für die TAB wurde zunächst die Frist zur Aufnahme des bestimmungsgemäßen Betriebes bis zum 01. Juni 2008 verlängert.

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Bereits ab 2004 fanden zwischen der EVG mbH bzw. der ####, deren Rechtsnachfolgerin die nunmehrige Beigeladene ist, und dem StAUN Rostock Gespräche über die Errichtung und den Betrieb einer TAB durch die #### statt. Im November 2006 trat die EVG mbH die Genehmigung vom 04. September 2000 bezogen auf die TAB an die #### ab. Der Betreiberwechsel wurde dem StAUN Rostock am 28. November 2006 angezeigt.

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Schon zuvor hatte die EVG mbH am 04. April 2006 einen – von der ####, ihrem Vertragspartner für die Errichtung und den Betrieb des Sekundärbrennstoff-Heizkraftwerkes Rostock erarbeiteten – Antrag zur Allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls gemäß § 3e UVPG vorgelegt. Die hierzu eingereichten Unterlagen umfassten u.a. eine Emissions- und Immissionsprognose für Luftschadstoffe sowie eine Schallprognose. Das StAUN Rostock beteiligte das Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie Mecklenburg-Vorpommern (LUNG) und das Umweltamt der Hansestadt Rostock, die keine Einwände gegen einen Verzicht auf die Durchführung einer UVP erhoben. Das StAUN Rostock schloss die Prüfung mit einem kurzen Vermerk vom 04. Dezember 2006 mit dem Ergebnis ab, dass von dem Vorhaben keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen zu erwarten seien und eine UVP daher nicht erforderlich sei. Dieses Ergebnis wurde am 08. Januar 2007 öffentlich bekannt gemacht.

6

Mit Schreiben vom 10. November 2006 beantragte die #### die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die wesentliche Änderung nach § 16 Abs. 1 BImSchG der genehmigten Restabfallbehandlungsanlage zur Errichtung und Inbetriebnahme eines Sekundärbrennstoff-Heizkraftwerkes (SBS-HKW). In dem formularmäßigen Antrag auf immissionsschutzrechtliche Genehmigung finden sich folgende Angaben zu Umfang und Leistung:

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"Brennstoffdurchsatz 21,6 Mg/h bei Hu= 14,5 MJ/kg; Annahmekapazität: 230.000 Mg/a; Feuerungswärmeleistung: max. 95,7 MW, nominal 87 MW, Thermische Kesselleistung: 70 MW."

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Als Gegenstand der Änderung wurde eine thermische Abfallbehandlungsanlage angegeben; auf Grund der Änderung der Brennstoffqualität werde bei nahezu gleicher Brennstoffmenge eine wesentlich höhere Feuerungswärmeleistung erzielt, verbunden mit einem deutlich höheren Abgasvolumenstrom. In einer vergleichenden Übersicht der Unterschiede des geplanten SBS-Kraftwerks gegenüber der genehmigten Anlage (Kap. 1-8 der Antragsunterlagen) wurden der maximale Durchsatz mit 230.000 Mg/a (frühere Anlage: 166.440 Mg/a) bzw. 23,76 Mg/h (20 Mg/h), die Volllastbetriebsstunden mit 8.400 h (8.322 h) das Heizwertband mit 11-18 MJ/kg (keine Angabe), der Auslegungsheizwert mit 14,5 MJ/kg (8,9 MJ/kg), die Feuerungsleistung nominal mit 87,0 MW (49,57 MW) und der Abgasvolumenstrom mit 140.000 Nm3(tr) (92.017 Nm3(tr) angegeben. Zu den Antragsunterlagen gehörte u.a. eine "Emissions- und Immissionsprognose für Luftschadstoffe für das Vorhaben SBS-HKW" der GfBU mbH vom 22. Januar 2007 (BA H, 1), auf die verwiesen wird. Eine Öffentlichkeitsbeteiligung wurde entsprechend dem Antrag der Antragstellerin nicht durchgeführt.

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Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 12. März 2007 erteilte das StAUN Rostock der #### die Genehmigung,

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„die im Seehafen Rostock (…) genehmigte Restabfallbehandlungsanlage, bestehend aus den Anlagenteilen mechanisch-biologische Abfallbehandlungsanlage (MBA) und thermische Abfallbehandlungsanlage (TAB), mit einer Gesamtkapazität von 230.000 Mg/a durch die Errichtung und Inbetriebnahme eines Sekundärbrennstoff-Heizkraftwerkes (SBS-HKW) mit einer Kapazität von max. 230.000 Mg/a (199.600 Mg/a bei einem Heizwert des Brennstoffes von 14,5 MJ/kg) wesentlich zu ändern und täglich im durchgehenden Schichtbetrieb von 0.00 bis 24.00 Uhr zu betreiben. (...)

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Das SBS-HKW soll der Verwertung von heizwertreicher Fraktion bzw. Sekundärbrennstoffen aus Abfallbehandlungsanlagen dienen. Das Heizwertspektrum des hoch- und mittelkalorischen Sekundärbrennstoffes reicht von 11 bis 18 MJ/kg bei einer maximalen Feuerungswärmeleistung von 95,7 MW.“

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Im Rahmen der immissionsschutzrechtlichen Auflagen wurden unter Ziff. 2.3.2 des Bescheides Emissionsgrenzwerte geregelt.

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Auf Antrag der Betreiberin ordnete das StAUN Rostock unter dem 21. März 2007 die sofortige Vollziehung der Genehmigung an. Die Anlage wurde sodann realisiert und wird betrieben.

14

Der Kläger ist hälftiger Miteigentümer eines Einfamilienhausgrundstücks in ####, Ortsteil ####, auf dem er mit seiner Familie lebt. Das Grundstück liegt etwa 1,6 km östlich der genehmigten Anlage, deren Standort sich im Gebiet des Seehafens südlich der Ost-West-Straße befindet.

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Am 06. März 2008 legte der Kläger Widerspruch ein, den das StAUN Rostock mit Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2008, zugestellt am 23. Dezember 2008, als unbegründet zurückwies. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides sah ursprünglich die Klage zum Verwaltungsgericht Schwerin vor, was die Behörde mit Schreiben vom 12. Januar 2009, zugestellt am 14.01.2009, korrigierte.

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Der Kläger hat am Montag, den 16. Februar 2009 Klage erhoben. Er trägt vor, dass eine Verletzung seiner subjektiven Rechte durch den angegriffenen Bescheid ohne weiteres möglich sei, da er mit seiner Familie im Beurteilungsgebiet nach der TA Luft lebe und arbeite. Mit einem Abstand von 1.600 m zwischen Verbrennungsanlage und Wohnhaus liege das Haus innerhalb des möglichen Einwirkungsraumes der Anlage und befinde sich zudem in der Hauptwindrichtung. Er erwarte, von der Anlage der Beigeladenen durch schädliche Umwelteinwirkungen vor allem über den Luftpfad, also in Form von Luftschadstoffen, betroffen zu sein. Die angegriffene Genehmigung stelle nicht das Gegenteil sicher.

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Der Kläger ist der Ansicht, die Genehmigung hätte nicht als Änderungsgenehmigung und nicht ohne Durchführung einer UVP und Öffentlichkeitsbeteiligung erteilt werden dürfen. Auf Grund der falschen Verfahrensart und insbesondere des Verzichts auf UVP und Öffentlichkeitsbeteiligung sei er in seinen Rechten verletzt bzw. habe einen Anspruch auf Aufhebung der Genehmigung. Mangels Anlagenidentität sei das einzig zutreffende Verfahren ein Neugenehmigungsverfahren mit der dann obligatorischen UVP und Öffentlichkeitsbeteiligung gewesen. MBA und Verbrennungsanlage bildeten keine einheitliche Anlage i. S. d. BImSchG bzw. der 4. BImSchV. Es fehle an einem gemeinsamen Betriebsgrundstück, auch handele es sich nicht um denselben Anlagenbetreiber. Soweit bekannt, sei die Beigeladene auch nicht Teil des gleichen Konzerns wie der Betreiber der MBA. Eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Übernahme der Reststoffe der MBA – vergleichbar mit dem ursprünglichen Anlagenkonzept – bestehe nicht; ein privatrechtlicher Vertrag reiche nicht aus. Eine Abluftleitung von der MBA zur Verbrennungsanlage bewirke noch keine gemeinsame Anlage. Es handele sich lediglich um eine Option. Die MBA habe daneben nach wie vor eigene Geruchsreinigungsanlagen, mit denen sie bereits vor Inbetriebnahme der Verbrennungsanlage gearbeitet habe. Dass es zu Einschränkungen des Betriebs komme, wenn die Verbrennungsanlage nicht genutzt werden könne, sei nicht ersichtlich. Eine gemeinsame Löschwasservorrichtung könne ebenfalls nicht als gemeinsame Betriebseinrichtung von erheblichem Gewicht angesehen werden.

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Charakter und Funktionsweise der Verbrennungsanlage hätten sich gegenüber der ursprünglichen Genehmigung komplett verändert. Es sei offenbar zu 100 Prozent neu geplant worden. Nicht einmal der Standort sei identisch. Alle Betriebs- und Schadstoffparameter seien – zumeist zum Nachteil der Nachbarn – geändert worden. Es gehe um eine technisch völlig anders konzipierte, in sich geschlossene Abfallverbrennungsanlage mit anderer Verbrennungs- und Abgasreinigungstechnik, anderen technischen Rahmendaten, völlig anderen zu verbrennenden Abfällen (sog. Sekundärbrennstoffe statt Restabfälle), stark erhöhter Kapazität, stark erhöhtem Abluftvolumenstrom, erhöhtem Schadstoffpotential im Abfallinput, und bei den meisten Schadstoffen nach der Änderung weitaus höheren zulässigen Emissionsgrenzwerten. Wegen des Vergleichs der maximalen Schadstoffgehalte im Abfallinput, der Grenzwerte für Schadstoffe und der maximal zulässigen Emissionsmassenströme wird auf die Aufstellungen des Klägers Bezug genommen (Bl. 435 f d. GA.; ebenso nochmals Bl. 470 f d. GA), wegen der Unterschiede bei der Abgasreinigungstechnik auf die Gutachtliche Stellungnahme des #### vom 15. August 2008 (s. d. S. 6; GA 167, 171).

19

Eine UVP einschließlich Öffentlichkeitsbeteiligung sei rechtswidrig unterlassen worden. Nach dem UVPG (Anlage 1 Nr. 8.1.1.2 Spalte 1) bestehe für eine Abfallverbrennungsanlage bereits ab einem Durchsatz von 3 Tonnen pro Stunde eine UVP-Pflicht. Vorliegend gehe es um einen Durchsatz von 27,5 Tonnen pro Stunde.

20

Auch wenn man annehme, dass es sich um eine Anlagenänderung handele, sei nicht lediglich eine UVP-Vorprüfung durchzuführen, sondern zwingend eine vollständige UVP. Das streitgegenständliche Vorhaben erreiche auch bezogen auf die geänderten Parameter den Schwellenwert für eine zwingende UVP, weil sich durch die angegriffene Genehmigung die Stundenkapazität von 20 t auf 27,5 t und damit auf mehr als das Doppelte des Schwellenwertes von 3 t/h erhöhe. Bei dieser Berechnung sei die maximale Kapazität von 230.000 t/a zu Grunde zu legen. Auf die derzeit tatsächlich genutzte Kapazität komme es nicht an. Ein entsprechend hoher Abfalldurchsatz sei auch tatsächlich möglich, weil erforderlichenfalls auch Abfälle schlechterer Qualität, also mit schlechterem Brennwert, angenommen werden könnten.

21

Soweit zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung der Schwellenwert des UVPG von 3 t/h noch nicht gegolten habe, sei die Änderung gleichwohl UVP-pflichtig gewesen. Denn die seinerzeitige Rechtslage sei strenger gewesen. Die 3 t/h-Schwelle sei im Rahmen eines Infrastrukturbeschleunigungs- und -erleichterungsgesetzes eingeführt worden. Die Formulierung "Größen- oder Leistungswerte" in § 3e Abs. 1 Nr. 1 UVPG beziehe sich auf die im Anhang zum UVPG vielfach erfolgte Differenzierung nach Größenschwellen zwischen Spalte 1- und Spalte 2-Anlagen. Einer solchen Abgrenzung habe es bei Abfallverbrennungsanlagen, die nach damaligem Recht immer UVP-pflichtig gewesen seien, nicht bedurft. Anders ausgedrückt habe der geregelte Schwellenwert bei > 0,1 t/h gelegen.

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Jedenfalls habe auch im Falle einer Änderungsgenehmigung eine UVP wegen der Überschreitung des europäischen Schwellenwertes von mehr als 100 t pro Tag durchgeführt werden müssen, der sich aus Art. 4 Abs. 1 i. V. m. Anhang I Nr. 10 und Nr. 22 der UVP-RL 85/337/EWG in der maßgeblichen Fassung der Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL 2003/35/EG ergebe. Darauf, ob der Verbrennungsvorgang als Beseitigung oder Verwertung einzustufen sei, komme es nach der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 23.11.2006 – Rs. C-486/04 –) nicht an. Der Schwellenwert von 100 t/d werde überschritten. Nunmehr sei eine Kapazität von 230.000 t/a genehmigt, was bei 8.400 zulässigen Betriebsstunden pro Jahr 27,38 t/h bzw. 657,12 t/d entspreche. Auch im Vergleich zur ursprünglichen Genehmigung, mit der eine Kapazität von 166.440 t/a bzw. 20 t/h oder 480 t/d genehmigt gewesen sei, ergebe sich noch ein Plus von 7,38 t/h bzw. 177,12 t/h.

23

Auch eine UVP-Vorprüfung für das genehmigte Vorhaben habe – wie im Einzelnen näher ausgeführt wird – nicht ordnungsgemäß stattgefunden.

24

Anders als der Beklagte zu suggerieren versuche, werde nicht etwa mit der Änderungsgenehmigung "alles besser". Wie im Einzelnen unter Bezugnahme auf die Ausführungen des #### (Gutachten vom 15.08.2008 u. 26.06.2009, Bl. 167 u. 198 d. GA.) näher ausgeführt wird, erhöhe sich vielmehr der maximal zulässige Schadstoffausstoß in die Umwelt (zulässiger Emissionsgrenzwert multipliziert mit dem zulässigen Abgasmassenstrom), außer bei Quecksilber und Dioxinen/Furanen, bei denen eine leichte Verbesserung eintrete.

25

Sowohl nach nationalem Recht als auch nach Europarecht führe das rechtswidrige Unterlassen einer UVP unabhängig von einer möglichen Rechtsverletzung zur Aufhebung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Für das nationale Recht ergebe sich dies aus den Bestimmungen des Umweltrechtsbehelfsgesetzes, für das Europarecht aus dem Altrip-Urteil des EuGH vom 07.11.2013 – C-72/12 –, nach dem ein Fehler in der UVP, der die europäischen Beteiligungsgarantien der Nachbarn im Genehmigungsverfahren betreffe, immer erheblich sei und ein Nachweis der fehlenden Kausalität zwischen Verfahrensfehler und Ergebnis nicht geführt werden könne. Im Übrigen sei Gegenstand von UVP und Öffentlichkeitsbeteiligung nicht nur die Einhaltung von Immissionswerten; vielmehr gehe es auch darum, ob die erwarteten Auswirkungen zutreffend und umfassend ermittelt worden seien, ferner ob bei der Art der angenommenen Abfälle samt der zugelassenen Schadstoffgehalte und der vorgesehenen Reinigungstechnik die angenommenen Emissionswerte realistisch seien und ob durch die Eingangskontrolle sichergestellt sei, dass nicht Abfälle mit deutlich höheren Schadstoffgehalten in die Anlage gelangten.

26

Eine Nachholung der UVP sei bisher nicht erfolgt. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO komme eine Tenorierung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit bei einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nicht in Betracht. Eine Aussetzung des Verfahrens wäre nicht prozessökonomisch, weil nach durchgeführter UVP bzw. Öffentlichkeitsbeteiligung für die betroffene Öffentlichkeit ohnehin ein neues Klagerecht bestünde.

27

Auch wenn man von einer Änderung ausgehe, ergebe sich ferner ein zwingendes Erfordernis der Öffentlichkeitsbeteiligung jedenfalls aus Art. 15 Abs. 1 der IVU-RL in der zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung anzuwendenden Fassung der RL 2003/35/EG, weil der dort in Nr. 5.2 des Anhangs I bereits zu einem früheren Zeitpunkt als in der UVP-RL vorgesehene Schwellenwert von 3 t verbrannter Abfälle pro Stunde überschritten gewesen sei. Im Sinne der europarechtskonformen Auslegung sei deshalb die Ausnahme des § 16 Abs. 2 BImSchG gesperrt gewesen.

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Der Kläger beantragt,

29

die immissionsschutzrechtliche Änderungsgenehmigung des Beklagten vom 12. März 2007 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2008 aufzuheben.

30

Der Beklagte, das nunmehr zuständig gewordene Amt, beantragt,

31

die Klage abzuweisen,

32

hilfsweise,

33

die Verhandlung gemäß § 4 Abs. 1 b Satz 2 Umweltrechtsbehelfsgesetz auszusetzen.

34

Er trägt vor, dass der Kernbestand der Anlage nicht verändert worden sei. Es handele sich weiterhin um eine Rostfeuerungsanlage, in der aus Sekundärbrennstoffen Energie erzeugt werde. Durch die Optimierung des Heizwertbereiches des Heizkraftwerkes werde nunmehr die gesamte heizwertreiche Fraktion aus der Abfallbehandlungsanlage Rostock dort verbrannt. Qualitative Änderungen seien geringfügige Lageverschiebungen der Anlage, die Änderung von Gebäuden sowie die Änderung der Positionierung und Ausrichtung von Betriebseinheiten. Bei der Änderung des Durchsatzes, des Heizwertes und der Feuerungswärmeleistung handele es sich um typische quantitative Änderungen. Die Rauchgasreinigungsanlage entspreche vom Prinzip her der bereits im Jahr 2000 genehmigten Anlage, die ebenfalls nach dem quasi-trockenen Verfahren arbeite. Sowohl die ursprünglich genehmigte als auch die geänderte Rauchgasreinigungstechnologie – die im Einzelnen näher erläutert wird – seien im BVT-Merkblatt über beste verfügbare Techniken der Abfallverbrennung vom Juli 2005 aufgeführt.

35

Antragsgemäß seien die Emissionsgrenzwerte für alle Schwermetalle sowie Dioxine/Furane und Benzoapyren wesentlich niedriger festgelegt worden als nach der 17. BImSchVO. Dadurch lägen sämtliche Schadstoffimmissionen im Irrelevanzbereich. Es sei ein hoher Grad an Vorsorge getroffen worden; erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen im Sinne von § 16 Abs. 2 BImSchG und § 3 e Abs. 1 Ziff. 2 UVPG, wie sie für den Drittschutz entscheidend seien, seien ausgeschlossen. Auch der Gutachter des Klägers komme in seiner Stellungnahme zu dem Fazit, bei einem Abgasvolumenstrom von 140.000 Nm3/h(tr) würden die Irrelevanzschwellen der TA-Luft-Werte bzw. davon abgeleitet die LAI-Werte nicht überschritten. Der Kläger habe keinen Rechtsanspruch darauf, dass eine bestimmte Technik (hier der Rauchgasreinigung) verwendet werde, sondern nur auf Einhaltung der Normen, durch die seine subjektiven Rechte geschützt würden.

36

Die maßgebliche Vorschrift für die Frage der UVP-Pflicht eines Änderungsvorhabens sei § 1 Abs. 2, 3 der 9. BImSchV. Danach sei hier eine erneute UVP nicht erforderlich gewesen. Die in Ziff. 8.1.1.2 des Anhangs 1 zum UVPG genannte Durchsatzkapazität von mindestens 3 t Abfall je Stunde sei nicht maßgeblich, weil diese Regelung erst mit Wirkung vom 30. Oktober 2007 in das UVPG eingefügt worden sei. Rechtlich maßgeblich sei jedoch der Zeitpunkt der Genehmigungserteilung. Zu diesem Zeitpunkt sei in der Anlage 1 zum UVPG eine Mengenschwelle nicht geregelt gewesen. Im Übrigen gehe der Kläger zu Unrecht von einem maximalen Durchsatz der Anlage von 27,5 t/h aus. Bei einem der Genehmigung entsprechenden Auslegungsheizwert von 14,5 MJ/kg und einem maximalen Durchsatz von 199.600 Mg/a ergebe sich bei 8.400 Betriebsstunden pro Jahr ein maximaler Durchsatz von 23,76 t/h. Dieser liege nur um 3,76 t /h höher als nach der ursprünglichen Genehmigung aus dem Jahr 2000.

37

Die daher nur erforderliche UVP-Vorprüfung sei – wie im Einzelnen näher ausgeführt wird – ordnungsgemäß durchgeführt worden.

38

Auch habe eine etwa unterlassene UVP-Vollprüfung nicht zwangsläufig zur Folge, dass die erteilte Genehmigung aufzuheben sei. Vielmehr wäre der unterstellte Verfahrensfehler nur beachtlich, wenn er sich kausal auf das Ergebnis ausgewirkt hätte. Nach der Altrip-Entscheidung des EuGH sei der Rechtsgedanke des § 46 VwVfG mit dem Ziel der UVP-RL, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren, vereinbar. Vorliegend stehe fest, dass die Sachentscheidung auch bei ordnungsgemäßem Verfahren nicht anders ausgefallen wäre. Wie sich aus der UVP-Vorprüfung ergebe, hätte auch eine UVP-Vollprüfung zu dem Ergebnis geführt, dass das Vorhaben keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen erwarten lasse, so dass die beantragte Genehmigung – als gebundene Entscheidung – zu erteilen gewesen sei.

39

Zu einer etwa erforderlichen Nachholung einer UVP-Vollprüfung werde angeregt, das gerichtliche Verfahren auszusetzen. Die Aufhebung der Genehmigung würde demgegenüber unverhältnismäßige Folgen haben, weil die Abfallentsorgungssicherheit für die Stadt und den Landkreis Rostock zumindest zeitweise erheblich gefährdet würde.

40

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

41

die Klage abzuweisen,

42

hilfsweise,

43

die Verhandlung gemäß § 4 Abs. 1 b Satz 2 Umweltrechtsbehelfsgesetz auszusetzen.

44

Sie ist der Ansicht, die angefochtene Änderungsgenehmigung sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte habe in zulässiger Weise für das Vorhaben eine Änderungsgenehmigung gemäß § 16 BImSchG erteilt und eine Errichtungsgenehmigung nicht für erforderlich gehalten. Durch das Vorhaben werde weder der Charakter der Gesamtanlage noch der Kernbestand der Verbrennungsanlage grundlegend verändert. Das ursprüngliche Anlagenkonzept sei hinsichtlich der Behandlung des anfallenden Hausmülls in der benachbarten Anlage zur mechanisch-biologischen Aufbereitung und der thermischen Behandlung der heizwertreichen Fraktion im Kraftwerk beibehalten worden. Die vom Kläger angesprochenen Änderungen begründeten nicht das Vorliegen einer Neuerrichtung, sondern machten eine Änderungsgenehmigung nach § 16 BImSchG erforderlich.

45

Es sei nicht Gegenstand des Vorhabens, eine ursprünglich einheitliche Anlage in zwei separate Anlagen zu trennen. Das ursprüngliche Konzept einer einheitlichen Anlage mit zwei Anlagenteilen sei unverändert geblieben. Der Verbrennungsteil der Anlage diene zu einem erheblichen Teil dazu, Rückstände aus der Aufbereitung von Abfällen im MBA-Teil der Anlage thermisch zu verwerten. Insoweit bestehe eine vertragliche Verpflichtung bis mindestens 2025 zur Übernahme von Abfällen in einem Umfang von 82.000 Mg/a. Ferner bestehe eine betriebstechnische Verbindung dadurch, dass die Abluft des MBA-Teils der Anlage im Regelbetrieb zum Verbrennungsteil der Anlage (TAB) geleitet und dort thermisch behandelt werde. Ein separater Betrieb des MBA-Teils der Anlage sei nur als Sonderbetrieb möglich, wie er während der zwei planmäßigen revisionsbedingten Stillstände des Verbrennungsteils pro Jahr auftrete; er sei mit Betriebseinschränkungen für die MBA verbunden. Ferner bestünden für den MBA-Teil und den Verbrennungsteil der Anlage gemeinsame Löschwasservorrichtungen.

46

Im Übrigen könnte die Klage auch dann keinen Erfolg haben, wenn tatsächlich ein Neugenehmigungsverfahren durchzuführen gewesen wäre, weil die Wahl einer unzutreffenden Verfahrensart den Kläger nicht in seinen subjektiven Rechten verletzen würde.

47

Der Verzicht auf die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung sei rechtmäßig. Eine UVP-Pflicht für immissionsschutzrechtliche Änderungsvorhaben sei nicht in § 3e UVPG, sondern in der spezielleren und daher vorrangig anzuwendenden Vorschrift des § 1 Abs. 3 der 9. BImSchV geregelt. Die 1. Alternative der Regelung sei nicht anwendbar, weil ein Größen- oder Leistungswert als Schwellenwert zum maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigungserteilung am 12. März 2007 in der Anlage 1 zum UVPG noch nicht angegeben gewesen sei. Dieser Zeitpunkt sei bei Drittanfechtungsklagen maßgeblich. Daher sei die 2. Alternative einschlägig, wonach die UVP-Pflicht des Änderungsvorhabens durch eine UVP-Vorprüfung zu ermitteln gewesen sei. Diese sei – wie im Einzelnen näher ausgeführt wird – vom Beklagten ordnungsgemäß durchgeführt worden.

48

Auf die Frage, ob der Schwellenwert der UVP-Richtlinie 85/337/EWG unmittelbar gelte, komme es nicht an. Jedenfalls liege keine Abfallbeseitigungsanlage im Sinne der Nr. 10 Anhang I dieser Richtlinie vor, weil dort auf Anhang IIA der RL 75/442/EWG Bezug genommen werde, die streitgegenständliche Anlage jedoch eine Abfallverwertungsanlage nach Nr. R1 des Anhanges IIB der Richtlinie 75/442/EWG sei. Im Übrigen überschreite die änderungsbedingte Kapazitätserhöhung den dort geregelten Schwellenwert von 100 Mg/d nicht. Die Durchsatzkapazität sei von 20 Mg/h lediglich auf 23,76 Mg/h und damit um 3,76 Mg/h erhöht worden, was 90,24 Mg/d entspreche. Andere Differenzbildungen seien wegen des unterschiedlichen Heizwertbezugs methodisch nicht korrekt und damit unzulässig.

49

Auch der Verfahrensfehler einer zu Unrecht unterlassenen UVP würde nicht zur Aufhebung der Genehmigung führen, weil er für das Ergebnis des Änderungsgenehmigungsverfahrens nicht kausal gewesen wäre. Dies gelte auch im Rahmen von § 4 UmwRG, weil es auch insoweit bei der Geltung der Vorschrift des § 46 VwVfG bleibe. Aus der Altrip-Entscheidung des EuGH ergebe sich nichts anderes. Durch diese Entscheidung sei geklärt, dass das Unionsrecht einer Anwendung des § 46 VwVfG und damit des Kausalitätserfordernisses auf die Fehler einer zu Unrecht unterlassenen UVP bzw. Vorprüfung nicht entgegenstehe. Die Durchführung einer UVP hätte nichts an der Irrelevanz der vorhabenbedingten Umweltauswirkungen geändert. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung sei eine gebundene Entscheidung. Die Genehmigungsbehörde sei an die Immissionsrichtwerte der 17. BImSchV gebunden, so dass sie in der Genehmigung nicht ohne Zustimmung der Beigeladenen strengere Immissionsgrenzwerte hätte festlegen können.

50

Schließlich führe das Fehlen einer erforderlichen UVP auch deshalb nicht zur Aufhebung der Genehmigung, weil ein solcher Verfahrensfehler durch Nachholung der UVP heilbar sei. Dem entsprechend habe das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 17. Dezember 2013 – 4 A 1.13 – lediglich die Nichtvollziehbarkeit eines angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses festgestellt und damit der Behörde die Gelegenheit zur Fehlerbehebung gegeben. Nach der Wells-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes sei die Heilungsmöglichkeit auch europarechtskonform.

51

Das gerichtliche Verfahren müsse ggf. nach § 94 VwGO ausgesetzt werden, um dem Beklagten Gelegenheit zur Behebung des in dem Absehen von einer UVP liegenden Verfahrensfehlers zu geben. Alternativ könne das Ruhen des Verfahrens angeordnet werden. Dass ein Aussetzen des Verfahrens nicht der Prozessökonomie diene, treffe nicht zu. Vielmehr würde der Kläger mit der Nachholung einer UVP und der damit verbundenen Öffentlichkeitsbeteiligung gerade sein eigentliches Rechtsschutzziel erreichen.

52

Auch von einer Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 16 Abs. 2 BImSchG sei zu Recht abgesehen worden. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien auch dann erfüllt, wenn wie hier die Immissionen oder sonstigen Einwirkungen auf die in § 1 BImSchG genannten Schutzgüter gering und erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen ausgeschlossen seien. Eine Pflicht zur Öffentlichkeitsbeteiligung ergebe sich auch nicht aus Art. 15 Abs. 1 IVU-RL. Eine unmittelbare Geltung dieser Regelung sei nicht anzunehmen. Ein wegen der verspäteten Umsetzung der Richtlinie zunächst eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren sei nach Inkrafttreten des Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetzes und des Umweltrechtsbehelfsgesetzes eingestellt worden. Offenbar sei auch die EU-Kommission der Auffassung gewesen, dass die Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie damit vollständig umgesetzt worden sei. Gegen eine unmittelbare Geltung spreche auch, dass dies auf eine unzulässige umgekehrt vertikale Wirkung zu Lasten der Beigeladenen als Gesellschaft des Privatrechts hinauslaufen würde; ferner spreche dagegen die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, denen im Bereich der Vorschriften zur Öffentlichkeitsbeteiligung ein großer Gestaltungsspielraum zustehe. Im Übrigen gälten die Bestimmungen des Art. 15 IVU-RL nach deren Übergangsbestimmung in Art. 20 Abs. 1 für bestehende Anlagen nicht, solange Maßnahmen i.S.v. Art. 5 IVU-RL noch nicht getroffen worden seien. Dies sei zum Zeitpunkt der Erteilung der Änderungsgenehmigung noch nicht der Fall gewesen. Soweit damit die RL 84/360/EWG fortgegolten habe, habe diese eine Bekanntgabe der Genehmigungsanträge und Entscheidungen an die betroffene Öffentlichkeit lediglich „unter Beachtung der nationalen Vorschriften“ vorgesehen, womit auf § 16 Abs. 2 BImSchG verwiesen worden sei.

53

Schließlich wäre auch eine etwa fehlende Öffentlichkeitsbeteiligung gemäß § 46 VwVfG M-V unbeachtlich, weil nicht die Möglichkeit bestehe, dass sich der – unterstellte – Verfahrensfehler auf das Ergebnis ausgewirkt habe. Da die streitige Änderung der Anlage an der Irrelevanz der anlagenbedingten Umweltauswirkungen nichts geändert habe, wäre nicht damit zu rechnen, dass die Durchführung einer Öffentlichkeitsbeteiligung zu zusätzlichen Auflagen oder einer sonstigen Änderung der Genehmigung geführt hätte. Im Übrigen wäre ein solcher – unterstellter – Verfahrensfehler auch deshalb unbeachtlich, weil es an einer materiellen Betroffenheit des Klägers fehle. Die Genehmigung verstoße nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des Immissionsschutzrechts, insbesondere die immissionsschutzrechtlichen Schutzpflichten gem. § 6 Abs. 1 i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG. Zudem sei ein – unterstellter – Verfahrensfehler der fehlenden Öffentlichkeitsbeteiligung dadurch geheilt worden, dass die Beteiligung des Klägers im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt worden sei.

54

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akte dieses Verfahrens und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten zum hiesigen Genehmigungsverfahren, die Antragsunterlagen zur ursprünglichen Genehmigung für die Restabfallbehandlungsanlage sowie zur Änderungsgenehmigung für die MAB Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

55

Die Klage ist zulässig.

56

Sie ist als Anfechtungsklage statthaft und fristgerecht am Montag, den 16. Februar 2009 binnen eines Monats nach der am 14. Januar 2009 erfolgten Zustellung des erstmals mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Widerspruchsbescheides erhoben worden.

57

Das Oberverwaltungsgericht ist für die Entscheidung über die Klage erstinstanzlich zuständig, § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Satz 2 VwGO.

58

Der Kläger ist klagebefugt, weil er geltend machen kann, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein, § 42 Abs. 2 VwGO.

59

Die Klagebefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO setzt voraus, dass der Kläger Umstände darlegt, die seine Verletzung in eigenen Rechten möglich erscheinen lassen. Dabei dürfen die Anforderungen jedoch nicht überspannt werden. Die Klagebefugnis ist nur zu verneinen, wenn offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtung eine Verletzung von Rechten des Klägers ausgeschlossen ist (vgl. nur BVerwG Urt. v. 17.12.2013 – 4 A 1.13 – BVerwGE 148, 353, juris Rn. 18 m. w. N.). Allerdings ist die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO enger als die Einwendungsbefugnis in einem Anhörungsverfahren nach § 73 Abs. 4 VwVfG, die auch Belange z. B. wirtschaftlicher, ideeller oder ökologischer Art umfasst (vgl. Schütz in: Ziekow, Hdb. d. Fachplanung, 2. Aufl., 2014, § 8 Rn. 20). Der Nachbar einer genehmigungsbedürftigen Anlage nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) kann geltend machen, durch eine erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung in eigenen Rechten verletzt zu werden, weil diese gegen § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG verstößt. Danach sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können. Diese Bestimmung ist für die Nachbarn drittschützend (vgl. Jarass, BImSchG, 11. Aufl., 2015, § 5 Rn. 133). Als Nachbarn sind alle Personen anzusehen, die sich auf Dauer im Einwirkungsbereich der Anlage aufhalten oder Eigentümer von Grundstücken im Einwirkungsbereich der Anlage sind. Der Einwirkungsbereich besteht aus der Umgebung einer Quelle, in der der von der Quelle ausgehende Immissionsbeitrag noch belegbar ist. Soweit es um die Belastung mit Luftschadstoffen geht, ist als Einwirkungsbereich der Anlage (jedenfalls) das Beurteilungsgebiet nach Ziff. 4.6.2.5 TA Luft anzusehen. Hieran anknüpfend wird die Nachbareigenschaft in der Rechtsprechung für Eigentümer von Grundstücken innerhalb eines Radius bejaht, der dem 50fachen der tatsächlichen Schornsteinhöhe der Anlage entspricht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 14.05.2007 – 11 S 83.06 –, juris Rn. 12; OVG Lüneburg, Beschl. v. 22.05.2008 – 12 MS 16/07 –, juris Rn. 26 sowie ausführlich Beschl. v. 28.02.1985 – 7 B 64/84 –, NVwZ 1985, 357; OVG Münster, Urt. v. 09.12.2009 – 8 D 12/08.AK –, NuR 2010, 583, juris Rn. 41 sowie Urt. v. 03.12.2008 – 8 D 21/07.AK –, juris Rn. 53; OVG Weimar, Beschl. v. 22.02.2006 – 1 EO 708.05 –, juris Rn. 46; vgl. a. Jarass, BImSchG, 11. Aufl., 2015, § 3 Rn. 33 m. w. N.).

60

Diese Voraussetzung ist im Falle des Klägers erfüllt. Er ist Eigentümer eines Grundstücks in einer Entfernung von etwa 1,6 km von der Anlage; die Schornsteinhöhe beträgt 50 m, somit liegt das Grundstück innerhalb des (50 x 50m =) 2,5 km langen Radius.

61

Die Möglichkeit einer Verletzung eigener Rechte des Klägers kann auch nicht unter Verweis auf die Einhaltung der Irrelevanzgrenzen der TA Luft verneint werden. Denn eine Überschreitung von Beurteilungswerten durch die Gesamtbelastung kann nach dem Inhalt der Immissionsprognose zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Nach der Immissionsprognose erreicht die Zusatzbelastung durch die Konzentration von Benzo(a)pyren die Irrelevanzgrenze von 3 % des Beurteilungswertes gemäß Nr. 4.2.2 Buchst. a TA Luft; Entsprechendes gilt für die Zusatzbelastung durch die Deposition von Dioxinen/Furanen im Hinblick auf die Irrelevanzgrenze von 5 % des Beurteilungswertes gemäß Nr. 4.5.2 Buchst. a TA Luft (Kap. 17.1 der Antragsunterlagen zur Genehmigung, S. 34, 35 – BA 7). Hinsichtlich beider Schadstoffe geht die UVP-Vorprüfung davon aus, dass die Vorbelastung die Beurteilungswerte bereits überschreitet (s. d. S. 44 f. – BA 3). Damit wäre genau die Grenze des Zulässigen erreicht; die Beurteilungswerte würden nicht etwa nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft. Dass es sich um eine „worst-case“-Betrachtung handeln dürfte (Antragsunterlagen Kap. 17.1 S. 19 – BA 7) und die Immissionsprognose das Erreichen der Irrelevanzgrenze durch die Zusatzbelastung lediglich für den räumlichen Bereich des Immissionsmaximums annimmt, das Grundstück des Klägers aber nicht in diesem Bereich liegt, führt nicht dazu, dass bereits die Klagebefugnis des Klägers verneint werden kann. Denn der Kläger muss bei einer derartigen Betroffenheit die Möglichkeit haben, die Richtigkeit der Gutachten im gerichtlichen Verfahren überprüfen zu lassen.

II.

62

Die Klage ist auch begründet.

63

Der Kläger hat einen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen (Änderungs-)Geneh-migung.

64

Rechtsgrundlage für diesen Anspruch ist § 4 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG, nunmehr in der Fassung des Gesetzes vom 20.11.2015 [BGBl I S. 2069]). Dieses Gesetz ist anwendbar. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 UmwRG gilt das Gesetz für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, die nach dem 25. Juni 2005 ergangen sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Auch die Bestimmungen des Änderungsgesetzes vom 20. November 2015, das am 26. November 2015 in Kraft getreten ist, sind mangels besonderer Übergangsvorschriften auf anhängige Verfahren anwendbar. Dies entspricht den Grundsätzen des intertemporalen Verfahrensrechts (s. bereits Senatsbeschl. v. 14.12.2015 – 5 M 303/15 –, S. 21).

1.

65

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG kann die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 u.a. dann verlangt werden, wenn eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung erforderliche UVP nicht durchgeführt und nicht nachgeholt worden ist.

66

Bei der angefochtenen Genehmigung handelt es sich um eine Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG, nämlich eine Entscheidung i. S. v. § 2 Abs. 3 UVPG über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach dem UVPG eine Pflicht zur Durchführung einer UVP bestehen kann. Da in diesem Zusammenhang nur die mögliche UVP-Pflichtigkeit von Bedeutung ist, kommt es hier nicht darauf an, ob das Vorhaben die Errichtung oder die Änderung einer Abfallbehandlungsanlage zum Gegenstand hat. Nach der für die UVP-Pflichtigkeit maßgeblichen Fassung des UVPG in der zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung geltenden Fassung des Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetzes vom 09. Dezember 2006 (BGBl I, S. 2819) bedurften gemäß Ziff. 8.1.1 der Anlage zum UVPG thermische Verfahren zur Verwertung und Beseitigung von Abfällen einer UVP. Für Änderungen und Erweiterungen UVP-pflichtiger Vorhaben sah § 3e UVPG zumindest eine Verpflichtung zur Durchführung einer Vorprüfung des Einzelfalls vor.

a)

67

Aus dem Gesamtergebnis der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass es sich bei dem tatsächlich hergestellten Sekundärbrennstoff-Heizkraft-werk (SBS-HKW) um eine immissionsschutzrechtliche Neuerrichtung einer thermischen Abfallbehandlungsanlage handelt und nicht lediglich um die Änderung der bereits zuvor geplanten und genehmigten thermischen Abfallbehandlungsanlage (TAB). Für die (Neu)Errichtung einer solchen Anlage schrieb § 3b Abs. 1 S. 1 i. V. m. Ziff. 8.1.1 der Anlage zum UVPG bereits in der Fassung des Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetzes vom 09. Dezember 2006 (BGBl I, S. 2819) eine UVP zwingend vor.

aa.

68

§ 2 Abs. 2 UVPG unterscheidet u.a. Vorhaben, die die Errichtung und den Betrieb einer technischen Anlage zum Gegenstand haben (Nr. 1 Buchst. a) und Vorhaben, die die Änderung, einschließlich der Erweiterung der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer technischen Anlage zum Gegenstand haben (Nr. 2 Buchst. a). Für die Abgrenzung der Errichtung von der Änderung liegt es nahe, die Maßstäbe des jeweiligen Fachrechts heranzuziehen (vgl. Appold: in Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Aufl., 2012, § 2 Rn. 78). Dies sind hier die §§ 15, 16 BImSchG.

69

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt eine wesentliche Änderung einer genehmigungsbedürftigen Anlage im Sinne des BImSchG vor, wenn deren Lage, Beschaffenheit oder Betrieb geändert oder erweitert werden und dadurch für die Prüfung der Erfüllung der Betreiberpflichten erhebliche nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden können (§ 16 Abs. 1 Satz 1 BImSchG). Demgegenüber ist von einer Neuerrichtung auszugehen, wenn das Vorhaben nicht auf die genehmigte Anlage bezogen ist, sondern sich als Errichtung einer weiteren Anlage darstellt. Maßgeblich für die Abgrenzung ist der Anlagenbegriff des § 1 Abs. 2 und 3 der 4. BImSchV. Danach erstreckt sich das Genehmigungserfordernis auf alle betriebsnotwendigen Anlagenteile und Verfahrensschritte, auf Nebeneinrichtungen, die mit den betriebsnotwendigen Anlagenteilen und Verfahrensschritten in einem räumlichen und betriebstechnischen Zusammenhang stehen, sowie auf eine Mehrheit von Anlagen derselben Art, die dadurch in einem engen räumlichen und betrieblichen Zusammenhang stehen, dass sie auf demselben Betriebsgelände liegen, mit gemeinsamen Betriebseinrichtungen verbunden sind und einem vergleichbaren technischen Zweck dienen. Ein neues Vorhaben stellt hiernach eine Änderung der genehmigten Anlage dar, wenn es als Nebeneinrichtung der genehmigten Anlage zuzuordnen ist oder mit ihr betriebstechnisch und organisatorisch in einer Weise verbunden ist, die es nach der Verkehrsanschauung rechtfertigt, eine einheitliche, nach einem übergreifenden Konzept betriebene Anlage anzunehmen (BVerwG, Beschl. v. 09.04.2008 – 7 B 3/08 –, juris Rn. 3 m. w. N.; betr. die Errichtung und den Betrieb eines zusätzlichen Kraftwerksblocks in einem Heizkraftwerk). Zur Abgrenzung der Neuerrichtung von der wesentlichen Änderung wird auch formuliert, eine Neuerrichtung liege vor, wenn durch die Änderung der Charakter der (Gesamt-)Anlage verändert werde bzw. die Änderungen derart prägend seien, dass die gesamte Anlage als eine neue Anlage qualifiziert werden müsse (Jarass, BImSchG, 11. Aufl., 2015, § 16 Rn. 6a m. w. N.). Eine Neuerrichtung soll vorliegen, wenn der Kernbestand einer Anlage vollständig oder überwiegend verändert werde (Czajka in: Feldhaus, BImSchR, Stand: 05/15, § 16 BImschG Rn. 23 m. w. N.) oder wenn im Kernbestand Anlagenteile grundlegend geändert würden, die für die Anlage im Ganzen und insbesondere für ihr Emissionsverhalten prägend seien, also zum Kernbereich der Anlage i. S. d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 der 4. BImSchV zu rechnen seien (Führ, GK-BImSchG, 2016, § 16 Rn. 55 m. w. N.).

bb.

70

Die Annahme lediglich einer (wesentlichen) Änderung – in Abgrenzung zur Neuerrichtung – kann nicht auf die Überlegung gestützt werden, dass das Vorhaben nur einen Teil der ursprünglich genehmigten –, nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten eine einheitliche Anlage darstellenden – RABA betreffen würde. Voraussetzung für eine solche Betrachtung wäre, dass das Vorhaben nach seiner Verwirklichung Teil dieser einheitlichen Anlage werden sollte. Dies ist aber nicht der Fall.

71

Die Beteiligten selbst sind ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2014 nach Erörterung der Frage, ob sich auf der Grundlage der angefochtenen Genehmigung die Sachlage nun so darstelle, dass von zwei verschiedenen Anlagen auszugehen sei, von letzterem übereinstimmend ausgegangen im Hinblick davon, dass „2 verschiedene Betriebe bestehen und keine gemeinsame Betriebseinrichtungen vorhanden sind“ (Bl. 632 d. GA. Bd. I). Soweit der Vertreter der Beigeladenen im Rahmen der Erörterungen am 10. Dezember 2014 in diesem Zusammenhang erklärt hat, dass es insoweit eine gemeinsame Betriebseinrichtung gebe, als die Abluft der MBA zu der TAB geleitet und dort thermisch behandelt werde, stellt diese zuvor abgegebene Erklärung, diejenige hinsichtlich der Verschiedenheit der Anlagen insgesamt nicht infrage. Das gilt auch insoweit, als mit den Beteiligten auch in der erneuten mündlichen Verhandlung vom 05. April 2016 diese Frage erörtert worden ist und der Vertreter der Beigeladenen dazu lediglich darauf verwiesen hat, dass „ein gemeinsamer Löschwasserbehälter betrieben wird und dass außerdem eine vertragliche Vereinbarung zur Abnahme von Stoffen aus der MBA besteht“ (Bl. 858 d. GA. Bd. II).

72

Die Einschätzung der Beteiligten trifft auch zu. Nach Realisierung des Vorhabens unter Einbeziehung des zu errichtenden SBS-HKW sollte nach dem Inhalt der Genehmigungsunterlagen eine einheitliche Anlage nicht (mehr) bestehen. Die streitgegenständliche Genehmigung ist einem anderen Betreiber erteilt worden als diejenige für die ursprüngliche RABA. Nach dem maßgeblichen Inhalt der Genehmigung soll das SBS-HKW – anders als die ursprünglich vorgesehene TAB – nicht mehr mit der MAB auf einem einheitlichen Betriebsgelände und in einem Gebäudekomplex untergebracht werden; vielmehr soll ein selbständiges Betriebsgelände mit eigener Zufahrt entstehen. Insoweit verweist der Senat auf die in den Akten vorhandenen Übersichts- und Lagepläne (BA 1, 148 f. u. BA 4 jeweils nach Kap. 2-3 und Kap. 3-2). Eine betriebliche Verknüpfung zwischen der MBA und dem SBS-HKW ist allerdings insoweit vorgesehen, als nach der Kurzbeschreibung des Vorhabens (Kap. 1-12 der Antragsunterlagen – BA 4) in der Feuerung „optional“ die Mitverbrennung der MBA-Abluft in einer Größenordnung von bis zu 20.000 cbm/h erfolgen soll, bzw. nach den Angaben zur Anlage und zum Anlagenbetrieb – Betriebseinheit „Verbrennung/Dampf- und Stromerzeugung“ – 40 % der Sekundärluft, die wiederum 40 % der Verbrennungsluft ausmacht, insgesamt als Abluft der MBA abgezogen werden soll (Kap. 3-23 der Antragsunterlagen – BA 4). Damit wird jedoch lediglich eine Art „Entsorgungskooperation“ zwischen dem SBS-HKW und der MAB begründet, nicht aber eine betriebstechnische und organisatorische Verbindung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die es nach der Verkehrsanschauung rechtfertigen würde, eine einheitliche, nach einem übergreifenden Konzept betriebene Anlage anzunehmen. Dies ergibt sich auch aus den Antragsunterlagen, in denen es bei den Angaben zur Anlage und zum Anlagenbetrieb in Kap. 3-5f. (BA 4) unter der Überschrift „Schnittstellen zur vorhandenen MBA“ ausdrücklich heißt:

73

„Die MBA Rostock ist von dem geplanten SBS-HKW Rostock vollständig räumlich getrennt. Die Betriebsgelände beider Anlagen grenzen direkt aneinander, sind aber getrennt gesichert und verfügen über separate Straßenanbindungen. ...

74

Es bestehen keine ablauforganisatorischen Verbindungen des SBS-HKW Rostock zur benachbarten MBA Rostock. Der aus der MBA an das SBS-HKW zu liefernde Sekundärbrennstoff wird wie von anderen Anlieferern auch mit Containerfahrzeugen innerhalb der genehmigten Betriebszeiten angeliefert.

75

Im technologischen Prozess der MBA entsteht Anfallgas mit einer Menge von ca. 38.600 Nm3/h. Das SBS-HKW Rostock nutzt davon bis zu 20.000 Nm3/h. Dieses Anfallgas soll über eine aufgeständerte Rohrleitungstrasse von der MBA an das Kesselhaus des SBS-HKLW herangeführt werden. Das Anfallgas kann der Feuerung als zusätzliche Verbrennungsluft zugeführt werden.“

76

Entsprechendes gilt im Hinblick auf eine bestehende gemeinsame Löschwassereinrichtung.

77

Soweit die Beigeladene vorgetragen hat, es bestehe auf der Grundlage eines mindestens bis zum Jahr 2025 laufenden Vertrages eine Pflicht zur Übernahme von 82.000 t Abfall jährlich aus der MBA, kommt es darauf nicht an. Diese Verbindung ist nicht Gegenstand der Genehmigungsunterlagen, sondern betrifft lediglich die tatsächliche Betriebsweise.

cc.

78

Hinzu kommt die Betrachtung, in welchem Verhältnis die ursprünglich im Jahr 2000 – damals als Teil der RABA – genehmigte TAB zu dem nunmehr genehmigten selbständigen SBS-HKW steht.

79

Dass die ursprüngliche TAB lediglich genehmigt, aber noch nicht errichtet war, hindert nicht die Annahme einer Änderung. Die Vorschriften der §§ 15, 16 BImSchG sind auch auf zwar genehmigte, aber noch nicht errichtete Vorhaben anwendbar (vgl. VGH München Urt. v. 13.05.2005 – 22 A 96.40091 –, NVwZ-RR 2006, 456, 458; Czajka in: Feldhaus, BImSchR, Stand: 05/15, § 16 BImSchG Rn. 24 f.).

80

Der Umstand allein, dass die ursprünglich als Teil der RABA vorgesehene Verbrennungsanlage von dieser abgespalten und verselbständigt werden soll, begründet nicht bereits das Vorliegen einer Neuerrichtung. Die Aufteilung einer Anlage auf mehrere Betreiber mit jeweils eigenständiger Verantwortung wird – soweit sie nicht „genehmigungsneutral“ ist, da die immissionsschutzrechtliche Genehmigung nicht personen- sondern anlagenbezogen erteilt wird – im Hinblick auf die Änderung der Betriebsabläufe regelmäßig nur zur Annahme einer Änderung führen (vgl. Jarass, BImSchG, 11. Aufl., 2015, § 6 Rn. 84 m. w. N.). In der Abspaltung erschöpft sich das zur Genehmigung gestellte Vorhaben aber nicht. Diese tritt vielmehr zu der Neukonzeption eines SBS-HKW lediglich hinzu. Bezogen auf die Frage, ob eine Neuerrichtung oder eine Änderung vorliegt, bedarf es einer Gesamtbetrachtung des Vorhabens.

81

Wesentlich sind die Unterschiede zwischen der Anlage(teilen). Die Übereinstimmungen der TAB als dem ursprünglich genehmigten Verbrennungsteil der RABA liegen in dem allgemeinen Zweck der Anlage, der thermischen Behandlung bzw. Verwertung (überwiegend) vorbehandelter Abfälle zu dienen, dem Prinzip der Rostfeuerungstechnik sowie darin, dass die Anlage auf dem ursprünglichen Baugrundstück und im ursprünglich vorgesehenen Baufeld errichtet werden soll. An Unterschieden ist zunächst die erhebliche Kapazitätserweiterung der TAB von 166.440 Mg/a auf 230.000 Mg/a und damit auf das knapp 1,4-fache zu nennen. Diese mag für sich genommen noch als quantitative Änderung anzusehen sein, auf die § 16 BImSchG Anwendung finden würde. Hinzu kommen aber der unterschiedliche Betriebsschwerpunkt einerseits der ursprünglich geplanten Müllverbrennungsanlage auch für vorbehandelte Abfälle mit niedrigem Heizwert und andererseits des nunmehr geplanten Sekundärbrennstoff-Heizkraftwerks, in dem heizwertreichere aufbereitete Abfälle als sogenannte Ersatz- oder Sekundärbrennstoffe zur Energieerzeugung genutzt werden sollen. Mit der Kapazitätserweiterung und dem höheren Heizwert der Brennstoffe steigt die Feuerungswärmeleistung auf das 1,75-fache; die maximale Feuerungswärmeleistung wird fast verdoppelt. Es handelt sich um unterschiedlich angeordnete und aufgebaute Anlagen, in denen u. a. auch eine unterschiedliche Rauchgasreinigungstechnik vorgesehen ist. Damit verbunden sind unterschiedliche Abgasvolumenströme und unterschiedliche Schadstoffemissionen, was sich in den Genehmigungsbescheiden in jeweils unterschiedlich geregelten Grenzwerten ausdrückt (vgl. die Gegenüberstellungen in den Gutachterlichen Stellungnahmen #### v. 15.08.2008 u. 26.06.2009).

82

Insgesamt ist nach alldem der Gesamtcharakter der Anlage der TAB derart geändert worden, dass die gesamte Anlage als neue Anlage qualifiziert werden muss. Die Unterschiede zwischen der bisherigen und der nunmehr genehmigten Anlage sind sowohl nicht unerheblicher quantitativer Art als auch qualitativer Art in einer Weise, die den Kernbestand der Anlage betrifft.

83

Zudem ist das Vorhaben nicht – wie nach den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Maßstäben für eine Änderung erforderlich – auf eine genehmigte Anlage bezogen. Voraussetzung für ein geändertes Vorhaben ist dessen Teilidentität mit dem ursprünglichen Vorhaben, d.h. es müsste möglich sein, das Vorhaben durch eine Differenzbetrachtung zu beschreiben. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. In den Genehmigungsunterlagen und in der Genehmigung selbst wird auf die ursprüngliche Genehmigung – mit Ausnahme der Bezeichnung des Vorhabens als Änderung der genehmigten RABA – in keiner Weise Bezug genommen. Der Bescheid vom 12. März 2007 trifft vielmehr eine Vollregelung für die Errichtung und Inbetriebnahme eines SBS-HKW. Im Falle einer Änderung wird aber die ursprüngliche Genehmigung nicht ersetzt, sondern behält eine Bedeutung (ausführlich zu den unterschiedlichen Auffassungen betr. das Verhältnis von Errichtungs- und Änderungsgenehmigung: Führ in: GK-BImSchG, § 16 Rn. 151 ff.). Die Legalisierung eines geänderten Vorhabens wird durch die Ausgangsgenehmigung in der Fassung der Änderungsgenehmigung bewirkt. Können demgegenüber für das neue Verfahren keinerlei Unterlagen und Bestandteile des alten Verfahrens verwendet werden, und müssen alle erforderlichen Regelungen mit der Änderungsgenehmigung neu getroffen werden, so spricht dies dafür, dass eine Neuerrichtung in Rede steht. Vorliegend haben Beigeladene und Beklagter bei der Einreichung und Prüfung des Genehmigungsantrags die Maßstäbe für eine Errichtungsgenehmigung angelegt, nämlich vollständig neue Unterlagen erstellt und geprüft. Dafür, dass dies nicht erforderlich gewesen wäre und die nunmehrige Genehmigung im Vergleich zur ursprünglichen Genehmigung einen „wiederholenden Teil“ enthält, fehlt es an Anhaltspunkten. Auch im gerichtlichen Verfahren haben der Beklagte und die Beigeladene eine etwaige (erhebliche) Teilidentität der Anlagen nicht konkret beschrieben. Soweit sie auf Übereinstimmungen hinsichtlich der Anlagenart sowie hinsichtlich weiterer abstrakter Kriterien wie z.B. der Rostfeuerungstechnik hingewiesen haben, reichen solche abstrakten Übereinstimmungen nicht aus, um die Teilidentität der konkret genehmigten Anlagen zu begründen.

dd)

84

Das Fehlen der erforderlichen UVP führt gemäß § 4 Abs. 1 UmwRG zur Aufhebung der angefochtenen Genehmigung.

85

§ 4 UmwRG trifft eine eigenständige Fehlerfolgenregelung für die Begründetheitsprüfung. Die in der Vorschrift genannten Fehler sind erheblich, ohne dass es darauf ankommt, ob die verletzten Verfahrensvorschriften der Gewährleistung eines materiellen subjektiven Rechts dienen und ob die Fehler die Sachentscheidung beeinflusst haben können, wie es § 46 VwVfG sonst voraussetzt. Sie führen unabhängig von den sonst nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO geltenden einschränkenden Maßgaben zur Begründetheit der Klage (BVerwG, Urt. v. 20.12.2011 – 9 A 30.10 –, NVwZ 2012, 573, juris Rn. 21; ebenso Urt. v. 17.12.2013 – 4 A 1.13 –, BVerwGE 148, 353, juris Rn. 41).

b)

86

Unabhängig von den vorstehenden Gründen wäre die Durchführung einer UVP auch dann erforderlich gewesen, wenn es sich nur um ein Änderungsvorhaben und nicht um eine Neuerrichtung handeln würde. Zwar sah in diesem Fall das nationale UVPG die Pflicht zur Durchführung einer UVP zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht vor (aa.). Diese Pflicht ergab sich jedoch aus der UVP-RL selbst, die insoweit unmittelbar anwendbar ist (bb.).

aa.

87

Für ein Änderungsvorhaben sahen die zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden nationalen Vorschriften lediglich eine Pflicht zur Vorprüfung des Einzelfalls vor, nicht aber eine Pflicht zur Durchführung einer UVP.

88

Maßgebliche Vorschrift ist § 3e UVPG. Soweit die Vorschrift des § 1 Abs. 3 der 9. BImSchV als gegenüber § 3e UVPG speziellere Vorschrift angesehen wird (vgl. Reidt/Schiller in: Landmann/Rohmer, UmwR Bd III, Stand: 01.01.2014, § 16 BImSchG, Rn. 10 m.w.N.), gilt dies nicht, wenn es um die Prüfung eines Aufhebungsanspruchs gem. § 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 UmwRG geht. Denn dort ist als maßgebliches Kriterium formuliert, dass eine "nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung" erforderliche UVP nicht durchgeführt und nicht nachgeholt worden ist. Das UmwRG nimmt damit ausdrücklich auf die Vorschriften des UVPG Bezug, nicht aber auf die der 9. BImSchV. Sachliche Unterschiede ergeben sich im Übrigen durch die Anwendung der einen oder anderen Vorschrift nicht; beide sind gleichlautend.

89

Würde auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 19. Dezember 2008 abzustellen sein, käme es auf die unmittelbare Anwendung der europäischen UVP-Richtlinie (dazu unter bb.) schon nicht mehr an, da bereits mit Gesetz vom 23. Oktober 2007 (BGBl. 2007, 2470) die Anlage zum UVPG geändert worden ist und Mengenangaben (3 t/Std) eingeführt worden sind (zu den Folgen siehe die Berechnungen unter bb.).

90

Nach Ansicht des Senats dürfte jedoch zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung am 12. März 2007 geltende Fassung des UVPG maßgebend sein, hinsichtlich der hier maßgeblichen Vorschriften folglich in der Fassung des Gesetzes zur Vereinfachung der abfallrechtlichen Überwachung vom 15. Juli 2006 (BGBl I, S. 1619, in Kraft getreten am 01.02.2007) sowie des Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetzes vom 09. Dezember 2006 (BGBl I, S. 2819, in Kraft getreten am 01.01.2007) (im Folgenden: UVPG-2007). Dabei geht der Senat davon aus, dass die von der Beigeladenen zitierte Rechtsprechung zur Baugenehmigung, nach der die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung maßgeblich ist und spätere Änderungen zu Lasten des Bauherren, d.h. auch solche, die während eines Widerspruchsverfahrens in Kraft treten – anders als Änderungen zu seinen Gunsten – außer Betracht bleiben (BVerwG, Beschl. v. 08.11.2010 – 4 B 43.10 –, juris Rn. 9; Beschl. v. 23.04.1998 – 4 B 40.98 –, NVwZ 1998, 1179 m.w.N.), in dieser Allgemeinheit nicht auf das Immissionsschutzrecht übertragbar sind, weil es dort – anders als im Baurecht – keinen Grundsatz gibt, dass einem Antragsteller eingeräumte Rechtspositionen trotz Rechtsänderung im Allgemeinen zu belassen oder nur gegen Entschädigung zu entziehen sind (so ausdrücklich BVerwG, Urt. v. 18.05.1982 – 7 C 42/80 –, BVerwGE 65, 313 = juris Rn. 16; vgl. auch VGH Mannheim, Urt. v. 14.05.2012 – 10 S 2693/09 –, DVBl. 2012, 1181; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 29.06.2011 – 10 N 39.08 –, juris Rn. 11; anders wohl OVG Münster, Urt. v. 01.12.2011 – 8 D 58/08.AK –, juris Rn. 145).

91

Der Senat geht gleichwohl davon aus, dass es für die Beurteilung der UVP-Pflichtigkeit eines Vorhabens auf den Zeitpunkt der Ausgangsentscheidung ankommen dürfe, denn die UVP-Pflichtigkeit betrifft die Durchführung des Verwaltungsverfahrens als solches und keine materiell-rechtlichen Anforderungen, für die auf den Zeitpunkt der (Dritt-)Widerspruchs-entscheidung abzustellen wäre (siehe zur Zulässigkeit einer „reformatio in peius“ im Widerspruchsverfahren nach materiellem Recht auch BVerwG, Urt. v. 29.08.1986 – 7 C 51/84 –, DVBl. 1987, 238). Sind – wie hier in dem Gesetz zur Reduzierung und Beschleunigung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren vom 23. Oktober 2007 (BGBl. I, S. 2470), mit dem die Anlage zum UVPG und damit die Grundlage für die Beurteilung der UVP-Pflichtigkeit geändert wurde – anderweitige Übergangsregelungen nicht getroffen worden, so ist nach Sinn und Zweck des Verfahrenserfordernisses davon auszugehen, dass der Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens vor Erteilung der Genehmigung maßgeblich sein soll. Hätte der Gesetzgeber vorsehen wollen, dass ggf. nachträglich ein ergänzendes Verwaltungsverfahren durchzuführen ist, so hätte er hierzu eine ausdrückliche Regelung treffen müssen.

92

§ 3e Abs. 1 UVPG-2007 sieht die Verpflichtung zur Durchführung einer UVP für die Änderung oder Erweiterung eines Vorhabens, für das als solches bereits eine UVP-Pflicht besteht, unter der Voraussetzung vor, dass in der Anlage 1 für Vorhaben der Spalte 1 angegebene Größen- oder Leistungswerte durch die Änderung oder Erweiterung selbst erreicht oder überschritten werden (Nr. 1) oder eine Vorprüfung des Einzelfalls im Sinne des § 3c Satz 1 und 3 ergibt, dass die Änderung oder Erweiterung erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann (Nr. 2).

93

An beiden Voraussetzungen fehlt es vorliegend. Ein Fall des § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG-2007 liegt nach Auffassung des Beklagten nicht vor, da die durchgeführte Vorprüfung ergeben hat, dass die „Änderung“ keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen hat.

94

Auch gemäß § 3e Abs. 1 Nr. 1 UVPG-2007 bestand keine Pflicht zur Durchführung einer UVP. Denn für das streitgegenständliche Vorhaben werden Größen- oder Leistungswerte, die durch die Änderung oder Erweiterung selbst erreicht oder überschritten sein könnten, nicht genannt. Vielmehr wird das Vorhaben in der Anlage 1 zum UVPG-2007 nur seiner Art nach beschrieben. Nach Ziff. 8.1.1 der Anlage 1 zum UVPG-2007 waren thermische Verfahren zur Verwertung und Beseitigung von Abfällen, insbesondere die Verbrennung generell UVP-pflichtig.

95

Nach § 3b Abs. 1 UVPG-2007 besteht die Verpflichtung zur Durchführung einer UVP für ein in der Anlage 1 aufgeführtes Vorhaben, wenn die zur Bestimmung seiner Art genannten Merkmale vorliegen (S. 1); sofern Größen- oder Leistungswerte angegeben sind, ist eine UVP durchzuführen, wenn die Werte erreicht oder überschritten werden (S. 2). Dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass das Gesetz unterscheidet zwischen einerseits Vorhaben, die durch eine Bestimmung ihrer Art für UVP-pflichtig erklärt werden, und andererseits solchen, für die Größen- oder Leistungswerte angegeben sind. Letzteres kann nur angenommen werden, wenn die Anlage 1 zum UVPG-2007 solche Größen- oder Leistungswerte ausdrücklich nennt. Dies ist aber in Ziff. 8.1.1 der Anlage 1 zum UVPG-2007 nicht der Fall; vielmehr wird das Vorhaben dort gerade nur seiner Art nach beschrieben. Der Ansicht des Klägers, die Anlage 1 zum UVPG-2007 regele sinngemäß einen Größen- oder Leistungswert von > 0,1 t/h, mit der Folge dass jede Kapazitätserweiterung einer Abfallverbrennungsanlage gemäß § 3e Abs. 1 Nr. 1 UVPG-2007 ihrerseits UVP-pflichtig war, ist deshalb nicht zu folgen.

bb.

96

Zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung ergibt sich eine zwingende UVP-Pflicht unmittelbar aus der UVP-RL 85/337/EWG in der maßgeblichen Fassung der Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL vom 26. Mai 2003 (RL 2003/35/EG, ABl. L 156/17; im Folgenden: UVP-RL 2003).

(1)

97

Nach Anhang I Ziff. 10 zu Art. 4 Abs. 1 UVP-RL-2003 waren Abfallbeseitigungsanlagen zur Verbrennung ungefährlicher Abfälle mit einer Kapazität von mehr als 100 t pro Tag einer UVP zu unterziehen. Dieser Schwellenwert wurde bereits in die Richtlinie 97/11/EG vom 3. März 1997 (ABl. L 73/5) aufgenommen. Nach Ziff. 22 des Anhangs I – die durch Art. 3 der Richtlinie 2003/35/EG vom 26. Mai 2003 in die Richtlinie 85/337/EWG eingefügt wurde – gilt Entsprechendes für jede Änderung oder Erweiterung von Projekten, die in diesem Anhang aufgeführt sind, wenn sie für sich genommen die Schwellenwerte, sofern solche in diesem Anhang festgelegt sind, erreicht.

98

Soweit die Beigeladene meint, aus der Verweisung auf Anhang II A Nr. D9 der Richtlinie 75/442/EWG ergebe sich, dass eine Abfallbeseitigungsanlage nicht vorliege, trifft dies bereits deshalb nicht zu, weil die Verweisung sich lediglich auf die in Ziff. 10 des Anhangs I ebenfalls genannten Abfallbeseitigungsanlagen zur chemischen Behandlung bezieht, nicht aber auf die hier in Rede stehenden Abfallbeseitigungsanlagen zur Verbrennung. Nach der Rechtsprechung des EuGH unterfallen im Übrigen auch Anlagen zur Abfallverwertung dem Begriff der Abfallbeseitigung im Sinne der UVP-RL (Urt. v. 23.11.2006 – C-486/04 –, NVwZ 2007, 322 = juris Rn. 44).

99

Die Mehrkapazität der nunmehr genehmigten Anlage (SBS-HKW) im Vergleich zu der ursprünglichen genehmigten TAB übersteigt diese Mengenschwelle von 100 t/d. Die Kapazität der TAB gemäß ursprünglicher Genehmigung betrug 166.440 t/a, was bei 8.322 Volllast-Betriebsstunden 20 t/h bzw. 480 t/d entspricht. Die Kapazität von 230.000 t/a war nach dem Inhalt der ursprünglichen Genehmigung nicht als Summe der Kapazitäten von MBA und TAB zu verstehen. Den Antragsunterlagen zur ursprünglichen Genehmigung war vielmehr eine Kapazität von 230.000 t/a allein für die MBA zu entnehmen, von der etwa 60.000 Mg/a auf die biologische und 170.000 Mg/a auf die mechanische Aufbereitung entfallen sollte (Kap. 3-26); für die TAB wurde eine Kapazität von 166.440 t/a genehmigt. Die Kapazität des nunmehr genehmigten SBS-HKW ist in der Genehmigung mit „max. 230.000 Mg/a (199.600 Mg/a bei einem Heizwert des Brennstoffes von 14,5 MJ/kg)“ angegeben. Dabei entspricht die Maximalkapazität von 230.000 Mg/a bei 8.400 Volllast-Betriebsstunden einer Kapazität von 27,38 Mg/h bzw. 657,14 Mg/d (= t/d). Die Differenz der jeweils genehmigten Mengen beträgt auf dieser Grundlage mehr als 100 t/d.

100

Bei der Bestimmung der Mehrkapazität gegenüber der ursprünglichen Genehmigung die in der Genehmigung ausgewiesene Maximalkapazität von 230.000 Mg/a zu Grunde zu legen. Soweit der Beklagte und die Beigeladene darauf hinweisen, dass die maximal genehmigte Menge von 230.000 Mg/a nur eine theoretische Bedeutung für den Fall von Brennstoff mit dem niedrigst-möglichen Heizwert habe, vermag diese Argumentation den Senat nicht zu überzeugen. Die Beigeladene berechnet – ausgehend von einem Auslegungspunkt der Anlage bei etwa 182.000 Mg/a und einem Heizwert des Brennstoffs von 14,5 MJ/kg sowie einer Feuerungswärmeleistung von 87 MW – eine Stundenkapazität von 21,6 t und eine Tageskapazität von 518,4 t. Danach würde die Differenz zu der ursprünglich genehmigten Kapazität von 480 t/d weniger als 100 t/d betragen. Diese Werte können bei der Bestimmung der Mehrkapazität jedoch nicht zu Grunde gelegt werden, da sie nicht dem Umfang der Genehmigung entsprechen; allein dieser ist maßgebend.

101

Offenbar wurde bei Erteilung der Genehmigung davon ausgegangen, dass die Schwankungen in Heizwert und Feuerungswärmeleistung sich nicht sicher dahingehend auswirken, dass entsprechende Kapazitäten gar nicht erreicht werden können. Anderenfalls wäre eine niedrigere maximale Anlagenkapazität ausgewiesen worden. Darauf dass nach den Angaben der Beigeladenen in den letzten Jahren tatsächlich jeweils nur eine Jahreskapazität von 180.000 t erreicht wurde, kommt es nicht an. Entsprechendes gilt, soweit die Vertreter der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung angegeben haben, sie gingen davon aus, dass die genehmigte Kapazität von 230.000 t/a auch gar nicht erreicht werden könne, weil es tatsächlich nicht möglich wäre, eine entsprechende Menge Abfall zu verwerten, der derart niedrige Heizwerte habe, zumal sie diese Annahme in den nachfolgenden Schriftsätzen nicht näher erläutert haben. Ist vom Erreichen einer bestimmten Anlagengröße die Durchführung eines bestimmten Prüfungsverfahrens für eine Anlage nach dem BImSchG abhängig, so ist nicht die tatsächlich genutzte oder technisch nutzbare, sondern die im Rahmen der Genehmigung zulässige Nutzung der Anlage maßgeblich (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 25.11.2014 – 10 S 1920/14 –, juris Rn. 10 m.w.N).

(2)

102

Die entsprechende Regelung der UVP-RL ist unmittelbar anwendbar. Die Frist für die Umsetzung in nationales Recht war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigungserteilung am 12. März 2007 bereits abgelaufen. Die Regelung wurde mit der Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 (ABl Nr. L 73/8) eingeführt; danach lief die Umsetzungsfrist bis zum 14. März 1999. Die Regelung einer Mengenschwelle in Anlage 1 Nr. 8.1 des UVPG, durch die auch diese Mengenschwelle überschreitende Änderungen nach § 3e Abs. 1 Nr. 1 UVPG zwingend UVP-pflichtig wurden, erfolgte jedoch erst mit dem Gesetz zur Reduzierung und Beschleunigung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren vom 23. Oktober 2007 (BGBl I, S. 2470), in Kraft getreten am 30. Oktober 2007. Die betreffende Richtlinienbestimmung ist ohne weiteres vollziehbar; ein Ausgestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten besteht insoweit nicht. Nachteilige Wirkungen zu Gunsten Privater stehen der unmittelbaren Geltung von Richtlinienbestimmungen nicht entgegen (vgl. bereits EuGH, Urt. v. 07.01.2004 – C-201/02 –, NVwZ 2004, 593 = juris Rn. 54 ff - „Wells“; Kment in: Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Aufl., 2012, Einl. Rn. 44 m.w.N.).

(3)

103

Die Nichtdurchführung einer auf Grund unmittelbarer Anwendbarkeit der UVP-RL erforderlichen UVP steht der Nichtdurchführung einer nach den Bestimmungen des UVPG erforderlichen UVP gleich und begründet die Anwendbarkeit des § 4 Abs. 3, Abs. 1 Umw-RG. Allerdings knüpft der Wortlaut des § 4 Abs. 1 UmwRG nur an das Fehlen einer „nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung erforderliche(n) UVP“ an. Es entspricht jedoch dem Willen des Gesetzgebers, die Anwendung dieser Vorschrift auch auf Fälle einer auf Grund unmittelbarer Anwendbarkeit der UVP-RL erforderlichen UVP zu erstrecken. In der Begründung des Gesetzentwurfes zum UmwRG (BT-Drucks. 16/2495, S. 13 f.) heißt es, die Vorschrift des § 4 sei zur vollständigen Umsetzung der UVP-Richtlinie, insbesondere von Art. 10a in der durch die RL 2003/35/EG geänderten Fassung, erforderlich. Zur europarechtskonformen Umsetzung dieser Richtlinienbestimmung regele § 4 Abs. 1, dass die vollständige Nichtdurchführung einer rechtlich vorgeschriebenen UVP in der Regel einen wesentlichen Verfahrensfehler darstelle, der zur Aufhebung der Entscheidung führe, sofern der Verfahrensschritt nicht nachgeholt und damit der Verfahrensfehler geheilt werde. Auch mit den Vorschriften des UVPG, auf die in § 4 Abs. 1 UmwRG Bezug genommen wird, sollen die Vorgaben der UVP-RL umgesetzt werden. Es liegt daher fern anzunehmen, der Gesetzgeber habe an das Fehlen einer UVP, deren Erforderlichkeit sich aus der mangels fristgerechter Umsetzung unmittelbar anwendbaren UVP-RL ergibt, nicht dieselben Rechtsfolgen knüpfen wollen wie an das Fehlen einer UVP, die – nach Umsetzung der Vorgaben der UVP-RL – im UVPG vorgeschrieben ist. Dieses Ergebnis entspricht auch dem europarechtlichen Äquivalenzprinzip, das die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei der Regelung der Rechtsfolgen eines Verstoßes dahingehend beschränkt, dass die entsprechenden Regelungen nicht ungünstiger sein dürfen als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln (vgl. EuGH, Urt. v. 07.01.2004 – C-201/02 –, NVwZ 2004, 593 = juris Rn. 67 - „Wells“).

c)

104

Das Verfahren kann – entgegen der Ansicht des Beklagten und der Beigeladenen – nicht zur Nachholung der erforderlichen UVP ausgesetzt werden.

105

Nach § 4 Abs. 1b S. 2 UmwRG in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 20. November 2015 (BGBl I, S. 2069), die wie bereits ausgeführt im hiesigen Verfahren anwendbar ist, kann das Gericht auf Antrag anordnen, dass die Verhandlung bis zur Heilung von Verfahrensfehlern im Sinne des Abs. 1 ausgesetzt wird, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist.

106

Zu der früheren Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG a.F., nach der § 45 Abs. 2 VwVfG und andere entsprechende Rechtsvorschriften unberührt blieben, und die Möglichkeit der Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens zur Heilung eines Verfahrensfehlers unberührt blieb, hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Nachholung einer erforderlichen Vorprüfung in entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 1, Abs. 2 VwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens möglich ist, weil der mit diesem Verfahrenserfordernis verfolgte Zweck auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, d.h. ohne Aufhebung der Verwaltungsentscheidung erreicht werden kann (BVerwG, Urt. v. 20.08.2008 – 4 C 11.07 –, BVerwGE 131, 352, juris Rn. 24). Hingegen soll die UVP selbst in der Regel im gerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt werden können (BVerwG, a.a.O., Rn. 26; ebenso Ziekow, NuR 2014, 229, 232; a.A. Kment in: Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Aufl., 2012, § 4 UmwRG Rn. 30 unter Bezugnahme auf EuGH, Urt. v. 07.01.2004 – C-201/01 – Slg. 2004 I-723, juris Rn. 70 u. m.w.N.). Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt:

107

"Ergibt die nachgeholte Vorprüfung ..., dass das Vorhaben erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann, eine Umweltverträglichkeitsprüfung also hätte durchgeführt werden müssen, wird die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Regel im gerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt werden können. Die Umweltverträglichkeitsprüfung soll gewährleisten, dass die Umweltauswirkungen frühzeitig (§ 1 Nr. 1 UVPG) ermittelt, beschrieben und bewertet werden. Es soll eine auf die Umweltbelange zentrierte Vorabprüfung unter Ausschluss der sonstigen Belange, die sich für oder gegen das Vorhaben ins Feld führen lassen, erfolgen (Urteil vom 18. November 2004 - BVerwG 4 CN 11.03 - BVerwGE 122, 207 <211>). Die Öffentlichkeit ist zu beteiligen (§ 9 UVPG). Das Ergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung ist bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens zu berücksichtigen (§ 12 UVPG). Auch das Gemeinschaftsrecht (Art. 2 Abs. 1 UVP-Richtlinie) verlangt, die Umweltverträglichkeit von Projekten, bei denen unter anderem aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, vor Erteilung der Genehmigung zu prüfen (EuGH, Urteile vom 3. Juli 2008 - Rs. C-215/06, Irland - Rn. 49 und vom 25. Juli 2008 - Rs. C-142/07, Ecologistas en Acción - CODA - Rn. 33; Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30. April 2008 - Rs. C-142/07 - Rn. 62). Maßnahmen, die erst im Anschluss an eine Genehmigung getroffen wurden, sind unbeachtlich (Schlussanträge Kokott a.a.O.)."

108

Diese Überlegungen gelten auch für die nunmehrige Gesetzesfassung. Die Formulierung in § 4 Abs. 1b Satz 2 UmwRG ist auf Vorschlag des Bundesrates in das Gesetz aufgenommen worden, um hinsichtlich der Rechtsgrundlage für die Aussetzung Klarheit zu schaffen, da die VwGO eine entsprechende Möglichkeit bereits seit der Streichung des früheren § 94 Satz 2 VwGO im Jahr 2002 nicht mehr vorsah. Eine inhaltliche Änderung soll damit nicht verbunden sein (vgl. BT-Drs. 18/6288, S. 2).

109

Anlass zu einer anderen Bewertung besteht auch nicht deshalb, weil es sich bei der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung um eine gebundene Entscheidung handelt. Eine Berücksichtigung des Ergebnisses der UVP gemäß § 12 UVPG ist nicht nur dahingehend möglich, dass eine solche Genehmigung gegebenenfalls zu versagen sein kann. Das Ergebnis kann sich vielmehr auch z.B. auf die Beurteilung der Erforderlichkeit der Beifügung von Nebenbestimmungen zur Sicherstellung der Genehmigungsvoraussetzungen gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 BImSchG auswirken. Auch das o. a. Urteil des BVerwG vom 20. August 2008 ist zu einem Fall einer gebundenen Entscheidung ergangen. Ebenso hat das OVG Magdeburg im Rahmen eines Verfahrens betreffend eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für eine Schweinemastanlage keinen Anlass gesehen, das Verfahren zur Nachholung der erforderlichen UVP auszusetzen (OVG Magdeburg, Urt. v. 25.04.2012 – 2 L 192/09 –, juris, insbes. Rn. 74 ff).

2.

110

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 20. November 2015 (BGBl I S. 2069) kann die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 auch verlangt werden, wenn eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 10 BImSchG weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist. Dies ist hier ebenfalls der Fall.

111

Das Vorhaben der Klägerin bedurfte einer Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 10 BImSchG. Dies gilt bei einem Vorhaben der Neuerrichtung einer Anlage wie hier ohne weiteres.

112

Im Ergebnis Gleiches gilt bei der Annahme, es handele sich (nur) um eine wesentliche Änderung der bereits genehmigten Anlage. Denn auch dann wäre eine Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich gewesen, weil ein Fall des § 16 Abs. 2 BImSchG nicht vorlag. Nach dieser Vorschrift soll die zuständige Behörde von der öffentlichen Bekanntmachung des Vorhabens sowie der Auslegung des Antrags und der Unterlagen absehen, wenn der Träger des Vorhabens dies beantragt und erhebliche nachteilige Auswirkungen auf in § 1 genannte Schutzgüter nicht zu besorgen sind (Satz 1); dies ist insbesondere dann der Fall, wenn erkennbar ist, dass die Auswirkungen durch die getroffenen oder vom Träger des Vorhabens vorgesehenen Maßnahmen ausgeschlossen werden oder die Nachteile im Verhältnis zu den jeweils vergleichbaren Vorteilen gering sind (Satz 2). Diese Voraussetzungen durfte der Beklagte deshalb nicht annehmen, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Ausgangsbescheides die Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU-RL) in der Fassung der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie (RL 2003/35/EG des Rates vom 26. Mai 2003, ABl Nr. L 156/17; im Folgenden: IVU-RL-2003) eine Öffentlichkeitsbeteiligung verbindlich vorsah und die Umsetzungsfrist für diese Regelung bereits am 25. Juni 2005 abgelaufen war.

113

Nach Art. 1 IVU-RL-2003 bezweckt die Richtlinie die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung in Folge der in Anhang I genannten Tätigkeiten. Hierzu gehören nach Ziff. 5.2 des Anhangs auch Müllverbrennungsanlagen für Siedlungsmüll im Sinne der Richtlinien 89/369/EWG des Rates vom 08. Juni 1989 und 89/429/EWG des Rates vom 21. Juni 1989 mit einer Kapazität von über 3 t/h. Gemäß Art. 15 Abs. 1 IVU-RL stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die betroffene Öffentlichkeit frühzeitig und in effektiver Weise die Möglichkeit erhält, sich an Verfahren zu beteiligen, die die Erteilung einer Genehmigung für neue Anlagen oder die Erteilung einer Genehmigung für wesentliche Änderungen des Betriebs einer Anlage betreffen (Satz 1); für die Beteiligung gilt das in Anhang V genannte Verfahren. Als wesentlich gilt dabei jede Änderung oder Erweiterung des Betriebs, die für sich genommen die in Anhang I festgelegten Schwellenwerte erreicht (Art. 2 Ziff. 10 Satz 2 IVU-RL-2003).

114

Da das hier in Rede stehende Vorhaben im Vergleich zu der zuvor genehmigten TAB eine Erhöhung der Kapazität um mehr als 3 t/h vorsieht (s. o.), unterfiel es auch für den Fall, dass es als Änderung einzuordnen sein sollte, der Pflicht zur Öffentlichkeitsbeteiligung nach den Bestimmungen der IVU-RL.

115

Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Beigeladenen auch nicht aus der Übergangsbestimmung in Art. 20 Abs. 1 IVU-RL. Diese betrifft zum Zeitpunkt des erstmaligen Inkrafttretens der IVU-RL bereits bestehende Anlagen. Darum geht es hier jedoch nicht.

III.

116

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

117

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.

118

Die Revision war mit Blick auf die Fragen,

119

ob sich ein Anspruch auf Aufhebung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz – insbesondere infolge der Gesetzesänderung im Anschluss an das Altrip-Urteil des Europäischen Gerichtshofs – auch aus der unmittelbaren Anwendung der UVP-Richtlinie
bzw.
der Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung ergeben kann,

120

wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

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