Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 31 A 1572/21.O
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Beklagte wurde am x. x 1981 in E. als türkischer Staatsangehöriger geboren. Am x x 1999 erlangte er an der Städtischen H. I.----straße in E. die Fachoberschulreife.
3Der Beklage wurde mit Wirkung vom x. x 1999 als Polizeimeisteranwärter unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf in den mittleren Polizeivollzugsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen eingestellt. Er erwarb durch Urkunde vom x. x 2000 am x. x 2000 durch Einbürgerung die deutsche Staatsangehörigkeit. Mit Wirkung vom x. x 2002 wurde der Beklagte unter Verleihung der der Eigenschaft eines Beamten auf Probe zum Polizeimeister zur Anstellung ernannt. Er wurde mit Wirkung vom x. x 2003 zum Polizeimeister ernannt. In der Zeit vom x. x 2005 bis zum x. x 2006 wurde er beim Staatsschutz des Polizeipräsidiums N. verwendet. Auf seinen Antrag wurde er mit Wirkung vom 1. x 2006 zum Polizeipräsidium F. versetzt. Nachdem er am 22. x 2007 eine SEK-Ausbildung begonnen hatte, brach er diese am 20. x 2007 aus persönlichen Gründen ab. Am 28. x 2008 wurde der Beklagte zum Polizeiobermeister ernannt. Ihm wurde am 5. x 2008 die Eigenschaft eines Beamten auf Lebenszeit verliehen.
4Nach einer Abordnung vom 4. x 2009 bis zum 31. x 2009 an das J. des M. O. -X. (Abteilung W. ) wurde der Beklagte der Polizeiinspektion N1. /S. zugewiesen. Er wurde am 29. x 2010 zum Polizeihauptmeister ernannt. Mit Schreiben vom 12. x 2010 wurde der Beklagte zur Ausbildung für den Laufbahnabschnitt II (Fachhochschulaufstieg) zugelassen und mit Wirkung vom 1. x 2011 zum Polizeikommissar ernannt.
5Der Beklagte ist seit dem x. x 2008 verheiratet. Er hat drei Kinder.
6Die letzte dienstliche Beurteilung für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Juli 2008 kommt zu dem Ergebnis, dass Leistung und Befähigung den Anforderungen entsprechen. Ein Beurteilungsbeitrag für den Zeitraum der Abordnung des Beklagten an das J. vom 4. Mai 2009 bis 31. Oktober 2009 endet in der Leistungsbeurteilung mit „3 Punkten“.
7Die Polizeipräsidentin F. leitete mit Verfügung vom 27. April 2012 ein Disziplinarverfahren gegen den Beklagten ein und enthob ihn vorläufig des Dienstes. Des Weiteren untersagte sie ihm das Tragen von Dienstkleidung und Ausrüstungsgegenständen sowie die Führung dienstlicher Ausweise und Abzeichen. In der Einleitungsverfügung wurde dem Beklagten ein Verstoß gegen die ihm obliegende Pflicht zur Treue und die Pflicht zum außerdienstlichen Wohlverhalten vorgeworfen. Er erwecke durch sein gesamtes Verhalten den Eindruck, Kontakte zu Personen aus der salafistischen Szene zu pflegen und sich zu deren Gedankengut zu bekennen. Der Beklagte habe bei der Stadt E. für den 4. Februar, 11. Februar, 18. Februar und 25. Februar 2012 sowie anschließend für den 3. März, 10. März, 17. März und 24. März 2012 einen Informationsstand zum Thema „Informationen über den Islam“ angemeldet. Am 4. Februar 2012 seien am Informationsstand deutschsprachige Exemplare des Koran verteilt worden. Ferner sei eine Informationskarte „Einladung zur Wahrheit“ mit Hinweis auf die Internetseite www.diewahrereligion.de und ein Faltblatt „50.000 Fehler in der Bibel?“ verteilt worden. Die genannte Internetseite werde von Herrn J1. B. O1. betrieben, der dem salafistischen Spektrum zugeordnet werde.
8Am 11. Februar 2012 seien am Informationsstand eine Vielzahl von Faltblättern, Informationsschriften und zwei verschiedene selbstgebrannte, handbeschriftete CDs mit Vorträgen der einschlägig bekannten Konvertiten Pierre Vogel und Marcel Krass verteilt worden. Bei den Informationsmaterialien habe es sich um typische Informationsmaterialien der DAWA-Salafisten zur Anwerbung von Konvertiten gehandelt. Die Verfasser der Schriften zeigten typischerweise eine Nähe zu den salafistischen Gruppen „Einladung zum Paradies“ und die „Die wahre Religion“ und internationalen Autoritäten der salafistischen Szene. Am x. x 2012 sei der Beklagte von Beamten des Polizeipräsidiums E. persönlich am Informationsstand angetroffen worden. An diesem Tag seien lediglich kostenlose Exemplare des Koran verteilt worden, nicht hingegen Informationsmaterialien mit Hinweisen zu der Internetseite www.diewahrereligion.de. Der Beklagte habe auf Nachfrage angegeben, er könne keine Angaben zu diesem Informationsmaterial machen. Er wisse nichts davon und habe dieses Material nie gesehen. Zwar kenne er diese Internetseite, sie habe jedoch nichts mit ihrem Informationsstand zu tun. Der Informationsstand werde aus eigenem Antrieb und eigenverantwortlich geführt. Eine Organisation stehe nicht dahinter. Die kostenlosen Exemplare des Korans habe er von Herrn J1. B. O1. bezogen, den er allerdings nicht persönlich kenne. Er habe nur telefonischen Kontakt zu ihm gehabt. Er sei persönlich nicht vor Ort gewesen, als das Informationsmaterial verteilt worden sei. Er habe auf die Frage, ob er die Einführung der Scharia für wünschenswert halte, geantwortet, dass die Scharia in Deutschland niemals eingeführt werden würde. Auf Nachfrage habe er das wiederholt und gesagt, man könne doch für sich selbst wünschen, was man wolle. Auf Frage zu seinem Demokratieverständnis habe er angegeben, dass er als Beamter auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehe. Es sei allerdings allein seine Sache, was er privat denke. Auf weitere Frage zur Vereinbarkeit einer strengen Glaubensauslegung mit dem Polizeiberuf habe er geantwortet, dass für jeden gläubigen Moslem zuerst und vorrangig die Pflichten und Gebote des Koran gelten würde. Andere Dinge seien diesen Regeln nachgeordnet. Anschließend habe er angegeben, dass er Pierre Vogel gut und Marcel Krass recht gut kenne. Am x. x 2012 sei er erneut persönlich am Informationsstand angetroffen worden. Er habe auf Befragen angegeben, dass er sich das Informationsmaterial zu „Die wahre Religion“ angesehen habe, jedoch keine bedenklichen Inhalte habe finden können. Aufgrund von Bedenken der Sicherheitsbehörden würde dieses Material indes nicht mehr verteilt.
9Mit Verfügung vom 16. Mai 2012 wurde das Disziplinarverfahren ausgedehnt. Obwohl ihm in der Einleitungsverfügung vom 27. April 2012 mitgeteilt worden sei, dass es sich bei der Verteilung deutschsprachiger Koranexemplare in der von ihm betriebenen Form um organisierte Aktionen salafistischer Missionierungsnetzwerke handele, habe er dennoch am 10. Mai 2012 erneut versucht, bei der Stadt E. einen Informationsstand zur Verteilung des Koran anzumelden. Er habe sich damit während des laufenden Disziplinarverfahrens in einer Art verhalten, die ihn weiterhin mit salafistischen Bestrebungen und Zielen in Zusammenhang bringe.
10Der Beklagte nahm mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 25. Juni 2012 ausführlich zu den Vorwürfen Stellung. Er sei kein Salafist. Dies zeige sich in seinen vielfältigen Verhaltensweisen: Er gehe regelmäßig in die gemischte Sauna, leihe sich Actionfilme aus, fahre in der Freizeit Motorrad, gehe wählen, habe eine Frau als Heilpraktikerin, besuche Kneipen und habe Elternzeit genommen. All dies würde ein Salafist niemals tun.
11Mit Verfügung vom 3. Dezember 2012 wurde das Disziplinarverfahren erneut ausgedehnt und ein Strafverfahren gegen den Beklagten eingeleitet. Es bestehe zum einen der Verdacht, dass der Beklage bei Buchung eines Flugtickets in die USA am 15. x 2012 bereits eine spätere Krankschreibung geplant habe. Er sei am 1. x 2012 nach Los Angeles geflogen und am 11. x 2012 wieder zurückgekehrt. Er sei jedoch im Zeitraum vom 29. x 2012 bis zum 9. x 2012 krankgeschrieben gewesen. Nach dem Ausbildungsplan hätte er ab dem 2. x 2012 wieder die Fachhochschule besuchen müssen, so dass einem Urlaubsantrag nicht stattgegeben worden wäre.
12Zum anderen bestehe der Verdacht, dass der Beklagte am 28. x 2012 auf seinem Rechner insgesamt acht POLAS-Abfragen durchgeführt habe, die keinen Bezug zu seiner dienstlichen Tätigkeit hatten. Bei einer Person handele es sich um einen türkischstämmigen Essener Islamisten mit Beziehungen zu Al Qaida und anderen, auch tschetschenischen, türkischen, somalischen terroristischen Organisationen. Bei einer anderen Person handele es sich um ein ehemaliges führendes Al Qaida-Mitglied, das am 12. April 2006 getötet worden sei.
13Das Amtsgericht F. verurteilte den Beklagten mit Strafbefehl vom 19. April 2013 wegen Betrugs zu 70 Tagessätzen zu je 50,00 Euro (40 Cs 305 Js 31/13 – 216/13).
14Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten führte am 12. August 2013 im Rahmen des behördlichen Disziplinarverfahrens aus, der Beklagte sehe ein, dass sein Verhalten hinsichtlich der Urlaubsreise und der POLAS-Abfragen nicht korrekt gewesen sei.
15Das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen vom 19. August 2013 wurde dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten mit Schreiben vom 16. Oktober 2013 bekanntgegeben.
16Das Disziplinarverfahren wurde mit Verfügung vom 18. Oktober 2013 erneut ausgedehnt und ein weiteres Strafverfahren eingeleitet. Der Beklagte stehe im Verdacht, gegen die Gehorsamspflicht verstoßen zu haben. Er habe im Rahmen einer polizeilichen Verkehrskontrolle am Flughafen E1. am 29. August 2013 den Polizeibekleidungsausweis aus der Geldbörse geholt und sich als Polizeibeamter zu erkennen gegeben. Sein Dienstausweis liege zu Hause. Die Polizeibeamten stellten daraufhin fest, dass der Beklagte nicht im polizeilichen E-Mail-Verzeichnis gespeichert war. Er habe daraufhin entgegnet, dass nicht alle Polizeibeamten per dienstlicher E-Mail-Adresse erreichbar seien. Hierzu zählten etwa diejenigen des Verfassungsschutzes.
17Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten führte am 18. November 2013 aus, dieser habe angegeben, dass er sich nicht mehr im Dienst befinde. Er habe deshalb auch nicht gesagt, dass sich der Dienstausweis zu Hause befinde. Zudem habe er erst bei der Suche nach dem Studentenausweis der Fachhochschule zufällig seinen Bekleidungsausweis gefunden und vorgezeigt.
18Das Strafverfahren wegen Amtsanmaßung wurde durch die Staatsanwaltschaft E1. am 12. Dezember 2013 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt (80 Js 1116/13).
19Die Ergänzung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen vom 16. Dezember 2013 wurde dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 13. Januar 2014 übersandt.
20Dieser nahm am 13. Februar 2014 im Wesentlichen wie folgt Stellung: Die Medienberichterstattung über die Koranverteilungsaktion könne dem Beklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden. Dieser habe auch keine Meldungen an die Presse gegeben. Er habe auch keine salafistische Aktion unterstützt. Mit seinem Informationsstand habe er nur Informationen über den Koran verteilen wollen. Ob in seiner Abwesenheit salafistisches Material verteilt worden sei, könne dahinstehen. Sein Verhalten im Zusammenhang mit der USA-Reise bedaure er. Eine Aufforderung zur Abgabe des Bekleidungsausweises und des Studentenausweises sei nicht erfolgt.
21Der Kläger teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 7. April 2014 mit, dass beabsichtigt sei, Disziplinarklage zu erheben. Er wies darauf hin, dass er die Beteiligung des Personalrates beantragen könne.
22Der Beklagte beantragte mit Schreiben vom 22. April 2014 die Beteiligung des Personalrates. Dieser stimmte der Erhebung der Disziplinarklage am 16. Mai 2014 zu.
23Der Kläger hat am 26. Februar 2015 Disziplinarklage erhoben. Er hat dem Beklagten vorgeworfen, ein Dienstvergehen dadurch begangen zu haben, dass er
241. durch aktive Teilnahme an der von Salafisten initiierten bundesweiten Aktion „Lies“ den Eindruck in der Presse und der Bevölkerung erweckt habe, ebenfalls Anhänger des Salafismus zu sein. Damit habe er schuldhaft gegen die ihm obliegenden Gebote zur Treue und gegen die Wohlverhaltenspflicht verstoßen;
252. sich vom 29. x 2012 bis zum 9. x 2012 habe krankschreiben lassen, um eine Urlaubsreise nach Los Angeles durchführen zu können, für die ihm kein Urlaub hätte gewährt werden können, weil diese Reise in die Ausbildungszeit (II. Fachprüfung im praktischen Ausbildungsabschnitt auf der Fachhochschule) gefallen sei. Dieser Betrug sei durch einen Strafbefehl über 70 Tagessätze zu je 50,- Euro geahndet worden. Der Beklagte habe durch dieses Verhalten schuldhaft gegen die ihm obliegende Pflicht zum vollen persönlichen Einsatz und gegen die Wohlverhaltenspflicht verstoßen;
263. Abfragen in polizeilichen Auskunftssystemen durchgeführt habe, die keinen Bezug zu seinen dienstlichen Tätigkeiten gehabt hätten. Damit habe der Beklagte schuldhaft gegen die Gehorsamspflicht verstoßen;
274. sich am 29. August 2013 während einer Verkehrskontrolle mit seinem Bekleidungsausweis und seinem Studienausweis der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung als Polizeibeamter ausgewiesen habe, obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits suspendiert und ihm die Führung dienstlicher Ausweise untersagt gewesen sei. Dadurch habe der Beklagte schuldhaft gegen die ihm obliegende Gehorsamspflicht und gegen die Pflicht zur Uneigennützigkeit verstoßen.
28Unter dem 19. Juni 2018 hat der Kläger den Vorwurf von „Recherchen im POLAS-System ohne dienstliche Veranlassung“ weiter konkretisiert. Hierzu hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten mit Schreiben vom 30. Juli 2018 ausführlich Stellung genommen.
29Mit Verfügung vom 27. Januar 2017 dehnte das Polizeipräsidium F. das Disziplinarverfahren gegen den Beklagten erneut aus. Der Beklagte stehe im Verdacht weiterer Dienstpflichtverletzungen. Die Staatsanwaltschaft C. werfe dem Beklagten mit Anklageschrift vom 14. Dezember 2016 vor, am 8. November 2015 gegen 20:30 Uhr den Regionalexpress 46 der Deutschen Bahn von F. nach N. benutzt zu haben. In diesem Zug habe sich auch Frau T. E2. befunden. Im Bereich S1. habe sich der Beklagte zu Frau E2. gesetzt und sein Geschlechtsteil entblößt. Es bestehe der Verdacht, dass er sich einer exhibitionistischen Handlung schuldig gemacht und gegen seine Pflicht zu außerdienstlichem Wohlverhalten sowie gegen die ihm obliegende Gehorsamspflicht verstoßen habe. Überdies stehe er im Verdacht, sich in vier weiteren Fällen exhibitionistischer Handlungen strafbar gemacht zu haben.
30Das Amtsgericht S1. verurteilte den Beklagten mit Urteil vom 6. April 2017 wegen Vornahme exhibitionistischer Handlungen zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 30,- Euro (86 Ds 851 Js 38/16 – 453/16). Das Urteil ist seit dem 16. November 2017 rechtskräftig.
31Das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen wurde dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten mit Verfügung vom 8. Juni 2017 bekanntgegeben. Dieser nahm mit Schreiben vom 12. Juli 2017 umfänglich Stellung.
32Das Verwaltungsgericht hat das Disziplinarklageverfahren gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 LDG NRW zwischenzeitlich ausgesetzt und die Frist für die Erhebung der Nachtragsdisziplinarklage zuletzt mit Beschluss vom 27. Februar 2020 bis zum 31. August 2020 verlängert.
33Schon zuvor, nämlich mit Urteil vom 12. Oktober 2018, verurteilte das Amtsgericht N2. den Beklagten wegen exhibitionistischer Handlungen in zwei Fällen unter Einbeziehung der durch Urteil des Amtsgerichts S1. vom 6. April 2017 festgesetzten Geldstrafe zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 30,- Euro (5 Ls 12 Js 965/17 – 47/17). Das Landgericht F. wies die Berufungen des Beklagten und der Staatsanwaltschaft mit Urteil vom 3. Juli 2019 zurück (24 Ns 221/18). Die Revision des Beklagten wurde vom Oberlandesgericht Hamm durch Beschluss vom 12 November 2019 zurückgewiesen (III-5 RVs 154/19).
34Der Kläger hat am 11. August 2020 Nachtragsdisziplinarklage erhoben. Der Beklagte habe weitere Dienstpflichtverletzungen begangen. Der Nachtragsdisziplinarklage werde zunächst der durch Urteil des Amtsgerichts S1. vom 6. April 2017 festgestellte Sachverhalt zugrunde gelegt:
35„Am 08.11.2015 gegen etwa 20.30 Uhr benutzte der Angeklagte den Regionalexpress 46 der Deutschen Bahn von F. nach N3. . In diesem Zug befand sich auch – allein auf einem Vierersitz – die Zeugin T. E2. . Der Angeklagte wählte einen Zweiersitz, welcher sich genau gegenüber der Zeugin E2. befand und welcher ihm direkten Blickkontakt zu dieser gewährte, während er von weiteren Reisenden nicht wahrgenommen werden konnte. Da der Angeklagte sofort Kontakt zu der Zeugin E2. aufnahm, war dieser die Situation von Anfang an unangenehm, sodass sie den Blick auf das mitgeführte Mobiltelefon richtete. Der Angeklagte öffnete nun den Gürtel, Verschluss und Reißverschluss seiner Hose und entblößte sein Geschlechtsteil, um sich hierdurch sexuell zu erregen. Die Zeugin E2. sah das entblößte Geschlechtsteil des Angeklagten, als sie schließlich von ihrem Mobiltelefon aufsah. Sie war schockiert und fühlte sich in ihrem Scham- und Anstandsgefühl erheblich verletzt. Um der Situation zu entfliehen, entfernte sie sich von dem Beklagten und suchte weinend jemanden, der ihr helfen könne. Dabei traf sie auf die Zeugin T1. , welche sich auf dem Heimweg von ihrer Arbeitsstelle als Security-Mitarbeiterin befand und noch ihre Arbeitskleidung trug. Diese begleitete die Zeugin E2. zurück zu dem Angeklagten, welcher seine Hose nunmehr wieder soweit geschlossen hatte, dass sein Geschlechtsteil nicht mehr zu sehen war. Allein der Gürtel und Reißverschluss waren noch nicht vollständig geschlossen. Auf den Vorfall angesprochen, bestritt der Angeklagte die Tat und versuchte, sich zu entfernen. Die Zeugin T1. benachrichtigte jedoch unverzüglich die Polizei, die die Zeuginnen wie auch den Angeklagten am S2. Bahnhof erwartete und deren Personalien aufnahm. Die Zeugin E2. stellte noch am 08.11.2015 Strafantrag gegen den Angeklagten.“
36Darüber hinaus werde der Nachtragsdisziplinarklage der Sachverhalt zugrunde gelegt, der sich aus dem Berufungsurteil des Landgerichts F. vom 3. Juli 2019 wie folgt ergebe:
37„Am 06.02.2014 wartete die zur Tatzeit 17-jährige Zeugin D. -T2. an der Haltestelle C3 gegenüber des Hauptbahnhofes N3. in einem Wartehäuschen auf ihren Bus der Linie R 64 nach I1. . Es war gegen Abend, so dass es schon relativ dunkel war. Der Angeklagte stellte sich direkt an die linke Seite des Wartehäuschens, so dass die Zeugin D. -T2. ihn gut sehen konnte. Beide waren durch die Glasscheibe des Wartehäuschens voneinander getrennt. Als der Angeklagte bemerkte, dass die Zeugin D. -T2. ihn anschaute, begann er zunächst mit geschlossener Hose an seinem Penis zu manipulieren. Die Zeugin, die ihr Handy in der Hand hatte, fühlte sich zunächst noch belustigt und machte mit ihrem Handy ein Video des Angeklagten. Sie wandte dann kurz den Blick von dem Angeklagten ab. Als sie erneut zu dem Angeklagten schaute, hatte dieser seine Hose geöffnet und seinen Penis entblößt und hielt ihr diesen vor. Der Angeklagte manipulierte sodann an seinem erigierten Geschlechtsteil. Nunmehr fühlte sich die Zeugin D. -T2. erheblich belästigt, sodass sie daraufhin ihr Mobiltelefon fallen ließ. Sie hob es wieder auf, filmte allerdings nicht weiter. Angewidert und verängstigt verließ sie die Örtlichkeit, um der Situation zu entfliehen. Die Zeugin konnte den Angeklagten bei der Erstattung der Anzeige genau beschreiben. Sie hatte den Angeklagten nach der Tat von zwei Mal auf derselben Strecke zeitnah nach dieser Tat wiedergesehen und auch sofort erkannt. Aufgrund dieser Wiedererkennung hat sich sein Erscheinungsbild in ihrer Erinnerung besonders eingeprägt.
382. […]
39Die 18-jährige Zeugin I2. fuhr am 21.03.2015 gegen 14:00 Uhr mit der Regionalbahn von F. nach N3. . Sie setzte sich auf einen freien Platz der Sitzgruppe. Vermutlich in H1. stieg der Angeklagte in den Zug und setzte sich ihr gegenüber, ebenfalls in die Sitzgruppe. Nach einer kurzen Weile bemerkte die Zeugin I2. , dass der Reißverschluss der Hose des Angeklagten geöffnet war und der erigierte Penis des Angeklagten herausragte. Der Angeklagte stellte sich dabei schlafend, wobei der Zeugin I2. aber gelegentlich zuzwinkerte. Die Zeugin I2. empfand dies als eklig und fühlte sich belästigt. Ferner war sie verängstigt, traute sich jedoch nicht, das Abteil zu wechseln, da sie zu diesem Zweck nah an dem Angeklagten hätte vorbeilaufen müssen. Die Zeugin fertigte Lichtbildaufnahmen von dem Geschehen mit ihrem Smartphone und äußerte gegenüber dem Angeklagten: “Schließen Sie bitte ihre Hose, ich finde das eklig.“ Hierauf verschloss der Angeklagte seine Hose und stieg an der nächstgelegenen Haltestelle aus dem Zug aus.
40Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung wurde hinsichtlich beider Taten bejaht. […]
41Die Zeugin I2. hat von dem Angeklagten bei Begehung der Tat ein Handyfoto gemacht, auf dem der Angeklagte in dem Zugabteil mit geöffneter Hose sitzt und sein erigierter Penis aus der geöffneten Hose ragt. Das Gesicht des Angeklagten ist gut sichtbar und der Angeklagte ist auf dem Foto gut erkennbar.“
42Der Kläger hat beantragt,
43den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.
44Der Beklagte hat beantragt,
45die Klage abzuweisen,
46hilfsweise,
47auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.
48Zur Begründung hat der Beklagte sein Vorbringen aus dem vorgerichtlichen Disziplinarverfahren vertieft und ergänzend vorgetragen: Er sei kein Salafist. Es sei auch unzutreffend, dass er im Rahmen einer „salafistischen Aktion“ den Anschein erweckt habe, Salafist zu sein. Diese Ausführungen würden nicht vom Ermittlungsergebnis gedeckt. Es sei nicht belegt, dass der von ihm angemeldete Informationsstand der Aktion „Lies“ einer von zahlreichen Informationsständen dieser Aktion gewesen sei. Er habe auch keine „salafistische“ Aktion unterstützt. Dies ergebe sich auch den eingeholten Zeugenaussagen. Es sei ihm nicht darum gegangen, salafistische Propaganda zu verteilen, sondern die Bürger in Deutschland objektiv über den Koran und den Islam aufzuklären. Es könne dahinstehen, ob in seiner Abwesenheit salafistische Propaganda verteilt worden sei. Es treffe hingegen zu, dass er sich kostenlose Exemplare des Korans bei Herrn O1. abgeholt habe. Dies sei aus seiner Sicht gerechtfertigt gewesen, weil es sich um eine „vernünftige“ Ausgabe des Korns gehandelt habe. Dies ergebe sich auch aus den Berichten des Verfassungsschutzes. Es sei nicht belegt, dass der Informationsstand dem „Corporate Design“ der Aktion „Lies“ entsprochen habe. Er weise schließlich darauf hin, dass er bei dem einzigen Mal, bei dem er an dem Stand teilgenommen habe, in westlicher Kleidung aufgetreten sei. Die Notwendigkeit der Aufklärung der Öffentlichkeit über den Islam ergebe sich allein daraus, dass nicht klar sei, dass es „den Salafismus“ nicht gebe. Er könne den Anschein eines Salafisten bereits deswegen nicht gesetzt haben, weil er in westlicher Kleidung aufgetreten sei, was ein Salafist vermeiden würde. Salafismus bedeute dem Grunde nach auch zunächst nur, dass ein äußerst traditionelles Islamverständnis bevorzugt werde. Hierzu gehöre auch traditionelle Bekleidung. Die Presseberichterstattung über die Aktion könne ihm nicht zur Last gelegt werden. Diese könne nur durch das klagende Land erfolgt sein. Die mediale Resonanz könne ihm nicht angelastet werden. Er habe auch keine Kenntnis darüber gehabt, dass in seiner Abwesenheit andere Materialien als der Koran verteilt worden seien.
49Soweit es um den Urlaub in den USA ginge, bedauere er sein Verhalten sehr.
50Es sei unzutreffend, dass er acht Recherchen im POLAS-System ohne dienstlichen Anlass durchgeführt habe. Die Klageschrift genüge insoweit nicht den rechtlichen Anforderungen. Unabhängig davon gehörten solche Abfragen bei Polizeibeamten zum „Volkssport“.
51Soweit es um den Vorwurf „Bekleidungsausweis“ ginge, werde auf die Stellungnahme vom 13. Februar 2014 verwiesen.
52Die Nachtragsdisziplinarklageschrift sei wegen fehlender Beteiligung des Personalrats mangelhaft i.S.d. § 54 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW. Daneben unterliege die Disziplinarklageschrift wesentlichen Mängeln gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW, weil die in Rede stehenden Handlungen zum Nachteil der Frau D. -T2. zu Unrecht in das Disziplinarverfahren einbezogen werden sollten. Denn der Kläger habe die Vorwürfe betreffend Frau D. -T2. im Zuge des behördlichen Disziplinarverfahrens ausdrücklich nicht weiter verfolgt. Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen heiße es hierzu ausdrücklich, dass der Vorwurf exhibitionistischer Handlung zum Nachteil der Frau D. -T2. (Fall 1 der Erweiterungsverfügung) weiterer Ermittlungen durch die Kriminalpolizei bedürfe, sodass dieser Vorwurf vorerst zurückgenommen werde. Zudem ergebe sich hieraus, dass der Kläger das behördliche Disziplinarverfahren mit Verfügung vom 16. Februar 2017 zu Unrecht ausdrücklich nicht ausgesetzt habe. Es sei dann aber rechtlich unzulässig gewesen, ohne Aussetzung des behördlichen Disziplinarverfahrens die weiteren Handlungen zu verfolgen und diese tragend der Nachtragsdisziplinarklage zu Grunde zu legen.
53Der Kläger hat hierzu mit Schriftsatz vom 12. November 2020 im Wesentlichen vorgetragen, eine Beteiligung des Personalrats vor Erhebung der Nachtragsdisziplinarklage sei objektiv nicht erforderlich. Selbst wenn man von der Nichtdurchführung eines erforderlichen Mitwirkungsverfahrens ausginge, handele es sich insoweit um einen unwesentlichen und heilbaren Mangel. Es lägen auch keine wesentlichen Mängel der Nachtragsdisziplinarklageschrift vor.
54Mit der angefochtenen Entscheidung, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Es hat zur Begründung insbesondere ausgeführt, dass der Beklagte einen innerdienstlichen Betrug zu Lasten des Dienstherrn gegangen habe, dem hier angesichts des gesetzlichen Strafrahmens das höchste Gewicht beizumessen sei. Ganz erhebliches disziplinarisches Gewicht komme darüber hinaus auch den strafrechtlich geahndeten exhibitionistischen Handlungen sowie dem Anmelden und Betreiben des Informationsstandes im Rahmen der Koranverteilungsaktion „Lies“ zu. Das Verhalten des Beklagten führe insgesamt aus der Sicht des Dienstherren sowie der Allgemeinheit zu einem vollständigen Vertrauensverlust sowie einer Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums und erfordere daher seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
55Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung. Er macht geltend, die Nachtragsdisziplinarklage vom 11. August 2020 leide an erheblichen Mängeln i.S.d. § 54 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW, da die Personalvertretung nicht nochmals beteiligt worden sei. Es sei insoweit wiederum eine behördliche Abschlussentscheidung ergangen, demnach also die Frage nach dem „Ob“ der Disziplinarklageerhebung beantwortet worden. Dies unterfalle dann aber der personalvertretungsrechtlichen Regelung des § 73 LPVG NRW. Ein weiterer wesentlicher Mangel der Disziplinarklageschrift betreffe die exhibitionistischen Handlungen zum Nachteil der Frau D. -T2. . Diese seien ausweislich des behördlichen Verfahrens zurückgenommen worden und nicht mehr Gegenstand des Disziplinarverfahrens gewesen. Ihm sei nicht die Möglichkeit gegeben worden, sich dagegen ordnungsgemäß zu verteidigen. Dementsprechend könnten diese auch nicht „durch die Hintertür“ wiederum in das Disziplinarklageverfahren einbezogen werden. Wenn dann maßgeblich auf die Aktion „Lies“ abgehoben werde, könne in der Anmeldung des Standes ein Verstoß gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten nicht gesehen werden. Zu den Zeitpunkten, an denen er sich vor Ort befunden habe, seien keine salafistischen oder demokratiefeindlichen Unterlagen verteilt worden. Auch die dort verteilte Version des Koran lasse keine salafistischen Tendenzen erkennen. Fakt sei, dass er keine Kenntnis von dem salafistischen Material gehabe habe. Es sei lediglich darum gegangen, etwas für den religiösen Austausch zwischen Muslimen und anderen Religionsgemeinschaften zu tun. Dementsprechend könne keine Rede davon sein, dass er dort erkennbare salafistische Tendenzen grob fahrlässig nicht erkannt habe. De facto handele es sich um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum. Nicht zuletzt habe er außergerichtlich darauf hingewiesen, dass er ausgenutzt worden sei. Nachdem in seiner Anwesenheit zu keinem Zeitpunkt salafistische Propaganda verbreitet worden sei, könne ein objektiver Beobachter auch nicht den Eindruck erhalten, dass er für eine grundlegende Änderung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit dem Ziel der Gründung eines islamischen Staates eintrete. Es sei für ihn seinerzeit auch nicht ersichtlich gewesen, dass einige der Protagonisten salafistische Umtriebe veranstaltet hätten. Insbesondere dürfe unstrittig sein, dass er selbst kein Salafist sei. Hinsichtlich des eingeräumten Betrugs und der eingeräumten exhibitionistischen Handlungen sei zu klären, welche Maßnahme i.S.d. § 13 LDG NRW angemessen sei. Insoweit liege noch nicht ein derartiger Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit vor, der ausschließlich die Höchstmaßnahme zulasse.
56Der Beklagte beantragt,
57das angefochtene Urteil zu ändern und die Disziplinarklage abzuweisen,
58hilfsweise, auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.
59Der Kläger beantragt,
60die Berufung zurückzuweisen.
61Er verteidigt das angefochtene Urteil.
62Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der im Protokoll der mündlichen Verhandlung aufgeführten Beiakten, wie sie dem Senat vorgelegen haben, verwiesen.
63E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
64Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
65Die Disziplinarklage ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Recht aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Es liegt weder ein wesentlicher Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens noch der Disziplinarklage mitsamt der Nachtragsdisziplinarklage vor (A). Der Beklagte hat ein sehr schwerwiegendes Dienstvergehen begangen (B), das nach umfassender Würdigung zu dem Schluss führt, dass der Beklagte das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat (C).
66A.
67Formelle Mängel stehen einer Entscheidung über die Disziplinarklage nicht entgegen. Insbesondere wurde der Personalrat in hinreichender Form beteiligt und sodann in zulässiger Form Disziplinarklage auch bezüglich sämtlicher exhibitionistischer Handlungen erhoben.
68I.
69Die unterbliebene erneute Mitwirkung des Personalrats i.S.d. § 73 Nr. 6 LPVG NRW vor Erhebung der Nachtragsdisziplinarklage begründet keinen Verfahrensmangel. Vielmehr war insoweit, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bereits der Anwendungsbereich der Vorschrift nicht eröffnet.
70Der Personalrat hat mit Schreiben vom 16. Mai 2014 die Entscheidung über die Mitwirkung bei der Disziplinarklageerhebung getroffen. Eine nochmalige Beteiligung des Personalrats vor Erhebung der Nachtragsdisziplinarklage war entgegen der Auffassung des Beklagten nicht mehr erforderlich.
71Gemäß § 73 Nr. 6 LPVG NRW ist der Personalrat auf Antrag des Beamten bei Erhebung der Disziplinarklage zu beteiligen. Dieses Recht der Mitwirkung bezieht sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur insoweit inhaltsgleichen Regelung des § 78 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG allerdings nur auf die grundlegende disziplinarbehördliche Abschlussentscheidung, ob überhaupt eine Disziplinarklage erhoben werden soll. Demgegenüber unterliegt der Inhalt der Klageschrift, insbesondere die Antragstellung, nicht der Mitwirkung.
72Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.10.2005 – 2 C 12.04 –, juris 14.
73Entscheidet sich der Dienstherr im Falle neuer Handlungen mit Blick auf den Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens für eine einheitliche disziplinarische Verfolgung und erhebt eine Nachtragsklage, so werden in das bereits anhängige gerichtliche Verfahren die weiteren Dienstpflichtverletzungen lediglich mit einbezogen. Die Nachtragsdisziplinarklage hat damit die Wirkung einer Klageerweiterung.
74Vgl. BayVGH, Urteil vom 24.09.2014 – 16a D 13.118 –, juris Rn. 64; OVG Thüringen, Urteil vom 05.12.2011 – 8 DO 110.09 –, juris Rn. 49.
75Es geht damit nicht mehr um die Frage des vom Mitwirkungsrecht umfassten „ob“ der Erhebung einer Disziplinarklage, sondern lediglich um eine nachträgliche Änderung und Erweiterung in einem bereits anhängigen Disziplinarklageverfahren.
76Hat der Dienstherr aber den Personalrat bei der von ihm beabsichtigten Erhebung der Disziplinarklage – wie im Streitfall – beteiligt und die Klage anschließend auch wirksam erhoben, begründen weitere Handlungen des Dienstherrn in diesem durch die Klageschrift wirksam eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarklageverfahren im Hinblick auf § 73 Nr. 6 LPVG NRW keinen Mitwirkungstatbestand, solange die erhobene Disziplinarklage noch rechtshängig ist.
77Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.04.2020 – 2 B 3.20 –, juris Rn. 9 zur weitgehend identischen Vorschrift in § 68 Abs. 2 Nr. 5 PersVG MV
78II.
79Ein wesentlicher Mangel der Disziplinarklageschrift bzw. der Nachtragsdisziplinarklageschrift liegt auch nicht darin, dass die exhibitionistischen Handlungen zum Nachteil der Frau D. -T2. Gegenstand des gerichtlichen Disziplinarverfahrens geworden sind.
80Das Polizeipräsidium F. hat das behördliche Disziplinarverfahren mit Verfügung vom 27. Januar 2017 auf neue Handlungen u.a. bezüglich des Vorwurfs exhibitionistischer Handlungen zum Nachteil der Frau D. -T2. ausgedehnt und die Ausdehnung entsprechend § 19 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW aktenkundig gemacht. Soweit dieser Vorwurf sodann im Ergebnis der Ermittlungen - dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten zugestellt am 13. Juni 2017 - „vorerst zurück genommen“ worden ist, geschah dies ausdrücklich allein vor dem Hintergrund, dass es insoweit zunächst noch weiterer Ermittlungen durch die Kriminalpolizei bedurfte. Zu diesem Zeitpunkt war eine eindeutige Identifizierung des Beklagten über die von der Geschädigten gemachten Videoaufzeichnungen noch nicht möglich. Insoweit hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass mit dieser zeitweiligen Zurückstellung ersichtlich kein Verzicht auf eine disziplinarische Ahndung dieses Vorwurfs verbunden gewesen ist. Entsprechend war der Kläger nicht gehindert, diesen Vorwurf später nach rechtskräftigem Abschluss des gegen den Beklagten gerichteten Strafverfahrens zum Gegenstand seiner Nachtragsdisziplinarklage vom 11. August 2020 zu machen.
81B.
82Der Beklagte hat Straftaten und weitere disziplinarrechtliche Verstöße begangen, die ein einheitliches sehr schwerwiegendes Dienstvergehen bilden.
83I.
84In tatsächlicher Hinsicht geht der Senat nach eigener Prüfung von den Feststellungen aus, die das Verwaltungsgericht unter B.I. bis B.V. des Urteils getroffen hat.
85Der Beklagte hat die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts in Bezug auf die „Aktion Lies“ (B.I.) wiederholt eingeräumt. Er hat im Rahmen seines Berufungsvorbringens nochmals bestätigt, dass er den Stand entsprechend den getroffenen Feststellungen an den genannten Tagen angemeldet hat.
86Hinsichtlich des Betrugs gegenüber dem Dienstherrn (B.II.) und der exhibitionistischen Handlungen (B.V.) geht der Senat von den im Tatbestand wiedergegebenen Feststellungen im rechtkräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts F. vom 19. April 2013 sowie in den rechtskräftigen Urteilen des Amtsgerichts S1. vom 6. April 2017 sowie des Landgerichts F. vom 3. Juli 2019 aus. An sie ist das Berufungsgericht nach Maßgabe der §§ 65 Abs. 1 Satz 1, 56 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW gebunden, bzw. sie können hinsichtlich des Strafbefehlsverfahrens der Entscheidung nach Maßgabe der §§ 65 Abs. 1 Satz 1, 56 Abs. 2 LDG NRW ohne nochmalige Prüfung zugrunde gelegt werden. Die Bindungswirkung eines strafgerichtlichen Urteils nach § 56 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW erstreckt sich auf sämtliche tatsächlichen Feststellungen, die den Schuldspruch objektiv tragen; sie umfasst auch die Feststellung, dass der Beklagte die Tat vorsätzlich und nicht im Zustand der Schuldunfähigkeit i.S.v. § 20 StGB begangen hat. Hinsichtlich des Strafbefehls ist der Beklage der Richtigkeit der darin festgestellten Tatsachen einschließlich seines Vorsatzes nicht substantiiert entgegengetreten.
87Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.03.2012 – 2 A 11.10 – , juris Rn. 39, und Beschluss vom 04.09.2008 – 2 B 61.07 –, juris Rn. 8
88Er hat die Vorwürfe im Disziplinarklageverfahren ausdrücklich eingeräumt. Auch etwaige Schuldausschließungsgründe sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
89Gleiches gilt bezüglich des Vorwurfs unerlaubter Datenabfragen (B.III.), den der Beklagte zuletzt im Berufungsverfahren ebenfalls ausdrücklich eingeräumt hat. Schließlich ist der Beklagte auch den Feststellungen zu dem Vorwurf der unerlaubten Führung dienstlicher Ausweise (B.IV.) nicht substantiiert entgegengetreten.
90II.
91Auf der Grundlage dieses Sachverhalts hat der Beklagte ein einheitliches sehr schwerwiegendes Dienstvergehen begangen.
921.
93Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass der Beklagte durch das Anmelden und Betreiben des Informationsstandes am U-Bahnhof Forum in E. im Zeitraum von Januar bis April 2012 im Rahmen der Aktion „Lies“ gegen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten außerhalb des Dienstes gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG verstoßen hat.
94Ein Beamter ist im Interesse der Akzeptanz und Legitimation staatlichen Handelns verpflichtet, bereits den Schein der Identifikation mit einem dem freiheitlichen Rechtsstaat diametral entgegenstehenden Gedankengut und mit Vereinigungen zu vermeiden, die sich zu solchem Gedankengut bekennen. Schon das zurechenbare Setzen eines solchen Scheins stellt eine disziplinarrechtlich bedeutsame Dienstpflichtverletzung dar. Dies ist ohne Verstoß gegen die verfassungsrechtlich verbürgte Unschuldsvermutung anzunehmen, wenn das den „bösen Schein“ begründende (außerdienstliche) Verhalten (in besonderer Weise) geeignet ist, die Akzeptanz oder Legitimation staatlichen Handelns (in bedeutsamer Weise) zu beeinträchtigen. Pflichtwidrig handelt also auch der Beamte, der zwar kein Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist, durch konkretes Handeln aber diesen Rechtsschein hervorruft.
95Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17.05.2001 – 1 DB 15.01 –, und vom 16.07.2012 – 2 B 16.12 –, jew. juris; OVG NRW, Urteil vom 20.05.2015 – 3d A 756/13.O, Seite 20.
96Nach den Gesamtumständen hat der Beklagte durch das Anmelden und Betreiben eines Informationsstandes im Rahmen der Koranverteilungsaktion „Lies“ zumindest den Anschein gesetzt, die Inhalte und Ziele dieser Aktion in Form der Verbreitung salafistischer Propaganda zu teilen und sich mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entgegenstehendem Gedankengut zu identifizieren.
97Das Verwaltungsgericht hat insoweit unter Bezugnahme auf den Verfassungsschutzbericht des M. O. -X. über das Jahr 2012 mit ausführlicher Begründung (s. Urteilsabdruck S. 24-27), auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, detailliert herausgearbeitet, dass die vom Netzwerk „Die Wahre Religion“ um den in Köln residierenden salafistischen Prediger J1. B. O1. ins Leben gerufene Koranverteilungsaktion „Lies“ als salafistisch-extremistische Aktionsform zu bewerten ist, die u.a. das Ziel verfolgt hat, neue Anhänger zu gewinnen und mit einer Ideologie vertraut zu machen, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist.
98Indem der Beklagte im Rahmen dieser Aktion einen eigenen Informationsstand angemeldet und betrieben hat, hat er jedenfalls den Anschein erweckt, ihre Inhalte und Ziele zu teilen, nämlich die Verbreitung von salafistischer Propaganda. Insoweit kann sich der Beklagte entgegen seinem Berufungsvorbringen auch nicht darauf berufen, dass zu den Zeitpunkten, an denen er sich vor Ort befunden habe, keine salafistischen oder demokratiefeindlichen Unterlagen verteilt worden seien, sondern nur eine Version des Koran, die salafistische Tendenzen nicht erkennen lasse. Der Beklagte ist als Anmelder und Betreiber des Informationsstandes unabhängig davon, wie oft er selbst dort anwesend gewesen ist, dafür (mit)verantwortlich gewesen, welches Informationsmaterial dort der Öffentlichkeit präsentiert wird. Die Behauptung, er habe keine Kenntnis von dem salafistischen Material gehabt, bewertet der Senat angesichts der seinerzeitigen Gesamtsituation als reine Schutzbehauptung. Der Informationsstand war bereits für den objektiven Betrachter klar als Bestandteil der Aktion „Lies“ erkennbar. Als Anmelder hat sich der Beklagte selbst zum aktiven Bestandteil dieser Aktion gemacht. Überdies hat der Beklagte bereits in seinen Anträgen auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis an die Stadt E. ausdrücklich erklärt, er wolle über die Religion des Islam aufklären und Bücher, CDs, Flyer und Broschüren kostenfrei verteilen. Die sodann – der Anmeldung entsprechend – neben selbstgebrannten CDs mit Vorträgen von Pierre Vogel und Marcel Krass verteilten Faltblätter und Informationsschriften beinhalteten jeweils Hinweise auf die dem salafistischen Spektrum zuzurechnenden Internetseiten www.diewahrereligion.de und www.muslimtube.de. Soweit sich das Netzwerk „die Wahre Religion“ um den salafistischen Prediger J1. B. O1. gebildet hatte, war dieser dem Beklagten sogar persönlich bekannt, da er die kostenlos verteilten Koranexemplare selbst von diesem in Köln abgeholt hat. Der Beklagte beruft sich im Berufungsverfahren weiterhin erfolglos auf seine von den Salafisten angeblich ausgenutzte „Naivität“. Er lässt dabei aber außer Acht, dass er am 17. x 2012 von Polizeibeamten des Polizeipräsidiums E. am Stand angetroffen und befragt worden war, sodann aber gleichwohl die Veranstaltung am 24. x 2012 fortgesetzt und selbst noch nach Einleitung des Disziplinarverfahrens am 27. April erneut versucht hat, am 10. x 2012 bei der Stadt E. einen Informationsstand anzumelden. Der Beklagte hat somit zumindest grob fahrlässig den Anschein der Zugehörigkeit und Zustimmung zur salafistischen Ideologie gesetzt. Ihm hätte sich als Anmelder und Verantwortlicher des Informationsstandes in E. in jedem Falle die von ihm selbst im Rahmen seines Rechtfertigungsversuchs angeführte „Instrumentalisierung“ aufdrängen müssen. Insoweit hat das Verwaltungsgericht bei seiner Bewertung zu Recht die langjährige Berufserfahrung des Beklagten als Polizeibeamten und seine vorangegangene Tätigkeit im Bereich des Staatsschutzes des Polizeipräsidiums N4. und in der Abteilung W1. des J2. des M. O. -X. herausgestellt.
99Das Verhalten des Beklagten durch das Anmelden und Betreiben des Informationsstandes ist in besonderem Maße geeignet, die Akzeptanz staatlichen Handelns in bedeutsamer Weise zu beeinträchtigen. Insoweit kommt es letztlich auch nicht darauf an, ob der Beklagte selbst über salafistische Überzeugungen verfügt. Ihm sind zumindest ein überaus sorgloser Umgang mit Institutionen und Aktivisten der radikalislamistischen Szene sowie eine ungenügende Abgrenzung vorzuhalten.
100Vgl. VG Minden, Urteil vom 13.12.2018 – 4 K 9180/17 –, juris Rn. 57.
101Der Beklagte hat danach rechtswidrig und schuldhaft gegen die ihm obliegende Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten verstoßen. Insoweit ist auch – wie vom Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt – ein unvermeidbarer Verbotsirrtum auszuschließen. Es fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte in unabwendbarer Weise seine Dienstpflichten sowie die Grenzen seiner Grundrechtsausübung verkannt und sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden haben könnte. Ihm musste sich im Gegenteil aufdrängen, dass durch sein Handeln für jeden objektiven Betrachter der Eindruck entstehen musste, auch er selbst trete für die mit der Aktion „Lies“ verfolgten salafistischen Ziele ein.
102Der Verstoß gegen die Dienstpflicht ist als außerdienstlich zu bewerten. Ein Zusammenhang zwischen dem Anmelden und Betreiben des Informationsstandes im Rahmen der Koranverteilungsaktion „Lies“ und der dienstlichen Tätigkeit des Beklagten bestand nicht. Das außerdienstliche Verhalten des Beklagten erfüllt gleichwohl den Tatbestand eines Dienstvergehens nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG, weil es nach den soeben dargelegten Umständen des Einzelfalles in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für sein Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.
1032.
104Die weiteren Vorwürfe hat der Beklagte eingeräumt. Soweit er sich wegen Betrugs gegenüber seinem Dienstherrn strafbar gemacht hat, hat er ein innerdienstliches Dienstvergehen begangen und gegen die ihm obliegenden Dienstpflichten zu vollem persönlichen Einsatz nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG, zur Uneigennützigkeit nach § 34 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG sowie zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten nach § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG verstoßen.
105Mit seinen unerlaubten Datenabfragen im polizeiinternen Informationssystem POLAS am 28. Februar 2012 für private Zwecke hat er vorsätzlich gegen die Gehorsamspflicht nach § 35 BeamtStG verstoßen. Gleiches gilt hinsichtlich des unerlaubten Führens dienstlicher Ausweise am 29. August 2013.
106Schließlich hat der Beklagte durch jede der drei rechtskräftig festgestellten vorsätzlich begangenen exhibitionistischen Handlungen vom 6. Februar 2014, 8. November 2015 und 21. März 2018 schuldhaft gegen seine Pflicht verstoßen, sich auch außerhalb seines Dienstes achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten, § 34 Absatz 1 Satz 3 BeamtStG. Das außerdienstliche Verhalten des Beklagten erfüllt auch den Tatbestand eines Dienstvergehens nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG, weil es nach den Umständen des Einzelfalles in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für sein Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.
107Polizeibeamte haben Straftaten zu verhüten, aufzuklären und zu verfolgen. Sie genießen daher in der Öffentlichkeit – insbesondere auch für schutzbedürftige Personen – eine besondere Vertrauens- und Garantenstellung. Dieses berufserforderliche Vertrauen wird in besonderem Maße beeinträchtigt, wenn Polizeibeamte selbst erhebliche Vorsatzstraftaten – gerade zu Lasten Schutzbedürftiger – begehen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Polizeibeamte auf seinem konkreten Dienstposten gerade mit der Verfolgung solcher Delikte betraut war. Erhebliche Straftaten eines Polizeibeamten begründen auch in Ansehung ihres außerdienstlichen Charakters ein disziplinarwürdiges Dienstvergehen.
108Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.06.2015 – 2 C 9.14 –, juris Rn. 22f.
109Das Verwaltungsgericht hat vor diesem Hintergrund zutreffend festgestellt, dass der Beklagte das berufserforderliche Vertrauen in besonderem Maße beeinträchtigt hat, indem er als Polizeibeamter vorsätzlich eine Mehrzahl von außerdienstlichen Straftaten begangen hat. Dabei ist besonders zu berücksichtigen, dass es sich um Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zum Nachteil dreier junger Frauen gehandelt hat, wobei eine Frau sogar noch minderjährig gewesen ist.
1103.
111Die mehrfachen Straftaten und weiteren disziplinarrechtlichen Verstöße bilden ein einheitliches Dienstvergehen.
112Das Disziplinarrecht wird durch den Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens geprägt. Soweit die Vorwürfe Gegenstand des Disziplinarverfahrens sind, ist das durch mehrere Pflichtverstöße zutage getretene Fehlverhalten eines Beamten danach einheitlich zu würdigen. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass es im Disziplinarrecht nicht allein um die Feststellung und Maßregelung einzelner Verfehlungen geht, sondern vor allem um die dienstrechtliche Bewertung des Gesamtverhaltens des Beamten, das im Dienstvergehen als der Summe der festgestellten Pflichtverletzungen seinen Ausdruck findet. Der Beamte wird disziplinarisch nicht gemaßregelt, weil er bestimmte Pflichten verletzt hat, sondern weil er dadurch Persönlichkeitsmängel offenbart, die eine Pflichtenmahnung oder eine Beendigung des Beamtenstatus für geboten erscheinen lassen.
113Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.02.2014 – 2 B 37.12 – , juris Rn. 17.
114C.
115Nach einer Gesamtwürdigung sämtlicher zu berücksichtigenden Gesichtspunkte ist der Beklagte aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Er hat durch das Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren (§ 13 Abs. 3 Satz 1 LDG NRW).
116Gemäß § 13 Abs. 2 LDG NRW ist die Disziplinarmaßnahme insbesondere nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen (1.). Das Persönlichkeitsbild des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen (2.). Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt worden ist (3.). Wer durch ein Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, ist aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.
117Dabei sind die genannten Bemessungskriterien mit dem ihnen im Einzelfall zukommenden Gewicht zu ermitteln und in die Entscheidung einzustellen, um dem im Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) zu genügen. Die Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller belastenden und entlastenden Gesichtspunkte des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen.
118Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.2013 – 2 C 63.11 –, juris Rn. 13.
1191.
120Für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens richtungweisend. Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte.
121Das Dienstvergehen ist nach der festgestellten Schwere einer der im Katalog des § 5 LDG NRW aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist.
122Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.07.2011 – 2 C 16.10 –, juris Rn. 29.
123Setzt sich ein Dienstvergehen – wie hier – aus verschiedenen Pflichtverletzungen zusammen, so bemisst sich die Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach dem schwerwiegendsten Pflichtenverstoß. Das ist hier ungeachtet des erheblichen Gewichts der weiteren Dienstpflichtverletzungen der durch Strafbefehl des Amtsgerichts F. vom 19. April 2013 geahndete Betrug zu Lasten des Dienstherrn, dem als strafbare Handlung mit einem gesetzlichen Strafrahmen einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe das höchste Gewicht beizumessen ist.
124Zur Bestimmung des Ausmaßes des Vertrauensschadens, der durch eine von einem Beamten vorsätzlich begangene Straftat hervorgerufen worden ist, ist in einer ersten Stufe auf den gesetzlich bestimmten Strafrahmen zurückzugreifen. Denn der Gesetzgeber hat mit der Strafandrohung seine Einschätzung zum Unwert eines Verhaltens verbindlich zum Ausdruck gebracht. Diese Ausrichtung der grundsätzlichen Zuordnung eines Dienstvergehens zu einer der Disziplinarmaßnahmen am gesetzlich bestimmten Strafrahmen ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts namentlich auch bei innerdienstlich begangenen Dienstvergehen, die zugleich einen Straftatbestand erfüllen, geboten, weil auch bei diesen Dienstvergehen die Orientierung des Umfangs des Vertrauensverlustes am gesetzlichen Strafrahmen eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarische Ahndung von Dienstvergehen gewährleistet.
125Vgl. BVerwG, Urteile vom 24.10.2019 – 2 C 3.18 –, juris Rn. 28, und vom 10.12.2015 – 2 C 6.14 –, juris Rn. 19; Beschluss vom 05.07.2016 – 2 B 24.16 –, juris Rn. 14.
126Begeht ein Beamter eine Straftat, für die das Strafgesetz als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht, so reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
127Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.10.2019 – 2 C 3.18 –, juris Rn. 29.
128Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn der in § 263 StGB vorgesehene Strafrahmen beträgt bis zu fünf Jahre. Die disziplinarrechtliche Ahndung bis hin zur disziplinaren Höchstmaßnahme ist damit eröffnet.
129Die im Wege der Strafzumessung ausgesprochene Strafe beschränkt sich allein auf das Strafverfahren. Eine weitergehende, die disziplinare Maßnahmebemessung steuernde Indizwirkung kommt ihr nicht zu. Dies beruht auf den unterschiedlichen Zwecken von Straf- und Disziplinarrecht. Während die konkrete Strafzumessung strafrechtlichen Kriterien folgt, wird die disziplinarrechtliche Maßnahmebemessung insbesondere durch den Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit bestimmt.
130Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.10.2019 – 2 C 3.18 –, juris Rn. 34.
131Die Ausschöpfung des maßgeblich in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens kommt nur in Betracht, wenn dies auch dem Schweregehalt des vom Beamten konkret begangenen Dienstvergehens entspricht. Aufgrund dessen ist eine umfassende Würdigung der Einzelfallumstände geboten. Die Disziplinargerichte müssen für eine solche Betrachtung und Ausschöpfung des Orientierungsrahmens – nach oben wie nach unten – unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände offen sein.
132Das Dienstvergehen des Beklagten ist bei Bewertung sämtlicher ihm zur Last zu legenden Dienstpflichtverletzungen jedenfalls in seiner Gesamtheit nach Anzahl, Dauer und Intensität von solchem Gewicht, dass dieser Orientierungsrahmen auszuschöpfen ist. Die Schwere des Dienstvergehens des Beklagten indiziert dessen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
133Der Beklagte hat durch den geahndeten Betrug im Kernbereich seiner ihm obliegenden Dienstpflichten versagt. Er ist durch seine wahrheitswidrige Krankschreibung dem Dienst unerlaubt für knapp zwei Wochen ferngeblieben und hat eine unberechtigte Fortzahlung seiner Bezüge erwirkt.
134Darüber hinaus kommt auch den strafrechtlich geahndeten außerdienstlich begangenen mehrfachen exhibitionistischen Handlungen des Beklagten ein erhebliches disziplinarisches Gewicht zu. Dabei reicht der in § 183 StGB vorgesehene Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe.
135Auch dem Anmelden und Betreiben des Informationsstandes im Rahmen der Aktion „Lies“ durch den Beklagten ist erhebliches disziplinarisches Gewicht beizumessen. Soweit der Beklagte nunmehr darauf verweist, er sei offensichtlich nur ausgenutzt worden, ändert dieser Gesichtspunkt nichts daran, dass sein Verhalten in ganz besonderer Weise geeignet war, die Akzeptanz staatlichen Handelns in bedeutsamer Weise zu beeinträchtigen. Für den objektiven Beobachter musste der Eindruck entstehen, auch der Beklagte als Polizeibeamter trete für eine grundlegende Änderung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit dem Ziel der Gründung eines „islamischen Staates“ ein, der die Scharia nach der salafistischen Auslegung durchsetzt. Dass dieser Eindruck tatsächlich in der Öffentlichkeit entstanden ist, zeigen – worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat –, ohne dass dem erschwerende Bedeutung beizumessen wäre, die (im Verwaltungsvorgang enthaltenen) Reaktionen der Presse mit den Titeln „Ein Salafist als Freund und Helfer“, „Polizeikommissar als Salafist enttarnt“ sowie „Kommissar stellt sich als Salafist heraus“.
136Weiteres disziplinarisches Gewicht enthalten auch die unerlaubten Datenabfragen aus dem polizeilichen Informationssystem POLAS, wobei insoweit insbesondere auch der Gesichtspunkt eine Rolle spielt, dass die seitens des Beklagten abgefragten Personen zum Umfeld des internationalen Terrorismus gehörten.
137Schließlich belegt das unerlaubte Vorzeigen des Polizeibekleidungsausweises im Rahmen einer Verkehrskontrolle, dass der Beklagte nicht gewillt ist, Anordnungen und Verfügungen Folge zu leisten.
1382.
139Ist hiernach die Höchstmaßnahme Ausgangspunkt der Maßnahmebemessung für das dem Beklagen zur Last fallende Dienstvergehen, so kommt es für die Bestimmung der im konkreten Einzelfall zu verhängenden Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beklagten und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung nach § 13 Abs. 2 und 3 LDG NRW derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere indizierte Maßnahme geboten ist.
140Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.2013 – 2 C 63.11 –, juris Rn. 17 m.w.N.
141Das ist nicht der Fall.
142Das Bemessungskriterium „Persönlichkeitsbild des Beamten" gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 LDG NRW erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten vor, bei und nach Tatbegehung. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder ob es etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder psychischen Ausnahmesituation davon abweicht.
143Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.12.2013 – 2 B 35.13 –, juris Rn. 6.
144a)
145So genannte „anerkannte“ persönlichkeitsbezogene Milderungsgründe, die regelmäßig zu einer Herabsetzung der an sich indizierten Disziplinarmaßnahme führen,
146Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.12.2013 – 2 B 35.13 –, juris Rn. 27,
147liegen nicht vor.
148aa)
149Der Milderungsgrund des Handelns in einer unverschuldet entstandenen, ausweglosen wirtschaftlichen Notlage ist nicht gegeben.
150Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.2015 – 2 C 6.14 –, juris Rn. 34.
151Es ist weder vom Beklagten vorgetragen noch erkennbar, dass die Dienstpflichtverletzungen zur Milderung oder Abwendung einer existenzbedrohenden finanziellen Notlage erfolgt sind.
152bb)
153Das Verhalten des Beklagten stellt sich auch nicht als einmalige persönlichkeitsfremde Augenblickstat im Zuge einer plötzlich entstandenen Versuchungssituation dar.
154Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20.12.2013 – 2 B 35.13 –, juris Rn. 6, und vom 09.10.2014 – 2 B 60.14 –, juris Rn. 29, m.w.N.
155Der Beklagte hat über einen Zeitraum von mehreren Jahren eine Vielzahl einzelner Dienstpflichtverletzungen begangen, so dass nach dem Gesamtbild der Persönlichkeit des Beklagten keine einmalige Entgleisung vorliegt.
156cc)
157Die nach der Entdeckung der Taten gezeigte Bereitschaft des Beklagten, zur Aufklärung des Geschehens beizutragen, wie auch die im Disziplinarberufungsverfahren als weitgehend geständig zu wertende Einlassung bilden keine durchgreifend für ihn sprechenden Milderungsgründe. Das Offenbaren der Tat stellt einen erheblichen Milderungsgrund dar, wenn es vor Aufdeckung der Tat erfolgte, weil es eine „Umkehr“ des Beamten aus freien Stücken dokumentiert und Anknüpfungspunkt für die Erwartung sein kann, die verursachte Ansehensschädigung könne wettgemacht werden.
158Vgl. BVerwG, Urteile vom 28.07.2011 – 2 C 16.10 –, juris Rn. 36 f., und vom 05.05.1990– 1 D 81.89 –, juris Rn. 16.
159Demgegenüber legte der Beklagte das Geständnis jeweils erst ab, nachdem die Taten bereits entdeckt worden waren.
160dd)
161Der Beklagte kann sich schließlich nicht darauf berufen, im Zeitraum der jeweiligen Taten vermindert schuldfähig im Sinne von § 21 StGB gewesen zu sein.
162Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 04.07.2013 – 2 B 76.12 –, juris Rn. 19 m.w.N., und vom 11.01.2012 – 2 B 78.11 –, juris Rn. 5 m.w.N.
163Für das Vorliegen eines Eingangsmerkmals im Sinne von § 20 StGB und einer sich daraus ergebenden Einschränkung der Schuldfähigkeit des Beklagten finden sich keine tatsächlichen Anhaltspunkte.
164ee) Soweit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Gesamtwürdigung auch eine krankhafte Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit unterhalb der Schwelle einer seelischen Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB von Bedeutung sein kann,
165vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.02.2017 - 2 B 85.16 –, juris Rn. 10,
166gibt es hierfür ebenfalls keinerlei Hinweise. Es lassen sich keine Anhaltspunkte für eine nachteilige Beeinträchtigung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Beklagten bei Begehung der in Rede stehenden Delikte und Dienstvergehen finden.
167ff)
168Eine „Entgleisung während einer negativen, inzwischen überwundenen Lebensphase“ kann dem Beklagten ebenfalls nicht zu Gute gehalten werden.
169Eine so genannte negative Lebensphase während des Tatzeitraums kann je nach den Umständen des Einzelfalles mildernd berücksichtigt werden. Dies gilt allerdings nur für außergewöhnliche Verhältnisse, die den Beamten zeitweilig aus der Bahn geworfen haben. Hinzukommen muss, dass er die negative Lebensphase in der Folgezeit überwunden hat. Die Berücksichtigung einer schwierigen, inzwischen überwundenen Lebensphase liegt dabei vor allem dann nahe, wenn sich der Pflichtenverstoß als Folge der Lebensumstände darstellt.
170Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.02.2013 – 2 C 3.12 –, juris Rn. 40 f. m.w.N., und Beschluss vom 09.10.2014 – 2 B 60.14 –, juris Rn. 32.
171Für eine insoweit erforderliche Entgleisung des Beklagten ist nichts erkennbar.
172b)
173Stehen dem Beklagten keine in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts „anerkannten“ Milderungsgründe zur Seite, bedeutet dies nicht, dass die entlastenden Aspekte seines Persönlichkeitsbildes bei der Maßnahmebemessung unberücksichtigt bleiben dürften. Sie sind vielmehr auch dann, wenn sie keinen der anerkannten Milderungsgründe verwirklichen, insgesamt mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Bewertung einzubeziehen. Dabei bieten die Milderungsgründe Vergleichsmaßstäbe für die Bewertung, welches Gewicht entlastenden Gesichtspunkten in der Summe zukommen muss, um eine Fortsetzung des Beamtenverhältnisses in Betracht ziehen zu können. Generell gilt, dass deren Gewicht umso größer sein muss, je schwerer das Dienstvergehen im Einzelfall wiegt.
174Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.2013 – 2 C 63.11 – , juris Rn. 25, und Beschluss vom 20.12.2013 – 2 B 35.13 –, juris Rn. 21.
175Ausgehend von diesen Maßstäben kommt den in den Blick zu nehmenden entlastenden Gesichtspunkten weder isoliert betrachtet noch in ihrer Gesamtheit ein solches Gewicht zu, dass sie eine Maßnahmemilderung für das dem Beklagten zur Last fallende Dienstvergehen rechtfertigten.
176Zu Gunsten des Beklagten hat der Senat berücksichtigt, dass der Beklagte nicht einschlägig disziplinarisch vorbelastet ist. Daneben hat der Senat die jahrelange - abgesehen von den vorgeworfenen zahlreichen schwerwiegenden Verstößen - beanstandungsfreie Dienstausübung im Blick. Doch das im Übrigen weitgehend beanstandungsfreie dienstliche und außerdienstliche Verhalten führt weder für sich genommen noch in der Gesamtschau mit den weiteren angesprochenen Gesichtspunkten zu einem anderen Abwägungsergebnis. Denn jeder Beamte ist verpflichtet, dauerhaft bestmögliche Leistungen bei vollem Einsatz der Arbeitskraft zu erbringen und sich innerhalb und außerhalb des Dienstes achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten. Die langjährige Erfüllung dieser Verpflichtung kann nicht dazu führen, dass die Anforderungen an das inner- und außerdienstliche Verhalten abgesenkt werden.
177Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.01.2013 – 2 B 63.12 –, juris Rn. 13.
178Im Rahmen der Gesamtabwägung hat der Senat auch berücksichtigt, dass der Beklagte die einzelnen Sachverhalte zwar nicht freiwillig vor Tatentdeckung, jedoch zumindest im Laufe des Disziplinarverfahrens weitgehend eingeräumt hat.
179c)
180Das Bemessungskriterium „Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit“ gemäß § 13 Abs. 2 Satz 3 LDG NRW erfordert eine Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten insbesondere im Hinblick auf seinen allgemeinen Status und seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung.
181Vgl. BVerwG, Urteile vom 29.05.2008 – 2 C 59.07 –, juris Rn. 15, und vom 20.10.2005 – 2 C 12.04 –, juris Rn. 26.
182Die Würdigung aller Gesichtspunkte unter Beachtung auch dieses Kriteriums führt bei prognostischer Beurteilung zu der Bewertung, dass der Dienstherr und die Allgemeinheit dem Beklagten nach dem von ihm begangenen sehr schweren Dienstvergehen, das auch mehrere inner- sowie außerdienstliche Straftaten zum Gegenstand hat, kein Vertrauen mehr in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen können, weil die von ihm zu verantwortende Ansehensschädigung des Berufsbeamtentums bei einem Fortbestehen des Beamtenverhältnisses nicht wieder gutzumachen und der vollständige Vertrauensverlust nicht zu beheben ist.
183Der Beklagte hat vor allem durch die von ihm begangenen Straftaten jegliches Vertrauen unwiderruflich zerstört. Dies gilt für den Betrug zu Lasten seines Dienstherrn und besonders für die mehrfachen exhibitionistischen Handlungen. Der Beklagte hat insoweit als Polizeibeamter jegliche Gewissenhaftigkeit und Pflichtbewusstsein vermissen lassen und hat gegen Pflichten verstoßen, deren strikte Einhaltung auch in den Augen der Allgemeinheit von zentraler Bedeutung ist. Er hat zudem das ihm entgegengebrachte Vertrauen schwerwiegend missbraucht, indem er durch das Anmelden und Betreiben eines Informationsstandes im Rahmen der Aktion „Lies“ und deren Bezug zu salafistischer Propaganda den Eindruck vermittelt hat, er trete für eine grundlegende Änderung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit dem Ziel der Gründung eines „islamischen Staates“ ein, der die Scharia nach der salafistischen Auslegung durchsetzt. Schließlich fügen sich auch die unerlaubten Datenabfragen und das unerlaubte Ausweisen mit dem Polizeibekleidungsausweises in das Bild ein, dass der Beklagte nicht gewillt ist, seinen Dienstverpflichtungen beanstandungsfrei nachzukommen.
184Durch das Dienstvergehen ist bei seinem Dienstherrn und der Allgemeinheit ein vollständiger Vertrauensverlust eingetreten. Die vom Beklagten verursachte Ansehensschädigung wäre bei seinem Verbleib im Beamtenverhältnis nicht wiedergutzumachen. Es ist dem Dienstherrn nicht zuzumuten und wäre der Allgemeinheit nicht verständlich zu machen, wenn der Beklagte weiterhin als Beamter tätig würde. Als Sanktion für sein Fehlverhalten ist allein die Höchstmaßnahme angezeigt.
185III.
186Angesichts des vom Beklagten begangenen Dienstvergehens und der aufgezeigten Gesamtwürdigung ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nicht unverhältnismäßig. Der Beklagte hat ein besonders schweres Fehlverhalten gezeigt. Er hat die Vertrauensgrundlage für eine Fortsetzung des Beamtenverhältnisses endgültig zerstört. Seine Entfernung aus dem Dienst ist bei einem aktiven Beamten die einzige Möglichkeit, das durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Beamtenverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für den Beamten ist nicht unverhältnismäßig oder unvereinbar mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise. Sie beruht auf dem vorangegangenen Fehlverhalten des für sein Handeln verantwortlichen Beklagten, der sich bewusst gewesen sein muss, dass er hiermit seine berufliche Existenz aufs Spiel setzt.
187Die Gesamtdauer des Disziplinarverfahrens führt ebenfalls nicht zur Unverhältnismäßigkeit dieser Maßnahme. Die Dauer des Straf- und Disziplinarverfahrens bietet keine Handhabe, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen, wenn diese Maßnahme geboten ist.
188Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.02.2013 – 2 C3.12 –, juris Rn. 53, m.w.N.
189Ungeachtet dessen ist die lange Verfahrensdauer – wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat – zu einem erheblichen Teil auf das Verhalten des Beklagten in dem gegen ihn geführten Strafverfahren wegen exhibitionistischer Handlungen zurückzuführen.
190IV.
191Zu einer Modifikation des Unterhaltsbeitrags (§ 10 Abs. 3 Sätze 2 und 3 LDG NRW) besteht kein Anlass.
192Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 LDG NRW, § 154 Abs. 2 VwGO.
193Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 3 Abs. 1 LDG NRW, § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.
194Ein Grund, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
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Referenzen
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- § 74 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- 4 K 9180/17 1x (nicht zugeordnet)
- 5 RVs 154/19 1x (nicht zugeordnet)
- § 13 Abs. 2 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- § 3 Abs. 1 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- § 19 Abs. 1 Satz 2 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 65 Abs. 1 Satz 1, 56 Abs. 2 LDG 2x (nicht zugeordnet)
- § 56 Abs. 1 Satz 1 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- 12 Js 965/17 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- 305 Js 31/13 1x (nicht zugeordnet)
- BeamtStG § 47 Nichterfüllung von Pflichten 2x
- § 13 Abs. 2 Satz 2 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 263 Betrug 1x
- § 13 Abs. 2 und 3 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- § 13 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 167 1x
- 80 Js 1116/13 1x (nicht zugeordnet)
- 24 Ns 221/18 1x (nicht zugeordnet)
- StPO § 170 Entscheidung über eine Anklageerhebung 1x
- § 5 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 21 Verminderte Schuldfähigkeit 1x
- § 54 Abs. 1 Satz 1 LDG 3x (nicht zugeordnet)
- § 13 Abs. 3 Satz 1 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- § 73 Nr. 6 LPVG 3x (nicht zugeordnet)
- StGB § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen 3x
- 851 Js 38/16 1x (nicht zugeordnet)
- BeamtStG § 34 Wahrnehmung der Aufgaben, Verhalten 5x
- § 73 LPVG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- StGB § 183 Exhibitionistische Handlungen 1x
- § 13 Abs. 2 Satz 3 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- 3d A 756/13 1x (nicht zugeordnet)
- § 53 Abs. 2 Satz 2 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- BeamtStG § 35 Weisungsgebundenheit 1x
- § 68 Abs. 2 Nr. 5 PersVG 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 65 Abs. 1 Satz 1, 56 Abs. 1 Satz 1 LDG 2x (nicht zugeordnet)
- BPersVG § 78 1x