Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 A 2092/20
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger steht als Polizeikommissar im Dienst des beklagten Landes.
3Am 1.12.2016 wurde der Kläger bei Ausübung seines Dienstes durch den am 12.12.2018 verstorbenen Herrn P. T. verletzt. Dieser trat den Kläger und schlug mehrfach mit den Fäusten gegen dessen Kopf. Der Kläger erlitt eine Schädelprellung mit zwei Prellmarken und Schwellungen sowie eine Knieprellung.
4Mit Schreiben vom 24.1.2017 forderte der Kläger von Herrn T. die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 400,00 Euro. Mangels Reaktion des Herrn T. beantragte der Kläger beim Amtsgericht Hagen (Az.: 17-1819783-0-2) den Erlass eines Mahnbescheids, der unter dem 3.3.2017 erging. Am 30.3.2017 erließ das Amtsgericht Hagen einen am 5.5.2017 zugestellten Vollstreckungsbescheid über eine Gesamtsumme von 613,26 Euro (400,00 Euro Schmerzensgeld, 83,54 Euro vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, 128,39 Euro Verfahrenskosten und 1,33 Euro Zinsen). In der Folgezeit führte der Kläger einen Vollstreckungsversuch durch, der erfolglos blieb.
5Mit Schreiben vom 20.6.2018, ergänzt durch ein Schreiben vom 18.2.2019, beantragte der Kläger beim beklagten Land die Übernahme des Schmerzensgeldes durch den Dienstherrn. Der Antrag war auf die Übernahme eines Gesamtbetrags in Höhe von 660,76 Euro gerichtet, der die Verzugszinsen bis zum 18.2.2019 umfasste.
6Zum 1.9.2018 wurde der Kläger vom Polizeipräsidium E. zum Polizeipräsidium N. versetzt.
7Mit Schreiben vom 2.5.2019 übersandte das Polizeipräsidium E. dem Landesamt für Zentrale polizeiliche Dienste Nordrhein-Westfalen (LZPD) die vom Kläger vorgelegten Dokumente zwecks Entscheidung über den Antrag auf Zahlung des Schmerzensgeldes durch den Dienstherrn und fügte eine (eigene) Stellungnahme zur Genehmigungsfähigkeit und die Anregung bei, dem Antrag stattzugeben.
8Das LZPD teilte dem Polizeipräsidium E. mit Schreiben vom 7.6.2019 mit, dass der Antrag auf Übernahme des Schmerzensgeldanspruchs nach § 82a LBG NRW abgelehnt werde, weil der Anspruch nur durch einen Vollstreckungsbescheid tituliert sei. Ein solcher erfülle nicht die Voraussetzungen des § 82a LBG NRW. Ein Vollstreckungsbescheid könne weder einem in der Norm genannten Endurteil noch einem Vergleich gleichgestellt werden. Ein Vollstreckungsbescheid ergehe in einem automatisierten Verfahren ohne richterliche Prüfung des Anspruchs der Höhe und dem Grunde nach. Aufgrund der fehlenden richterlichen Prüfung sei dieses Verfahren für Manipulationen und/oder die Titulierung unangemessen hoher Schmerzensgeldbeträge anfällig. Zudem blieben anders als bei einem Vergleich eventuelle Einwendungen der schädigenden Person mangels Beteiligung am Verfahren unberücksichtigt. Gemäß Erlass des Ministeriums des Innern des Landes NRW vom 3.6.2019 (403-42.01.19) seien Anträge, wenn der Schmerzensgeldanspruch durch einen Vollstreckungsbescheid tituliert werde, aus diesen Gründen abzulehnen.
9Mit Bescheid vom 13.6.2019 - dem Kläger als Anlage zum Schreiben vom 11.9.2019 übersandt und am 22.9.2019 zugegangen - lehnte das Polizeipräsidium E. den Antrag des Klägers aufgrund der negativen Entscheidung des LZPD ab und wiederholte zur Begründung dessen Ausführungen.
10Der Kläger hat am 22.10.2019 Klage zum Verwaltungsgericht E. erhoben, welches das Verfahren mit Beschluss vom 12.11.2019 - 23 K 7653/19 - an das Verwaltungsgericht N. verwiesen hat. Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, er habe einen Anspruch auf Übernahme der titulierten Schmerzensgeldforderung durch das beklagte Land, weil ein rechtskräftiger Vollstreckungsbescheid von dem in § 82a LBG NRW genannten rechtskräftigen Endurteil umfasst sei. Denn der Vollstreckungsbescheid stehe einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleich. Ein Versäumnisurteil wiederum sei ein Endurteil. Der vom beklagten Land angeführten Gefahr des Missbrauchs bei einem im Mahnverfahren erwirkten Titel könne durch die Ermessensvorschrift des § 82a LBG NRW begegnet werden. Nach § 82a Abs. 1 Satz 2 LBG NRW stehe zudem ein vollstreckbarer Vergleich über die Zahlung eines Schmerzensgeldes einem Endurteil gleich, wenn er angemessen sei. Liege also ein vollstreckbarer Vergleich vor, auf dessen Grundlage ein Beamter eine Entschädigung nach § 82a Abs. 1 LBG NRW beantrage, habe der Dienstherr gleichfalls zu prüfen, ob das vereinbarte Schmerzensgeld der Höhe nach angemessen sei. Auch vor diesem Hintergrund sei nicht ersichtlich, aus welchem Grund ein Vollstreckungsbescheid per se von § 82a LBG NRW nicht umfasst sein solle. In seinem Fall handele es sich in Ansehung der erlittenen Verletzungen erkennbar nicht um einen übersetzten Vollstreckungsbescheid. Die Geltendmachung eines Schmerzensgeldanspruchs in einem Mahnverfahren sei zudem die kostengünstigste Variante, einen entsprechenden Titel zu erwirken. Nur für die Kosten der günstigsten Rechtsverfolgung stehe auch der Dienstherr ein (vgl. Runderlass des Innenministeriums - 24-1.42-2/08 - und des Finanzministeriums - IV-B 1110-85.4-IV A 2 - vom 7.7.2008), sodass es unschlüssig sei, den in diesem Verfahren erwirkten Titel von § 82a LBG NRW auszuschließen.
11Der Kläger hat beantragt,
12das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheids des Polizeipräsidiums E. vom 13.6.2019 zu verpflichten, in Bezug auf die Übernahme des Schmerzensgeldes aus dem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts I. gegen P. T. eine neue Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu treffen.
13Das beklagte Land hat beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Vollstreckungsbescheid könne einem in § 82a LBG NRW unter anderem vorausgesetzten Endurteil nicht gleichgestellt werden. Schon dem Wesen des Mahnverfahrens nach handele es sich hierbei um ein automatisiertes gerichtliches Verfahren, in dem ohne richterliche Überprüfung der Höhe und dem Grunde nach eine große Menge an vermeintlichen Ansprüchen abgearbeitet werde. Dabei diene das automatisierte Verfahren der Vereinfachung. So sei es ein Leichtes, auf Grundlage eines Mahnbescheides ohne Widerspruch und Einspruch einen Vollstreckungsbescheid und damit einen Titel zu erwirken. Gerade diese fehlende richterliche Überprüfung unterscheide den Vollstreckungsbescheid von einem Endurteil. Ein Vollstreckungsbescheid sei auch nicht mit einem gerichtlichen Vergleich vergleichbar. Ein Vergleich solle die Parteien durch gegenseitiges Nachgeben zu einer für beide Parteien zufriedenstellenden Lösung des Rechtsstreits bewegen. So liege es beim automatisierten Mahnverfahren nicht. Der Kläger lasse zudem bei seiner Argumentation, es handele sich bei dem Mahnverfahren um das kostengünstigste und damit nach der Erlasslage anzustrebende Verfahren, sodass dieses nicht aus dem Anwendungsbereich des § 82a LBG NRW ausgeschlossen werden dürfe, die Möglichkeit der Einleitung eines Adhäsionsverfahrens außer Acht. Auf diese Weise könne er seine Ansprüche auf Schmerzensgeld völlig kostenfrei geltend machen.
16Durch Urteil vom 15.6.2020 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 13.6.2019 aufgehoben und das beklagte Land verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag des Klägers vom 20.6.2018 auf Übernahme des Schmerzensgeldes in Höhe von 400,00 Euro zu entscheiden. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei als Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO zulässig. Vor Erhebung der Klage habe es nach § 68 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 VwGO i. V. m. § 103 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW auch nicht der Durchführung eines Vorverfahrens bedurft. Die Klage sei ferner begründet. Der Kläger könne sein Begehren auf § 82a Abs. 1 LBG NRW stützen. § 82a LBG NRW sei anwendbar, auch wenn das den Schmerzensgeldanspruch begründende schädigende Ereignis bereits am 1.12.2016 stattgefunden habe und die Norm erst mit Wirkung vom 22.4.2017 in Kraft getreten sei. Denn die anspruchsbegründenden Voraussetzungen seien erst nach Inkrafttreten der Norm am 5.5.2017 durch den Erlass des rechtskräftigen Vollstreckungsbescheides entstanden. Es seien auch die Anspruchsvoraussetzungen der Norm erfüllt. Insbesondere sei der vom Kläger gegen den Schädiger erwirkte Vollstreckungsbescheid einem in § 82a Abs. 1 LBG NRW genannten Endurteil gleichzustellen. Dies ergebe sich aufgrund einer an gesetzlicher Systematik, Gesetzeshistorie sowie Sinn und Zweck der Norm orientierten Auslegung. Der auf der Grundlage eines Mahnbescheids ergangene (rechtskräftige) Vollstreckungsbescheid sei ebenso wie das (rechtskräftige) Endurteil eine instanzabschließende Endentscheidung eines Gerichts und der formellen sowie materiellen Rechtskraft fähig. Darüber hinaus sei der Vollstreckungsbescheid ein Vollstreckungstitel, der dem Versäumnisurteil gleichgestellt werde (§ 700 Abs. 1 ZPO). Das Versäumnisurteil wiederum sei ein nach § 331 ZPO der Rechtskraft fähiges Endurteil. Die Gleichstellung von Endurteil und Vollstreckungsbescheid im Rahmen des § 82a Abs. 1 LBG NRW entspreche auch der Gesetzeshistorie sowie dem Sinn und Zweck des § 82a LBG NRW. Die Norm sei Ausdruck der Fürsorgepflicht des Dienstherrn und diene der Entlastung des Beamten. Dem entspreche es, dem Beamten das kostengünstige Mahnverfahren zwecks Titelerlangung zu eröffnen und ihn nicht auf das kosten- und zeitintensivere Prozessverfahren zu verweisen, zumal er in einem solchen Fall den Verlust der Unterstützung seines Dienstherrn bei der Gewährung von Rechtsschutz in Zivilsachen riskieren würde. Abweichendes ergebe sich nicht aus dem Einwand des beklagten Landes, dass es beim Erlass eines Vollstreckungsbescheids an der Prüfung der Berechtigung des geltend gemachten Anspruchs durch das Gericht fehle. Denn auch im zivilgerichtlichen Verfahren, das zum Erlass eines Endurteils führe, werde gerichtlich gegebenenfalls lediglich die Schlüssigkeit des Klagevorbringens geprüft. In Anbetracht des im Zivilprozess geltenden Verhandlungs- bzw. Beibringungsgrundsatzes sei überdies selbst die Schlüssigkeitsprüfung als Schutzmechanismus zugunsten des Dienstherrn vor einem kollusiven Zusammenwirken zwischen dem Beamten und dem Dritten nicht geeignet. Schließlich liege auch dem vollstreckbaren Vergleich, der nach dem Willen des Gesetzgebers den Anspruch nach § 82a LBG NRW begründen könne, keine gerichtliche Sachprüfung zugrunde. Hinsichtlich titulierter, aber überzogener Schmerzensgeldansprüche oder solcher, denen kollusives Zusammenwirken von Beamten und Schädiger zugrunde liege, stehe dem Dienstherrn im Rahmen seiner Ermessensentscheidung („soll“) auf der Grundlage des § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW eine Kontrollmöglichkeit zur Verfügung, mit der er einer etwaigen Missbrauchsgefahr begegnen könne.
17Jedenfalls sei § 82a Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 LBG NRW analog anzuwenden. Würde der Vollstreckungsbescheid nicht unmittelbar von der Norm erfasst, läge eine planwidrige Regelungslücke vor. Anhaltspunkte dafür, dass der Landesgesetzgeber den rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid bewusst vom Anwendungsbereich des § 82a LBG NRW habe ausschließen wollen, bestünden nicht. Ebenso sei die Interessenlage vergleichbar. Es entspreche dem Fürsorgecharakter der Norm, sie auf den vorliegenden Sachverhalt zu erstrecken.
18Das beklagte Land hat am 27.7.2020 - einem Montag - gegen das ihm am 25.6.2020 zugestellte Urteil die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und diese am 21.8.2020 und 3.12.2020 begründet. Unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens führt es ergänzend im Wesentlichen aus: Der Wortlaut des § 82a LBG NRW sei eindeutig und erfasse entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts nur ein gerichtliches Endurteil und keinen Vollstreckungsbescheid. Zudem handele es sich bei der Norm um eine Ausnahmevorschrift, weil diese eine vom Grundsatz, dass der Beamte sich an den Schädiger wenden müsse, abweichende Bestimmung treffe. Die Tatsache, dass der Vollstreckungsbescheid auch ein Vollstreckungstitel sei, der nach § 700 Abs. 1 ZPO einem Versäumnisurteil gleichgestellt werden könne, sorge noch nicht für die Gleichstellung des Vollstreckungsbescheids mit einem Endurteil. Erst die weitere Heranziehung des § 331 ZPO stelle klar, dass das Versäumnisurteil auch ein Endurteil sei. Diese Verweisungskette sei nicht geeignet, den eindeutigen Wortlaut des § 82a LBG NRW zu umgehen, der Grenze jeder Auslegung sei. Entscheidend gegen die Gleichsetzung spreche, dass der Gesetzgeber neben dem Endurteil gezielt eine weitere Konstellation in § 82a LBG NRW aufgenommen habe, die die Übernahmepflicht auslösen könne, nämlich den gerichtlichen Vergleich. Hätte der Gesetzgeber eine solche Einstandspflicht auch für den Fall des Vollstreckungsbescheides erreichen wollen, hätte er dies ebenso in § 82a LBG NRW regeln können. Eine analoge Anwendung des § 82a LBG NRW komme angesichts dieser (abschließenden) Aufzählung möglicher Titel in der Norm mangels planwidriger Regelungslücke ebenfalls nicht in Betracht. Unabhängig davon fehle es auch an einer unbilligen Härte im Sinne des § 82a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 LBG NRW.
19Das beklagte Land beantragt,
20das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
21Der Kläger beantragt,
22die Berufung zurückzuweisen.
23Er wiederholt zur Begründung seine erstinstanzlichen Ausführungen und nimmt Bezug auf die Entscheidungsgründe des Verwaltungsgerichts. Ergänzend trägt er vor: Eine Gleichstellung eines Vollstreckungsbescheids und eines Endurteils sei mit dem Wortlaut der Norm vereinbar. Einer gesonderten Aufzählung des Vollstreckungsbescheids in der Norm habe es nicht bedurft, weil jener bereits aufgrund dieser Gleichstellung erfasst sei. Anders verhalte es sich bei dem Vergleich, der einem Endurteil nicht gleichstehe, so dass es seiner Nennung in der Norm zur Einbeziehung bedurft habe. Unabhängig davon sei jedenfalls die vom Verwaltungsgericht hilfsweise angeführte Analogie zu bejahen. Es liege insbesondere keine enumerative (abschließende) Aufzählung der erfassten Vollstreckungstitel in § 82a LBG NRW vor, die einer analogen Anwendung entgegenstehe. Auch die Interessenlage der Beteiligten spreche dafür, dass der Gesetzgeber entweder davon ausgegangen sei, dass der Vollstreckungsbescheid ohnehin einem Endurteil gleichstehe und damit unter die Norm falle, oder er an die Möglichkeit der Erlangung eines Vollstreckungsbescheides nicht gedacht habe. Einer Missbrauchsgefahr könne durch die im Rahmen des Ermessens eröffnete Angemessenheitsprüfung der Höhe des Schmerzensgeldes begegnet werden. Dass eine solche Angemessenheitsprüfung nur für den vollstreckbaren Vergleich und nicht für Endurteile explizit geregelt sei, stehe dem nicht entgegen. Denn in Bezug auf ein Anerkenntnisurteil habe der Gesetzgeber eine solche Regelung ebenfalls nicht getroffen. Bei einem Anerkenntnisurteil könne die titulierte Schmerzensgeldsumme jedoch auch von der Einschätzung des Gerichts abweichen und gegebenenfalls eine Angemessenheitsprüfung des Dienstherrn im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens erfordern.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
25E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
26Die zulässige Berufung des beklagten Landes ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben.
27Die Klage ist zulässig (I.), aber unbegründet (II).
28I. Die Klage ist zulässig.
291. Sie ist als Verpflichtungsklage in Form der Bescheidungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO statthaft. Denn das Begehren des Klägers ist auf den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet. Zwar handelt es sich bei der Zahlung des Schmerzensgeldes durch den Dienstherrn um einen Realakt. Allerdings ist diesem nach dem Wortlaut in § 82a Abs. 2 und Abs. 3 Satz 4 LBG NRW „Die Entscheidung trifft...“ und „Der Dienstherr kann Leistungen... ablehnen...“ eine im (intendierten) Ermessen des Dienstherrn stehende Entscheidung über die Übernahme der Schmerzensgeldzahlung vorgeschaltet. Bei dieser - von dem Kläger begehrten - Entscheidung über die Übernahme der Schmerzensgeldzahlung handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG NRW.
30Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.11.2021 ‑ 1 K 426/20 -, juris Rn. 16; VG N. , Urteil vom 15.6.2020 - 5 K 2861/19 -, juris Rn. 15; zur insoweit gleichlautenden bundesgesetzlichen Regelung in § 78a BBG: VG Karlsruhe, Urteil vom 13.7.2021 - 12 K 5170/20 -, DVBl 2022, 617 = juris Rn. 19.
312. Es bedurfte vor Erhebung der Klage, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, auch nicht der Durchführung eines Vorverfahrens. Nach § 68 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 VwGO, § 54 Abs. 2 Sätze 1, 3 BeamtStG i .V. m. § 103 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW findet unter anderem für Klagen der Beamtinnen und Beamten
32- im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung der männlichen und weiblichen Sprachform verzichtet und gilt die männliche Sprachform für alle Geschlechter -
33aus dem Beamtenverhältnis ein Widerspruchsverfahren nicht statt. Dies gilt nach § 103 Abs. 1 Satz 2 LBG NRW nicht für Maßnahmen, denen die Bewertung einer Leistung im Rahmen einer berufsbezogenen Prüfung zugrunde liegt, sowie für Maßnahmen in besoldungs-, versorgungs-, beihilfe-, heilfürsorge-, reisekosten-, trennungsentschädigungs- und umzugskostenrechtlichen Angelegenheiten. Der Gesetzgeber hat die Maßnahmen in letzteren Angelegenheiten vom grundsätzlichen Ausschluss des Widerspruchsverfahrens ausgenommen, um einen schnellen und kostengünstigen Rechtsbehelf für diese Gegenstände der Massenverwaltung zu eröffnen, die mit einer gewissen systemimmanenten Fehleranfälligkeit verbunden sind.
34Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.11.2021 ‑ 1 K 426/20 -, a. a. O. Rn. 17; VG N. , Urteil vom 15.6.2020 - 5 K 2861/19 -, a. a. O. Rn. 16; Schrapper/Günther, LBG NRW, 3. Aufl. 2021, § 103 Rn. 2.
35Dem Bescheid vom 13.6.2019 liegt kein eine Ausnahme nach § 103 Abs. 1 Satz 2 LBG NRW begründender Sachverhalt, insbesondere keine versorgungsrechtliche Angelegenheit, zugrunde. § 82a LBG NRW stellt nach der Gesetzesbegründung eine Ergänzung zu dem bereits im Rahmen der Unfallfürsorge bestehenden umfassenden Ausgleich für besonders gelagerte Fälle dar.
36Vgl. LT-Drs. 16/13702, S. 122.
37Dies macht § 82a LBG NRW jedoch nicht selbst zu einer Regelung der Unfallfürsorge. Die Norm, die der Gesetzgeber in das Landesbeamtengesetz und nicht in das Landesbeamtenversorgungsgesetz eingefügt hat, stellt eine sonstige Leistung des Dienstherrn mit Fürsorgecharakter dar, die weder zur Besoldung noch zur Versorgung gehört, vgl. § 79 Abs. 1 und 2 LBG NRW.
38Vgl. Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Kommentar, 32. UPD Oktober 2021, § 82a LBG NRW, Rn. 13; LT-Drs. 16/13702, S. 122.
39§ 82a LBG NRW erfasst auch keine Sachverhalte, die Gegenstände der Massenverwaltung sind. Vielmehr ist die Norm schon ausweislich der Gesetzesbegründung als Sondertatbestand für Einzelfälle konzipiert, in denen Beamte in einem dienstlichen Zusammenhang einen Schaden erleiden, die Regelungen der Unfallfürsorge als Ausgleich für die eingetretenen materiellen und immateriellen Schäden nicht ausreichen und die Uneinbringlichkeit des Schmerzensgeldes wegen Vermögenslosigkeit des Schädigers zu einer unbilligen Härte führt.
40Vgl. LT-Drs. 16/13702, S. 122; zum Vorstehenden insgesamt VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.11.2021 - 1 K 426/20 -, a. a. O. Rn. 17 ff.; VG N. , Urteil vom 15.6.2020 - 5 K 2861/19 -, a. a. O. Rn. 16 ff.
413. Die Klagefrist des § 74 Abs. 2, 1 Satz 2 VwGO ist gewahrt, da der ablehnende Bescheid des beklagten Landes vom 13.6.2019 dem Kläger erst am 22.9.2019 zugegangen ist und er innerhalb eines Monats nach dieser Bekanntgabe am 22.10.2019 Klage erhoben hat.
42II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Verpflichtung des beklagten Landes zur erneuten Entscheidung über seinen Antrag vom 20.6.2018 auf Übernahme des Schmerzensgeldes in Höhe von 400,00 Euro.
43Entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts ergibt sich ein solcher Anspruch des Klägers nicht aus der insoweit allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW.
44Nach § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW soll der Dienstherr, wenn ein Dritter durch rechtskräftiges Endurteil eines deutschen Gerichts verurteilt wird, an einen Beamten wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld (Schmerzensgeld) zu zahlen, diese Entschädigung auf Antrag ganz oder teilweise bewirken, sofern 1. der Schaden entstanden ist, weil der Dritte den Körper, die Gesundheit, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung des Beamten schuldhaft und im dienstlichen Zusammenhang verletzt hat, 2. trotz des Versuchs der Vollstreckung in das Vermögen des Dritten die Schmerzensgeldforderung des Beamten noch in Höhe von mindestens 250 Euro besteht, 3. dem Endurteil kein Verfahren nach §§ 592 bis 600 ZPO zugrunde liegt und 4. dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist.
45Die Norm ist im vorliegenden Fall anwendbar (1), jedoch liegen ihre materiellen Anspruchsvoraussetzungen nicht vor (2).
461. § 82a LBG NRW findet auf den vorliegenden Fall Anwendung, auch wenn das den Schmerzensgeldanspruch begründende schädigende Ereignis am 1.12.2016 und damit vor Inkrafttreten der Norm am 22.4.2017 (GV. NRW. S. 414) eingetreten ist. Denn § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW knüpft maßgeblich nicht an das schädigende Ereignis, sondern das Vorliegen eines rechtkräftigen Endurteils gegen einen Dritten an, sodass es für die Annahme der Anwendbarkeit der Norm ausreicht, wenn jedenfalls die rechtskräftige Titulierung des Schmerzensgeldanspruchs nach Inkrafttreten der Regelung erfolgt ist. Dies entspricht auch der Intention des Gesetzgebers, die ausweislich der Gesetzesbegründung über diesen sich aus dem Wortlaut ergebenden zeitlichen Anwendungsbereich noch hinausgeht. Seinem Willen entsprechend sollen auch vor Inkrafttreten der Norm festgestellte Schmerzensgeldansprüche vorbehaltlich der Wahrung der Ausschlussfrist gegenüber dem Dienstherrn geltend gemacht werden können.
47Vgl. LT-Drs. 16/13702, S. 122; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.11.2021 - 1 K 426/20 -, a. a. O. Rn. 28; VG N. , Urteil vom 15.6.2020 - 5 K 2861/19 -, a. a. O. Rn. 30 ff.; Dünchheim in: BeckOK, Beamtenrecht NRW, 1.5.2022, § 82a Rn. 2; a. A. Schrapper/Günther, LBG NRW, 3. Aufl. 2021, § 82a Rn. 9; Günther, Die ersatzweise Schmerzensgeldzahlung durch Dienstherrn am Beispiel von NRW, NVwZ 2022, 690.
48Im Streitfall ist die Rechtskraft des Vollstreckungsbescheids mit Ablauf des 19.5.2017 und damit nach Inkrafttreten der Norm eingetreten, sodass es auf die Frage nicht ankommt, ob der dargestellte, dem gesetzgeberischen Willen entsprechende weite zeitliche Anwendungsbereich Niederschlag in der Regelung gefunden hat oder es zur Erfassung der in der Gesetzesbegründung genannten Sachverhalte einer Übergangsvorschrift bedurft hätte.
492. Dem Anspruch des Klägers steht jedoch entgegen, dass er kein rechtskräftiges Endurteil, sondern lediglich einen Vollstreckungsbescheid über seine Schmerzensgeldforderung erwirkt hat. Dieser Fall wird weder unmittelbar von § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW erfasst (a) noch ist die Vorschrift analog auf ihn anwendbar (b).
50a) Der Schädiger als Dritter wurde nicht durch rechtskräftiges Endurteil eines deutschen Gerichts im Sinne der Norm verurteilt, an den Kläger Schmerzensgeld zu zahlen.
51aa) Der von dem Kläger erwirkte rechtskräftige Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts I. vom 30.3.2017 (17-1819783-0-2) ist in § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW nicht ausdrücklich als möglicher die Einstandspflicht des Dienstherrn begründender Titel genannt.
52bb) Der rechtskräftige Vollstreckungsbescheid ist auch nicht im Wege der Auslegung unter das in § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW genannte Tatbestandsmerkmal des rechtskräftigen Endurteils zu fassen.
53Ebenso VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.11.2021 - 1 K 426/20 -, a. a. O.; zu § 78a BBG: VG Karlsruhe, Urteil vom 13.7.2021 - 12 K 5170/20 -, a. a. O. sowie Badenhausen-Fähnle, BeckOK Beamtenrecht Bund, Stand 1.2.2022, § 78a Rn. 5; a. A.: Schrapper/Günther, LBG NRW, 3. Aufl. 2021, § 82a Rn. 2; May in Schütz/Maiwald, Beamtenrecht - Kommentar, Stand Juli 2021, § 82a Rn. 22.
54(1) Der Wortlaut der Norm legt mit der Verwendung des rechtstechnischen Begriffs „Endurteil“ durch den Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Verurteilung eines Dritten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes den Schluss nahe, dass von § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW ausschließlich Endurteile eines deutschen Gerichts im Sinne von § 300 ZPO erfasst werden. Denn der Begriff des Endurteils wird durch die sich im 2. Buch, Abschnitt 1, Titel 2 („Urteil“) findenden Bestimmung des § 300 Abs. 1 ZPO charakterisiert: Durch ein solches Urteil wird der Rechtsstreit bei Entscheidungsreife abschließend für die Instanz erledigt. In der sich in Buch 8, Abschnitt 1 findenden Norm des § 704 ZPO wird der Begriff „Endurteil“ aufgegriffen. Nach dieser Vorschrift findet die Zwangsvollstreckung statt aus Endurteilen, die rechtskräftig oder für vorläufig vollstreckbar erklärt sind. Bei einem Vollstreckungsbescheid handelt es sich jedoch gerade nicht um ein solches Endurteil. Dieser wird vielmehr nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 RPflG ohne richterliche Mitwirkung und Prüfung gemäß § 699 Abs. 1 Satz 1 ZPO (dort im 7. Buch) auf der Grundlage des vorausgehenden Mahnbescheids erlassen und unterliegt auch im Übrigen einem anderen Regelungsregime. Außerdem wird er in § 794 Abs. 1 Nr. 4 ZPO als weiterer Vollstreckungstitel aufgezählt. § 794 Abs. 1 ZPO, wonach die Vollstreckung „ferner“ aus den aufgezählten Titeln stattfindet, ergänzt die Regelung in § 704 ZPO und zeigt im Umkehrschluss, dass nach der Konzeption der Zivilprozessordnung gerade keine Identität zwischen einem Endurteil und den dort aufgeführten Titeln besteht.
55Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.11.2021 ‑ 1 K 426/20 -, a. a. O. Rn. 34; VG Karlsruhe, Urteil vom 13.7.2021 - 12 K 5170/20 -, a. a. O. Rn. 32.
56(2) Nichts anderes ergibt sich aus §§ 700 Abs. 1, 331, 330 ZPO. Nach § 700 Abs. 1 ZPO steht ein Vollstreckungsbescheid einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleich. Dieses stellt wiederum ein Endurteil dar. Durch die Gleichstellung des Vollstreckungsbescheids mit einem vorläufig vollstreckbaren - nicht aber einem rechtskräftigen - Versäumnisurteil wird die Funktion des Vollstreckungsbescheids als Vollstreckungstitel bereits vor Eintritt der Rechtskraft verdeutlicht (§ 794 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) und auf den Rechtsbehelf des Einspruchs nach §§ 338 ff. ZPO verwiesen.
57Vgl. Schüler in: Münchener Kommentar, ZPO, 6. Aufl. 2020, § 700 Rn. 1.
58Eine weitergehende Bedeutung dahingehend, dass es sich bei dem Vollstreckungsbescheid um ein (Versäumnis-)Urteil handelt, folgt daraus gerade nicht.
59Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.11.2021 ‑ 1 K 426/20 -, a. a. O. Rn. 36; VG Karlsruhe, Urteil vom 13.7.2021 - 12 K 5170/20 -, a. a. O. Rn. 33.
60(3) Der Blick auf die Gesetzeshistorie bestätigt das Ergebnis.
61Die Gesetzgebungsmaterialien zu § 82a LBG NRW verhalten sich zur Frage der Gleichstellung des Vollstreckungsbescheides zum Endurteil zwar nicht. Die Gesetzesbegründung erweist sich insoweit als unergiebig. Insbesondere kann aus den vom Verwaltungsgericht zitierten Ausführungen in der Gesetzesbegründung „Für die gerichtliche Verfolgung der Ansprüche können die Beamtinnen und Beamten Rechtsschutz durch den Dienstherrn in Anspruch nehmen. Die spätere Vollstreckung des erwirkten Titels kann jedoch an der fehlenden Liquidität des Schädigers scheitern“,
62vgl. LT-Drs. 16/13702, S. 122,
63nicht geschlossen werden, dass mit der Norm sämtliche Vollstreckungstitel umfasst werden sollten. Es ist vielmehr gleichfalls möglich und liegt nach Wortlaut und Historie nahe, dass mit dieser Formulierung ebenso wie in der vom Verwaltungsgericht herangezogenen Gesetzesbegründung zu § 78a BBG lediglich die in der Norm geregelten Titel in Form des Endurteils und des vollstreckbaren gerichtlichen Vergleichs unter einem Oberbegriff zusammengefasst worden sind.
64Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.11.2021 ‑ 1 K 426/20 -, a. a. O. Rn. 47 ff.
65Jedoch ergeben sich aus dem Verlauf des Gesetzgebungsprozesses gewichtige Anhaltspunkte für eine bewusste Wahl des engen, auf Endurteile beschränkten Regelungsinhalts. Denn bereits im August 2015 hatte die CDU-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag einen ersten Entwurf zur Einführung einer Einstandspflicht des Dienstherrn für Schmerzensgeldforderungen nach dem Vorbild des am 1.1.2015 in Bayern in Kraft getretenen Art. 97 BayBG eingebracht. Der Entwurf sah - ebenso wie Art. 97 BayBG weiterhin - auf Tatbestandsseite einen „rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten“ ‑ mithin keine Beschränkung auf Endurteile - und eine freie Ermessensausübung („kann“) des Dienstherrn auf Rechtsfolgenseite vor. Im Plenum wurde insbesondere die Frage diskutiert, welche Vollstreckungstitel aufgrund dieser Formulierung von dem Regelungsentwurf erfasst würden. Unter anderem zur Klärung dieser Frage wurde ein Sachverständigengespräch durchgeführt, zu der auch ein Vertreter des bayrischen Staatsministeriums der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat hinzugezogen wurde, um von den Erfahrungen mit der entsprechenden Vorschrift in Bayern zu berichten. Im Rahmen der Sachverständigenanhörung und der Plenumsdiskussion wurde mehrfach die Titulierung des Schmerzensgeldanspruchs durch Vollstreckungsbescheid thematisiert und insbesondere die Problematik angesprochen, dass ein solcher ohne gerichtliche Prüfung des geltend gemachten Anspruchs ergehe. In diesem Zusammenhang wurden auch die Schwierigkeiten des Dienstherrn erörtert, in einem solchen Fall eine Prüfung der Angemessenheit der Höhe der titulierten Schmerzensgeldforderung vorzunehmen, und Überlegungen angestellt, dass es zur Vermeidung eines mit einer Angemessenheitsprüfung einhergehenden erhöhten Verwaltungsaufwands möglich und sinnvoll sei, die Erfüllungsübernahme generell auf bestimmte Titel wie Endurteile nach § 300 ZPO und Versäumnisurteile nach § 331 ZPO zu beschränken.
66Vgl. Stellungnahme von Ministerialrat Dr. Findeisen, Bayerisches Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat, vom 3.3.2016, Stellungnahme 16/3573, S. 4; Ausschussprotokolle APr 16/1199, S. 9 ff. und APr 16/1268, S. 57 ff.; Plenarprotokoll 16/117, 12120 ff.
67Den Gesetzentwurf der CDU-Fraktion, der unverändert zur Abstimmung gestellt wurde, lehnten die Regierungsfraktionen unter anderem aufgrund der vorstehend dargestellten Bedenken ab. Dagegen fand der weniger als sechs Monate nach dieser Ablehnung von der Landesregierung eingebrachte, an der bundesgesetzlichen Regelung des § 78a BBG orientierte Vorschlag zur Aufnahme des § 82a LBG NRW, der eine Verurteilung des Schädigers „durch ein rechtskräftiges Endurteil eines deutschen Gerichts“ zur Grundlage für die Schmerzensgeldübernahme machte, eine parlamentarische Mehrheit.
68Vgl. ausführlich zur Gesetzgebungshistorie Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Kommentar, 32. UPD Oktober 2021, § 82a LBG NRW, Rn. 6 ff.
69Dabei waren dem Landesgesetzgeber bei Erlass der streitbefangenen Regelung die bereits zuvor in Kraft getretenen landes- und bundesgesetzlichen Vorschriften bekannt, die die Einstandspflicht des Dienstherrn unterschiedlich ausgestaltet haben.
70Vgl. Plenarprotokoll 16/117, 12121.
71Nach Art. 97 BayBG ist - wie bereits dargestellt - ebenso wie nach der zum 29.5.2015 in Kraft getretenen Bestimmung des § 83a BG SH die Einstandspflicht auf Tatbestandsebene an das Vorliegen eines „rechtskräftig festgestellten Anspruchs auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten“ geknüpft; nach der zum 29.12.2015 in Kraft getretenen Vorschrift des § 81a HBG sowie nach der zum 23.11.2016 in Kraft getretenen Vorschrift des § 83a HmbBG ist (nur) ein „Vollstreckungstitel über einen Anspruch auf Schmerzensgeld“ bzw. ein „Vollstreckungstitel über einen Anspruch auf Ersatz eines immateriellen Schadens nach § 253 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Schmerzensgeld)“ erforderlich.
72Am 28.10.2016 trat die davon abweichende Regelung des § 78a BBG in Kraft,
73eingefügt durch Gesetz vom 19.10.2016 (BGBl. I. S. 2362).
74Diese entspricht bis auf redaktionelle Änderungen der vorliegenden landesrechtlichen Regelung des § 82a LBG NRW. Insbesondere macht sie einen „durch ein rechtskräftiges Endurteil eines deutschen Gerichts festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld“ zur Voraussetzung der Schmerzensgeldübernahme. Damit lagen dem Landesgesetzgeber Vorbilder für Regelungsvarianten, die sämtliche Vollstreckungstitel im Sinne von § 794 Abs. 1 ZPO erfassen, ebenso vor wie die vom Wortlaut her enger gefasste Bundesvorschrift.
75Diese Umstände lassen den Schluss zu, dass die Abkehr von der weiter gefassten Formulierung auf Tatbestandsseite, kombiniert mit der Möglichkeit einer freien Ermessenausübung, hin zu der engeren Anknüpfung an ein „rechtskräftiges Endurteil“, dafür aber auf Rechtsfolgenseite kombiniert mit einer im Regelfall eintretenden Einstandspflicht, bewusst erfolgt ist, um andere Titel auszuschließen, bei denen - wie bei einem Vollstreckungsbescheid - eine gerichtliche Prüfung des Schmerzensgeldanspruchs in der Regel nicht erfolgt. Es ist insbesondere angesichts der vorstehend dargestellten Diskussion über die Reichweite des ersten, an die bayerische Regelung angelehnten Gesetzentwurfs der CDU-Fraktion und der Kenntnis der weiteren landes- und bundesgesetzlichen Regelungen fernliegend, dass der Landesgesetzgeber eine erkennbar engere Formulierung als diejenige in den Beamtengesetzen Bayerns, Schleswig-Holsteins, Hessens und Hamburgs gewählt hat, um dennoch einen diesen in seiner Reichweite entsprechenden Regelungsgehalt festzulegen. Die Anlehnung an die enger gefasste Formulierung der bundesgesetzlichen Regelung legt - wie dargestellt - vielmehr den Rückschluss nahe, dass der Landesgesetzgeber mit § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW entsprechend dem Wortlaut tatsächlich nur Endurteile, nicht aber rechtskräftige Vollstreckungsbescheide erfassen wollte, zumal den Gesetzesmaterialien kein Anhalt dafür zu entnehmen ist, dass der Gesetzgeber die zuvor ausführlich diskutierten Bedenken im Hinblick auf durch Vollstreckungsbescheide titulierte Forderungen aufgegeben hätte. Die in der Frage des vollstreckbaren Titels weitergehenden Regelungen in den oben genannten Landesgesetzen sehen - im Gegensatz zum intendierten Ermessen der Bundes- und nordrhein-westfälischen Regelung - überdies auf Rechtsfolgenseite ein einfaches „Kann-Ermessen“ vor. Es ist besonders wenig eingängig, dem Gesetzgeber zu unterstellen, dass er trotz der Wahl der engeren Tatbestandsformulierung den Vollstreckungsbescheid mitgemeint haben, dies aber zusätzlich mit der den Dienstherrn stärker bindenden Soll-Vorschrift kombiniert haben sollte.
76Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.11.2021 ‑ 1 K 426/20 -, a. a. O. Rn. 63 m. w. N.
77(4) Auch (weitere) gesetzessystematische Überlegungen streiten dafür, einen Vollstreckungsbescheid nicht als Endurteil im Sinne des § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW anzusehen.
78(a) In systematischer Hinsicht stützt § 82a Abs. 1 Satz 2 LBG NRW die Auslegung, dass der Gesetzgeber mit dem in Satz 1 genannten „Endurteil“ nur durch Urteil festgestellte Schmerzensgeldansprüche erfassen wollte.
79Die Regelung stellt unter bestimmten Bedingungen einen Vergleich nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO einem rechtskräftigen Endurteil im Sinne von § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW gleich. Vergleiche können - wie dies auch bei Vollstreckungsbescheiden der Fall ist - auch ohne richterliche Inhaltskontrolle geschlossen werden, sie können aber nicht in (materielle) Rechtskraft erwachsen. Insofern enthält § 82a Abs. 1 Satz 2 LBG NRW eine Abweichung zu dem in Satz 1 enthaltenen Tatbestandsmerkmal des durch ein „rechtskräftiges Endurteil“ festgestellten Schmerzensgeldanspruchs. Diese - begrenzte - Tatbestandserweiterung des § 82a Abs. 1 Satz 2 LBG NRW auf einen Titel, der nicht (materiell) rechtskraftfähig ist und nicht zwingend einer gerichtlichen Inhaltskontrolle unterliegt, lässt aber nicht den Rückschluss zu, von § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW seien alle rechtskraftfähigen Titel erfasst unabhängig davon, ob der ihnen zugrundeliegende Anspruch einer gerichtlichen Prüfung unterzogen worden ist oder nicht.
80Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.11.2021 ‑ 1 K 426/20 -, a. a. O. Rn. 76 ff. m. w N.
81Vielmehr ist selbst bei Vergleichen nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO stets die Mitwirkung eines Richters oder zumindest eines unparteiischen Schlichters erforderlich und damit jedenfalls eine nichtförmliche Einflussnahme des Richters beziehungsweise des Schlichters möglich. Es liegt etwa im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob und in welchem Umfang es eine über den Streitgegenstand hinausgehende Einigung protokolliert. Bei gerichtlichen Vergleichen findet also zumindest noch eine gewisse richterliche Überprüfung statt (siehe auch die richterliche Hinweispflicht nach § 139 ZPO). Zudem kann der beklagte Schädiger anspruchsmindernde Einwendungen vorbringen. An beidem mangelt es, wie vorstehend dargestellt, bei Vollstreckungsbescheiden vollständig.
82Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.11.2021 ‑ 1 K 426/20 -, a. a. O. Rn. 83.
83Durch § 82a Abs. 1 Satz 2 LBG NRW wird zudem deutlich, dass der gerichtliche Vergleich als Vollstreckungstitel, der tatbestandlich nicht von § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW erfasst ist, nur unter der zusätzlichen Bedingung der Angemessenheit für die Erfüllungsübernahme ausreichen soll. Eben dies trägt dem Umstand Rechnung, dass bei einem solchen Vergleich eine richterliche Kontrolle der Höhe des titulierten Schmerzensgeldes nicht gegeben ist und der Dienstherr keinen Einfluss auf das Ergebnis der gütlichen Einigung hat. Gerade diese Zielrichtung des § 82a Abs. 1 Satz 2 LBG NRW, der Satz 1 in Bezug auf dessen Wortlaut auf Tatbestandsseite erweitert und gleichzeitig wiederum die Ausweitung auf Vergleiche begrenzt, die bestimmten inhaltlichen Bedingungen genügen, zeigt, dass der Dienstherr nicht für solche Schmerzensgeldansprüche Adressat sein soll, die in der Regel ohne jegliche Form einer inhaltlichen (Angemessenheits-)Kontrolle tituliert werden.
84Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.11.2021 ‑ 1 K 426/20 -, a. a. O. Rn. 84 ff. m. w. N.
85(b) Das hier gefundene Ergebnis stützt weiterhin § 82a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LBG NRW, wonach bereits tatbestandlich solche Schmerzensgeldansprüche von der Erfüllungsübernahme ausgeschlossen sein sollen, bei denen das Endurteil im Wege des Urkundenprozesses nach den §§ 592 bis 600 ZPO ergangen ist. Der Grund dafür sind die nur auf den Urkundsbeweis und die Parteivernehmung beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Gerichts und daran anknüpfend die für eine Zahlung aus öffentlichen Kassen unzureichende Sachverhaltsaufklärung.
86Vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 13.7.2021 - 12 K 5170/20 -, a. a. O. Rn. 42, VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.11.2021 - 1 K 426/20 -, a. a. O. Rn. 89; Grigoleit, in: Battis, BBG, 6. Aufl. 2022, § 78a, Rn. 6.
87Diese Überlegung lässt sich auf den ohne Sachverhaltsaufklärung ergehenden Vollstreckungsbescheid ohne weiteres übertragen.
88(5) Es bestehen zudem sachliche Gründe dagegen, einen Vollstreckungsbescheid als Endurteil im Sinne des § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW aufzufassen.
89Denn während beim Vollstreckungsbescheid aufgrund der unterschiedlichen Erlassvoraussetzungen eine gerichtliche Prüfung der Anspruchsberechtigung, insbesondere der Angemessenheit der Forderung fehlt, findet bei einem Endurteil im Regelfall eine gerichtliche Prüfung des geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs dem Grunde und der Höhe nach statt. Auch ein Versäumnisurteil darf gemäß § 331 Abs. 1, 2 ZPO nur erlassen werden, wenn die Klage schlüssig ist. Die Prüfung der Schlüssigkeit erfolgt von Amts wegen (§ 331 Abs. 2 Halbs. 1 ZPO). Eine Klage ist schlüssig, wenn das Gericht die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen ohne weitere tatsächliche Überprüfung im Sinne des Klageantrages unter eine Anspruchsgrundlage subsumieren kann und nach dem Tatsachenvortrag des Klägers auch keine Gegenrechte eingreifen, wenn mit anderen Worten der Tatsachenvortrag, seine Richtigkeit unterstellt, geeignet ist, den Klageantrag sachlich zu rechtfertigen. Dabei ist auch dem Kläger ungünstiges Klagevorbringen zu berücksichtigen.
90Vgl. Stadler in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 331 Rn. 7.
91In diesem Rahmen kann das Gericht insbesondere auch überprüfen, ob die vom Beamten eingeforderte Schmerzensgeldsumme in Relation zu den erlittenen Verletzungen angemessen ist.
92Vgl. zur Festsetzung der Höhe des Betrags durch das Gericht in einem Versäumnisurteil selbst bei unbezifferten Klageanträgen: Prütting in: Münchener Kommentar, ZPO, 6. Aufl. 2020, § 331 Rn. 22.
93Eine solche gerichtliche Prüfung des geltend gemachten Anspruchs - wenn auch nur im Rahmen einer Schlüssigkeitsprüfung - erscheint insbesondere bei Schmerzensgeldansprüchen, zu deren Erfüllung der Dienstherr nach § 82a LBG NRW verpflichtet werden soll, aufgrund der Unbestimmtheit des § 253 Abs. 2 BGB, wonach wegen immaterieller Schäden eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden kann, auch in besonderem Maße geboten. Der unbestimmte Rechtsbegriff der „billigen Entschädigung“ meint sowohl nach dem Wortlaut als auch nach systematischer, historischer und teleologischer Auslegung eine angemessene Entschädigung, bei deren Bemessung der Tatrichter alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigen darf. Das Schmerzensgeld hat eine doppelte Funktion. Es soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich bieten für diejenigen Schäden und diejenige Lebenshemmung, die nicht vermögensrechtlicher Art sind (Ausgleichsfunktion). Es soll aber zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet. Bei den unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit zu berücksichtigenden Umständen bildet die Rücksicht auf Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen stets das ausschlaggebende Moment. Daneben können aber auch alle anderen Umstände berücksichtigt werden, die dem einzelnen Schadensfall sein besonderes Gepräge geben, wie der Grad des Verschuldens des Schädigers, im Einzelfall aber auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten oder diejenigen des Schädigers. Ein allgemein geltendes Rangverhältnis aller anderen zu berücksichtigenden Umstände lässt sich nicht aufstellen, weil diese Umstände ihr Maß und Gewicht für die Höhe der billigen Entschädigung erst durch ihr Zusammenwirken im Einzelfall erhalten.
94Zum Ganzen BGH Vereinigte Große Senate, Beschluss vom 16.9.2016 - VGS 1/16 -, BGHZ 212, 48 = juris Rn. 30, 48 ff.
95Angesichts dieser Unschärfe kommt es in gerichtlichen Schmerzensgeldverfahren nicht selten vor, dass dem Kläger im Endurteil nur noch ein (Bruch-)Teil des ursprünglich geforderten Schmerzensgeldes zugesprochen wird. Häufig bestehen in solchen Verfahren sogar derart erhebliche Unsicherheiten im Hinblick auf die Angemessenheit der Forderung, dass unbezifferte Klageanträge gestellt werden. Dieses Vorgehen, das nicht nur die Angemessenheitsprüfung, sondern schon die erstmalige Bezifferung des Schmerzensgeldes in die Hände des Gerichts legt, wird seit jeher als zulässig angesehen und bietet sich aus anwaltlicher Vorsicht an, um eine Teilabweisung mit entsprechender Kostenfolge zu vermeiden.
96Vgl. Doukoff in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand: 11.4.2022, § 253 BGB Rn. 164 m. w. N.; ferner VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.11.2021 - 1 K 426/20 -, a. a. O. Rn. 38; VG Karlsruhe, Urteil vom 13.7.2021 ‑ 12 K 5170/20 -, a. a. O. Rn. 33.
97Davon unterscheidet sich das Mahnverfahren bereits nach seiner grundsätzlichen gesetzlichen Konzeption. Im Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids ist die Forderung gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zu beziffern, ohne dass das Korrektiv einer gerichtlichen Prüfung vor dem Erlass eines Vollstreckungsbescheids zum Tragen kommt. Vielmehr handelt es sich um ein automatisiertes Verfahren, in dem der geltend gemachte Anspruch vor Erlass des Vollstreckungsbescheids nicht einmal einer gerichtlichen Schlüssigkeitsprüfung unterzogen wird, sodass die Schmerzensgeldforderung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ohne jegliche richterliche Inhaltskontrolle und ohne etwaige berechtigte Einwendungen des Antragsgegners in Rechtskraft erwachsen kann.
98Der Tragfähigkeit dieser aus den Unterschieden zwischen Prozess- und Mahnverfahren abgeleiteten Erwägung kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass auch die bei einem Versäumnisurteil durchgeführte Schlüssigkeitsprüfung als Schutzmechanismus zugunsten des Dienstherrn vor einem kollusiven Zusammenwirken zwischen dem Beamten und Dritten nicht umfassend schütze und bei einem Anerkenntnisurteil, das ebenfalls ein Endurteil darstelle, keine gerichtliche Prüfung des anerkannten Anspruchs erfolge.
99Insoweit trifft es zu, dass ein lückenloser Schutz vor kollusivem Zusammenwirken des Beamten und des Schädigers auch bei einem im Prozessverfahren erwirkten Urteil nicht besteht und der Gesetzgeber dem Dienstherrn für diesen (atypischen) Fall durch die Eröffnung eines Ermessensspielraums ermöglicht hat, die Übernahme des Schmerzensgeldanspruchs abzulehnen.
100Vgl. LT-Drs. 16/13702, S. 122.
101Diese auch im Prozessverfahren nicht gänzlich auszuschließende Missbrauchsgefahr ändert hingegen nichts an dem Umstand, dass in diesem eine gerichtliche Prüfung des geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs dem Grunde und der Höhe nach den Regelfall darstellt und im Fall des Versäumnisurteils zumindest noch eine Schlüssigkeitsprüfung erfolgt. Im Mahnverfahren ist eine solche gerichtliche Prüfung des Anspruchs - wie ausgeführt - hingegen in keinem Fall vorgesehen und damit die Missbrauchsgefahr ungleich höher. Hierbei muss nicht einmal auf die - vermutlich nur selten vorkommenden - Fälle des kollusiven Zusammenwirkens des Beamten und des Schädigers abgehoben werden. Vielmehr kann auch eine überhöhte Einschätzung des Beamten zur Angemessenheit der Entschädigung nach § 253 Abs. 2 BGB die Grundlage einer übersetzten - und ggfs. in der Folge titulierten - Forderung sein; ebenso ist denkbar, dass der Beamte resp. sein Prozessbevollmächtigter aufgrund des bisherigen Verhaltens bzw. der Verhältnisse des Schädigers darauf setzen, dass dieser sich gegen den Mahnbescheid nicht wehren wird und der Dienstherr letztlich nach § 82a LBG NRW die Erfüllung wird übernehmen müssen.
102Zum Fall einer überhöhten Schmerzensgeldforderung ohne kollusives Zusammenwirken VG Magdeburg, Urteil vom 13.11.2020 - 8 A 299/19 ‑, juris.
103Der Hinweis auf das Anerkenntnisurteil, bei dem nicht einmal die Schlüssigkeit der Forderung richterlich überprüft wird, zwingt ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Einerseits kommen derartige Urteile ohnehin vergleichsweise selten vor; überdies erfordert die Titulierung einer unangemessen überhöhten Forderung auf diesem Weg tatsächlich ein (kollusives) Mitwirken des Schädigers, der diese anerkennen muss. Derartige Konstellationen dürften, wie erwähnt, die Ausnahme bilden und können im Rahmen des Ermessens als atypischer Fall ausgeschieden werden.
104Zugleich verlangt die Überprüfung, ob eine übersetzte Schmerzensgeldforderung vorliegt - unabhängig davon, ob der Dienstherr eine solche bei der Tatbestandsvariante der Titulierung der Schmerzensgeldforderung durch ein Endurteil überhaupt vornehmen dürfte -,
105vgl. dies aufgrund der expliziten Nennung bei vollstreckbaren Vergleichen im Fall des Endurteils verneinend: Bay. VGH, Urteil vom 16.12.2020 - 3 B 20.1553 -, juris Rn. 24; Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Kommentar, 32. UPD Oktober 2021, § 82a LBG NRW Rn. 24,
106beim Vollstreckungsbescheid dem Dienstherrn deutlich höheren Aufwand ab als bei durch Urteil, auch durch Versäumnisurteil oder einen gerichtlichen Vergleich titulierten Ansprüchen, da es bereits an dem Vorliegen einer Klagebegründung fehlt, die Grundlage für eine Angemessenheitsprüfung sein könnte.
107(6) Auch die in § 82a Abs. 1 Satz 1 LBG NRW zum Ausdruck kommende Fürsorgepflicht des Dienstherrn gebietet es nicht, die Norm abweichend vom Vorstehenden dahingehend auszulegen, dass die Einstandspflicht des Dienstherrn für Schmerzensgeldforderungen sich auf solche Titel erstreckt, die keiner vorherigen gerichtlichen Überprüfung unterlagen. Die Norm soll ausweislich der Gesetzesmaterialien Abhilfe in Fällen schaffen, in denen Beamte im Dienst oder aufgrund ihrer dienstlichen Stellung Opfer von Gewalt werden und Härten im Sinne eines erheblichen Sonderopfers für die Allgemeinheit erleiden, die mit den vorhandenen Leistungstatbeständen nicht angemessen abgedeckt werden.
108Vgl. LT-Drs. 16/13702, 122.
109Dieses Ziel würde umfassender erreicht, wenn auch die im Mahnverfahren titulierten Ansprüche übernommen würden; zudem handelt es sich beim Mahnverfahren, wie der Kläger zu Recht geltend macht, um ein - auch für den Dienstherrn - kostengünstiges und damit prozessökonomisch sinnvolles Verfahren zur Titelerlangung. Allerdings kommt - wie die in den Einzelheiten unterschiedlichen Regelungen in Bund und Ländern verdeutlichen -,
110vgl. dazu Klingspor in BeckOK Beamtenrecht Hessen, Stand 1.5.2022, § 81a HBG Rn. 2 ff.,
111dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Erfüllungsübernahme ein weiter Gestaltungsspielraum zu, weil es sich um eine freiwillige zusätzliche Leistung des Dienstherrn handelt.
112Vgl. auch Stellungnahme von Ministerialrat Dr. Findeisen, Bayerisches Staatsministeriums der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat vom 3.3.2016, a. a. O. S. 2.
113Daher kann er auch unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der Norm einen Ausschluss von vollstreckbaren Titeln vornehmen, die - wie oben dargestellt - in der Regel keiner gerichtlichen Kontrolle unterliegen, und somit im Wege einer Abwägung die Zielsetzung für gewichtiger halten, die Verpflichtung zur Übernahme überhöhter Forderungen soweit möglich auszuschließen.
114Der Einwand des Klägers, der Beamte riskiere im Fall der Wahl des Prozessverfahrens die Unterstützung seines Dienstherrn bei der Gewährung von Rechtsschutz in Zivilsachen, wonach nur zur Bestreitung der notwendigen Kosten der Rechtsverteidigung ein Vorschuss oder zinsloses Darlehen gewährt werden kann (vgl. III. 1. des Gemeinsamen Runderlasses des Innenministeriums - 24-1.42-2/08 - und des Finanzministeriums - IV-B 1110-85.4-IV A 2 - vom 7. Juli 2008), führt ebenso wenig zu einem anderen Ergebnis: Im Gegenteil wäre zu erwägen, dem Beamten die Kosten des letztgenannten Verfahrens als „notwendige Kosten“ zuzugestehen, wenn das Mahn- und Vollstreckungsverfahren eben nicht zur Rechtsverteidigung hinreicht, da es dem Prozessverfahren nicht gleichsteht.
115Vgl. zum Vorstehenden: VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.11.2021 - 1 K 426/20 -, a. a. O. Rn. 57 f.
116b) Auch eine analoge Anwendung von § 82a Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 LBG NRW auf Vollstreckungsbescheide kommt nicht in Betracht. Die analoge Anwendung der von einer Norm angeordneten Rechtsfolge auf Sachverhalte, die dieser Norm nicht unterfallen, setzt eine vergleichbare Interessenlage sowie eine planwidrige Regelungslücke voraus. Der Anwendungsbereich der Norm muss wegen eines versehentlichen, mit dem Normzweck unvereinbaren Regelungsversäumnisses des Normgebers unvollständig sein.
117Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.1.2016 - 2 B 17.15 -, juris Rn. 8, und Urteil vom 28.6.2012 ‑ 2 C 13.11 -, BVerwGE 143, 230 = juris Rn. 24.
118Dies ist nicht der Fall. Es liegt keine planwidrige Regelungslücke vor.
119aa) Der Gesetzgeber hat sich, wie dem dargestellten Gesetzgebungsprozess entnommen werden kann, bewusst für eine enge Formulierung des Tatbestandes entschieden und damit beabsichtigt, sich von den auf Tatbestandsebene weiter gefassten Regelungen der Landesbeamtengesetze Bayerns, Schleswig-Holsteins, Hessens und Hamburgs abzusetzen. Der damit zum Ausdruck gebrachte Wille, dass andere als die in der Norm genannten Titel nicht zur Begründung einer Einstandspflicht des Dienstherrn ausreichen sollen, steht der Annahme einer planwidrigen Regelungslücke bereits entgegen.
120bb) Ebenfalls gegen das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke spricht, dass § 82a Abs. 1 Satz 2 LBG NRW ausdrücklich § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO und damit gerichtliche Vergleiche in den Blick nimmt, nicht jedoch den in Nr. 4 geregelten Vollstreckungsbescheid.
121Anders etwa § 71a Abs. 1 Satz 2 RhPflBG, wonach die Vollstreckungstitel nach § 794 Abs. 1 Nr. 1, 4, 4a und 5 ZPO einem rechtskräftigen Urteil unter näher bestimmten Voraussetzungen gleichstehen.
122Angesichts des Zusammenhangs in der Aufzählung in § 794 Abs. 1 ZPO kann nicht angenommen werden, dass dessen Nr. 4 unbeabsichtigt übersehen worden wäre.
123Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.11.2021 ‑ 1 K 426/20 -, a. a. O. Rn. 87 m. w. N.
124cc) Gegen eine analoge Anwendung streitet überdies, dass es sich bei der Norm um einen Ausnahmetatbestand handelt.
125Der Gesetzgeber hat bei Schaffung des § 82a LBG NRW sowohl im Wortlaut der Norm selbst als auch in der Gesetzesbegründung hinreichend verdeutlicht, dass ihm an der Schaffung eines Ausnahmetatbestandes gelegen war. Dieses Ergebnis stützt die teleologische Betrachtung der Norm: Seinem Sinn und Zweck nach soll § 82a LBG NRW eine Ergänzung für solche Fälle sein, in denen die im Landesbeamtenversorgungsgesetz NRW normierte Unfallfürsorge als ansonsten umfassender Ausgleich der durch einen Dienstunfall eingetretenen materiellen und immateriellen Schäden keine angemessene Abdeckung von besonderen Härten bietet. Nach § 82a Abs. 2 LBG NRW kann der Dienstherr die Zahlung ablehnen, wenn aufgrund desselben Sachverhalts eine einmalige Unfallentschädigung, eine einmalige Entschädigung oder ein Unfallausgleich gezahlt wird.
126Dies gilt insbesondere für den Schmerzensgeldanspruch, der einen immateriellen Schaden betrifft und auch im Zivilrecht eine Sonderstellung einnimmt, da ihm vor allem eine Genugtuungsfunktion zukommt. Grundsätzlich soll es der Beamte selbst sein, welcher den Schmerzensgeldanspruch gegenüber dem Schädiger geltend macht. So fordert § 82a LBG NRW - seinem subsidiären Charakter Ausdruck verleihend - grundsätzlich einen erfolglosen Vollstreckungsversuch des Beamten: Der Dienstherr soll nicht prinzipiell erster Adressat für eine gegen einen Dritten gerichtete Schmerzensgeldforderung sein, sondern erst nach umfassenden und fruchtlosen Eigenbemühungen des Beamten gegenüber seinem Schädiger. Dem dargestellten Ausnahmecharakter der Norm kann der Kläger auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass der Gesetzgeber bei Eintritt dieses Ausnahmefalls die Übernahme des Schmerzensgelds als Regelfall ausgestaltet hat.
127Vgl. zum Ganzen VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.11.2021 - 1 K 426/20 -, a. a. O. Rn. 72 ff. m. w. N.
128Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
129Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
130Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen der §§ 132 VwGO, 127 BRRG nicht vorliegen.
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