Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (6. Senat) - 6 A 11070/15

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Tenor

Unter Abänderung des aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9. Juni 2015 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung der Beigeladenen durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beigeladene vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich als Ausbaubeiträge erhebende Ortsgemeinde gegen den Widerspruchsbescheid des beklagten Landkreises vom 16. Juli 2014, durch den drei Bescheide aufgehoben wurden, mit denen die Klägerin die beigeladene Grundstückseigentümerin zu Vorausleistungen auf Straßenausbaubeiträge herangezogen hat.

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Die Beigeladene ist Eigentümerin der in der Gemarkung P. gelegenen Grundstücke Flur 1, Flurstücke 37, 38, 36/2, 40/1 sowie 40/2, auf denen sich zum Teil denkmalgeschützte Gebäudereste einer ehemaligen Klosteranlage befinden. Mit Bescheiden vom 20. Januar 2012 zog die Klägerin die Beigeladene zu Vorausleistungen für den Ausbau der Straße „I. K.“ heran, und zwar für die als wirtschaftliche Einheit gewerteten Grundstücke 38, 37 und 36/2 in Höhe von 13.899,04 €, für das Grundstück 40/1 in Höhe von 6.434,12 € und für das Grundstück 40/2 in Höhe von 3.175,50 €. Die Lage der Grundstücke stellt sich wie folgt dar:

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Abbildung

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Der dagegen von der Beigeladenen eingelegte Widerspruch hatte Erfolg. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2014 hob der Kreisrechtsausschuss des Beklagten die angefochtenen Bescheide auf, weil es den veranlagten Grundstücken an der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeit einer Zufahrt bzw. eines Zugangs zu der ausgebauten Verkehrsanlage „I. K.“ fehle.

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Mit ihrer daraufhin erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, man könne über die Parzelle 342/2, die im Eigentum der Beigeladenen und ihres Sohnes R. stehe, von der Straße „I. K.“ aus auf deren Grundstücke gelangen, die überwiegend einheitlich genutzt würden. Außerdem befinde sich in der an die ausgebaute Straße angrenzenden Mauer des historischen Gewölbekellers auf der Parzelle 38 ein erst vor wenigen Jahren zugemauertes Tor zur ausgebauten Verkehrsanlage, welches wieder geöffnet werden könne, ohne dass die Denkmalfachbehörde dagegen Bedenken geäußert habe.

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Das Verwaltungsgericht hat nach Durchführung einer Ortsbesichtigung der Klage stattgegeben und den angefochtenen Widerspruchsbescheid antragsgemäß aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die angefochtenen Bescheide seien bei richtigem Verständnis als Erschließungsbeitrags-Vorausleistungsbescheide anzusehen und als solche in der festgesetzten Höhe rechtmäßig. Die Grundstücke der Beigeladenen unterlägen jedenfalls als Hinterliegergrundstücke der Beitragspflicht. Die Parzellen 37 und 38, auf denen sich ein denkmalgeschützter Keller befinde, könnten durch eine Tür in der Ostwand des von der Beigeladenen gemieteten und genutzten, ihrem Sohn R. gehörenden Hauses (I. K., Flurstück 36/1) erreicht werden. Daneben könne ein Zugang zu den Grundstücken der Beigeladenen über das ebenfalls im Eigentum ihres Sohnes R. stehende Flurstück 39 erfolgen. Da die veranlagten Grundstücke auf diese Weise auch tatsächlich erreicht würden, gehörten sie unter Berücksichtigung der berechtigten Erwartungshaltung der übrigen Beitragsschuldner zum Kreis der beitragspflichtigen Grundstücke.

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Gegen diese Entscheidung hat der Senat die Berufung der Beigeladenen zugelassen, zu deren Begründung sie ausführt, die Parzelle 38, die an die ausgebaute Straße „I. K.“ angrenze, sei von dieser aus gleichwohl nicht zugänglich. Der früher in der Grenzmauer vorhandene historische Torbogen sei seit mindestens sechs Jahren zugemauert und könne mit Rücksicht auf den Denkmalschutz und auch deswegen nicht geöffnet werden, weil die Grenzmauer eine Brandwand darstelle. Die Heranziehung ihrer Parzellen als Hinterliegergrundstücke scheitere an der fehlenden Eigentümeridentität. Außerdem sei ein Zugang über Anliegergrundstücke rechtlich nicht gesichert. Die in dem angefochtenen Urteil angesprochene Tür in der Ostwand des Hauses auf dem Grundstück 36/1 befinde sich in einem Gebäudeteil, der nicht von der Beigeladenen gemietet sei. Auch über die Parzellen 36/1 und 39 bestehe kein mietvertragliches Zugangsrecht zu den Hinterliegergrundstücken der Beigeladenen. Hinsichtlich der Parzelle 342/2, die je zur Hälfte im Eigentum der Beigeladenen und ihres Sohnes R. stehe, sei weder eine Baulast noch eine Grunddienstbarkeit eingetragen. Der Beigeladenen stehe insoweit auch kein Notwegerecht zu, da die veranlagten Grundstücke über die A.-Straße erreichbar seien. Außerdem sei eine qualifizierte bauliche oder gewerbliche Nutzung der Flurstücke 37 und 38 ohne Veränderung der denkmalrechtlich geschützten Bausubstanz wohl nicht möglich. Auch an einer einheitlichen oder übergreifenden Nutzung der veranlagten Grundstücke der Beigeladenen fehle es. Die aktuellen Eigentumsverhältnisse der erwähnten Grundstücke beruhten ferner nicht auf einem Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten. Der Sohn R. der Beigeladenen habe die Parzelle 39 bereits im Jahre 1990 erworben und den Miteigentumsanteil an dem Flurstück 342/2 mit Notarvertrag vom 5. Juni 2009 zusammen mit dem Alleineigentum am Grundstück Parzelle 36/1. Diese Grundstücksübertragungen seien aus wirtschaftlich vernünftigen Gründen vorgenommen worden. Die mit einem Wohnhaus bebaute Parzelle 36/1 sei seinerzeit mit 260.000,00 € belastet gewesen. Diese Belastung hätten die Beigeladene und ihr Ehemann nicht mehr tragen können, nachdem sie schon im Jahre 2008 die Übernahme ihres Heizungsbaubetriebs durch ihren Sohn R. in die Wege geleitet hätten.

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Die Beigeladene beantragt,

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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte beantragt ebenfalls,

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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung der Beigeladenen zurückzuweisen.

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Sie hält die Heranziehung der Beigeladenen zu Vorausleistungen für rechtmäßig. Die übrigen Beitragspflichtigen könnten schutzwürdig darauf vertrauen, dass auch die Grundstücke der Beigeladenen in die Verteilung des beitragsfähigen Aufwands einbezogen würden. Die Flurstücke 37, 38, 40/1, 40/2 und 36/2 würden einheitlich baulich bzw. gewerblich genutzt. Ein Zugang zu der ausgebauten Straße „I. K.“ könne durch Öffnung des vor einigen Jahren zugemauerten Torbogens geschaffen werden, wenn dort ein Tor angebracht werde, das den Anforderungen des Brandschutzes genüge. Ungeachtet dessen könne ein vom Beitragspflichtigen selbst geschaffenes Zugangshindernis der Beitragspflicht nicht entgegenstehen. Außerdem habe die zuständige Denkmalfachbehörde gegen eine solche Maueröffnung keine Bedenken geäußert. Die Beigeladene nehme ferner tatsächlich Zugang zu ihrem Anteil am Gebäudekomplex über die Parzelle 342/2, auf der sich der Eingangsbereich zum Grundstück 36/1 (I. K.) befinde. Als der Sohn R. der Beigeladenen im Jahre 2009 den Miteigentumsanteil am Grundstück 342/2 erworben habe, sei der Ausbau der Verkehrsanlage „I. K.“ bereits öffentlich bekannt gemacht gewesen, so dass an einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten zu denken sei. Die Flurstücke 38, 37 und 36/2 der Beigeladenen seien auch qualifiziert nutzbar. Auf ihnen befänden sich massive Baulichkeiten, selbst wenn diese denkmalschutzrechtlichen Beschränkungen unterlägen. Die gewerbliche Nutzung dieser Parzellen ergebe sich aus der Vermietung an die R. M. GmbH, die sie als Lager für Heizungsbau- sowie Sanitärmaterial und die Grundstücke 40/1 und 40/2 als Parkplätze bzw. Mülltonnenplätze verwende. Die auf den Grundstücken 38, 37 und 36/2 befindliche Dachterrasse werde wohnakzessorisch genutzt.

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Der beklagte Landkreis führt aus, gegen eine Öffnung des zugemauerten Torbogens bestünden bauordnungsrechtliche Bedenken, weil es sich bei der betroffenen Hauswand der Parzelle 38 zum Flurstück 342/2 um eine Brandwand handele. Die Parzellen 37 und 38 der Beigeladenen seien ohne Veränderung der denkmalrechtlich geschützten Bausubstanz nur bedingt baulich oder gewerblich nutzbar, da eine solche Nutzung nur im Wege eines Abweichungsverfahrens gemäß § 69 Landesbauordnung – LBauO – ermöglicht werden könne.

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Durch Einnahme richterlichen Augenscheins hat der Senat Beweis über die Nutzungs- und Zugangsmöglichkeiten der veranlagten Grundstücke der Beigeladenen erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 24. Juni 2016 Bezug genommen.

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Die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten ergeben sich aus den zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätzen und den vorgelegten Verwaltungsvorgängen, die sämtlich Gegenstand der Beratung waren.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung der Beigeladenen, über die mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist begründet.

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Anders als das Verwaltungsgericht kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der angefochtene Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2014 nicht zu beanstanden ist. Vielmehr wurden damit die Vorausleistungsbescheide vom 20. Januar 2012 zu Recht aufgehoben. Denn diese verletzen die Beigeladene in ihren Rechten. Diese Vorausleistungsbescheide sind nach der im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids maßgeblichen Sach- und Rechtslage (1.) unabhängig davon rechtswidrig (3.), ob mit ihnen Vorausleistungen auf Erschließungsbeiträge oder auf Ausbaubeiträge erhoben werden sollen (2.).

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1. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 27. April 2004 – 6 A 10035/04 –, AS 31, 283 = NVwZ-RR 2005, 499, juris) basiert die Vorausleistungserhebung auf einer Prognose; sie umfasst nicht nur das Entstehen der endgültigen Beitragspflicht überhaupt, sondern auch deren Höhe. Die Rechtmäßigkeit dieser Prognose wird nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids gerichtlich überprüft (OVG RP, Urteil vom 19. März 2009 – 6 A 10750/08.OVG –, AS 37, 200, juris; OVG RP, Urteil vom 5. November 2013 – 6 A 10553/13.OVG –, AS 42, 77, juris). Bei der endgültigen Beitragserhebung kommt es hingegen maßgeblich auf den Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht an (vgl. etwa OVG RP, Urteil vom 11. November 2008 – 6 A 11081/08.OVG –, AS 37, 5, juris).

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2. Bei Erlass des Widerspruchsbescheids unterlagen die veranlagten Grundstücke der Beigeladenen nicht der Vorausleistungspflicht. Dabei kann offenbleiben, ob mit den von der Beigeladenen angefochtenen Bescheiden Vorausleistungen auf Erschließungsbeiträge oder aber Vorausleistungen auf Ausbaubeiträge erhoben werden sollen. Die Möglichkeit der Beitragserhebung ist im rheinland-pfälzischen Straßenausbaubeitragsrecht durch die Bestimmung des § 10 Abs. 5 Kommunalabgabengesetz − KAG − in ähnlicher Weise qualifiziert wie dies im Erschließungsbeitragsrecht durch den Begriff des „Erschlossenseins“ (§§ 131 Abs. 1 Satz 1, 133 Abs. 1 Satz 2 Baugesetzbuch − BauGB −) geschehen ist (OVG RP, Urteil vom 6. März 2002 – 6 A 11508/01.OVG –, AS 29, 386 = KStZ 2002, 237, juris). Die Ausbaubeitragspflicht hängt im Grundsatz ebenfalls davon ab, dass allein wegen der ausgebauten Straße und der von ihr vermittelten Zugänglichkeit ein Grundstück qualifiziert (baulich und/oder gewerblich) nutzbar ist (vgl. OVG RP, Urteil vom 20. Juni 2006 – 6 A 10158/06.OVG –, AS 33, 260 = NVwZ-RR 2007, 130, juris).

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Ein beitragspflichtiger Straßenausbau setzt allerdings die in der Vergangenheit erfolgte erstmalige endgü;ltige Herstellung der Straße voraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1988 – 8 C 72.87 –, NVwZ-RR 1989, 497). Angesichts der Ausführungen, die das verwaltungsgerichtliche Urteil hierzu enthält, sei darauf hingewiesen, dass unter "vorhandenen Erschließungsanlagen" i. S. d. § 242 Abs. 1 BauGB neben den vor dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes programmgemäß ausgebauten Straßen auch die "vorhandenen" Straßen im Sinne des ehemaligen Anliegerbeitragsrechts zu verstehen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 1995 – 8 C 12.94 –, DVBl 1996, 376). Das sind solche Straßen, die seinerzeit bereits existierten, deren Ausbauzustand den damals in der betreffenden Gemeinde geltenden Anforderungen an eine fertige Ortsstraße entsprach und die mit dem Willen der Gemeinde dem inneren Anbau sowie dem innerörtlichen Verkehr zu dienen bestimmt waren (OVG RP, Urteil vom 16. Januar 2001 – 6 A 10518/00.OVG –, AS 29, 13 = KStZ 2001, 117). Soweit das preußische Anliegerbeitragsrecht galt, konnte eine Straße nur "vorhanden" sein, wenn sie zum Anbau bestimmt war oder den Bestimmungen eines Ortsstatuts entsprechend programmgemä3; ausgebaut war (vgl. Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand 03/2016, § 8 Rn. 214). Auch durch Satzungen konnte festgelegt werden, unter welchen Voraussetzungen eine Straße als erstmals hergestellt zu betrachten war (vgl. OVG RP, Urteil vom 9. Februar 2011 – 6 A 11029/10.OVG –, NVwZ-RR 2011, 540; OVG RP, Urteil vom 5. Juli 2011 – 6 A 10235/11.OVG –, NVwZ 2011, 1343). Fehlen solche Beschlüsse der zuständigen Gemeindeorgane, kann sich aus Indizien (Pläne, Fotografien, Bebauung) ergeben, dass eine Straße schon damals „vorhanden“ war (OVG RP, Urteil vom 16. Januar 2001 – 6 A 10518/00.OVG –, AS 29, 13 = KStZ 2001, 117).

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Steht fest, dass vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes eine funktionstüchtige Anbaustraße vorhanden war, ist aber offen, ob der seinerzeitige Ausbauzustand der Anlage den Anforderungen entsprach, von denen das damals geltende Recht ihre endgültige Herstellung abhängig machte, muss sich die Gemeinde zu Gunsten der Anlieger so behandeln lassen, als sei die Straße schon endgültig hergestellt gewesen (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1988 – 8 C 72.87 –, NVwZ-RR 1989, 497). Gleiches gilt, wenn der Ausbauzustand einer Straße jahrzehntelang unverändert geblieben ist, so dass eine widerlegbare Vermutung für die Annahme spricht, die Gemeinde habe diesen Ausbauzustand als erstmalige Herstellung angesehen (OVG RP, Beschluss vom 3. Februar 2004 – 6 A 11786/03.OVG –; OVG RP, Urteil vom 12. April 2005 – 6 A 12155/04.OVG – AS 32, 179 = KStZ 2006, 58).

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Die weitere Voraussetzung, dass die betreffende Straße vor dem Inkrafttreten des Landesstraßengesetzes − LStrG −, also vor dem 1. April 1963, dem öffentlichen Verkehr zu dienen bestimmt war, kann in vielen Fällen aufgrund der gesetzlichen Vermutung des § 54 Satz 2 LStrG als gegeben angesehen werden. Danach wird für Straßen, die seit dem 31. März 1948 tatsächlich dem öffentlichen Verkehr dienten, vermutet, dass sie am 1. April 1963 die Eigenschaft einer öffentlichen Straße hatten und gemäß § 54 Satz 1 LStrG behalten haben. Greift die Vermutung des § 54 Satz 2 LStrG RP nicht, kann eine Straße gleichwohl bei Inkrafttreten des Landesstraßengesetzes eine öffentliche Straße gewesen (und geblieben) sein. Darauf hat das Verwaltungsgericht bereits hingewiesen.

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3. Die Bescheide, mit denen die Beigeladene zu Vorausleistungen herangezogen wurde, waren bei Erlass des Widerspruchsbescheids rechtswidrig. Denn die Straße „I. K.“ vermittelte den veranlagten Grundstücken (a) nicht die verkehrliche Erschließung, die Voraussetzung für eine qualifizierte Grundstücksnutzung war (b). Auf die erforderliche Zugänglichkeit zu der Straße „I. K.“ kann auch nicht mit Rücksicht auf eine berechtigte Erwartung der übrigen Beitragspflichtigen verzichtet werden (c).

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a) Bei der Vorausleistungserhebung waren die veranlagten Grundstücke der Beigeladenen nach der im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung bestehenden, nicht aber nach einer früheren Grundstücks- und Eigentümerkonstellation zugrunde zu legen. Zwar entsteht der Abgabenanspruch gemäß § 42 Abs. 1 Satz 2 Abgabenordnung − AO − i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 KAG im Falle eines Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Von einem Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten in diesem Sinne kann unter den vorliegenden Umständen aber nicht gesprochen werden. Der Erwerb der Parzelle 39 durch den Sohn R. der Beigeladenen im Jahre 1990 erfolgte schon angesichts der zeitlichen Distanz zu den hier in Rede stehenden Straßenbaumaßnahmen nicht unter dem Gesichtspunkt einer Vermeidung dafür anfallender Beiträge. Ob der Beigeladenen, ihrem Ehemann und ihrem Sohn R. im Jahre 2009, als dem Sohn das Grundstück 36/1 und ein halber Miteigentumsanteil an der Parzelle 342/2 übertragen wurden, bekannt war, dass die Klägerin beabsichtigte, die Straße „I. K.“ herzustellen bzw. auszubauen, kann unerörtert bleiben. Denn für diese Grundstücksübertragungen lagen wirtschaftlich anerkennenswerte Gründe vor. Es ist nachvollziehbar, dass der Ehemann der Beigeladenen, der dem Sohn R. den Heizungs- und Sanitärbetrieb übertragen hatte, sich von der Belastung zu befreien suchte, die in Höhe von 260.000,00 € auf dem Grundstück 36/1 ruhte. Die Beigeladene hat hierzu eigene Rentenbescheide und solche ihres Ehemannes vorgelegt und die Grundstücksbelastung glaubhaft gemacht.

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b) Die Grundstücke der Beigeladenen (Parzellen 37, 38, 36/2, 40/1 und 40/2) waren nicht wegen einer von der Stra3;e „;I. K.“ vermittelten Zugänglichkeit qualifiziert (baulich und/oder gewerblich) nutzbar (vgl. hierzu OVG RP, Urteil vom 20. Juni 2006 – 6 A 10158/06.OVG –, AS 33, 260 = KStZ 2006, 171, juris).

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aa) Dabei kann die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit einer wohnakzessorischen Nutzung der veranlagten Grundstücke als Garten- und Freizeitflächen unterstellt werden. Allerdings kommt eine wohnbauliche Nutzung aus Gründen des Denkmalschutzes nicht in Betracht. Dies ergibt sich aus der Stellungnahme der Unteren Denkmalschutzbehörde vom 10. Mai 1984, die selbst den Bau einer Garage für nicht genehmigungsfähig hält. Auch die zusätzliche Bebauung neben oder an dem vorbarocken Kellergebäude auf den Parzellen 38, 37 und 36/2 wird in dieser Stellungnahme ausgeschlossen. Diese Stellungnahme ist nicht –; wie die Klägerin meint – deshalb überholt, weil die Errichtung einer Mauer und die Anlegung von acht Stellplätzen auf den Grundstücken 40/1 und 40/2 im Jahre 1992 bauaufsichtsbehördlich genehmigt wurden. Denn diese untergeordneten Baulichkeiten bleiben hinter der denkmalschutzrechtlich ausgeschlossenen Errichtung von Gebäuden weit zurück. Auch aus der im Schreiben des Beklagten vom 14. Februar 2012 wiedergegebenen Stellungnahme der Denkmalfachbehörde zur Absicht der Beigeladenen, auf dem Grundstück 36/2 ein Büro mit Info-Café zu errichten, ergibt sich nicht, dass eine wohnbauliche Nutzung denkmalschutzrechtlich unbedenklich ist.

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Daneben kann unterstellt werden, dass die veranlagten Grundstücke der Beigeladenen mit Einschränkungen einer handwerklichen bzw. kleingewerblichen Nutzung offen stehen. In bauplanungsrechtlicher Hinsicht dürfte es sich um eine Innenbereichslage im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB handeln. Dabei braucht nicht entschieden zu werden, ob die Umgebung die Merkmale eines allgemeinen Wohngebiets (§ 4 Baunutzungsverordnung – BauNVO –), eines Dorfgebiets im Sinne des § 5 BauNVO oder eines Mischgebiets nach § 6 BauNVO aufweist. Denn selbst in einem allgemeinen Wohngebiet sind gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO nicht störende Handwerksbetriebe zulässig. Auf den Flurstücken 36/2, 40/1 und 40/2 können unter diesen Umständen beispielsweise Stellplätze für Kunden-, Mitarbeiter- und Firmenfahrzeuge eingerichtet werden. Das auf den Parzellen 38, 37 und 36/2 befindliche historische Kellergebäude kommt als Lagerraum für feuchtigkeitsunempfindliche Materialien in Betracht. Denn er ist, wie die Beweisaufnahme durch den Senat ergeben hat, stellenweise durchfeuchtet.

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bb) Es fehlt freilich an den bauordnungsrechtlichen Voraussetzungen der Erreichbarkeit, also der Zugänglichkeit von der Straße „I. K.“ aus.

31

Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 20. Juni 2006 − 6 A 10158/06.OVG −, AS 33, 260 = KStZ 2006, 171, juris; Urteil vom 11. November 2008 − 6 A 11081/08.OVG −, AS 37, 5) hängen Art und Beschaffenheit der erforderlichen Zugänglichkeit von der zulässigen, nicht von der tatsächlichen Nutzung des Grundstücks ab. Dieses Erfordernis gebietet grundsätzlich, dass auf ein bauplanungsrechtlich gewerblich nutzbares Grundstück auch mit Lastkraftwagen heraufgefahren werden kann (OVG RP, Beschluss vom 31. Januar 2012 − 6 B 11387/11.OVG −; OVG NRW, Beschluss vom 6. Juni 2012 − 15 A 2293/11 −). In einem Wohngebiet oder Mischgebiet ist ein Grundstück durch eine Anbaustraße regelmäßig erschlossen, wenn sie die Möglichkeit eröffnet, mit Personen- und Versorgungsfahrzeugen an die Grenze des Grundstücks heranzufahren und es von dort aus zu betreten, es sei denn, ein Bebauungsplan enthält hierzu ausdrücklich andere Festsetzungen (BVerwG, Urteil vom 28. März 2007 − 9 C 4.06 −, BVerwGE 128, 246; OVG RP, Urteil vom 21. August 2007 − 6 A 10527/07.OVG −, AS 35, 71).

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Die danach erforderliche Zugänglichkeit muss nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich gesichert sein. Für die Beurteilung der bauordnungsrechtlichen Zugänglichkeit sind allerdings vertragliche Berechtigungen grundsätzlich nicht von Bedeutung. Vielmehr bedarf es gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 LBauO einer öffentlich-rechtlich gesicherten Zufahrt bzw. eines solchen Zugangs. Für bereits zulässigerweise bebaute Grundstücke reicht zur rechtlichen Sicherung ihrer Erschließung nach der Rechtsprechung des Senats (OVG RP, Urteil vom 27. April 2004 – 6 A 10035/04.OVG –, AS 31, 283 = NVwZ-RR 2005, 499, juris) auch eine Grunddienstbarkeit, also eine dinglich gesicherte Zufahrt aus. Ferner kann einem mit Genehmigung bebauten Hinterliegergrundstück die gemäß § 10 Abs. 5 KAG (bzw. § 133 Abs. 1 BauGB) zur Begründung der Beitragspflicht erforderliche rechtlich gesicherte Zufahrts- oder Zugangsmöglichkeit auch durch ein Notwegerecht gemäß § 917 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch − BGB – vermittelt werden (OVG RP, Urteil vom 16. November 2000 – 6 A 10411/00.OVG –, KStZ 2001, 115, juris).

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cc) Diese Voraussetzungen waren weder für das einzige unmittelbar an der Straße „I. K.“ liegende Grundstück Parzelle 38 noch für eine Grundstückseinheit aus diesem und den Nachbarflurstücken 37 sowie 36/2 erfüllt. Denn es fehlte an der Möglichkeit, diese Grundstücke zum Zwecke einer wohnakzessorischen Nutzung von der Straße „I. K.“ aus zu betreten. Das auf den Parzellen 38, 37 und 36/2 errichtete denkmalgeschützte Bauwerk, das aus einem überdachten Gewölbekeller besteht, weist keine Ö;ffnung auf, die einen Zutritt von der Straße „I. K.“ aus ermöglicht. Aus Gründen des Denkmalschutzes wäre es der Beigeladenen auch verwehrt, eine solche Öffnung von dem Teil der Parzelle 38 zu schaffen, der unmittelbar an die Straßenparzelle grenzt. Gleiches gilt für eine handwerkliche bzw. kleingewerbliche Nutzung, sofern man auch insoweit ein Heranfahren- und Betretenkönnen ausnahmsweise genügen lässt. Setzt man die erwähnte Möglichkeit voraus, mit einem Kraftwagen auf die Grundstücke Parzellen 38, 37 und 36/2 zu gelangen, war die erforderliche Zugänglichkeit erst recht nicht gegeben.

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dd) Angesichts dessen könnte die verkehrliche Erreichbarkeit der veranlagten Grundstücke der Beigeladenen allenfalls mittelbar über ein Anliegergrundstück der Straße „I. K.“ gesichert gewesen sein. Als Hinterliegergrundstücke fehlte ihnen indessen ebenfalls die erforderliche Zugänglichkeit von der Straße „I. K.“. Denn sie waren weder durch Inanspruchnahme der im Eigentum der Beigeladenen und ihres Sohnes R. stehende Parzelle 342/2 noch durch Benutzung der Parzelle 39, die dem Sohn der Beigeladenen als Alleineigentümer gehört, rechtlich gesichert erreichbar.

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Ein Zugang zu den veranlagten Grundstücken über die Parzelle 36/1 (I. K.) schied bereits deshalb aus, weil dieses Grundstück selbst keine gemeinsame Grenze mit der abgerechneten Verkehrsanlage aufweist und auch die dazwischen liegende Anliegerparzelle 342/2 die Zugänglichkeit nicht vermittelt, wie noch ausgeführt wird. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, dass die Beigeladene und ihr Ehemann zumindest Teile des Wohnhauses I. K. (Parzelle 36/1) gemietet haben. Solche vertraglichen Berechtigungen sind – wie erwähnt – für die Beurteilung der bauordnungsrechtlichen und der beitragsrechtlichen Zugänglichkeit nicht von Bedeutung.

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Eine öffentlich-rechtliche Sicherung einer Zufahrt bzw. eines Zugangs über das Grundstück 342/2 bzw. die Parzelle 39 bestand ebenso wenig wie eine dingliche, etwa durch Eintragung einer Grunddienstbarkeit. Dies ergibt sich einerseits aus der diesbezüglichen Erklärung der Vertreterin des Beklagten im Termin zur Beweisaufnahme und andererseits aus den von der Beigeladenen vorgelegten Grundbuchauszügen. Deshalb kann offen bleiben, ob die Parzellen 38, 37 und 36/2 als bereits “zulässigerweise“ bebaut anzusehen sind, so dass eine Grunddienstbarkeit als Sicherung genügt hätte. Der Beigeladenen stand auch kein Notwegerecht an dem Flurstück 342/2 oder der Parzelle 39 zu. Ein solches Notwegerecht gemäß § 917 Abs. 1 BGB besteht als Befugnis zur Inanspruchnahme fremden Eigentums nur, wenn ein bebautes Grundstück zu seiner bestimmungs- und ordnungsgemäßen Nutzung auf eine Verbindung zu einer öffentlichen Straße dauerhaft angewiesen ist, anders als mit Hilfe des Notwegerechts die notwendige Zugangs- bzw. Zufahrtsmöglichkeit aber nicht hat (vgl. OVG RP, Urteil vom 12. Juni 2007 – 6 A 10323/07.OVG –, KStZ 2008, 33, juris; OVG RP, Urteil vom 6. Dezember 2005 – 6 A 10984/05.OVG –). Da die Beigeladene ihre veranlagten Grundstücke zum Zwecke der wohnakzessorischen und der gewerblichen Nutzung ohne Weiteres über die A.-Straße erreichen kann, von dort sogar eine Zufahrt auf die Parzelle 40/1 angelegt ist, scheidet die Berufung auf ein Notwegerecht über fremde Anliegergrundstücke der Straße „I. K.“ zur wegemäßigen Erschließung ihrer Grundstücke aus.

37

Deshalb fehlte es an der erforderlichen rechtlichen Sicherung eines Zugangs selbst für den Fall, dass es denkmalschutz- und bauordnungsrechtlich zulässig sein sollte, den zugemauerten Torbogen wieder zu öffnen und von der Parzelle 38 unmittelbar auf das Grundstück 342/2 zu gelangen.

38

c) Auf die erforderliche Zugänglichkeit zu der Straße „I. K.“ kann auch nicht mit Rücksicht auf eine berechtigte Erwartung der übrigen Beitragspflichtigen verzichtet werden.

39

aa) Diese Erwägung ist eine Art "letzter Korrekturansatz", der eingreift, wenn die verkehrliche Erreichbarkeit und damit das Erschlossensein eines Grundstücks nach bebauungsrechtlichen Kriterien zu verneinen sind, dies aber zu mit der Interessenlage billigerweise nicht zu vereinbarenden Ergebnissen im Rahmen der Beitragserhebung führen würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 2006 − 9 C 4.05 −, BVerwGE 126, 378, juris). Damit wird deutlich, dass dieser Gesichtspunkt, der im Erschließungsbeitragsrecht nur im Rahmen des die sog. Verteilungsphase bestimmenden § 131 Abs. 1 BauGB relevant ist (BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2010 – 9 C 1.09 –, BVerwGE 136, 126, juris), letztlich in dem auch im Beitragsrecht Geltung beanspruchenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wurzelt. Dies bedeutet auch für das Ausbaubeitragsrecht, dass ein Rückgriff auf den Grundsatz von Treu und Glauben, der auch das Verbot widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) umfasst (vgl. OVG RP, Beschluss vom 20. Mai 2011 – 6 A 10314/11.OVG –), nicht (zusätzlich) in Betracht kommt, wenn die Erwartung der übrigen Beitragspflichtigen, die veranlagten Grundstücke der Beigeladenen seien in die Aufwandsverteilung einzubeziehen, nicht berechtigt ist.

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Eine solche schutzwürdige Erwartung der übrigen Beitragspflichtigen hat das Bundesverwaltungsgericht zunächst für den Fall angenommen, dass ein Hinterliegergrundstück zwar durch ein selbstständig bebaubares Anliegergrundstück desselben Eigentümers von der Erschließungsanlage getrennt ist, jedoch tatsächlich durch eine Zufahrt über dieses Grundstück mit der Anlage verbunden ist (Urteile vom 1. April 1981 – 8 C 5.81 – Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 37 und vom 27. Mai 1981 – 8 C 9.81 – Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 38). Später hat es ein Erschlossensein i. S. v. § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB im Fall der Eigentümeridentität auch bei einer einheitlichen Nutzung von Hinter- und Anliegergrundstück bejaht (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. März 2007 – 9 C 4.06 –, BVerwGE 128, 246, juris). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass es im Allgemeinen dem Grundstückseigentümer möglich ist, mit Blick auf eine Erschließungsanlage den bauplanungs- und bauordnungsrechtlichen Erreichbarkeitsanforderungen zu genügen, beispielsweise durch Vereinigung von Anlieger- und Hinterliegergrundstück oder durch Bestellung einer Baulast.

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Hinterliegergrundstücke, denen ein Anliegergrundstück die Erreichbarkeit in dem erforderlichen Umfang und damit die wegemäßige Erschließung vermittelt, können auch dann i. S. d. § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossen sein, wenn die Eigentümer von Anlieger- und Hinterliegergrundstück verschieden sind. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es der Eigentümer des Hinterliegergrundstücks in der Hand hat, die baurechtlichen Erreichbarkeitserfordernisse unter Inanspruchnahme des Anliegergrundstücks zu erfüllen (OVG RP, Urteil vom 2. Juli 2004 – 6 A 10578/04.OVG –, juris).

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Gleiches gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 28. März 2007 – 9 C 4.06 –, BVerwGE 128, 246, juris), wenn es in der Hand nur eines von mehreren Miteigentümern des Hinterliegergrundstücks liegt, der zugleich Alleineigentümer des Anliegergrundstücks ist, den Bebaubarkeitsanforderungen zu genügen.

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Steht allerdings ein Hinterliegergrundstück im Alleineigentum eines von mehreren Miteigentümern des Anliegergrundstücks und erfüllt es nicht die baurechtlichen Erreichbarkeitsanforderungen, so kann im Regelfall nicht angenommen werden, dass es verkehrlich erschlossen ist, weil es nicht allein von einer Entscheidung des Eigentümers des Hinterliegergrundstücks abhängt, ob diesen Anforderungen entsprochen werden kann (BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2010 – 9 C 1.09 –, BVerwGE 136, 126, juris). Insbesondere steht dem Eigentümer des Hinterliegergrundstücks nicht ohne Weiteres ein Anspruch aus einer Bruchteilsgemeinschaft am Anliegergrundstück auf Einräumung einer rechtlich gesicherten Zufahrt zur Seite. Denn die (Bruchteils-)Gemeinschaft an einem Anliegergrundstück ist nicht − wie etwa die Gesellschaft − eine schuldrechtliche Zweck- und Zweckförderungsgemeinschaft. Das Wesen der Gemeinschaft besteht in der gemeinschaftlichen Innehabung eines Rechts, umfasst jedoch nicht die Verpflichtung jedes Miteigentümers, an der Herbeiführung eines bestimmten Erfolgs mitzuwirken, wie beispielsweise der Ermöglichung einer Zufahrt vom Anliegergrundstück zum Hinterliegergrundstück (BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2010 – 9 C 1.09 –, BVerwGE 136, 126, juris).

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Schutzwürdig kann die Erwartung der übrigen Beitragspflichtigen, rechtlich nicht erschlossene Grundstücke am beitragsfähigen Aufwand zu beteiligen, nicht nur aufgrund der dargestellten rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten, sondern auch wegen besonderer tatsächlicher Umstände sein. Wenn eine Straße tatsächlich, rechtlich aber nicht gesichert von einem qualifiziert nutzbaren Hinterliegergrundstück aus in Anspruch genommen wird, kann die Einbeziehung dieses Grundstücks auch im Falle der Eigentümerverschiedenheit von Anlieger- und Hinterliegergrundstück ausnahmsweise in Betracht zu ziehen sein. Entscheidend ist dabei, ob die tatsächlichen Verhältnisse den übrigen Beitragspflichtigen den Eindruck vermitteln, es könne mit einer beitragsrechtlich (noch) relevanten Wahrscheinlichkeit typischerweise mit einer Inanspruchnahme der Anbaustraße (auch) durch das Hinterliegergrundstück gerechnet werden, die dessen Belastung mit einem Erschließungsbeitrag rechtfertigt (BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1997 – 8 C 27.96 –, NVwZ-RR 1998, 67, juris). Diese Voraussetzung hat das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 17. Juni 1994 – 8 C 24.92 –, BVerwGE 96, 116, juris; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 27. September 2006 – 9 C 4.05 –, BVerwGE 126, 378, juris) ausnahmsweise bei einer tatsächlich bestehenden Zufahrt zu der Erschließungsanlage als erfüllt angesehen, die es dem Eigentümer des Hinterliegergrundstücks ermöglichte, die Straße im selben Umfang zu nutzen, wie dies auch von den Anliegergrundstücken aus der Fall war.

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bb) Nach diesen Maßstäben ist nichts dafür ersichtlich, dass es die Beigeladene in der Hand hatte, die Erreichbarkeitserfordernisse für ihre veranlagten Grundstücke zu erfüllen. Insbesondere kann nicht angenommen werden, der Sohn der Beigeladenen sei verpflichtet gewesen, der Beigeladenen den Zugang zu diesen Grundstücken über die Parzelle 342/2 zu ermöglichen. Denn in Bezug auf das Eigentum an dieser Anliegerparzelle bestand lediglich eine Bruchteilsgemeinschaft der Beigeladenen und ihres Sohnes.

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Sich einen Zugang über die im Alleineigentum des Sohnes der Beigeladenen stehende Parzelle 39 zu verschaffen, lag ebenso wenig in der Hand der Beigeladenen. Dass der Sohn im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids über sein eigenes Grundstück Parzelle 39 die von ihm für seinen Heizungs- und Sanitärbetrieb gemieteten Teile der veranlagten Grundstücke der Beigeladenen erreichen konnte, ergibt sich aus seiner Eigentümerstellung an dem Anliegergrundstück Parzelle 39, nicht aber aus einer Berechtigung der Beigeladenen.

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cc) Auch die im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung (noch) gegebene tatsächliche Möglichkeit einer Inanspruchnahme der Straße „I. K.“ von den veranlagten Grundstücken der Beigeladenen aus vermochte eine berechtigte Erwartung der übrigen Beitragspflichtigen, auch diese Grundstücke müssten in die Aufwandsverteilung einbezogen werden, nicht zu begründen. Denn weder die wohnakzessorische noch die gewerbliche Nutzung vermittelten der Beigeladenen einen Erschließungs- bzw. Ausbauvorteil durch die Straße „I. K.“, wie er für die Anliegergrundstücke typisch war.

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Einerseits bestand keine Zufahrt über das Flurstück 342/2 oder die Parzelle 39 zu den Grundstücken der Beigeladenen. Die Parzelle 39 ist nur ca. 2 m breit und bot seinerzeit lediglich einen Durchgang zum Grundstück 40/1.

">49

Andererseits fehlte es auch im Übrigen den Grundstücken der Beigeladenen an einem Erschließungs- bzw. Ausbauvorteil durch die Straße „I. K.“, der demjenigen eines Anliegergrundstücks vergleichbar war.

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Hinsichtlich der Parzelle 342/2 ergibt sich dies aus dem Umstand, dass zwischen ihr und den Grundstücken der Beigeladenen die Parzelle 36/1 liegt. Dass das dort befindliche Wohnhaus zum Teil von der Beigeladenen und ihrem Ehemann gemietet war und eine darauf bezogene wohnakzessorische Nutzung der veranlagten Grundstücke möglich gewesen sein mag, bleibt weit hinter den Nutzungsmöglichkeiten der Anliegergrundstücke zurück und ließ zudem eine beitragsrechtlich relevant wahrscheinliche Inanspruchnahme der Straße „I. K.“ von den veranlagten Grundstücken der Beigeladenen aus nicht erwarten.

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Ähnliches gilt für die seinerzeit vorhandene Möglichkeit, die Straße „I. K.“ über die im Eigentum des Sohnes der Beigeladenen stehende Parzelle 39 zu erreichen. Von einer ins Gewicht fallenden Inanspruchnahme der Verkehrsanlage „I. K.“ über das Flurstück 39 war schon angesichts der beengten Straßenverhältnisse am östlichen Ende der Straße „I. K.“, des nur ca. 2 m breiten Zugangs über das Grundstück 39 und im Hinblick auf die demgegenüber wesentlich einfacher zu verwirklichende Zufahrt von der A.-Straße nicht zu rechnen. Lastkraftwagen, mit denen Material angeliefert bzw. abtransportiert wurde, konnten im östlichen Teil der Straße „I. K.“ nicht wenden, sondern mussten entweder rückwärts vorfahren oder aber rückwärts den Bereich vor den Grundstücken 39, 38 und 342/2 wieder verlassen. Weil mit Kraftwagen weder auf die Parzelle 39 noch über sie auf die Grundstücke der Beigeladenen zu gelangen war, musste Material, das über die Straße „I. K.“ angeliefert und im Gewölbekeller gelagert werden sollte, relativ umständlich von dieser Straße dorthin verbracht werden. Demgegenüber war die Anfahrt über die A.-Straße und ein Herauffahren auf die Grundstücke der Beigeladenen durch das dort befindliche Tor wesentlich einfacher. Außerdem eignete sich der stellenweise durchfeuchtete Gewölbekeller auf den Parzellen 38, 37 und 36/2 nur sehr eingeschränkt als Lagerraum, nämlich allenfalls für feuchtigkeitsunempfindliche Materialien, also bestenfalls für einen kleinen Teil der Gegenstände, die in einem Heizungsbau- und Sanitärbetrieb benötigt werden. Für die Lagerung beispielsweise von Badmöbeln kam der Gewölbekeller nicht ernsthaft in Betracht. Soweit die unbebauten Grundstücke der Beigeladenen der R. M. GmbH als Mülltonnenplätze und als Parkplätze zur Verfügung standen, war deren Erreichen ohnehin nur über die A.-Straße, nicht aber über die Straße „I. K.“ möglich. Damit lässt sich allenfalls von einem im Verhältnis zu den übrigen Grundstücken des Abrechnungsgebiets geringfügigen Vorteil sprechen, den die veranlagten Grundstücke der Beigeladenen im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung durch die tatsächliche Inanspruchnahme der Straße „I. K.“ hatten (vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 1996 – 8 C 21.95 –, NVwZ 1998, 73, juris) und der eine berechtigte Erwartung der übrigen Beitragspflichtigen, auch diese Grundstücke müssten in die Aufwandsverteilung einbezogen werden, nicht zu begründen vermochte.

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dd) Ohne dass die aktuelle Situation wegen des hier maßgeblichen Zeitpunkts der Widerspruchsentscheidung für die Entscheidung von Bedeutung ist, sei darauf hingewiesen, dass nach der mittlerweile offenbar aufgegebenen Nutzung des Gewölbekellers als eines gewerblichen Lagerraums und nach der Beseitigung des Durchgangs über die Parzelle 39 auf die veranlagten Grundstücke der Beigeladenen von einer schützenswerten Erwartung des erwähnten Inhalts erst recht nicht mehr gesprochen werden kann.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind der Klägerin aufzuerlegen, da die Berufung der Beigeladenen Erfolg hatte und die Klage abgewiesen wurde.

54

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

55

Revisionszulassungsgründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art liegen nicht vor.

Beschluss

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Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 23.508,66 € festgesetzt (§§ 52 Abs. 3, 47 Abs. 1 GKG).

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