Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (7. Senat) - 7 C 10326/16

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Tenor

Die Verbotsverfügung des Beklagten vom 10. März 2016 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des jeweils vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger sind Mitglieder des nicht rechtsfähigen Vereins „Hells Angels Motorrad Club Bonn“. Sie begehren die Aufhebung einer gegen den Verein ergangenen Verbotsverfügung nach dem Vereinsgesetz. Bei den Klägern handelt es sich um 14 der 15 zum Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung bekannten Vereinsmitglieder, denen die gegen den Verein gerichtete Verbotsverfügung zugestellt wurde. Zu den 14 Klägern gehören neben neun einfachen Mitgliedern („Member“) mit dem „President“, „Vice-President“, „Secretary“, „Sergeant at Arms“ und „Treasurer“ auch die Funktionsträger des Vereins.

2

Das Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur Rheinland-Pfalz erließ unter dem 10. März 2016 gegenüber dem Verein „Hells Angels Motorradclub Bonn“ folgende unter anderem auf § 3 des Vereinsgesetzes – VereinsG – gestützte Verfügung:

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1. Der Zweck und die Tätigkeit des Vereins "Hells Angels MC Bonn" laufen den Strafgesetzen und der verfassungsmäßigen Ordnung zuwider.

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2. Der Verein "Hells Angels MC Bonn" ist verboten. Er wird aufgelöst.

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3. Es ist verboten, Kennzeichen des Vereins "Hells Angels MC Bonn" für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbots öffentlich, in einer Versammlung oder in Schriften, Ton- und Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen, die verbreitet werden können oder zur Verbreitung bestimmt sind, zu verwenden.

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4. Dem Verein "Hells Angels MC Bonn" ist jede Tätigkeit untersagt. Es ist verboten, Ersatzorganisationen zu bilden oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisation fortzuführen.

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5. Das Vermögen des Vereins "Hells Angels MC Bonn" wird beschlagnahmt und zugunsten des Landes Rheinland-Pfalz eingezogen. Forderungen und Sachen Dritter werden beschlagnahmt und eingezogen, soweit der Berechtigte durch Überlassung der Sachen an den Verein "Hells Angels MC Bonn" deren verfassungswidrige Bestrebungen und strafrechtswidrige Zwecke und Tätigkeiten vorsätzlich gefördert hat oder die Sachen zur Förderung dieser Zwecke und Tätigkeiten bestimmt sind.

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6. Die sofortige Vollziehung dieser Verfügung wird angeordnet, dies gilt nicht für die in Nr. 5 genannten Einziehungen.

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Zur Begründung ist in der Verfügung im Wesentlichen ausgeführt, der Verein erfülle die Voraussetzungen für ein Verbot durch das Innenministerium des Landes Rheinland-Pfalz gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VereinsG, da sich die erkennbare Organisation und Tätigkeit des Vereins auf das Gebiet des Landes Rheinland-Pfalz beschränkten. Zweck und Tätigkeit des Vereins liefen im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG den Strafgesetzen zuwider. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen bestehe gegen Mitglieder des Vereins "Hells Angels MC Bonn" aufgrund bestimmter Tatsachen der Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 StGB, der gefährlichen Körperverletzung, der Nötigung und weiterer Straftaten. Die Handlungen seiner Mitglieder seien dem Verein auch zurechenbar, weil sie zumindest mit Wissen und Billigung der Funktionsträger des Vereins und in einigen Fällen auch mit deren Beteiligung begangen worden seien. Die Straftaten charakterisierten insgesamt das von strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen geprägte Vereinsleben und kennzeichneten das tatsächliche Ziel und den wirklichen Zweck der Vereinstätigkeit. Darüber hinaus richteten sich Zweck und Tätigkeit des Vereins auch gegen die verfassungsmäßige Ordnung.

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Die Kläger zu 1. bis 14. haben am 11. April 2016 als Mitglieder des verbotenen, nicht rechtsfähigen Vereins Klage gegen die Verbotsverfügung vom 10. März 2016 erhoben. Die Verbotsverfügung sei bereits aus formellen Gründen offensichtlich rechtswidrig. Der Beklagte führe selbst aus, dass der Verein als sein „Macht- und Einflussgebiet“ neben Teilen des nördlichen Rheinland-Pfalz auch Teilbereiche des Großraums Bonn beanspruche. Ausgehend davon habe der Beklagte die Grenzen seiner Zuständigkeit nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VereinsG überschritten. Die angefochtene Verfügung könne schon deshalb keinen Bestand haben, ohne dass es auf die mit der Verbotsverfügung aufgeworfenen Sachfragen ankomme, zu denen die Kläger ebenfalls vortragen und unter anderem eine unzureichende Sachverhaltsermittlung und Beweiswürdigung rügen. Zur weiteren Begründung der Klage machen sich die Kläger die Ausführungen des Senats zu fehlenden Zuständigkeit des Beklagten im Beschluss vom 26. Juli 2016 – 7 B 10327/16.OVG – zu Eigen, mit dem die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verbotsverfügung wiederhergestellt worden ist.

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Die Kläger beantragen,

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die Verbotsverfügung des Beklagten vom 10. März 2016 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung seiner Zuständigkeit verweist der Beklagte auf die Ausführungen in der angefochtenen Verfügung und hebt nochmals hervor, dass sich der Tätigkeitsbereich des Vereins überwiegend auf das Gebiet von Rheinland-Pfalz erstrecke. Es sei deutlich gemacht worden, dass die überwiegende Anzahl der die Grundlage des Vereinsverbots bildenden Straftaten in Rheinland-Pfalz begangen worden seien. In diesen Fällen komme die Rechtsprechung einhellig zu dem Ergebnis, dass es für die Beurteilung der Zuständigkeit von Bedeutung sei, ob die länderübergreifende Tätigkeit anhaltend und von Bedeutung sei. Eine Zuständigkeit des Bundes sei nach obergerichtlicher Rechtsprechung nicht bereits dann begründet, wenn einzelne, zeitlich begrenzte Handlungen, die verbotsbegründend seien, einen überregionalen Bezug aufwiesen. Dadurch verlagere sich nicht der Schwerpunkt der Vereinstätigkeit. Außerhalb von Rheinland-Pfalz seien lediglich drei Vorfälle zu verzeichnen, die als bedeutend qualifiziert werden könnten, während in Rheinland-Pfalz immerhin 22 Vorfälle erfasst worden seien, die in ihrer Mehrzahl von hoher krimineller Energie gekennzeichnet gewesen seien. Damit sei die Zuständigkeit des Landes auch nach der Rechtsprechung zu bejahen. Darüber hinaus verteidigt der Beklagte die materielle Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung.

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Der Senat hat mit Beschluss vom 26. Juli 2016 – 7 B 10327/16.OVG – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verbotsverfügung des Beklagten vom 10. März 2016 wiederhergestellt. Mit Beschluss vom 4. Januar 2017 hat der Senat entschieden, das Verfahren abweichend von der Anregung des Beklagten nicht auszusetzen. Der Beklagten begründete seine Anregung damit, dass in Konsequenz des Beschlusses vom 26. Juli 2016 – 7 B 10327/16.OVG –, mit dem ihm die Zuständigkeit für den Erlass der Verbotsverfügung abgesprochen worden sei, nunmehr das Bundesministerium des Innern den Verein „Hells Angels Motorrad Club Bonn“ mit Verfügung vom 11. November 2016 verboten habe. Es sei nicht auszuschließen, dass das Bundesverwaltungsgericht bei der Prüfung der Zuständigkeit im Verfahren gegen die Verbotsverfügung des Bundes zu einem anderen Ergebnis kommen könnte.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten unter Einbeziehung derjenigen im Verfahren 7 B 10327/16.OVG und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der Beratung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die das Gericht im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet. Die Verbotsverfügung des Beklagten vom 10. März 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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1. Die Klage ist zulässig.

20

a. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zur Anfechtung der Verbotsverfügung regelmäßig nur der verbotene Verein und nicht auch jedes einzelne Mitglied befugt. Begründet wird dies damit, dass die Verbotsverfügung nicht die individuelle Rechtsstellung natürlicher Personen betreffe, sondern die Rechtsstellung der verbotenen Vereinigung als einer Gesamtheit von Personen. Sofern das Vereinsverbot Rechte verletze, könnten dies nur Rechte der verbotenen organisierten Personengesamtheit sein. Danach kann ein Vereinsverbot von der in Anspruch genommenen Vereinigung in einem weiteren Umfang der gerichtlichen Kontrolle zugeführt werden als von den Personen, die von der Verbotsbehörde als Vereinsmitglieder angesehen werden. Insbesondere eine Überprüfung des Vorliegens von Verbotsgründen nach § 3 Abs. 1 Vereinsgesetz – VereinsG – i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz – GG – kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in einem Verfahren nur der Vereinsmitglieder nicht erreicht werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2014 – 6 A 3.13 –, juris, Rn. 11; Beschlüsse vom 19. Juli 2010 – 6 B 20.10 –, juris, Rn. 14, vom 4. Juli 2008 – 6 B 39.08 –, juris, Rn. 5 und vom 2. März 2001 – 6 VR 1.01 –, juris; jeweils mit Ausführungen zum Inhalt des eingeschränkten Rügerechts der Mitglieder; vgl. auch VGH BW, Beschluss vom 31. Juli 1989 – 1 S 3675/88 –, NJW 1990, 61 [61], zur Zulässigkeit der kumulativen Anfechtung durch den verbotenen Verein und die Mitglieder).

21

Allerdings ist die Klagebefugnis der Vereinsmitglieder gegeben, soweit – wie hier – Verstöße gegen die Regelung über die Zuständigkeit nach § 3 Abs. 2 VereinsG gerügt werden (im Ergebnis auch SächsOVG, Urteil vom 12. November 2015 – 3 C 12/13 –, juris, Rn. 25). Die Zuständigkeit des Bundesministers des Innern gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VereinsG beruht innerhalb der Verwaltungskompetenzzuordnung zwischen Bund und Ländern gemäß Art. 83 ff. GG, die ihrerseits ein Element „zusätzlicher funktionaler Gewaltenteilung“ darstellt (vgl. BVerfG, Urteil vom 15. Juli 2003 – 2 BvF 6/98 –, juris, Rn. 44 = BVerfGE 108, 169 [181]), auf einer ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Ermächtigung (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1988 – 1 A 89.83 –, juris, Rn. 26 = BVerwGE 80, 299; dazu auch Groh, VereinsG, 2012, § 3 Rn. 27). Das Handeln der in Abgrenzung nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 VereinsG (verbands-)unzuständigen Verbotsbehörde begründet eine absolute sachliche Unzuständigkeit (vgl. dazu BayVGH, Beschluss vom 8. Oktober 1987 – 20 CS 87.02821 –, NVwZ 1988, 749 [749]; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage 2014, § 46 Rn. 42 f. und § 44 Rn. 165, 170). Dies zusammengenommen mit der Stellung der Vereinsmitglieder, denen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwar hinsichtlich der Verbotsgründe selbst kein Rügerecht zukommt, die aber dennoch nicht bloß als Außenstehende von dem Verfahren betroffen sind, sondern einerseits beschränkt materielle subjektive Rechte geltend machen können und andererseits in einer jedenfalls nah an einer eigenen Klagebefugnis begründenden Weise auch in ihren subjektiven Rechten betroffen sind, rechtfertigt es, den Mitgliedern auch eine Klagebefugnis hinsichtlich der isolierten Rüge der absoluten sachlichen Unzuständigkeit im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 VereinsG einzuräumen.

22

b. Lehnte man – entgegen der Ansicht des Senats – eine Klagebefugnis der Vereinsmitglieder auch hinsichtlich der Zuständigkeit nach § 3 Abs. 2 Satz 1 VereinsG ab, wäre die Klage vorliegend gemäß § 88 VwGO als Klage des verbotenen Vereins umzudeuten gewesen.

23

Nach § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren zwar nicht hinausgehen. Es ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden, sondern hat vielmehr das im Klageantrag und im gesamten Parteivorbringen zum Ausdruck kommende Rechtsschutzziel zu ermitteln (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1980 – 2 C 30/78 –, juris, Rn. 21 = BVerwGE 60, 144 [149]). Die Klage der Kläger zu 1. bis 14. ist durch deren Prozessbevollmächtigten mit dem Zusatz „als Mitglieder des nicht rechtsfähigen Vereins 'Hells Angels Motorrad Club Bonn'“ erhoben worden. Damit hat der Prozessbevollmächtigte bei der nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderlichen Bezeichnung der klagenden Partei eindeutig nicht den verbotenen Verein, sondern 14 der 15 zum Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung bekannten Mitglieder des Vereins in Person aufgeführt, indes gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass es um deren Stellung „als Mitglieder des Vereins“ geht. In der Klagebegründung werden sodann zwar auch „Verbotsgründe gegen die Kläger“ (vgl. Bl. 2 der Gerichtsakte – GA –) thematisiert, gleichzeitig wird jedoch auf die „klagende Vereinigung“ (vgl. Bl. 2 und 3 GA) Bezug genommen. Mithin bestehen aus objektiver Sicht Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger gemeinsam Rechte der verbotenen organisierten Personengesamtheit mit dem Ziel, die Verbotsverfügung aufzuheben, geltend machen wollten und dafür im Klageantrag die Personengesamtheit anstelle der Vereinigung als Kläger bezeichnet haben.

24

Einer Umdeutung stünde auch nicht eine fehlende Vertretungsbefugnis für die verbotene Vereinigung entgegen, die ungeachtet ihrer Rechtsform nach § 61 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähig ist und im Rechtsstreit gemäß § 62 Abs. 3 VwGO durch ihre gesetzlichen Vertreter bzw. ihren Vorstand vertreten wird (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 19. Juli 2010 – 6 B 20/10 –, juris, Rn. 14, m.w.N.). Ausgehend davon, dass sich die Frage, wer gesetzlicher Vertreter ist, nach dem materiellen Recht bestimmt (vgl. nur Bier, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2016, § 62 Rn. 17), ist hinsichtlich des nicht rechtsfähigen Vereins zu berücksichtigen, dass trotz der Verweisung in § 54 Satz 1 BGB auf die Vorschiften über die Gesellschaft weitgehend die Vorschriften des Vereinsrechts nach §§ 21 ff. BGB zur Anwendung kommen (vgl. Otto in: Stöber/Otto, Handbuch zum Vereinsrechts, 11. Aufl. 2016, Rn. 1499 ff.; Heinrich Dörner, in: HK-BGB, 9. Auflage 2017, § 54 Rn. 3; Schöpflin, in: Bamberger/Roth, BGB, Stand: November 2016, § 54 Rn. 50; offen gelassen BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2015 – 1 B 18/15 –, juris, Rn. 10 m.w.N. zur zivilrechtlichen Literatur). Dies zugrunde gelegt besteht auf Seiten der Kläger zu 1. bis 14. unabhängig davon, ob der „President“ allein als Vorstand anzusehen ist oder ob die weiteren Funktionsträger („Vice-President“, „Secretary“, „Sergeant at Arms“ und „Treasurer“) diesem ebenfalls angehören, eine Vertretungsbefugnis für den Verein, da hier alle Funktionsträger als Kläger auftreten. Von einem durch alle Mitglieder gebildeten Vorstand kann angesichts der auch in der Verbotsverfügung skizzierten hierarchischen Struktur und der Bestimmung der Funktionsträger (vgl. Verbotsverfügung S. 6, Bl. 34 GA) nicht ausgegangen werden. Auf die Frage, ob ein mehrgliedriger Vorstand eines nicht rechtsfähigen Vereins nach dem Mehrheits- oder dem Einstimmigkeitsprinzip entscheidet (vgl. Schöpflin, in: Bamberger/Roth, BGB, Stand: November 2016, § 54 Rn. 50 [Mehrheitsprinzip, § 26 BGB]; Otto in: Stöber/Otto, Handbuch zum Vereinsrechts, 11.Aufl. 2016, Rn. 1519, [Einstimmigkeitsprinzip, § 709 BGB]), kommt es danach für das Bejahen einer Vertretungsbefugnis nicht an.

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Obschon danach die Voraussetzungen für eine Umdeutung auf eine Klage des verbotenen Vereins vorgelegen haben, hat der Senat davon abgesehen. Denn ausgehend von der hier vertretenen Ansicht, dass auch den Vereinsmitgliedern die Rügemöglichkeit der sachlichen Unzuständigkeit offen steht und das begehrte Rechtsschutzziel damit auch ohne Umdeutung erreicht werden konnte (dazu unter 2.), war hier eine Umdeutung, die zur Wahrung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz unter Umständen geboten sein kann (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 2015 – 2 BvR 1493/11 –, juris, Rn. 33), nicht erforderlich.

26

2. Die Klage ist auch begründet.

27

Die Verbotsverfügung des Beklagten vom 10. März 2016 ist formell rechtswidrig und verletzt die Kläger dadurch in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur Rheinland-Pfalz war – wie der Senat bereits im Eilverfahren durch Beschluss vom 26. Juli 2016 – 7 B 10327/16.OVG – entschieden hat, für den Erlass der angegriffenen Verbotsverfügung nicht zuständig.

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a. Die zuständige Verbotsbehörde bestimmt § 3 Abs. 2 Satz 1 VereinsG. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VereinsG ist die oberste Landesbehörde oder die nach Landesrecht zuständige Behörde für das Verbot von Vereinen und Teilvereinen zuständig, deren erkennbare Organisation und Tätigkeit sich auf das Gebiet eines Landes beschränken. Die Zuständigkeit des Bundesministers des Innern ist gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VereinsG gegeben, wenn sich die Organisation oder Tätigkeit des Vereins oder Teilvereins über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt. Eine Zuständigkeit des Bundesinnenministers begründend ist es danach bereits, dass die betroffene Vereinigung über das Gebiet eines Bundeslandes hinaus durch nicht ganz unbedeutende Tätigkeiten anhaltend in Erscheinung tritt (stRspr: vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1988 – 1 A 89/83 –, juris, Rn. 23 = BVerwGE 80, 299; Urteil vom 5. August 2009 – 6 A 3/08 –, juris, Rn. 12 = BVerwGE 134, 275; VGH BW, Beschluss vom 12. Februar 1996 – 1 S 2580/95 –, juris, Rn. 16; OVG Nds, Urteil vom 29. März 2000 – 11 K 854/98 –, juris, Rn. 40). Allein ein (schlichter) Schwerpunkt der Organisation und der Tätigkeit in einem Bundesland genügt demnach nicht, um eine Beschränkung auf das Gebiet dieses Landes im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VereinsG und damit eine Zuständigkeit der obersten Landesbehörde oder der nach Landesrecht zuständigen Behörde zu begründen (die Gefahr eines Missverständnis begründend insoweit NdsOVG, Urteil vom 29. März 2000 – 11 K 854/98 –, juris, Rn. 40: Dort wird unter Verweis auf den o.g. Maßstab des Bundesverwaltungsgerichts, wonach nur unbedeutende oder nicht andauernde Tätigkeiten außerhalb des Gebiets eines Landes einer Landeszuständigkeit nicht entgegenstehen, der Begriff „Tätigkeitsschwerpunkt“ verwendet; Begriff übernommen bei Groh, Vereinsgesetz, 2012, § 3 Rn. 25).

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Bei der eine etwaige Zuständigkeit des Bundesministers des Innern begründenden landesübergreifenden Tätigkeit braucht diese nicht den Verbotstatbestand nach Art. 9 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 VereinsG zu erfüllen – es genügt „jede Vereinstätigkeit“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1988 – 1 A 89/83 –, juris, Rn. 23 = BVerwGE 80, 299; auch BVerwG, Urteil vom 5. August 2009 – 6 A 3/08 –, juris, Rn. 12 = BVerwGE 134, 275). Dies hat unter anderem zur Folge, dass es bei einem auf Strafgesetzwidrigkeit gestützten Vereinsverbot für die Bestimmung des Tätigkeitsgebiets nicht (nur) darauf ankommt, ob in anderen Ländern der Vereinigung zurechenbare Straftaten begangen wurden, die als anhaltend und nicht unbedeutende zu qualifizieren sind. Mithin ist zu trennen zwischen zuständigkeitsbegründender Tätigkeit und Organisation einerseits und dem Verbotstatbestand andererseits. Zuständigkeitsfragen müssen anhand klarer Maßstäbe rasch und eindeutig beantwortet werden und können daher nicht auf die verbotene Tätigkeit beschränkt sein, deren Vorliegen von der zuständigen Verbotsbehörde erst in einem weiteren Schritt nach § 4 Abs. 1 VereinsG zu ermitteln ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1988 – 1 A 89/83 –, juris, Rn. 23 = BVerwGE 80, 299).

30

Soweit der Beklagte zur Begründung seiner Zuständigkeit in der Klageerwiderung auf eine ausdrückliche Feststellung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts verweist, wonach „die Bundeszuständigkeit nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VereinsG nicht bereits dann begründet [wird], wenn einzelne, zeitlich begrenzte Handlungen, die verbotsbegründend sind, einen überregionalen Bezug aufweisen“ (Urteil vom 13. April 2016 – 11 KS 272/14 –, juris, Rn. 28), lässt er einen wesentlichen Aspekt der von ihm zitierten Entscheidung unberücksichtigt. Die Entscheidung betraf nämlich – wie sich schon dem Folgesatz des vom Beklagten herangezogenen Zitats entnehmen lässt – einen ansonsten regional ausgerichteten Verein, d.h. einen Verein, dessen Tätigkeiten sich abgesehen von „einzelne[n], zeitlich begrenzte[n] Handlungen, die verbotsbegründend sind“ auf das Gebiet eines Bundeslandes beschränkten (vgl. NdsOVG, Urteil vom 13. April 2016 – 11 KS 272/14 –, juris, Rn. 28, letzter Satz). Dementsprechend lautet der erste, diese Einschränkung berücksichtigende Leitsatz der Entscheidung auch wie folgt (Hervorhebung nur hier): „Eine Bundeszuständigkeit für das Verbotsverfahren wird nicht bereits dann begründet, wenn bei einer regional ausgerichteten Vereinstätigkeit einzelne, zeitlich begrenzte Deliktshandlungen, die verbotsbegründend sind, außerhalb des Landes Niedersachsen begangen wurden“ (NdsOVG, Urteil vom 13. April 2016 – 11 KS 272/14 –, juris). Den hier hervorgehobenen Teil des Entscheidungsinhalts hat der Beklagte bei seiner Argumentation nicht berücksichtigt und stattdessen – entgegen der nach einhelliger Rechtsprechung heranzuziehenden Kriterien zur Ermittlung des Tätigkeitsgebiets des Vereins (s.o.) – allein auf die verbotsbegründenden Straftaten der Vereinsmitglieder und deren Begehungsort abgestellt. Mithin kann der Beklagte aus der Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts nichts für seinen Standpunkt herleiten. Im Gegenteil bestätigt diese Entscheidung vielmehr, dass es für die Zuständigkeitsbestimmung gerade nicht (allein) auf die verbotsbegründenden Tätigkeiten des Vereins ankommt, auf deren Betrachtung sich der Beklagte indes beschränkt hat, sondern jede Vereinstätigkeit in den Blick zu nehmen ist.

31

b. Nach diesen Maßstäben besteht vorliegend eine Zuständigkeit des Bundesministers des Innern, da sich die erkennbare Tätigkeit des Vereins „Hells Angels MC Bonn“ – HAMC Bonn – andauernd und nicht unerheblich über das Gebiet des Landes Rheinland-Pfalz hinaus erstreckt.

32

Es kann offen bleiben, ob bereits die erkennbare Organisation der Vereinigung sich über das Gebiet des Landes Rheinland-Pfalz hinaus erstreckt. Ein satzungsmäßiger Vereinssitz, auf den es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts indes auch nicht ankommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1988 – 1 A 89/83 –, juris, Rn. 26 = BVerwGE 80, 299), ist nicht bestimmt. Der tatsächliche Verwaltungssitz des Vereins liegt in Rheinland-Pfalz am dort belegenen Vereinsheim. Die Vereinsführung hat ihren Wohnsitz beinahe ausschließlich in Rheinland-Pfalz und der Umstand, dass eine Minderheit der bekannten einfachen Vereinsmitglieder in anderen Bundesländern wohnt, begründet für sich keine Bundeszuständigkeit (vgl. dazu Albrecht, in: Albrecht/Roggenkamp, Vereinsgesetz, 2014, § 3 Rn. 71; Groh, Vereinsgesetz, 2012, § 3 Rn. 25). Es kann dahinstehen, ob es neben diesem für Rheinland-Pfalz festzustellenden Organisationsschwerpunkt für die Annahme einer andauernden und nicht unerheblichen länderübergreifenden Organisationsstruktur genügen könnte, dass mit der Aufnahme der Stadt Bonn in den Vereinsnamen ein erkennbarer organisatorischer Bezug über Rheinland-Pfalz hinaus hergestellt wird (zur Berücksichtigung des Vereinsnamens bei der Organisation NdsOVG, Urteil vom 13. April 2016 – 11 KS 272/14 –, juris, Rn. 27) und in Bonn ein Postfach des Vereins unterhalten wird.

33

Jedenfalls ist die erkennbare Tätigkeit des Vereins „Hells Angels MC Bonn“ entgegen der Ansicht des Beklagten nicht auf das Gebiet von Rheinland-Pfalz beschränkt.

34

Der Beklagte gibt in Anlehnung an die oben genannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwar den zutreffenden Maßstab für die Abgrenzung der Zuständigkeiten wieder, wechselt bei der sich anschließenden Subsumtion jedoch unmittelbar und ausschließlich auf eine Prüfung und Bewertung der durch Vereinsmitglieder begangenen Straftaten (vgl. Verbotsverfügung Seite 3 f., Bl. 1699 f. der Verwaltungsakte – VA –; vgl. auch die vorangehende Stellungnahme vom 10. Februar 2016, S. 2 f., Bl. 1642 f. VA), obschon – wie oben ausgeführt – nach der Rechtsprechung „jede [erkennbare] Vereinstätigkeit“ zu berücksichtigen ist (BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1988 – 1 A 89/83 –, juris, Rn. 23 = BVerwGE 80, 299).

35

Ein Schwerpunkt der erkennbaren Vereinstätigkeit in Rheinland-Pfalz ist angesichts des dort belegenen Vereinsheims, an dem die regelmäßigen Treffen der Mitglieder stattfinden, und des (auch) für das nördliche Rheinland-Pfalz erhobenen Gebiets- und Machtanspruchs der „Hells Angels MC Bonn“, der nach den Ermittlungen den Hintergrund einer Vielzahl der in der Verbotsverfügung aufgeführten Straftaten bildet, nicht in Abrede zu stellen. Ein Schwerpunkt genügt jedoch nicht, wenn sich gleichzeitig die erkennbaren Vereinsaktivitäten andauernd und nicht unerheblich über das Gebiet von Rheinland-Pfalz hinaus erstrecken. Dies ist hier der Fall.

36

Bereits in der Stellungnahme des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz vom 30. Juni 2015 (vgl. Bl. 1519 ff. VA), deren Gegenstand gerade die Ermittlung der Zuständigkeit nach dem Vereinsgesetz bildete, wird an mehreren Stellen ausgeführt, dass der „Hells Angels MC Bonn“ große Teile des Westerwaldes, der nördlichen Eifel sowie den Großraum Bonn als seinen Einflussbereich beansprucht, in dem er seinen Machtanspruch ausübt (vgl. Stellungnahme LKA, S. 6, 8, 24, 36, Bl. 1524 ff. VA). Des Weiteren heißt es dort, es gebe „einige Beispiele“, die diesen territorialen Geltungsbereich belegten (vgl. Stellungnahme LKA, S. 6, Bl. 1524 VA). Die räumliche Eingrenzung ergebe sich auch „durch die Einrichtung des 'runden Tisches Bonn', an dem Motorradclubs/Freunde aus dem Bereich Bonn bis Neuwied unter Federführung des HAMC Bonn gemeinsam die Partyplanung vornahmen, den Örtlichkeiten der von Mitgliedern des HAMC Bonn vorgenommenen Ereignissen und begangenen Straftaten“ (vgl. Stellungnahme LKA, S. 8, Bl. 1526 VA). „In diesem Gebiet [mithin einschließlich des Großraums Bonn] behaupteten die Mitglieder des HAMC Bonn spätestens seit Juni des Jahres 2013 innerhalb der Motorradclubszene einen Alleinvertretungsanspruch“ (vgl. Stellungnahme LKA, S. 8, Bl. 1526 VA). Soweit in der Stellungnahme festgehalten wird, „dass die Mehrzahl der Mitglieder des MC Bonn in Rheinland-Pfalz wohnhaft bzw. aufenthältig ist“ (vgl. Stellungnahme LKA, S. 34, Bl. 1552 VA), und es abschließend heißt: „Der HAMC Bonn und seine Mitglieder sind in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen aktiv. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Ermittlungen kann ein Schwerpunkt der Aktionen des HAMC Bonn in Rheinland-Pfalz gesehen werden, da sich dort auch die Mehrzahl der bekannten Straftaten ereignete“ (vgl. Stellungnahme LKA, S. 37, Bl. 1555 VA), ist dagegen nichts einzuwenden. Allerdings lässt sich daraus keine Landeszuständigkeit in Abgrenzung zu derjenigen des Bundesministers des Innern begründen, da es auf eine schlichte Bestimmung des Schwerpunktes nicht ankommt.

37

In diesem Zusammenhang hat auch das Bundeskriminalamt in seiner Stellungnahme vom 28. Juli 2015 den Schwerpunkt der kriminellen Aktivitäten in Rheinland-Pfalz nicht in Abrede gestellt, jedoch unter Hinweis auf den die Stadt Bonn führenden Vereinsnamen, das zeitweise in Nordrhein-Westfalen geführte Clubhaus, die postalische Anschrift in Bonn und den auch den Großraum Bonn umfassenden Gebietsanspruch des HAMC Bonn eine Zuständigkeit des Bundesministers des Inneren nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VereinsG angenommen (vgl. Bl. 1568 VA).

38

Das Ergebnisprotokoll der Besprechung im Bundesinnenministerium des Innern am 22. September 2015 vom 23. September 2015 nimmt ebenfalls die Frage der Zuständigkeit für den Erlass der Verbotsverfügung auf und stellt dazu fest, dass „diese u.a. davon abhängig [sei], ob Straftaten der vorgenannten Art oder andere Aktivitäten in NRW begangen wurden“ (vgl. Bl. 1585 VA). Hierzu müssten weitere Prüfungen durch das LKA vorgenommen werden (vgl. Bl. 1585 VA). Bei den sich anschließenden Prüfungen wurde allerdings wiederum allein darauf abgestellt, ob es „schwere Straftaten in NRW [gibt], die dem Verein eine strafrechtswidrige Prägung geben?“ (vgl. Nachermittlungen des LKA zur Zuständigkeit nach dem Vereinsgesetz vom 17. Dezember 2015, S. 1, 5, Bl. 1606 ff. VA). „Andere Aktivitäten“ wurden nach Aktenlage nicht in die Betrachtung einbezogen, sondern allein eine Abgrenzung anhand der angeführten Straftaten vorgenommen.

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Ausführungen zu einem territorialen Alleinvertretungsanspruch, der sich auch auf den „Großraum Bonn“ bezieht, finden sich ferner in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Koblenz gegen Mitglieder des Vereins vom 15. Juli 2015 – 2090 Js 71253/13 – (dort S. 15 f., Bl. 131 der Gerichtsakte – GA –), die mit Eröffnungsbeschluss des Landgerichts Koblenz vom 6. Januar 2016 weitgehend zur Hauptverhandlung zugelassen wurde (vgl. Bl. 1613 ff. VA). Soweit der Prozessbevollmächtigte der Kläger mit Blick auf die unter dem 8. Januar 2016 gemäß § 207 Abs. 3 Satz 1 StPO dem Eröffnungsbeschluss nachfolgend eingereichte Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Koblenz die Behauptung aufstellt, „schon aus dem Umstand, dass sich der Umfang der Anklageschrift um sage und schreibe 89 % reduziert hat, ergibt sich zwangsläufig hieraus, dass die Verbotsverfügung sich in wesentlichen Teilen auf eine Anklage abstützt, die seitens des Landgerichts Koblenz in dem Beschluss vom 06. Januar 2016 als haltlos verworfen wurde“ (vgl. Schriftsatz vom 19. April 2016, S. 2, Bl. 108 GA) bzw. die Eröffnung der ursprünglichen Anklage zu 89 % verworfen worden sei (vgl. Schriftsatz vom 20. Mai 2016, S. 6, Bl. 331 GA), geht dies an den tatsächlichen Gegebenheiten vorbei. Bei der wohl allein aus dem reduzierten Umfang der neuen Anklage abgeleiteten Behauptung übersieht der Prozessbevollmächtigte der Kläger, dass bei einer neuen Anklageschrift nach § 207 Abs. 3 Satz 1 StPO – wie hier – gemäß Satz 2 der Vorschrift von der Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen abgesehen werden kann, wobei vorliegend auch von einer wiederholenden Aufführung der Beweismittel abgesehen wurde. Dies einbeziehend ergibt sich – abgesehen davon, dass vor einer solchen Behauptung an sich ein inhaltlicher Abgleich zwischen ursprünglicher Anklage und Eröffnungsbeschluss vorgenommen werden sollte –, dass die Anklage weder wesentlich verändert oder gekürzt worden ist noch wesentliche Teile im Eröffnungsbeschluss als haltlos verworfen wurden.

40

Der von dem Verein „Hells Angels MC Bonn“ für den Großraum Bonn beanspruchte Gebiets- und Machtanspruch, der inhaltlich nach Aktenlage nicht in Abrede zu stellen ist, auch wenn dieser – ohne ersichtliche Rückbindung an entsprechende Erkenntnisse – in der Verbotsverfügung auf „Teilbereiche“ des Großraums Bonn reduziert wird, begründet außerhalb von Rheinland-Pfalz nicht ganz unbedeutende Tätigkeiten, durch die der Verein anhaltend und erkennbar in Erscheinung tritt. Sowohl in der Stellungnahme des Landeskriminalamtes vom 30. Juni 2015 (vgl. Stellungnahme LKA, S. 8, Bl. 1526 VA) als auch in der Anklageschrift vom 15. Juli 2015 (vgl. dort S. 15 f., Bl. 131 f. GA) heißt es zum Inhalt dieses Alleinvertretungsanspruchs, dass der Verein „Hells Angels MC Bonn“ in seinem Gebiet, also auch im Großraum Bonn, die Gründung von sogenannten 1%er-Clubs nicht dulde und auch andere Motorradclubs sich in dem Gebiet nur dann gründen dürften, wenn sie zuvor die Gründung angezeigt, um Zustimmung nachgesucht und die Führungsrolle des Hells Angels MC Bonn anerkannt hätten. Bei dem Alleinvertretungsanspruch handelt es sich auch nicht um eine punktuelle Erscheinung, sondern um einen andauernden Gebiets- und Machtanspruch. In der Anklageschrift heißt es hierzu beispielweise, „die Motorradclubszene im Gebiet des HAMC Bonn [sei] streng beobachtet worden“ (vgl. Anklage S. 18, Bl. 132R GA).

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Ausgehend von den oben skizzierten Maßstäben kommt es für die Zuständigkeitsabgrenzung nicht darauf an, ob der Gebietsanspruch im Großraum Bonn durch die Begehung von Straftaten durchgesetzt worden ist, so dass die Ausführungen in der Verbotsverfügung, „auch die Straftaten im Zusammenhang mit der Verteidigung des Gebietsanspruchs des HAMC Bonn richteten sich ausschließlich gegen Clubs aus Rheinland-Pfalz […]“ (vgl. Verbotsverfügung Seite 5, Bl. 1701 VA), zwar abermals den Schwerpunkt der strafrechtlichen Auffälligkeit widerspiegeln, für die Zuständigkeit jedoch nicht (allein) zielführend sind.

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Auch sonstige erkennbare Vereinsaktivitäten jenseits strafbewehrten Verhaltens, die den Gebietsanspruch des Hells Angels MC Bonn außerhalb von Rheinland-Pfalz dokumentieren, sind im Rahmen der Abgrenzung nach § 3 Abs. 2 Satz 1 VereinsG einzubeziehen. Hierzu gehört insbesondere, dass der Hells Angels MC Bonn ausweislich der Stellungnahme des Landeskriminalamtes vom 30. Juni 2015 (vgl. Stellungnahme LKA, S. 6 f., Bl. 1524 f. VA) und der Anklageschrift vom 15. Juli 2015 (vgl. dort S. 17 f., Bl. 132 f. GA) im Jahr 2013 zur Demonstration seines Machtanspruchs eine Ausfahrt nach Bonn unternahm, um der Gründung eines Bonner Chapters der Bandidos entgegen zu treten. Weiter zeigt die Anklageschrift, dass im Jahr 2014 die Gründung und Ansiedlung eines anderen 1%er-Clubs in Bonn verhindert wurde (vgl. Anklage S. 18, Bl. 132R GA) und im Jahr 2015 Mitglieder des Hells Angels MC Bonn die Angehörigen eines befreundeten Motorradclubs in Bonn, der auf der Internetseite die Formulierung „Bonn ist ihre Stadt“ platziert hatte, an den für Bonn bestehenden Gebietsanspruch erinnerten und daraufhin die Passage entfernt wurde (vgl. Anklage S. 18 f., Bl. 132R f. GA). Hinzu kommt die strafrechtlich zu würdigende Verlagerung des Waffenarsenals vom Vereinsheim in Rheinland-Pfalz nach Bonn-Bad Godesberg zu Beginn des Jahres 2015, um dort einem befreundeten Motorradclub bei einem befürchteten Überfall durch einen Bandidos MC Beistand zu leisten (vgl. Anklage S. 33 f., Bl. 140 f. GA). Auch hierin bildet sich der bestehende Gebiets- und Machtanspruch im Großraum Bonn ab.

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Die aufgezeigten Aktivitäten manifestieren – selbst ohne strafrechtliche Auffälligkeit – die Erkennbarkeit des fortwährenden Alleinvertretungsanspruchs, der sich insoweit auch auf einen nicht als unerheblich zu qualifizierenden Gebietsteil außerhalb von Rheinland-Pfalz bezieht. Die Erkennbarkeit des auch nach Nordrhein-Westfalen reichenden Gebiets- und Machtanspruchs wird darüber hinaus durch die Aufnahme der Stadt Bonn in den Vereinsnamen verstärkt, der seinerseits regelmäßig auf den von Vereinsmitgliedern getragenen sogenannten Kutten zu sehen ist. Die erkennbare Tätigkeit des Vereins im Großraum Bonn wird durch das dort eingerichtete Postfach weiter dokumentiert. Schließlich stellt auch der „runde Tisch Bonn“, mit der Teilnahme von Motorradclubs aus dem Bereich Bonn bis Neuwied unter Federführung des Hells Angels MC Bonn (vgl. Stellungnahme LKA, S. 8, Bl. 1526 VA), eine andauernde, über das Gebiet von Rheinland-Pfalz hinausgehende Vereinsaktivität dar.

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Danach ergibt sich in der anzustellenden Gesamtschau eindeutig, dass der Verein Hells Angels MC Bonn über das Gebiet von Rheinland-Pfalz hinaus durch nicht ganz unbedeutende Tätigkeiten anhaltend in Erscheinung tritt und dementsprechend der Bundesminister des Innern gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VereinsG zuständige Verbotsbehörde ist. Die Zuständigkeit des Bundesinnenministers wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass von dort (vorsorglich) das Benehmen nach § 3 Abs. 2 Satz 2 VereinsG eingeholt wurde (vgl. Bl. 1677 VA), da das Benehmen nach Satz 2 im Rahmen einer (bestehenden) Zuständigkeit der obersten Landesbehörde oder der nach Landesrecht zuständigen Behörde nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VereinsG erfolgt, selbst jedoch eine Zuständigkeit des Landes nicht begründet. Dies hat im Ergebnis auch das Bundesministerium des Innern in seiner Verbotsverfügung vom 11. November 2016 so gesehen und dabei die wesentlichen Ausführungen des Senats in seinem Beschluss vom 26. Juli 2016 – 7 B 10327/16.OVG wiederholt.

45

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

46

4. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

47

5. Die Revision ist mangels Vorliegen von Zulassungsgründen im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO nicht zuzulassen.

Beschluss

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Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15.000,00 € festgesetzt (§ 47, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.1.3 und 45.1.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 [LKRZ 2014, 169]).

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