Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (7. Senat) - 7 A 10084/18

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 15. November 2017 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Aufhebung der bei ihm angeordneten erkennungsdienstlichen Behandlung.

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Mit Urteil des Landgerichts vom 25. April 2018 – 8021 Js 39340/16.1 KLs –, rechtskräftig seit dem 3. Mai 2018, wurde der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zum Nachteil seines zum Tatzeitpunkt knapp zwei Monate alten Sohnes unter Strafaussetzung zur Bewährung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils schüttelte der Kläger seinen Sohn am 28. Juli 2016 aus Verärgerung über ein fortwährendes Schreien oder aus Überforderung so lange und intensiv, dass das Kind eine Gehirnblutung und hiermit einhergehende lebensbedrohliche Verletzungen erlitt. Nachdem der Kläger zunächst selbst Rettungsbemühungen in Form einer Mund-zu-Mund-Beatmung eingeleitet und anschließend den Notarzt verständigt hatte, musste der Säugling im Krankenhaus intensivmedizinisch behandelt werden. Dort wurden im weiteren Verlauf der durchgeführten Untersuchungen neben den auf das Geschehen vom 28. Juli 2016 zurückzuführenden Verletzungen im Gehirn des Kindes auch so genannte subdurale Hygrome diagnostiziert. Diese wiesen nach Aussage des im Ermittlungsverfahren hinzugezogenen Sachverständigen auf eine bereits längere Zeit zurückliegende so genannte rekurrierende Enzephalopathie (wiederholte subklinische Schüttelepisoden ohne schwerwiegende neurologische Symptomatik) hin. In dem hierzu verfassten Gutachten führte der Sachverständige aus, es könne nicht zweifelsfrei bewiesen werden, ob die diagnostizierten Hygrome – einem oder mehreren – Schüttelvorgängen zuzuordnen seien. In sehr seltenen Fällen seien bei Säuglingen auch angeborene bzw. geburtstraumatische Hygrome zu beobachten, wobei dies vorliegend weitestgehend auszuschließen sei. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurde deshalb im Hinblick auf den weiteren Tatvorwurf einer Misshandlung in den ersten Lebenswochen mit Verfügung vom 29. Mai 2017 nach § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Zur Begründung führte die Staatsanwaltschaft in der Einstellungsverfügung aus, dass die Umstände der Entstehung der Hygrome unklar geblieben seien. Zwar seien diese nach dem Gutachten des Sachverständigen auf eine rekurrierende Enzephalopathie zurückzuführen. Eine Datierung des Vorfalls sei jedoch nicht möglich. Es stehe daher nicht fest, ob und wie der Kläger diese Verletzung herbeigeführt habe.

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Der Kläger hatte das Schütteln des Säuglings gegenüber dem vor Ort anwesenden Notarzt und auch zu Beginn des Krankenhausaufenthalts zunächst nicht eingeräumt. Dies führte mit dazu, dass das Kind im Krankenhaus mangels feststellbarer äußerer Verletzungen nicht im Hinblick auf seine Gehirnverletzungen, sondern aufgrund einer anfangs vermuteten Lungenentzündung in den ersten Tagen falsch behandelt worden war. Erst auf Vorhalt der sich aus den späteren Untersuchungen ergebenden Verdachtsmomente bestätigte der Kläger zwar, seinen Sohn geschüttelt zu haben, stellte dies – wie auch im Verlaufe des Ermittlungs- und nachfolgenden Strafverfahrens sowie in dem verwaltungsbehördlichen Verfahren – allerdings als Rettungsversuch und als Reaktion auf einen vorausgehenden Krampfanfall bzw. auf eine Atemnot seines Sohnes dar.

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Vom 5. September bis zum 9. Dezember 2016 fand ein so genanntes stationäres Familienclearing der Caritas-Einrichtung statt, an dem der Kläger zusammen mit der Kindesmutter und seinem Sohn teilnahm. Die Maßnahme wurde erfolgreich beendet. Seitdem lebt die Familie wieder gemeinsam in ihrer Wohnung. Bei dem Kind konnten bisher keine dauerhaften Schädigungen festgestellt werden.

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Bereits mit Bescheid vom 6. April 2017 ordnete der Beklagte nach Anhörung des Klägers wegen dieses Vorfalls unter der dortigen Ziffer 1 die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers durch Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken, Aufnahme von Lichtbildern, Feststellung äußerer körperlicher Merkmale und Messungen nach § 81b Alt. 2 StPO an. Zur Begründung führte der Beklagte aus, der Kläger habe sein eigenes Kind durch sein verantwortungsloses Verhalten in Lebensgefahr gebracht. Er habe gegen den zur Tatzeit seiner alleinigen Obhut anvertrauten Säugling Gewalt in massiver Form ausgeübt, obwohl jedem normal intelligenten Menschen bekannt sein müsse, welche gravierenden Folgen dies haben könne. Ein solches Verhalten indiziere ein hohes Maß an Aggressivität und das Fehlen einer angemessenen Impulskontrolle, die im Umgang mit besonders schutzbedürftigen Säuglingen und Kleinkindern unabdingbar sei, um deren körperliche und seelische Unversehrtheit zu gewährleisten. Da er seit Dezember 2016 wieder Zugang zu seinem Sohn habe, ohne dass eine ständige fachkundige Überwachung seines Umgangs mit dem Kind erfolge, bestehe aus kriminalistischer Sicht die konkrete Gefahr von erneutem Kontrollverlust. Damit lägen weitere Gewalthandlungen des Klägers gegen seinen Sohn oder andere künftige Opfer in vergleichbaren Betreuungssituationen, die den Kläger ganz offensichtlich emotional und mental überforderten, nahe. Die bei der erkennungsdienstlichen Behandlung gewonnenen Unterlagen seien wirksame Mittel, die es der Polizei erleichtern würden, dem Kläger zukünftig solche und andere Gewalttaten durch kriminaltechnische Untersuchungen nachzuweisen. Im Idealfall werde sein Wissen über diese kriminalistischen Möglichkeiten den Kläger von weiteren schwerwiegenden Straftaten abhalten, womit das polizeiliche Ziel der Gefahrenabwehr erreicht sei. Der festgestellte Sachverhalt biete nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls ausreichend Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Kläger künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer strafbaren Handlung einbezogen werden könnte. Somit seien die erkennungsdienstlichen Unterlagen geeignet, die polizeilichen Ermittlungen überführend oder entlastend zu fördern. Die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahme sei daher zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich.

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Der dagegen von dem Kläger am 13. April 2017 erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2017 zurückgewiesen. Über die bereits in dem Ausgangsbescheid genannte Begründung hinaus führte der Beklagte im Wesentlichen aus, dem Kläger fehle jegliches Unrechtsbewusstsein. Deshalb sei auch in Zukunft mit einem strafbaren Verhalten zu rechnen. Die Lichtbilder würden benötigt, um in Zukunft Straftaten gleicher Art besser aufklären zu können, indem sie möglichen Zeugen vorgelegt würden. Auch die Finger- und Handflächenabdrücke seien geeignet, zukünftige Ermittlungen zu fördern. Hierdurch könnten Tatbeiträge aufgeklärt werden, indem mögliche Spurenträger am Tatort oder an Personen, z.B. an Haut oder Kleidung, auf daktyloskopische Spuren untersucht würden. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass es ausschließlich zu Hause zu Misshandlungen kommen könnte. Sofern der Kläger seinen Sohn im öffentlichen Raum misshandele, könnten Aussagen von Zeugen, die den Kläger persönlich nicht kennen würden, von erheblicher Bedeutung sein.

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Am 14. Juni 2017 hat der Kläger Klage erhoben. Er hat im Wesentlichen geltend gemacht, der Beklagte verkenne, dass er sich einer freiwilligen Klinikmaßnahme unterzogen habe und hierbei keinerlei Beanstandungen in Bezug auf die Sorge und den Umgang mit seinem Kind registriert worden seien. Vielmehr habe sich genau das Gegenteil eingestellt. Die Annahme, dass auch in Zukunft die Gefahr eines erneuten Kontrollverlustes und einer Gewaltausübung bestehe, sei mit nichts belegt. Nicht einmal die ihm vorgeworfene Tat könne als Kontrollverlust und Gewaltausübung deklariert werden, da er versucht habe, den Säugling bei einem Atemstillstand wiederzubeleben. Es sei abwegig, dass Lichtbilder benötigt würden, um in Zukunft Straftaten gleicher Art besser aufklären zu können. Er sei kein rechtskräftig verurteilter Krimineller, der in der Öffentlichkeit Straftaten begehe. Ihm werde eine Art häuslicher Gewalt vorgeworfen, welche die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nicht rechtfertige.

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Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht beantragt,

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Ziffer 1 des Bescheides des Beklagten vom 6. April 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2017 aufzuheben.

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Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er hat zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen und darüber hinaus im Wesentlichen ausgeführt, aus dem Gutachten ergebe sich, dass die Schüttelbewegungen so stark gewesen sein müssten, dass das potentiell Lebensgefährliche dieses Verhaltens auch medizinisch ungebildeten Personen habe offenseitlich sein müssen. Es bestehe zudem auch eine Wiederholungsgefahr. Der Kläger habe in dieser Angelegenheit offenbar keinerlei Unrechtsbewusstsein. Sofern der Kläger sein gezeigtes Verhalten als adäquat und situationsbedingt richtig einschätze, sei von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Trotz des durchgeführten Familienclearings werde die Tat weiterhin relativiert und trotz der eindeutigen Gutachtenlage als lebensrettende Maßnahme bezeichnet. Die Untersuchungsergebnisse gingen außerdem von zwei Tathandlungen aus, ohne die erste zeitlich eingrenzen zu können.

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Mit Urteil vom 15. November 2017 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und die in Ziffer 1 des Bescheides vom 6. April 2017 angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung und den Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 2017 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, trotz der gegebenen Wiederholungsgefahr scheitere die Rechtmäßigkeit der Maßnahme an dem Merkmal der Notwendigkeit. Aufgrund des ermittelten Sachverhalts begegne es keinen rechtlichen Bedenken, davon auszugehen, dass der Kläger auch zukünftig in den Kreis der in einem Strafverfahren Verdächtigten einbezogen werde. Den Ausführungen des Beklagten sei daher insofern zu folgen, als dass dieser das dem Kläger vorgeworfene Verhalten als Indiz für das Fehlen einer angemessenen Impulskontrolle bewerte, die insbesondere im Umgang mit besonders schutzbedürftigen Säuglingen und Kleinkindern unabdingbar sei. Bei Straftaten im Bereich privater bzw. häuslicher und/oder familiärer Gewalt, bei denen – wie hier auch – der Täter typischerweise bekannt sei und keinerlei Maßnahmen zur Verschleierung seiner Identität unternehme, sei die Anfertigung erkennungsdienstlicher Unterlagen zu präventiven Zwecken jedoch grundsätzlich nicht erforderlich, da diesen regelmäßig keine Bedeutung bei der Aufklärung einer Tatbeteiligung zukomme. Dies gelte unabhängig von der Schwere der im Einzelnen in Rede stehenden Straftaten. Etwas Anderes gelte nur dann, wenn sich aus den Einzelheiten der Tatbegehung und/oder weiteren Straftaten außerhalb des familiären Bereichs Anhaltspunkte als Grundlage für eine Prognose ergäben, dass es auch zu Straftaten außerhalb des privaten bzw. familiären Umfelds der Betroffenen kommen könne. Selbst wenn es auch in Zukunft zu ähnlichen Vorfällen kommen sollte, wäre die Identität des Klägers bekannt. Aus den Verwaltungsakten und der dem Kläger vorgeworfenen Tat ergebe sich kein Anhaltspunkt dafür, dass dieser ein vergleichbares Verhalten außerhalb seines familiären Umfelds und in der Öffentlichkeit zeigen werde. Zwar stehe in Rede, dass es zu einem vorangegangenen Vorfall ähnlichen Gewichts gekommen sein könnte. Die insoweit verfügte Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO sei auch nicht erfolgt, weil diesbezüglich jeder Tatverdacht gegen den Kläger ausgeräumt worden wäre. Jedoch führe allein dieser Umstand nicht zu der Annahme, es habe sich um einen Vorfall außerhalb des familiären Umfelds gehandelt. Dafür sei nichts ersichtlich.

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Durch Beschluss vom 19. Januar 2018 hat der Senat die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen.

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Der Beklagte hält an seinem erstinstanzlichen Vortrag fest. Ergänzend nimmt er Bezug auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. März 2004 – 24 CS 03.3324 – über eine als rechtswidrig befundene erkennungsdienstliche Behandlung im familiären Bereich, in welcher beanstandet wurde, dass kein Erfahrungssatz mitgeteilt worden sei, wonach jemand, der Körperverletzungen im häuslich-familiären Bereich begehe, auch gegenüber Dritten außerhalb dieses Bereiches Gewalt anwenden werde. Die kriminalistische Erfahrung zeige aber, dass Tatverdächtige des Deliktsbereichs der Misshandlung von Schutzbefohlenen in hohem Maße auch in Straftaten im außerhäuslichen Umfeld verstrickt seien und zwar überwiegend im Bereich von Gewaltdelikten. Die statistische Auswertung der 83 im Zeitraum vom 1. September 2005 bis zum 18. August 2017 bei der Kriminalinspektion Trier in diesem Deliktsbereich bearbeiteten Fälle ergebe, dass die Tatverdächtigen in 57 Fällen (68,67 %) auch durch andere Delikte, insbesondere durch Gewalttaten bis hin zu einem Tötungsdelikt, in Erscheinung getreten seien. Insgesamt seien zu diesen Tatverdächtigen 569 andere Delikte statistisch erfasst worden, wobei 456 dem außerhäuslichen Bereich zugeordnet werden könnten. Der Schwerpunkt dieser Straftaten liege im Bereich der Körperverletzungsdelikte (117 Fälle) und bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Es widerspreche nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sich für die Begründung der Wiederholungsgefahr auf diese Statistik zu stützen. Denn nur durch statistische Erfassungen seien kriminalistische Erfahrungen überhaupt empirisch zu belegen.

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Der Beklagte beantragt,

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das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 15. November 2017 abzuändern und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er verteidigt das angefochtene Urteil und führt ergänzend aus, der Beklagte unterlasse eine individuelle Verhältnismäßigkeitsprüfung in Bezug auf ihn und bediene sich lediglich einer Statistik, was nicht rechtens sein könne. Schließlich habe er sich auch zu keinem Zeitpunkt dem gegen ihn geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren entzogen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die vorgelegten Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Strafakten der Staatsanwaltschaft Trier – 8021 Js 39340/16 – Bezug genommen. Deren Inhalt ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den streitgegenständlichen Bescheid vom 6. April 2017 in der Ziffer 1 und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 2017 zu Recht aufgehoben, weil die dort angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Rechtsgrundlage für die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers ist § 81b Alt. 2 StPO. Danach dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Vorliegend war der Kläger zwar Beschuldigter im Sinne des § 81b Alt. 2 StPO, seine erkennungsdienstliche Behandlung ist aber nicht für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig.

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Beschuldigter im Sinne des § 81b Alt. 2 StPO ist der Verdächtige, gegen den aufgrund zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte ein Ermittlungs- bzw. Strafverfahren betrieben wird. Nur während der Anhängigkeit eines solchen Verfahrens kann die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung ergehen, wobei der Betroffene nur bei Ergehen der Anordnung und nicht auch noch bei Erlass des Widerspruchsbescheides Beschuldigter gewesen sein muss (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2018 – 6 C 39.16 –, juris, Rn. 13).

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Zum Anordnungszeitpunkt am 6. April 2017 war der Kläger Beschuldigter des bei der Staatsanwaltschaft Trier gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens 8021 Js 39340/16, wobei dieses Verfahren zwei Tatvorwürfe beinhaltete, nämlich zum einen das auch der rechtskräftigen Verurteilung zugrunde liegende Geschehen vom 28. Juli 2016 sowie außerdem den Vorwurf, dass der Kläger seinen Sohn bereits in dessen ersten Lebenswochen gewaltsam geschüttelt haben soll. Die Begründung des Bescheides vom 6. April 2017 nimmt auch auf diesen Tatvorwurf Bezug.

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Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung war jedoch nicht notwendig im Sinne des § 81b Alt. 2 StPO, da nach der maßgeblichen Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren (vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1982 – 1 C 29.79 –, BVerwGE 66, 192 = juris, Rn. 33; Beschluss vom 14. Juli 2014 – 6 B 2.14 –, juris, Rn. 5) Anhaltspunkte für die Annahme, dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen künftig gegen den Kläger zu führende Ermittlungen fördern könnten, nicht vorliegen.

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Das in § 81b StPO gesondert aufgenommene Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit, in dem das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf einfachgesetzlicher Ebene seinen Niederschlag gefunden hat (BVerfG, Beschluss vom 8. März 2011 – 1 BvR 47/05 –, juris, Rn. 24), unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff voller gerichtlicher Kontrolle. Damit werden im Anwendungsbereich des § 81b Alt. 2 StPO Fälle ausgefiltert, in denen eine erkennungsdienstliche Behandlung zu Zwecken der Strafverfolgungsvorsorge, insbesondere nach dem Ergebnis des gegen den Betroffenen als Beschuldigten geführten Anlassverfahrens, bereits dem Grunde nach nicht gerechtfertigt ist (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2018 – 6 C 39.16 –, juris, Rn. 21). Lediglich das der polizeilichen Prognose über das künftige Verhalten des Betroffenen zugrunde liegende Wahrscheinlichkeitsurteil ist einer Kontrolle nur begrenzt zugänglich; diese erstreckt sich nur darauf, ob die Prognose auf zutreffender Tatsachengrundlage beruht und ob sie nach gegebenem Erkenntnisstand unter Einbeziehung des kriminalistischen Erfahrungswissens sachgerecht und vertretbar ist (vgl. HessVGH, Urteil vom 20. Juli 1993 – 11 UE 2285/89 –, juris, Rn. 40; VGH BW, Urteil vom 18. Dezember 2003 – 1 S 2211/02 –, juris, Rn. 39; SächsOVG, Beschluss vom 29. Januar 2010 – 3 D 91/08 –, juris, Rn. 6; OVG Nds., Beschluss vom 31. August 2010 – 11 ME 288/10 –, juris, Rn. 5; SaarlOVG, Urteil vom 5. Oktober 2012 – 3 A 72/12 –, juris, Rn. 57; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28. März 2018 – 3 O 73/18 –, juris, Rn. 7). Hierbei sind die Anforderungen, die an die Wiederholungsgefahr, das heißt an die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Schadenseintritts gestellt werden müssen, umso geringer, je höherwertiger das gefährdete Rechtsgut ist (vgl. BayVGH, Beschluss vom 17. November 2008 – 10 C 08.2872 –, juris, Rn. 12). Die Notwendigkeit von Maßnahmen bemisst sich danach, ob der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls – insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, während dessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist – Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig oder anderwärts gegenwärtig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen – den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend – fördern könnten (BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1982 – 1 C 29/79 –, juris, Rn. 33).

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Gemessen an diesen Grundsätzen erscheint jedenfalls die Prognose, dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen künftig oder anderwärts gegenwärtig gegen den Kläger zu führende Ermittlungen fördern könnten, nicht sachgerecht und vertretbar. Daher kann offen bleiben, ob gegen den Kläger im Hinblick auf den durch die Staatsanwaltschaft Trier mit Verfügung vom 29. Mai 2017 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellten Tatvorwurf, seinen Sohn auch schon vor dem 28. Juli 2016 bei einer weiteren Gelegenheit geschüttelt zu haben, aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Dr. N. in seinem ergänzenden Gutachten vom 15. Mai 2017 noch ein Restverdacht fortbesteht. Offen bleiben kann zudem, ob auch unter Einbeziehung eines insoweit gegebenenfalls fortbestehenden Restverdachts oder auch allein im Zusammenhang mit der rechtskräftig festgestellten Tat vom 28. Juli 2016 angesichts des von dem Kläger während des Strafverfahrens und auch im Verlaufe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gezeigten Einlassungsverhaltens die Prognose zukünftiger Delinquenz jedenfalls im Hinblick auf gleichgelagerte Straftaten im familiären Bereich gestellt werden kann. Denn jedenfalls die Annahme, dass der Kläger auch im öffentlichen Bereich mit gleichgelagerten Delikten zukünftig in Erscheinung treten könnte, wobei die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen fördern könnten, ist nicht mehr sachgerecht und vertretbar.

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Im Hinblick auf mögliche und gegebenenfalls im Wahrscheinlichkeitsbereich liegende gleich gelagerte Straftaten im familiären Bereich, also im rein privaten Raum außerhalb der Öffentlichkeit, ist die Geeignetheit erkennungsdienstlicher Unterlagen zur Förderung zukünftiger Ermittlungen nicht feststellbar. Erkennungsdienstliche Maßnahmen sind nicht notwendig, wenn die Tatbegehung nicht in Frage steht, wenn also der Täter von vornherein bekannt ist und es insoweit keiner weiteren Ermittlungen bedarf (vgl. SächsOVG, Beschluss vom 21. Dezember 2017 – 3 D 68/17 –, juris, Rn. 11). Beschränken sich die in Rede stehenden Taten auf den familiären Kreis, wird die Polizei für eventuelle zukünftige Ermittlungen normalerweise keine erkennungsdienstlichen Unterlagen benötigen (OVG RP, Beschluss vom 19. März 2001 – 11 B 10285/01.OVG –). Die Eignung scheidet daher in der Regel aus, wenn davon auszugehen ist, dass der Betroffene zwar erneut strafrechtlich in Erscheinung treten wird, er aber auch ohne die gewonnenen Erkenntnisse ohne Weiteres als potentieller Täter in Betracht gezogen wird, wenn es also um die Frage, wer überhaupt der Täter gewesen sein könnte, nicht (mehr) geht. Hiervon ist im Hinblick auf etwaige zukünftige gleichgelagerte Straftaten im privaten Raum auszugehen. Sollte der Kläger tatsächlich in ähnlicher Art und Weise gegenüber seinem Sohn oder sonstigen seiner Betreuung unterstehenden Personen – Anhaltspunkte für möglicherweise mit Gewalt einhergehende Kontrollverluste gegenüber seiner Lebensgefährtin sind nicht ansatzweise erkennbar – im privaten Bereich straffällig werden, wird dieser schon allein aufgrund seiner einschlägigen Vorverurteilung unmittelbar in den Fokus strafrechtlicher Ermittlungen geraten. Es wurde von Seiten des Beklagten nicht dargelegt, inwieweit erkennungsdienstliche Unterlagen im Zusammenhang mit solchen Tatbegehungen für weitere Ermittlungen zur Einengung des Tatverdachts auf den Kläger förderlich sein könnten. In diesen Konstellationen, in denen sich der Anfangsverdacht bereits auf den Betroffenen fokussiert, wären die Ermittlungsbehörden nicht mehr auf die streitigen erkennungsdienstlichen Unterlagen angewiesen. Die weitere Sachverhaltsaufklärung wäre in solch einer Konstellation im Rahmen einer dann in dem konkreten Ermittlungsverfahren zu veranlassenden erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b Alt. 1 StPO durchzuführen (so auch: OVG NRW, Beschluss vom 14. April 2010 – 5 A 4790/09 –, juris, Rn. 45). Die in dem Ausgangsbescheid noch aufgeführte abschreckende Wirkung wegen des Bewusstseins über die Speicherung der Unterlagen stellt kein in die Notwendigkeitsbeurteilung einstellbares Kriterium dar. Auch unter Zugrundelegung einer im privaten Anwesen gegebenenfalls erfolgenden und – beispielsweise durch von außen einsehbare Fenster oder von außen wahrnehmbares Schreien – in die Öffentlichkeit reichenden zukünftigen Straffälligkeit wäre die Polizei nicht auf erkennungsdienstliche Unterlagen angewiesen, um einen Anfangsverdacht gegen den Kläger begründen zu können. Eine hinreichend sichere Identifizierung des Täters wäre in solch einem Fall schon allein durch die Feststellung des tatsächlichen Wohnungsinhabers bzw. -nutzers möglich.

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Es verbleibt demnach nur die mögliche Eignung erkennungsdienstlicher Unterlagen zur Förderung der Ermittlungen bei gleichgelagerten Straftaten, die der Kläger in der Öffentlichkeit begehen würde, beispielsweise bei einem mit Gewaltanwendung einhergehenden Kontrollverlust bei einem Einkauf in einem Supermarkt. Anhaltspunkte für die Annahme derartiger zukünftiger Straftaten liegen zur Überzeugung des Senats jedoch nicht vor.

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Wie bei der vorgeschalteten Wiederholungsprognose im Hinblick auf zukünftig überhaupt zu erwartende Straftaten sind bei der Frage der Erforderlichkeit alle Umstände des Einzelfalls – insbesondere die Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftat(en), seine Persönlichkeit sowie der Zeitraum, während dessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist – zu würdigen. Hierbei ist prüfen, ob diese Gesamtumstände anlässlich des in dem gegen den Betroffenen geführten Strafverfahrens festgestellten Sachverhalts nach kriminalistischer Erfahrung Anhaltspunkte für die Annahme bieten, dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen zukünftig zu führende Ermittlungen – den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend – fördern könnten. Anders ausgedrückt entscheidet sich die Erforderlichkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung danach, ob die erkennungsdienstlichen Unterlagen für die Aufklärung solcher oder vergleichbarer Straftaten, für die eine Wiederholungsgefahr prognostiziert werden kann, geeignet und notwendig sind.

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Unter Würdigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Einzelfalls stellt die Annahme der zukünftigen Begehung gleichgelagerter Straftaten in der Öffentlichkeit eine bloße Vermutung dar, die nicht durch Anhaltspunkte oder auch nur durch kriminalistische Erfahrungswerte gestützt werden kann und daher als nicht mehr vertretbar erscheint.

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Zwar ist die Anlasstat, derentwegen der Kläger erkennungsdienstlich behandelt werden soll, von beträchtlichem Gewicht. Es ist auch festzustellen, dass der Kläger das von ihm erst im späteren Verlauf eingeräumte Schütteln durchgehend als Rettungsversuch und als Reaktion auf eine Notsituation dargestellt hat, wofür tatsächlich keine Anknüpfungstatsachen erkennbar sind und ohne dass hierbei die Motivlage für dieses weiterhin bestehende Einlassungsverhalten abschließend hätte aufgeklärt werden können. Schließlich steht auch ein weiteres früheres Geschehen zum Nachteil seines damals erst neu geborenen Sohnes im Raume.

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Gleichwohl gelangt der Senat zu der Überzeugung, dass in Anbetracht der hier vorliegenden Gesamtsituation aus diesen Umständen die positive Prognose im Hinblick auf Tatbegehungen in der Öffentlichkeit nicht gestellt werden kann.

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Anhand der Art der Tat – des gewaltsamen Schüttelns eines Säuglings – lässt sich anders als beispielsweise im Bereich von Sexualstraftaten (vgl. SaarlOVG, Beschluss vom 13. März 2009 – 3 B 34.09 –, juris, Rn. 33 ff.; BayVGH, Beschluss vom 2. April 2015 – 10 C 15.304 –, juris, Rn. 8), im Bereich von Betäubungsmitteldelikten (vgl. BayVGH, Beschluss vom 6. Dezember 2016 – 10 Cs 16.2069 –, juris, Rn. 11) oder bei typischen Aggressionsdelikten (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. Juni 2009 – OVG 1 M 4.08 – n.v.) nicht schon alleine und für sich genommen eine besondere Neigung herleiten, welche die Annahme eines damit möglicherweise einhergehenden Kontrollverlustes in der Öffentlichkeit rechtfertigen könnte.

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Die Auswertung der Literatur und der strafrechtlichen Rechtsprechung zu dem Schütteltrauma-Syndrom verdeutlicht vielmehr, dass diese regelmäßig im rein privaten Bereich auftretenden Vorfälle durch mannigfaltige Ursachen bedingt und einer grundsätzlichen Betrachtungsweise nicht zugänglich sind. So wird als typische Konstellation etwa das Zusammentreffen eines „Schreikindes“ mit jungen, überforderten Eltern genannt, die unter erhöhtem Erfolgsdruck hinsichtlich unternommener Beruhigungsversuche stehen, gepaart mit einer niedrigen Frustrationstoleranz und mangelnder Impulskontrolle. Nach Erhebungen aus den USA sollen zwischen 50 bis 75 Prozent der Teenager und jungen Erwachsenen keine Kenntnis von der Gefährlichkeit des Schüttelns haben. Bei den Tätern handelt es sich meist um Väter oder neue Lebensgefährten der Mutter (vgl. Matschke, Jakob; Herrmann, Bernd; Sperhake, Jan; Körber, Friederike; Bajanowski, Thomas; Glatzel, Markus: Das Schütteltrauma-Syndrom, Eine häufige Form des nicht akzidentellen Schädel-Hirn-Traumas im Säuglings- und Kleinkindesalter, in: Deutsches Ärzteblatt International, 2009, 106 (13), S. 211-217). Anhaltendes Babyschreien gilt damit als Hauptauslöser für das Schütteln. Der Hauptzeitraum für ein Schütteltrauma liegt zwischen zwei und fünf Monaten ab Geburt und überlappt sich mit dem physiologischen Hauptschreialter. Geständige Täterinnen und Täter geben übereinstimmend das Schreien des Kindes als auslösenden Faktor an. Die tägliche Schreidauer ist bei Babys ab der zweiten bis zur sechsten Lebenswoche mit über zwei Stunden im Durchschnitt am höchsten und sinkt danach deutlich auf durchschnittlich unter eine Stunde nach der zwölften Lebenswoche. Nach einer von der Bundesinitiative „Nationales Zentrum Frühe Hilfen“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Mai 2017 durchgeführten bundesweiten Repräsentationsbefragung zeigte sich ein großer Aufklärungsbedarf sowohl über die Gefahren des Schüttelns als auch über frühkindliches Schreiverhalten. 42 Prozent der Befragten hatten noch nie den Begriff Schütteltrauma gehört. 24 Prozent unterlagen dem Irrtum, dass Schütteln für ein Baby „vielleicht nicht so schön sei, ihm aber auch nicht schade“. 21 Prozent der Befragten meinten, dass Eltern etwas falsch machen, wenn Kinder im Säuglingsalter sehr viel schreien. 18 Prozent der Befragten konnten sich vorstellen, dass Babys manchmal nur schreien, um das Gegenüber zu ärgern (vgl. zu Vorstehendem insgesamt: Nationales Zentrum Frühe Hilfen, Info-Blatt Dezember 2017, Hintergrundinformationen zum Schütteltrauma, m.w.N., verfügbar unter: https://www.fruehehilfen.de/fileadmin/user_upload/fruehehilfen.de/pdf/NZFH_Schuetteltrauma_Infoblatt_Hintergrundinformationen.pdf). Diese Situation spiegelt sich auch im Bereich der strafrechtlichen Rechtsprechung wieder. Hiernach ist bei Schüttelfällen ein bedingter Tötungsvorsatz – so wie auch hier – vielfach nicht feststellbar (BGH, Urteil vom 3. Juni 2008 – 1 StR 59/08 –, juris, Rn. 12). Selbst unter Zugrundelegung einer allgemein vorherrschenden Kenntnis darüber, dass ein heftiges Schütteln eines Säuglings zu einer erheblichen Beeinträchtigung seines körperlichen Wohlbefindens und zu einer sogar lebensgefährdenden Beschädigung seiner Gesundheit führen kann, ist insbesondere bei nur einmaligem Schütteln in einer erheblichen Stresssituation und bei affektiver Erregung nicht ohne Weiteres ein Körperverletzungsvorsatz anzunehmen (BGH, Urteil vom 24. Juli 2003 – 3 StR 159/03 –, juris, Rn. 9).

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Dies verdeutlicht, dass die hier rechtskräftig festgestellte Tat vom 28. Juli 2016 in Form der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung – im Hinblick auf ein im Raume stehendes vorheriges Schütteln des Säuglings fehlen jegliche Anknüpfungspunkte zur Beurteilung einer möglichen Tat(ausführung) – nicht schon für sich genommen die Annahme zukünftiger Kontrollverluste, die sich zudem im öffentlichen Raum zuzutragen hätten, rechtfertigen kann.

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Auch sonstige Anhaltspunkte als Grundlage einer derartigen Prognoseentscheidung sind nicht feststellbar. Vielmehr sprechen die Umstände der Tatausführung, die Persönlichkeit des Klägers sowie der Zeitraum von mittlerweile nahezu zwei Jahren, der nach der erfolgreichen Absolvierung des dreimonatigen stationären Familienclearings verstrichen ist, und seit dem das Kind wieder bei dem Kläger wohnt, dagegen, eine solche Prognose noch als sachgerecht und vertretbar bewerten zu können.

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Im Hinblick auf die Umstände der Tatausführung ist zu berücksichtigen, dass der Kläger seinen Sohn nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils am 28. Juli 2016 zum ersten Mal über einen längeren Zeitraum in seiner alleinigen Betreuung hatte, nachdem die Kindesmutter diese in den ersten Wochen nach der Geburt weitgehend übernommen hatte und der Kläger tagsüber weiter seiner Berufstätigkeit nachgegangen war. Aus Verärgerung über das fortwährende Schreien oder aus Überforderung schüttelte der Kläger den Säugling an diesem Abend schließlich so lange und intensiv, dass dessen Kopf unkontrolliert rotierte und dieser eine Gehirnblutung erlitt.

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Die danach entscheidenden (Mit-)Ursachen, die Unerfahrenheit und die Unsicherheit des Klägers im Umgang mit Säuglingen, wurden im Rahmen des dreimonatigen Familienclearings im Zeitraum vom 5. September bis zum 9. Dezember 2016 erfolgreich aufgearbeitet und therapiert. Von den in der Therapiemaßnahme eingesetzten Personen wird übereinstimmend beschrieben, dass der Kläger nach anfänglicher Zurückhaltung und Unsicherheit im Verlaufe der Therapie deutliche Entwicklungsfortschritte gemacht habe, dies unter anderem in Bezug auf die Basispflege, das Füttern seines Sohnes sowie auch hinsichtlich der Versorgung mit notwendigen Medikamenten. Der Kläger sei an allem interessiert gewesen und auch aufgeschlossen für Dinge, die er in der Einrichtung habe lernen können. Auch die emotionale Beziehung zu seinem Kind habe sich im Verlaufe des Familienclearings deutlich verbessert. Diese von den Zeugen beschriebenen Entwicklungen finden sich auch in dem umfassenden Bericht über das Stationäre Familienclearing vom 18. März 2017 wieder, welches anstatt der ansonsten üblichen sechsmonatigen Dauer bei der Familie des Klägers aufgrund der gezeigten positiven Entwicklungen auf nur drei Monate reduziert werden konnte. Aus dem dort aufgeführten Unterpunkt 11.7. lassen sich vielmehr Anhaltspunkte gegen ein fortbestehendes Misshandlungsrisiko entnehmen. Dort wird festgestellt, dass beide Eltern reflektionsfähig, intelligent und nach ihren eigenen Angaben selbst nicht geschlagen worden seien. Es liege kein Suchtproblem vor. Beide Eltern seien erwachsen, stünden im Berufsleben und hätten sozioökonomische Bedingungen für die Familiengründung geschaffen. Die vom Deutschen Jugendinstitut als Risiko beschriebenen Faktoren, wie beispielsweise „ausgeprägte negative Emotionalität (Niedergeschlagenheit, depressive Verstimmungen), überwältigende Gefühle des Ausgeliefertseins oder problemvermeidender Bewältigungsstil“ seien nicht zu beobachten gewesen. Ein soziales Netz sei vorhanden. In der Wahrnehmung des Kindes zeigten die Eltern ausweislich des Berichts keine negativ verzerrte Wahrnehmung. Die von den Mitarbeitern in der Einrichtung beschriebenen merklichen Verbesserungen lassen sich schließlich auch den in dem Abschlussbericht vergebenen Bewertungen entnehmen, wonach der Kläger in sämtlichen Bereichen (Physiologisches Kindeswohl, Emotionales Kindeswohl und Paardynamik) signifikante Verbesserungen auf der vorgegebenen Punkteskala hat erreichen können, im Bereich „emotionales Kindeswohl“ sogar fast eine Verdoppelung seines ursprünglichen Wertes. Dass es sich hierbei um Beobachtungen in einer klinischen Situation handelt, vermag den Aussagewert im Hinblick auf den allein zu bewältigenden Alltag nicht zu schmälern, da dies bei der Beurteilung des Misshandlungsrisikos in diesem Bericht berücksichtigt worden ist und zudem keinerlei neuen Erkenntnisse dazu vorliegen, dass sich die dort abzeichnende positive Entwicklung nicht tatsächlich auch im Alltag eingestellt haben könnte, zumal sich auch die Betreuungssituation aufgrund des fortgeschrittenen Alters des Sohnes und der damit einhergehenden erweiterten Kommunikationsmöglichkeiten entspannt haben dürfte.

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Auch die Persönlichkeit des Klägers spricht gegen die Annahme von in der Öffentlichkeit von ihm zukünftig zu befürchtenden Straftaten. Der Kläger wird von den vernommenen Zeugen ausnahmslos als ruhig, zurückhaltend, teils sogar als introvertiert beschrieben. Vorherige unkontrollierte Wutausbrüche oder eine schon einmal gezeigte Aggressivität lassen sich nicht feststellen. Es steht daher zukünftig nicht zu erwarten, dass sich der Kläger durch ein von ihm gezeigtes Verhalten selbst in den Fokus öffentlicher Beobachtungen stellen könnte. Negative persönliche Einflussfaktoren, wie beispielsweise Probleme mit Suchtmitteln, lassen sich schließlich weder aus den von der Staatsanwaltschaft Trier geführten Ermittlungen noch aus den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils vom 25. April 2018 ableiten, welchem eine umfangreiche und mehrtätige Beweisaufnahme unter Einvernahme nahezu sämtlicher den Kläger begleitender Personen vorausgegangen war.

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Jenseits der am 28. Juli 2016 gezeigten Tatbegehungsweise und der dort hervortretenden Impulskontrolle sind damit keine weiteren Anhaltspunkte greifbar, welche die Prognose von auch in der Öffentlichkeit im Bereich des Möglichen liegenden Straftaten des Klägers rechtfertigen könnten. Kriminalistische Erfahrungswerte zur Begründung solch einer Gefahrenprognose fehlen im Hinblick auf die hier verfahrensgegenständliche Tat ebenfalls.

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Die von dem Beklagten in diesem Zusammenhang vorgelegte Auswertung von im Zuständigkeitsbereich der Kriminalinspektion Trier im Zeitraum von September 2005 bis August 2017 registrierten 83 Fällen, die im Deliktsbereich der Misshandlung von Schutzbefohlenen erfasst worden sein sollen, ist zur Begründung eines kriminalistischen Erfahrungswertes, wonach Tatverdächtige wie der Kläger auch signifikant häufiger gegenüber Dritten außerhalb des familiär-häuslichen Bereichs Gewalt anwenden werden, in mehrfacher Hinsicht nicht geeignet. Tatsächlich befinden sich unter den herausgefilterten 83 Fällen nicht nur Taten wegen der Misshandlung von Schutzbefohlenen, sondern auch sechs Sexualdelikte, die damit schon dem Grunde nach so nicht vergleichbar sind. Die polizeiliche Ersterfassung des Deliktsbereichs entspricht häufig – wie auch vorliegend – nicht der nach Ermittlungsabschluss seitens der Staatsanwaltschaft vorgenommenen rechtlichen Einordnung der Delikte. Auch das hier zugrunde liegende Delikt wurde anfangs als Misshandlung eines schutzbefohlenen Kindes nach § 225 StGB registriert. Mangels hinreichenden Tatverdachts im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der rohen Misshandlung i.S.d. § 225 StGB – insoweit besteht auch kein Restverdacht mehr – erfolgte die Verurteilung entsprechend der staatsanwaltschaftlichen Würdigung bei Anklageerhebung jedoch wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB und damit wegen eines anderen Deliktsbereiches mit in Vergleich zu den nach § 225 Abs. 3 StGB ansonsten in Betracht zu ziehenden Qualifikationstatbeständen grundverschiedenem Strafrahmen. Ob bei den vom Beklagten aufgeführten Fällen überhaupt ein dem hiesigen Geschehen vergleichbarer Vorfall oder gar ein Schütteltrauma erfasst worden ist, lässt sich nicht feststellen. Es fehlen jegliche Informationen zu den eigentlichen Tatausführungen und zu deren Hintergründen, dem Alter der Tatopfer und zu dem persönlichen Umfeld der Tatverdächtigen, die aber gerade im Hinblick auf die hier maßgebliche Tat aufgrund der oben bereits dargestellten Vielschichtigkeit dieses Deliktes bei einem angestrebten Vergleich als Grundinformationen unerlässlich sind. Bei einer Vielzahl von auch mit weiteren Straftaten in dieser Statistik in Erscheinung getretenen Tatverdächtigen sind darüber hinausgehende und bei dem Kläger gerade nicht feststellbare Einflussfaktoren, wie z. B. Delikte im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität, zu erkennen. Schließlich kann anhand dieser Statistik auch nicht rekonstruiert werden, ob die dort aufgeführten Tatverdächtigen im Zusammenhang mit Misshandlungsdelikten im Anschluss an eine schon vorausgehende Delinquenz erfasst wurden oder ob es sich hierbei um deren erste Straffälligkeit gehandelt hat, die gegebenenfalls in Einzelfällen auch fortgesetzt und wiederholt begangen wurde.

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Nach alledem gelangt der Senat nach Würdigung sämtlicher Umstände zu dem Ergebnis, dass die Prognose zukünftigen delinquenten Verhaltens jedenfalls in Bezug auf öffentlich begangene Straftaten bei dem Kläger nicht auf tragfähige Anhaltspunkte gestützt werden kann. Dies stimmt mit der Einschätzung des zuständigen Jugendamtes überein, welches nach abgeschlossener stationärer Therapie eine Kindeswohlgefährdung – selbst in Bezug auf den familiären Bereich – nicht mehr angenommen und auf weitere sonstige jugendhilferechtlichen Maßnahmen schon zu diesem Zeitpunkt vollständig verzichtet hat. Die im Rahmen des Strafverfahrens vom Landgericht Trier getroffene positive Sozialprognose streitet auch bei Berücksichtigung der divergierenden Prognosemaßstäbe im Ergebnis jedenfalls mangels dort festgestellter sonstiger negativer Umstände für die Richtigkeit der hier getroffenen Einschätzung.

45

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

46

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.

47

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Beschluss

48

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 5.000,00 € festgesetzt (§§ 52 Abs. 2, 47 Abs. 1 GKG).

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