Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (7. Senat) - 7 B 10178/20.OVG

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Trier vom 14. Januar 2020 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Beschwerde ist unbegründet.

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Das Vorbringen in der Beschwerdebegründung, das der Senat allein berücksichtigen kann (§ 146 Abs. 4 Sätze 1, 3 und 6 VwGO), rechtfertigt keine Abänderung oder Aufhebung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

3

I. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, „den Antragsgegner zu verpflichten, im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO bis zur Entscheidung in der Hauptsache eine Ausbildungsduldung nebst Beschäftigungserlaubnis gemäß § 60a Abs. 1 Satz 4 AufenthG zu erteilen“ zu Recht abgelehnt, weil kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden ist. Es hat zutreffend festgestellt, dass ein Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach der zum Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Vorschrift des § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG aus zwei voneinander unabhängigen Gründen nicht besteht.

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Zum einen – so die Ausführungen im angefochtenen Beschluss – falle der Antragsteller schon nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der Norm. Als abgelehnter Asylbewerber, der nunmehr erstmals eine Ausbildung aufzunehmen beabsichtige, müsse er nach § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG im Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG sein. Dies sei indes nicht der Fall. Er könne sich hierbei auch nicht auf die Übergangsregelung des § 104 Abs. 17 AufenthG berufen, nach der bis zum 31. Dezember 2016 in das Bundesgebiet eingereiste Ausländer vom Erfordernis der vorangegangenen Duldung ausgenommen seien. Er sei zwar erstmalig im August 2015 eingereist, habe sich nachfolgend allerdings im Sommer 2018 nach Frankreich abgesetzt und sei untergetaucht gewesen. Deshalb sei die daran anschließende und erst am 12. September 2018 vollzogene Dublin-Rücküberstellung von Frankreich nach Deutschland als Ersteinreise in diesem Sinne zu qualifizieren.

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Zum anderen sei die Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. c und d AufenthG ausgeschlossen, weil schon im Zeitpunkt der Antragstellung konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorgestanden hätten.

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Die hiergegen gerichteten Einwendungen im Beschwerdeverfahren greifen nicht durch.

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1. Als abgelehntem Asylbewerber, der nunmehr erstmals eine Berufsausbildung aufnehmen will, kann dem Antragsteller eine Ausbildungsduldung nur erteilt werden, wenn er im Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG ist (§ 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Selbst dann wird aber die Ausbildungsduldung nicht erteilt, wenn der Ausländer bei Antragstellung noch nicht drei Monate im Besitz einer Duldung ist (§ 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG). So liegt der Fall hier.

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Mit dem am 1. Januar 2020 in Kraft getretenen Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung vom 8. Juli 2019 (BGBl. I S. 1021 ff.) hat der Gesetzgeber die bislang in § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG als besondere Fallgruppe einer Duldung aus dringenden persönlichen Gründen geregelte Ausbildungsduldung aus dem allgemeinen Duldungstatbestand in die neu geschaffene Vorschrift des § 60c überführt. Hierbei unterscheidet § 60c Abs. 1 Satz 1 AufenthG zwischen Ausländern, die bereits während des Asylverfahrens erlaubt eine Berufsausbildung aufgenommen haben (§ 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) und Ausländern, die erst im Status der Duldung eine Berufsausbildung aufnehmen (§ 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG), da daran nach § 60c Abs. 2 AufenthG teilweise unterschiedliche Erteilungsvoraussetzungen anknüpfen. So wird Ausländern bei der Aufnahme einer Ausbildung im Status der Duldung eine Ausbildungsduldung nicht erteilt, wenn der Ausländer bei Antragstellung noch nicht drei Monate im Besitz einer Duldung ist (§ 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG). Der in diesem Ausschlussgrund festgelegte Zeitraum von drei Monaten soll den Ausländerbehörden Gelegenheit geben, die Aufenthaltsbeendigung zu betreiben bzw. Maßnahmen zur Vorbereitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen zu ergreifen, wie zum Beispiel den Ausländer aufzufordern, sich einen Pass- oder Passersatz zu beschaffen (BT-Drucks. 19/8286, S. 15). Vor der Erteilung einer langfristigen Duldung mit Bleibeperspektive soll die Möglichkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausreichend geprüft werden können (vgl. zu alledem: Fehrenbacher, in: HTK-AuslR, Stand: Februar 2020, § 60c AufenthG, zu Abs. 1 – Voraussetzungen und Abs. 2 – Versagungsgründe).

9

Der Antragsteller ist nicht im Besitz einer Duldung. Ihm wurde seit seiner im September 2018 vollzogenen Rücküberstellung keine Duldung mehr erteilt, nachdem er auch zuvor nach für ihn negativer Beendigung seines Asylklageverfahrens lediglich im Zeitraum vom 12. April bis 10. Juni 2018 geduldet worden war. Dem Antragsteller steht auch kein Rechtsanspruch auf vorübergehende Aussetzung seiner Abschiebung nach § 60a AufenthG zu, der schon seit drei Monaten besteht und der den Zeiten eines Duldungsbesitzes gleichzustellen sein könnte.

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a) Entgegen der Annahme in der Beschwerdebegründung steht dem Antragsteller aufgrund der „Weisungslage“ in Rheinland-Pfalz zum Umgang mit abgelehnten afghanischen Asylbewerbern kein Duldungsanspruch nach § 60a AufenthG zu.

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Der Antragsteller stützt seine Auffassung auf zwei Schreiben des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz (nachfolgend: MFFJIV) vom 7. Oktober 2016 und 7. Dezember 2018 an die nachgeordneten Ausländerbehörden. In diesen wird im Wesentlichen ausgeführt, dass Abschiebungen nur in begrenzten Einzelfällen und nach Zustimmung des Ministeriums möglich seien. Zustimmungserklärungen würden „in Aussicht gestellt“ bei afghanischen Staatsangehörigen, bei denen Ausweisungsinteressen im Sinne des § 54 AufenthG vorlägen oder die darüber hinaus über Bezüge zu extremistischen oder terroristischen Organisationen verfügten. Auch bei Personen, die wegen im Bundesgebiet begangener Straftaten verurteilt worden seien, werde – wie bisher auch – die Zustimmung im Regelfall bei einer Verurteilung zu Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen oder Freiheitsstrafen von mehr als 90 Tagen in Aussicht gestellt. Hieraus schlussfolgert der Antragsteller, dass die Abschiebung nach Afghanistan für Ausländer, die nicht einer der in diesen Schreiben genannten Personengruppen zugeordnet werden könnten, grundsätzlich ausgeschlossen und zugleich aus rechtlichen Gründen unmöglich sei. Die im Wege von Verwaltungsvorschriften getroffenen Anordnungen des Ministeriums bewirkten, dass ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vorliege, wenn die Behörde von der mit diesen Schreiben vorgegebenen Verwaltungspraxis abweiche. Dies sei in seinem Fall anzunehmen. Da er im Strafverfahren mit Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 8. Dezember 2017 vom Tatvorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung rechtskräftig freigesprochen sowie das in diesem Zusammenhang nachfolgend geführte Ermittlungsverfahren wegen Vortäuschens einer Straftat von der Staatsanwaltschaft Trier nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei und sich schließlich im mit Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 10. April 2019 rechtskräftig beendeten Verfahren über seinen Asylfolgeantrag gerade keine Anhaltspunkte für eine von ihm ausgehende Gefährdung der Bundesrepublik Deutschland ergeben hätten, liege ein Ausweisungsinteresse, insbesondere nach den §§ 54 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 2 AufenthG, bei ihm offensichtlich nicht vor.

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Diese Überlegungen treffen in mehrfacher Hinsicht nicht zu. Der Antragsteller kann aus den vom MFFJIV als „Richtlinien“ bezeichneten und zuletzt mit dem vorerwähnten Schreiben vom 7. Dezember 2018 präzisierten Vorgaben zum Umgang mit abgelehnten afghanischen Asylbewerbern keinen Anspruch auf Aussetzung seiner Abschiebung nach § 60a AufenthG ableiten.

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Ein Aussetzungsanspruch folgt insbesondere nicht aus § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, da ein Abschiebestopp nach dieser Vorschrift – anders als in der Vergangenheit – von der obersten Landesbehörde aktuell nicht angeordnet worden ist. Der ausweislich des in der Ausländerakte befindlichen Schreibens des MFFJIV vom 28. Juli 2014 am selben Tage bis zum 27. Januar 2015 angeordnete Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG (vgl. hierzu Bl. 168 d. VA) wurde nachfolgend nicht weiter verlängert (vgl. hierzu das Folgeschreiben des MFFJIV vom 26. Januar 2015, abrufbar unter: https://www.ini-migration.de/rechtsgrundlagen.html).

14

Die Abschiebung des Antragstellers ist im Hinblick auf die vom MFFJIV getroffenen Regelungen auch nicht nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszusetzen, weil die Abschiebung insoweit weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen unmöglich ist. Aus diesen verwaltungsinternen Regelungen zum Umgang mit abgelehnten afghanischen Asylbewerbern kann allenfalls ein aus Art. 3 GG in Verbindung mit der Selbstbindung der Verwaltung resultierender Anspruch begründet werden, nicht vor Erteilung der Zustimmung seitens des Fachministeriums abgeschoben zu werden (vgl. zu ähnlich gefassten „Vollzugshinweisen“ des bayerischen Fachministeriums für ausreisepflichtige iranische Staatsangehörige, die im Asylverfahren eine Konversion zum Christentum geltend machen: BayVGH, Beschluss vom 8. November 2019 – 10 CE 19.1517 –, juris, Rn. 14). Rechtlich gehindert, die Abschiebung durchzuführen, ist die Ausländerbehörde dadurch aber nicht. Selbst bei einer fehlenden Zustimmung liegt kein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis und erst recht kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot vor, weil die Frage, ob vor der Einleitung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen eine nochmalige verwaltungsinterne Überprüfung einer die Gewährung von Flüchtlingsschutz ablehnenden Entscheidung erfolgt, nichts mit den Verhältnissen im Zielstaat zu tun hat (vgl. erneut: BayVGH, Beschluss vom 8. November 2019 – 10 CE 19.1517 – a.a.O.).

15

Im vorliegenden Fall liegt ohnehin die Zustimmung des Fachministeriums vor. Der in der Beschwerdebegründung aufgestellten und an den Antragsgegner gerichteten Forderung, entsprechend den Vorgaben der internen Handlungsanweisungen zu handeln, ist der Antragsgegner damit gerade nachgekommen.

16

Das MFFJIV hat die vom Antragsgegner mit Schreiben vom 26. März 2018 erbetene Zustimmung zur Rückführung des Antragstellers am 24. April 2018 nach dem rechtskräftigen Freispruch des Antragstellers im Strafverfahren erteilt (vgl. Bl. 229-230 d. VA). Es hat hierzu ausgeführt, die Sachverhaltsprüfung in der Fachabteilung des Ministeriums habe ergeben, dass bei dem Betroffenen ein schweres Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG vorliege und zudem nicht abschließend auszuschließen sei, dass von ihm weiterhin eine Gefahr ausgehe.

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Es ist auch nicht im Ansatz etwas dafür erkennbar, dass das Ministerium – so die Behauptung in der Beschwerdebegründung – an dieser Erklärung nach dem vor dem Verwaltungsgericht Trier geführten und mit Urteil vom 10. April 2019 beendeten Klageverfahren über den Asylfolgeantrag des Antragstellers nicht weiter festhalten könnte. Das Gegenteil ist der Fall, was sich eindrücklich beispielsweise aus einer E-Mail des Ministeriums an den Antragsgegner vom 7. Oktober 2019 entnehmen lässt, in welcher der Antragsgegner gebeten wird, den Haftantrag bzgl. des Antragstellers zu aktualisieren (vgl. Bl. 1120 d. VA).

18

Im Übrigen – ohne dass es aus den vorgenannten Gründen hierauf im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren noch entscheidungserheblich ankommt – ist die Bewertung des Ministeriums, im Fall des Antragstellers ein schweres Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 AufenthG anzunehmen, zutreffend. Er ist damit ohnehin dem Personenkreis zuzurechnen, für den nach den zuletzt mit Schreiben des Ministeriums vom 7. Dezember 2018 präzisierten Kriterien gegenüber den nachgeordneten Ausländerbehörden eine Zustimmung zur Abschiebung nach Afghanistan durch das Fachministerium in Aussicht gestellt worden ist.

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Beim Antragsteller liegt jedenfalls ein schweres Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vor. Hiernach wiegt das Ausweisungsinteresse unter anderem dann schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Dies ist vorliegend der Fall.

20

Der Antragsteller hat entweder die ihm im Strafverfahren zur Last gelegten Straftaten begangen, nämlich sich in zwei rechtlich selbständigen Fällen als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung (den Taliban) im Ausland beteiligt, jeweils tateinheitlich hierzu über Kriegswaffen ohne Erlaubnis die tatsächliche Gewalt ausgeübt, und dazu in einem Fall tateinheitlich vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat – einem aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch begangenen Mord – Hilfe geleistet (§§ 129a, 129b, 211, 27 StGB sowie § 22a KrWaffKontrG). Oder aber er hat in schwerwiegender Weise gegen § 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB verstoßen und die von ihm in seinen Bundesamtsanhörungen und anschließenden Beschuldigtenvernehmungen beschriebenen Straftaten vorgetäuscht, so wie es ihm im bei der Staatsanwaltschaft Trier unter dem Aktenzeichen 8033 Js 11398/18 geführten Ermittlungsverfahren zur Last gelegt worden war. Dass das Strafverfahren mit einem Freispruch endete und auch das Ermittlungsverfahren wegen Vortäuschens einer Straftat schon von der Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 18. Dezember 2019 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, ist hierbei unerheblich. Denn beide Verfahrensbeendigungen erfolgten aus tatsächlichen Gründen, weil nach Ausschöpfung aller Beweis- und Erkenntnismittel die notwendige Überzeugungsgewissheit für die Richtigkeit der allein auf die Angaben des Antragstellers beruhenden Angaben nicht gewonnen werden konnte. Mit der damit nicht weiter aufklärbaren Handlungsalternativität – entweder war die Selbstbezichtigung hinsichtlich der auch im Strafverfahren zugrunde gelegten Tatvorwürfe zutreffend oder der Antragsteller hat diese detaillierten Schilderungen aus rein asyltaktischen Gründen frei erfunden – steht zugleich sicher fest, dass der Antragsteller jedenfalls einen von mehreren alternativ in Betracht kommenden Straftatbeständen erfüllt hat (vgl. grundlegend zur im Strafrecht in so einem Fall grundsätzlich möglichen Verurteilung nach der dem Strafverfahrensrecht zuzuordnenden Entscheidungsregel der „ungleichartigen Wahlfeststellung“: BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2019 – 2 BvR 167/18 –, juris). Dass eine strafrechtliche Verurteilung im Wege der ungleichartigen Wahlfeststellung vorliegend tatsächlich nicht erfolgt ist und mangels „rechtsethischer“ und „psychologischer“ Gleichwertigkeit der jeweils alternativ verwirklichten Straftatbestände wohl auch nicht möglich gewesen wäre (vgl. zu diesen – weiteren – Verurteilungsvoraussetzungen im Strafverfahren erneut: BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2019 – 2 BvR 167/18 –, juris, Rn. 30 und 38), steht der Berücksichtigung dieses Verhaltens des Antragstellers im ausländerrechtlichen Verfahren nicht entgegen. Ist der Rechtsverstoß im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG – wie hier – eine Straftat, so ist es nicht notwendig, dass der Ausländer verurteilt worden ist. Für den Verstoß gegen Rechtsvorschriften ist allein die objektive Rechtswidrigkeit ausreichend (vgl. Neidhardt, in: HTK-AuslR, Stand: Januar 2016, § 54 AufenthG, zu Abs. 2 Nr. 9, Ziffer 2.1 m.w.N.).

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b) Der Versagungsgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG wird auch nicht durch die erstmals im Beschwerdeverfahren geltend gemachten allgemeinen Duldungsgründe der rechtlichen Unmöglichkeit wegen einer behaupteten Reiseunfähigkeit sowie der tatsächlichen Unmöglichkeit einer Abschiebung nach Afghanistan wegen der aktuellen Coronavirus-Pandemie beseitigt. Dies gilt schon allein deshalb, weil ein auf diese beiden Umstände zurückzuführender Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG jeweils noch keine drei Monate bestünde.

22

Die mit der Beschwerdebegründung vom 20. Februar 2020 erstmals behauptete und im Übrigen nicht hinreichend glaubhaft gemachte Reiseunfähigkeit aufgrund einer Suizidgefährdung soll im Zusammenhang mit einem deswegen notwendigen Psychiatrieaufenthalt des Antragstellers im Zeitraum vom 21. Februar bis zum 18. März 2020 stehen. Im Hinblick auf die aktuelle Situation anlässlich der Coronavirus-Pandemie bezieht sich der Antragsteller auf einen Schriftsatz des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 20. März 2020, wonach das Bundesinnenministerium dieses am selben Tag darüber informiert habe, dass die afghanischen Behörden Abschiebungen bis auf weiteres ausgesetzt hätten. Die diesem Schriftsatz ergänzend beigefügte Presseberichterstattung über eine vom Bundesinnenministerium bestätigte Aussetzung von Abschiebungen nach Afghanistan datiert vom 30. März 2020.

23

c) Schließlich hat das Verwaltungsgericht auch zutreffend festgestellt, dass sich der Antragsteller nicht auf die in § 104 Abs. 17 AufenthG getroffene Übergangsregelung berufen kann, wonach der Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht gilt, wenn die Einreise in das Bundesgebiet bis zum 31. Dezember 2016 erfolgt ist und die Berufsausbildung vor dem 2. Oktober 2020 begonnen wird. Entgegen der Auffassung des Antragstellers kann nicht auf seine erstmalige Einreise in das Bundesgebiet abgestellt werden. Vielmehr ist der Antragsteller an einem nicht mehr näher feststellbaren Tag im Zeitraum vom 11. Mai 2018 – einer der Aktenlage noch entnehmbaren Vorsprache bei einem Autohaus (vgl. Bl. 235-236 d. VA) – bis Anfang Juni 2018 nach Frankreich ausgereist. Dort hat er am 5. Juni 2018 unter falschen Personalien einen Asylantrag gestellt, nachdem er im Übrigen schon zuvor im Strafverfahren ein von seinen im deutschen Asylverfahren ursprünglich mitgeteilten Personalien abweichendes, jüngeres Geburtsdatum angegeben hatte. Dieses Verhalten – die Ausreise mit anschließender Asylantragstellung in Frankreich unter Verwendung von Aliaspersonalien – kann unter keinem denkbaren Gesichtspunkt als nur „kurzzeitiges“ oder „vorübergehendes“ Verlassen des Bundesgebiets bewertet werden, welches bei Bestimmung des nach § 104 Abs. 17 AufenthG maßgeblichen Einreisedatums außer Betracht bleiben könnte (vgl. hierzu auch § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG, wonach selbst ein Aufenthaltstitel erlischt, wenn ein Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist).

24

2. Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend angenommen, dass der Erteilung einer Ausbildungsduldung der Versagungsgrund der konkret bevorstehenden Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nach § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. c und d AufenthG entgegensteht.

25

Schon der erste Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung vom 7. Dezember 2018 konnte nicht zum Erfolg führen, weil der Antragsgegner bis zu diesem Zeitpunkt bereits (mehrere) konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers getroffen hatte. Das Verwaltungsgericht Trier hat daher schon diesen ersten Antrag zu Recht mit (rechtskräftigem) Eilrechtsbeschluss vom 15. März 2019 – 11 L 947/19.TR – abgelehnt und hierbei im Einzelnen aufgeführt, welche aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vom Antragsgegner eingeleitet worden waren, die einem Ausbildungsduldungsanspruch entgegenstanden. Insbesondere die in dem Beschluss genannten Abschiebeversuche, die Inhaftnahme des Antragstellers nach seiner Rücküberstellung aus Frankreich sowie die Erfassung im so genannten „Rückführer-Pool“ und die damit einhergehende fortlaufende Einbuchung in Flüge nach Afghanistan sind auch nach Neufassung dieses Ausschlussgrundes in der seit dem 1. Januar 2020 geltenden Fassung des § 60c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG ohne Zweifel als hinreichend konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung zu bewerten.

26

An dieser Situation hat sich auch im Hinblick auf den erneuten, im August 2019 gestellten Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nichts verändert. Dies hat bereits das Verwaltungsgericht im Einzelnen und mit in jeder Hinsicht zutreffender Begründung dargelegt. Auf die entsprechenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss, denen sich der Senat inhaltlich vollumfänglich anschließt, wird deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.

27

Entgegen dem Einwand in der Beschwerdebegründung konnte der Antragsgegner auch schon bei den im Jahre 2018 nach Beendigung des Asylklageverfahrens und nach Vorliegen der Zustimmungserklärung des MFFJIV eingeleiteten Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung davon ausgehen, dass eine Abschiebung des Antragstellers in einem hinreichenden sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit diesen Maßnahmen möglich sei. Der hiergegen unter Verweis auf einen Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. November 2018 – 10 CE 18.1598 – (juris) vorgebrachte Einwand, dass der Antragsgegner seinerzeit – und nach Auffassung des Antragstellers wohl auch noch heute – nicht hätte davon ausgehen können, dass und gegebenenfalls wann die Abschiebung des Antragstellers tatsächlich durchgeführt werden könnte, trifft nicht zu.

28

Im Fall des Antragstellers hat das zuständige Fachministerium seine Zustimmung zur Abschiebung schon im April 2018 ausdrücklich erteilt. Weitere Umstände, die einer zwangsweisen Rückführung des Antragstellers ab diesem Zeitpunkt entgegenstanden und zugleich sämtliche hierauf bezogenen Maßnahmen der Ausländerbehörde als von vornherein „überflüssig“ hätten erscheinen lassen können, sind nicht ersichtlich. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen unter Ziffer 1 Buchst. a verwiesen, wonach dem Antragsteller aufgrund der zur Rückführung von abgelehnten afghanischen Asylbewerbern in Rheinland-Pfalz getroffenen Regelungen gerade kein Duldungsanspruch nach § 60a AufenthG zusteht. Die in der Beschwerdebegründung zitierten Ausführungen aus dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. November 2018 – 10 CE 18.1598 –betreffen auch in zeitlicher Hinsicht eine abweichende Situation, da sich diese ausschließlich auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen beziehen, die im Zeitraum von August 2017 bis Anfang Juni 2018 getroffen worden waren. In diesem Zeitraum hatte das Bayerische Staatsministerium des Innern unter Bezugnahme auf eine Verständigung des Bundesministers des Innern und des Auswärtigen die Rückführung von afghanischen Staatsangehörigen durch die vom Bund organisierten Sammelabschiebungen auf der Basis einer zuvor erfolgten Einzelfallprüfung auf die Personengruppen Straftäter, Gefährder und hartnäckige Identitätsverweigerer beschränkt; eigene Abschiebungsmaßnahmen wurden durch den Freistaat Bayern in diesem Zeitraum nicht durchgeführt (vgl. Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. November 2018 – 10 CE 18.1598 – juris, Rn. 15 sowie den dort zitierten weiteren Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Januar 2018 – 19 CE 18.51 –, juris, Rn. 28 ff.). Aus dieser besonderen Situation in der Vergangenheit und deren Bewertung für den Freistaat Bayern lassen sich für den hier zur Entscheidung anstehenden Sachverhalt keine Rückschlüsse ziehen.

29

II. Soweit der Antragsteller im Beschwerdeverfahren einen allgemeinen Duldungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit der „Weisungslage“ in Rheinland-Pfalz, der behaupteten Reiseunfähigkeit und der aktuellen „Covid-19-Situation“ geltend macht und damit der Sache nach den Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung beantragt, führt auch dies nicht zum Erfolg seiner Beschwerde. Anders als im Klageverfahren hat er seinen erstinstanzlichen Eilantrag – im Beschwerdeverfahren hat er keinen Antrag mehr gestellt – ausdrücklich darauf beschränkt, ihm eine Ausbildungsduldung zu erteilen (vgl. Bl. 2 GA). Im Anschluss daran hat deswegen auch das Verwaltungsgericht nur über einen auf eine Duldung zu Ausbildungszwecken beschränkten Antrag entschieden und nur einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60c i.V.m. § 60a Abs. 2 AufenthG (sog. Ausbildungsduldung) geprüft. Der Austausch bzw. die Erweiterung des Antragsgrundes, der mit einer wesentlichen Änderung der zu prüfenden rechtlichen Gesichtspunkte einhergeht, stellt eine im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 VwGO unzulässige Antragsänderung dar (vgl. zu einer identischen Situation, dem Übergang von einer begehrten Ausbildungsduldung zu einem allgemeinen Aussetzungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG: Beschluss des Senats vom 5. Januar 2017 – 7 B 11589/16.OVG –, juris, Rn. 10). Gründe, die ausnahmsweise die Zulässigkeit einer Antragsänderung im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 VwGO rechtfertigen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

30

Im Hinblick auf einen Duldungsanspruch wegen einer Reiseunfähigkeit und/oder der aktuellen Rückkehrsituation im Zusammenhang mit der aktuellen Coronavirus-Pandemie würde es im Übrigen am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis zum Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO fehlen. Vor Stellung eines Eilantrags auf vorläufige Erteilung einer Duldung ist zunächst bei der Ausländerbehörde eine Duldung zu beantragen (vgl. Dittrich/Breckwoldt, in: HTK-AuslR, Stand: September 2019, § 60a AufenthG, vorläufiger Rechtsschutz auf Erlass einer Duldung, 5.1 – Antragserfordernis, m.w.N.). Dies ist vorliegend indes nicht geschehen.

31

Hinsichtlich einer einstweiligen Anordnung auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung aufgrund der in Rheinland-Pfalz zum Umgang mit abgelehnten afghanischen Asylbewerbern getroffenen Regelungen stünde dem Antragsteller ohnehin in der Sache kein Anordnungsanspruch zur Seite (vgl. hierzu erneut oben Ziffer 1 Buchst. a).

32

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

33

Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstands beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 8.3 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (LKRZ 2014, 169 ff.).

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