Urteil vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (5. Senat) - 5 KS 27/19

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen jeweils zur Hälfte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar; für die Beigeladene indes nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckendes Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Kläger wandten sich mit ihrer am 15. November 2013 beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht eingereichten Klage ursprünglich gegen die Genehmigung einer Abfallentsorgungsanlage in der … in A-Stadt.

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Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 18. Dezember 2018 an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgerichts verwiesen.

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Am 24. November 2021 hat ein mündlicher Verhandlungstermin vor dem Senat stattgefunden, in dem die Sache vertagt worden ist.

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Mit Verfügung vom 20. Dezember 2021 hat der Senat die Beteiligten davon in Kenntnis gesetzt, dass beabsichtigt sei, hinsichtlich der Frage der Immissionsbelastung durch Staub (nach TA Luft) ein gerichtliches Sachverständigengutachten (Immissionsprognose) einzuholen und hiermit das H. aus H-Stadt/Niedersachsen zu beauftragen.

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Mit Schriftsatz vom 11. Januar 2022 haben die Kläger einen Hinweis des Senats erbeten, dass die Kosten des Gutachtens samt seiner gegebenenfalls erforderlichen Erläuterung vor Gericht unabhängig vom Ausgang des Verfahrens von der Beigeladenen und dem Beklagten zu tragen sein werden. Es sei davon auszugehen, dass § 155 VwGO Raum für eine derartige Kostenregelung gebe. Die Beigeladene hätte bereits im Genehmigungsverfahren wegen der Überschreitung der Bagatellmassenströme eine Immissionsprognose vorlegen müssen.

6

Mit Verfügung vom 28. Januar 2022 hat der Senat den Klägern mitgeteilt, dass der von den Klägern erbetene Hinweis, dass die Kosten eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens (Staubimmissionsprognose) unabhängig vom Ausgang des Verfahrens von dem Beklagten bzw. der Beigeladenen zu tragen sein werden, nicht erteilt werde. Die Kosten für ein gerichtliches Sachverständigengutachten seien als Auslagen Teil der Gerichtskosten (vgl. § 162 Abs. 1 VwGO) und damit Bestandteil der abschließenden Kostenentscheidung nach §§ 154 f. VwGO.

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Das H. hat auf eine entsprechende gerichtliche Anfrage unter dem 18. März 2022 erklärt, dass für die Erstellung des Gutachtens (Staubimmissionsprognose) geschätzt 8.000 € zuzüglich Mehrwertsteuer zu veranschlagen seien.

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Die Kläger haben mit Schriftsatz vom 22. April 2022

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den Rechtsstreit für erledigt erklärt.

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Die Kläger machen geltend, es unterbinde den effektiven Rechtsschutz, wenn mit der Verlagerung der Aufklärung aus dem Genehmigungsverfahren in das gerichtliche Verfahren die Gutachterkosten von der Beigeladenen in das allgemeine Prozessrisiko und damit gegebenenfalls auf die Kläger verschoben würden. Angesichts dessen, dass der Senat nicht zu dem erbetenen Hinweis bereit gewesen sei, sei es keine Option für die Kläger, das Gutachten erst erstellen zu lassen und sodann je nach Ergebnis über eine Erledigung nachzudenken. Denn dann seien die erheblichen Kosten bereits entstanden und es bestehe das Risiko, dass diese ganz oder teilweise den Klägern auferlegt würden.

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Der Beklagte

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stimmt der Erledigungserklärung nicht zu.

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Der Beklagte macht geltend, es mangele an einem erledigenden Ereignis. Die Kläger wollten mit der Erledigungserklärung dem Risiko entgehen, die Kosten des gerichtlich beauftragten Gutachters tragen zu müssen. Ihm – dem Beklagten – könnten Kosten nach § 155 Abs. 4 VwGO nicht auferlegt werden. Er habe weder durch Fehler im Verwaltungsverfahren die Klageerhebung noch sonst vermeidbare Mehrkosten veranlasst. Allein das Ergebnis eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens hätte Anlass für die Frage der Kostenauferlegung zu seinen Lasten als von ihm gegebenenfalls verschuldete Mehrkosten nach § 155 Abs. 4 VwGO geben können. Durch die eigenverantwortliche Entscheidung der Kläger, den Rechtsstreit vor Einholung des Sachverständigengutachtens für erledigt zu erklären, bleibe diese Frage offen. Zudem sei nicht allein eine etwaig fehlende Staubimmissionsprognose und die Beeinträchtigung der Kläger durch Staubimmissionen Klagegegenstand gewesen. Auch die Lärmimmissionsprognose sowie die Frage der Anwendbarkeit der 12. BImSchV auf die streitgegenständlichen Genehmigungen hätten die Kläger gerichtlich überprüfen wissen wollen. Auch bezüglich dieser Aspekte liege kein Fall des § 155 Abs. 4 VwGO vor.

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Die Beigeladene beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beigeladene macht geltend, es fehle an den objektiven Voraussetzungen einer Erledigung im prozessualen Sinne. Vielmehr wollten die Kläger das Verfahren beenden, nachdem ihnen bewusst geworden sei, mit welchem Kostenrisiko eine Weiterführung des Rechtsstreits verbunden sei. Die klägerische Erledigungserklärung stelle sich als verdeckte Klagrücknahme dar.

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Auf die gerichtliche Anfrage vom 9. Mai 2022 haben alle Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter erklärt. Den Beteiligten ist mit Verfügung des Berichterstatters vom 25. Mai 2022 – den Klägern und dem Beklagten am 27. Mai 2022 und der Beigeladenen am 30. Mai 2022 zugestellt – Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme binnen zwei Wochen gegeben worden.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Eine Entscheidung konnte nach § 87a Abs. 2 und 3, § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter ergehen, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben.

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Die Klage ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.).

21

I. Die Erledigungserklärung der Kläger ist einseitig geblieben, da der Beklagte sich ihr nicht angeschlossen hat. Eine einseitige Erledigungserklärung enthält zugleich den Antrag festzustellen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, ohne dass es insoweit einer ausdrücklichen Antragstellung bedarf (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 05.08.2020 – 4 S 1045/20 –, juris Rn. 8 m.w.N.). Der Übergang vom ursprünglichen Klageantrag zum Erledigungsfeststellungsantrag unterliegt nicht den Einschränkungen des § 91 VwGO (vgl. BVerwG, Urt. v. 01.09.2011 – 5 C 21.10 –, juris Rn. 10).

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II. Der Feststellungsantrag ist unbegründet.

23

Geben nur – wie hier – die Kläger eine Erledigungserklärung ab, so hat sich die gerichtliche Prüfung darauf zu beschränken, ob die behauptete Erledigung tatsächlich eingetreten ist. Fällt diese Prüfung positiv aus, ist dem Feststellungsantrag stattzugeben, anderenfalls ist die Klage abzuweisen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erledigt sich die Hauptsache, wenn in einem anhängig gewordenen Verfahren ein außerprozessuales Ereignis eintritt, das geeignet ist, dem Rechtsschutzbegehren die Grundlage zu entziehen. Dies ist der Fall, wenn das Rechtsschutzziel aus Gründen, die nicht in der Einflusssphäre der Kläger liegen, nicht mehr zu erlangen ist, weil es entweder bereits außerhalb des gerichtlichen Verfahrens erreicht worden oder überhaupt nicht mehr erreichbar ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.10.1997 – 4 NB 35/96 –, juris Rn. 7 und 10).

24

Unter Berücksichtigung dessen hat sich das von den Klägern eingeleitete Klageverfahren nicht erledigt; dem Rechtsschutzbegehren ist nicht durch ein außerprozessuales Ereignis die Grundlage entzogen worden. Die Kläger haben den Rechtsstreit für erledigt erklärt, weil sie dem Prozessrisiko entgegen wollten, die Kosten eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens (Staubimmissionsprognose) tragen zu müssen.

25

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Kläger tragen die Verfahrenskosten jeweils zur Hälfte, weil ihr Feststellungsantrag erfolglos geblieben ist. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nach § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, weil sie einen Sachantrag gestellt hat und damit nach § 154 Abs. 3 VwGO ein Kostenrisiko eingegangen ist.

26

Die Kosten des Verfahrens sind nicht abweichend von § 154 Abs. 1 VwGO gemäß § 155 Abs. 4 VwGO dem Beklagten und der Beigeladenen aufzuerlegen. Hiernach können Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Die Vorschrift räumt dem Gericht ein Ermessen ein, ob es schuldhaft verursachte Kosten von den sonstigen Kosten abgetrennt dem Veranlasser auferlegt (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 31.08.2021 – 12 B 1287/21 –, juris Rn. 48; Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 155 Rn. 76, 79).

27

Weder der Beklagte noch die Beigeladene haben schuldhaft kostenträchtige Maßnahmen des Gerichts oder sonst vermeidbare Mehrkosten veranlasst. Unter Umständen hätte im Falle der Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens (Staubimmissionsprognose) das Ergebnis Anlass für die Frage geben können, ob die damit verbunden Mehrkosten nach § 155 Abs. 4 VwGO dem Beklagten und der Beigeladenen aufzuerlegen sind. Diese Frage stellt sich indes nicht, weil die Kläger den Rechtsstreit vor Einholung einer Staubimmissionsprognose für erledigt erklärt haben.

28

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht hinsichtlich der Beigeladenen auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO und hinsichtlich des Beklagten auf § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

29

Gründe, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen könnten (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor.


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