Beschluss vom Sächsisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 M 81/19
Gründe
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1. Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Magdeburg - 5. Kammer - vom 29. Mai 2019, deren Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkt ist, hat keinen Erfolg.
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Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis erlassen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder wenn die Regelung aus anderen Gründen nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sowie die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit den §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft zu machen. Wird mit einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Hauptsache ganz oder teilweise vorweggenommen und dadurch in aller Regel ein faktisch endgültiger Zustand geschaffen, kann eine Regelung nur ergehen, wenn der Antragsteller in der Hauptsache zumindest überwiegende Erfolgsaussichten hat und schlechthin unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen ausgesetzt wäre, wenn er auf den rechtskräftigen Abschluss eines Klageverfahrens verwiesen werden müsste. Überwiegende Aussichten in der Hauptsache bestehen hingegen nur dann, wenn der geltend gemachte Anspruch mit größter Wahrscheinlichkeit begründet ist und aller Voraussicht nach auch im Hauptsacheverfahren bestätigt werden wird (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 5. Januar 2007 - 1 M 1/07 -, juris [m. w. N.]).
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Die Annahme des Verwaltungsgerichtes, die Antragsgegnerin habe den aus Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG resultierenden Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers in dem hier streitigen Auswahlverfahren nicht verletzt, wird von der Beschwerde nicht schlüssig in Frage gestellt.
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Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Danach sind öffentliche Ämter nach Maßgabe des Leistungsgrundsatzes zu besetzen, dessen Geltung durch Art. 33 Abs. 2 GG unbeschränkt und vorbehaltlos gewährleistet wird. Art. 33 Abs. 2 GG vermittelt ein grundrechtsgleiches Recht auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl unmittelbar nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Ein Bewerber um ein öffentliches Amt kann verlangen, dass seine Bewerbung nur aus Gründen zurückgewiesen wird, die durch den Leistungsgrundsatz gedeckt sind (Bewerbungsverfahrensanspruch). Der Bewerberauswahl dürfen nur Gesichtspunkte zugrunde gelegt werden, die den von Art. 33 Abs. 2 GG geforderten Leistungsbezug aufweisen (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 - 2 C 19.10 -, NVwZ 2011, 1270 [m. w. N.]). Ein Beförderungsbewerber hat dementsprechend einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr über seine Bewerbung ermessens- und beurteilungsfehlerfrei entscheidet (BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. Juli 2002 - 2 BvQ 25/02 -, NVwZ 2002, 1367, und Kammerbeschluss vom 24. September 2002 - 2 BvR 857/02 -, NVwZ 2003, 200; BVerwG, Urteil vom 21. August 2003 - 2 C 14.02 -, BVerwGE 118, 370 [m. z. N.]).
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Die im Rahmen der Ermessensentscheidung vorzunehmende Beurteilung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ist ein Akt wertender Erkenntnis, bei dem der Ernennungsbehörde durch Art. 33 Abs. 2 GG ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist mit der Folge, dass Verwaltungsgerichte bei der Überprüfung der behördlichen Entscheidung darauf beschränkt sind, die Einhaltung seiner Grenzen zu kontrollieren, nämlich ob der Dienstherr den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen der Beurteilungsermächtigung verkannt hat, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat (siehe: OVG LSA, Beschluss vom 26. August 2009 - 1 M 52/09 -, juris [m. w. N.]). Wird das subjektive Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung des Dienstherrn verletzt, folgt daraus, dass der unterlegene Bewerber eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung zumindest dann beanspruchen kann, wenn seine Aussichten, beim zweiten Mal ausgewählt zu werden, offen sind, d. h. wenn seine Auswahl möglich erscheint (BVerfG, Beschluss vom 24. September 2002 - 2 BvR 857/02 -, NVwZ 2003, 200).
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Aus Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG folgt des Weiteren die Verpflichtung des Dienstherrn, die seiner Entscheidung zugrunde liegenden wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen. Nur durch eine schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahlerwägungen - deren Kenntnis sich der unterlegene Bewerber gegebenenfalls durch Akteneinsicht verschaffen kann - wird der Mitbewerber in die Lage versetzt, sachgerecht darüber befinden zu können, ob er die Entscheidung des Dienstherrn hinnehmen soll oder ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch auf faire und chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung bestehen und er gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen will. Darüber hinaus eröffnet erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen dem Gericht die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen. Schließlich stellt die schriftliche Dokumentation der Auswahlerwägungen sicher, dass die Bewertungsgrundlagen der entscheidenden Stelle vollständig zur Kenntnis gelangt sind; sie erweist sich damit als verfahrensbegleitende Absicherung der Einhaltung der Maßstäbe des Art. 33 Abs. 2 GG (so ausdrücklich: BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2008 - 1 WB 19.08 -, NVwZ-RR 2009, 604, unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 2007 - 2 BvR 206/07-, NVwZ 2007, 1178).
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Für die Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung kommt es dabei allein auf die Erwägungen an, die der Dienstherr bei seiner Auswahlentscheidung in Ausübung seines Verwendungsermessens und des ihm vorbehaltenen Beurteilungsspielraums hinsichtlich der Eignung der Kandidaten angestellt hat. Mit dieser Entscheidung wird zugleich die Sach- und Rechtslage fixiert, die maßgeblich für die gerichtliche Beurteilung ist. Zwar können Ermessenserwägungen sowie Einschätzungen, bei denen ein Beurteilungsspielraum besteht, in entsprechender Anwendung des § 114 Satz 2 VwGO im gerichtlichen Verfahren ergänzt werden. Hierzu gehört indes nicht die vollständige Nachholung oder die Auswechslung der die Entscheidung tragenden Gründe. Derartige Erwägungen sind vielmehr unzulässig und bei der gerichtlichen Kontrolle der Auswahlentscheidung nicht berücksichtigungsfähig. Gegenteiliges folgt auch nicht aus § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG (i. V. m. § 1 VwVfG LSA), da die Nachholung einer Begründung hiernach bereits dokumentierte materielle Auswahlerwägungen voraussetzt (siehe zum Vorstehenden: BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 2011 - 2 VR 4.11 -, IÖD 2011, 2; Beschluss vom 16. Dezember 2008 - 1 WB 19.08 -, a. a. O.; zudem: OVG LSA, Beschluss vom 26. Oktober 2010 - 1 M 125/10 -, juris [m. w. N.]).
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Hiervon geht das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend aus. Gegenteiliges macht die Beschwerde auch nicht weiter geltend. Soweit sie rügt, die über den Antragsteller sowie die Beigeladene zuletzt erstellten Regelbeurteilungen (Regelbeurteilungen 2017) seien rechtswidrig, vermag sie damit nicht durchzudringen.
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Der unterlegene Bewerber kann geltend machen, selbst in rechtswidriger Weise benachteiligt worden zu sein, denn der Fehler kann in der Qualifikationsbeurteilung des Beamten liegen (siehe: BVerfG, Beschluss vom 2. Oktober 2007 - 2 BvR 2457/04 -, ZBR 2008, 164 [m. w. N.]). Im Streit über die Auswahl für ein Beförderungsamt hat das Gericht daher auch die der Auswahl zugrunde liegenden dienstlichen Beurteilungen zu überprüfen. Einwendungen gegen eine dienstliche Beurteilung können unmittelbar in einem Bewerbungsverfahren wie auch in einem anschließenden verwaltungsgerichtlichen „Konkurrentenstreit" geltend gemacht werden. Erweist sich eine dienstliche Beurteilung, die Grundlage eines Vergleichs zwischen den Bewerbern um ein Beförderungsamt ist, als fehlerhaft, hat das Gericht den Dienstherrn zur Neubescheidung zu verpflichten, wenn das Ergebnis des Auswahlverfahrens auf der fehlerhaften Grundlage beruhen kann. Dementsprechend ist die (mögliche) Fehlerhaftigkeit einer dienstlichen Beurteilung bereits im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu beachten, wenn sie Einfluss auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens haben kann (so ausdrücklich: BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 2004 - 2 VR 3.03 -, Buchholz 310 § 123 VwGO Nr. 23 [m. w. N.]).
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Hiervon geht das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend aus; dies wird auch von der Beschwerde nicht weiter in Frage gestellt. Die von ihr erhobenen Einwände rechtfertigen die begehrte Abänderung des angefochtenen Beschlusses indes nicht.
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Dienstliche Beurteilungen sind von den Verwaltungsgerichten nur beschränkt nachprüfbar. Ausschließlich der Dienstherr oder der für ihn handelnde jeweilige Vorgesetzte soll nach dem erkennbaren Sinn der Regelungen über die dienstliche Beurteilung ein persönlichkeitsbedingtes Werturteil darüber abgeben, ob und inwieweit der Richter
oder Beamte den - ebenfalls grundsätzlich vom Dienstherrn zu bestimmenden - zahlreichen sachlichen und persönlichen Anforderungen seines Amtes und seiner Laufbahn entspricht. Die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Soweit der Dienstherr Richtlinien für die Abgabe dienstlicher Beurteilungen erlassen hat, ist vom Gericht auch zu prüfen, ob die Richtlinien eingehalten worden sind und ob sie mit den gesetzlichen Regelungen, speziell denen der Laufbahnverordnung über die dienstliche Beurteilung, und auch sonst mit gesetzlichen Vorschriften im Einklang stehen (siehe zum Vorstehenden: BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2002 - 2 C 31.01 -, Buchholz 237.9 § 20 SaarLBG Nr. 1 [m. w. N.]; OVG LSA, Beschluss vom 26. Oktober 2010 - 1 M 125/10 -, juris [m. w. N.]).
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Dies zugrunde gelegt, rechtfertigt das Beschwerdevorbringen nicht die Annahme der Rechtswidrigkeit der über den Antragsteller oder die Beigeladene erstellten Regelbeurteilungen 2017.
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Mit ihrer Rüge, die über die Beigeladene erstellte Anlassbeurteilung 2016 sei nicht als konstanter Faktor in der Regelbeurteilung 2017 berücksichtigt worden, vermag die Beschwerde nicht durchzudringen.
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Eine - wie im gegebenen Fall - vorangehende Anlassbeurteilung hindert den Dienstherrn weder rechtlich noch tatsächlich, bei der nachfolgenden Regelbeurteilung auch den Zeitraum einzubeziehen, der bereits von der Anlassbeurteilung erfasst ist. Wird eine mehr als unerhebliche Änderung des Leistungsbildes sichtbar, kann der für die Regelbeurteilung zuständige Vorgesetzte sich damit auseinandersetzen und den Leistungsstand des Beamten so charakterisieren, dass er auch unter Berücksichtigung der von der Anlassbeurteilung erfassten Zeitspanne mit den anderen zur Regelbeurteilung anstehenden Beamten verglichen werden kann. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung sind die alte und neue Beurteilung zueinander in Beziehung zu setzen (Anlassbeurteilung einerseits und „rein gedankliche Teilbeurteilung über den unbeurteilten Zeitraum“ andererseits). Hierauf beschränkt sich freilich die Ermächtigung des Beurteilenden; er ist nicht befugt, die in der vorangehenden Anlassbeurteilung erfassten Eignungs- und Leistungsmerkmale abzuändern und damit die Anlassbeurteilung zu ersetzen. Deshalb bedeutet die volle Ausschöpfung des für die Regelbeurteilung zu Grunde zu legenden Beurteilungszeitraums nicht, dass die vorangehende Anlassbeurteilung ihren Wert als eigenständige Beurteilung verliert und der Sache nach nur noch als Beurteilungsbeitrag weiter besteht. Sie behält vielmehr für den von ihr erfassten Zeitraum ihre Bedeutung; diese wird allerdings dadurch gemindert, dass die nachfolgende Regelbeurteilung den zeitlichen Rahmen erweitert und damit die unmittelbare Vergleichbarkeit aller zum Stichtag beurteilten Beamten herstellt (siehe: BVerwG, Urteil vom
18. Juli 2001 - 2 C 41.00 -, juris Rn. 17 f.).
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Vorangehende Anlassbeurteilungen müssen mithin - im Gegensatz zu Beurteilungsbeiträgen - ohne inhaltliche Änderung als konstanter Faktor in die ihnen nachfolgende Regelbeurteilung Eingang finden. Der Sinn der Einbeziehung des Zeitraumes der Anlassbeurteilung in denjenigen der nachfolgenden Regelbeurteilung besteht gerade darin, dass der die nachfolgende Regelbeurteilung fertigende Beurteiler die Erkenntnisse aus der Anlassbeurteilung mit den Erkenntnissen aus dem Leistungsbild zusammenführen soll, das der Beamte während des hinzutretenden Zeitraumes gezeigt hat. Im Interesse größtmöglicher Vergleichbarkeit soll der Auswählende, der eine Personalentscheidung zu treffen hat, nur noch mit Regelbeurteilungen konfrontiert sein, die einheitliche Zeiträume erfassen. Um seiner Aufgabe gerecht zu werden, muss der die der Anlassbeurteilung nachfolgende Regelbeurteilung erstellende Beurteiler für sein Gesamturteil die Leistungsentwicklung und -konstanz des Beamten über den gesamten von der Regelbeurteilung umfassten Zeitraum in den Blick nehmen (siehe: OVG Niedersachsen, Beschluss vom 28. März 2007 - 5 ME 214/06 -, juris Rn. 21).
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Dabei sind allgemein die Anforderungen an die Begründung für das Gesamturteil umso geringer, je einheitlicher das Leistungsbild bei den Einzelbewertungen ist. Gänzlich entbehrlich ist eine Begründung für das Gesamturteil jedoch nur dann, wenn im konkreten Fall eine andere Note nicht in Betracht kommt, weil sich die vergebene Note
- vergleichbar einer vollständigen Ermessensreduzierung - geradezu aufdrängt (BVerwG, Urteil vom 1. März 2018 - 2 A 10.17 -, juris = BVerwGE 161, 240, Rn. 43 [m. w. N.]). Auf den Fall einer Gesamturteilsbildung auf der Grundlage einer vorangegangenen Anlassbeurteilung übertragen bedeutet dies:
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Hat der Beamte im Regelbeurteilungszeitraum insgesamt gleichmäßige Leistungen erbracht, wird es in der Regel genügen, dass der Beurteiler in der Regelbeurteilung schlicht angibt oder anderweitig hinreichend deutlich zu erkennen gibt, dass er die vorangegangene Anlassbeurteilung als konstanten Faktor einbezogen hat. Hat der Beamte hingegen im Regelbeurteilungszeitraum nicht gleichmäßig gute Leistungen erbracht, werden Leistungssteigerungen oder Leistungsverschlechterungen, die er außerhalb des von der Anlassbeurteilung erfassten Zeitraumes gezeigt hat, im Gesamturteil der Regelbeurteilung oder bei Einzelmerkmalen im Rahmen einer wertenden wie gewichtenden Gesamtschau eine Relativierung erfahren (vgl. auch: OVG Niedersachsen, Beschluss vom 28. März 2007, a. a. O.). Dabei sind die Anforderungen an die Begründung für das Gesamturteil und - sofern in den Beurteilungsrichtlinien ein Begründungzwang vorgegeben ist - für Einzelmerkmale umso geringer, je einheitlicher das Leistungsbild aus Anlassbeurteilung und noch nicht beurteilten Leistungen im Regelbeurteilungszeitraum ist.
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Dabei sind indes nicht nur die Notenstufen der Einzelmerkmale und des Gesamturteiles in der Anlassbeurteilung einerseits und in der „gedanklichen Teilbeurteilung über den unbeurteilten Zeitraum“ andererseits in den Blick zu nehmen (qualitativer Faktor). Vielmehr ist überdies zu beachten, über welchen Zeitraum sich die jeweiligen Bewertungen erstrecken, mithin welches auch zeitliche Gewicht sie im Regelbeurteilungszeitraum entfalten (quantitativer Faktor). Denn die als konstanter Faktor bei der Regelbeurteilung zu berücksichtigende Anlassbeurteilung entfaltet ein umso höheres Gewicht, je größer ihr zeitlicher Anteil an dem Regelbeurteilungszeitraum ist. Dementsprechend wird in der Regelbeurteilung eine andere Bewertung als diejenige in der Anlassbeurteilung grundsätzlich dann ausgeschlossen sein, wenn die Anlassbeurteilung nahezu den gesamten Regelbeurteilungszeitraum umfasst. Umgekehrt wird der auf die Anlassbeurteilung bezogene Begründungsaufwand bei der Regelbeurteilung weitgehend entfallen, wenn die Anlassbeurteilung lediglich einen äußerst geringfügigen zeitlichen Anteil am Regelbeurteilungszeitraum ausmacht.
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Für alle anderen und wohl den Regelfall bildenden Fallgestaltungen - wie hier - bedeutet dies, dass der Begründungsaufwand bei divergierender Leistung im gesamten Regelbeurteilungszeitraum umso höher ausfällt, je stärker die Anlassbeurteilung zeitlich ins Gewicht fällt und je stärker die Regelbeurteilung von den Bewertungen in der Anlassbeurteilung abweicht. Die jeweilige Begründung einer abweichenden Notenvergabe muss abhängig von den vorbezeichneten Umständen erkennen lassen, dass und in welchem Umfang Leistungssteigerungen oder -verschlechterungen eingetreten sind, damit durch den Beamten und gegebenenfalls durch die Gerichte - gegebenenfalls nach entsprechender Plausibilisierung der Werturteile durch den bzw. die Beurteiler - nachvollzogen werden kann, dass und inwiefern die Anlassbeurteilung als konstanter Faktor bei der Regelbeurteilung Berücksichtigung gefunden hat.
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Dies zugrunde gelegt genügt die hier streitgegenständliche Regelbeurteilung 2017 über die Beigeladene - entgegen der Annahme der Beschwerde - (noch) den an sie zu stellenden Begründungsanforderungen. Die Anlassbeurteilung 2016 über die Beigeladene umfasst mit 30 Monaten etwa 68 % des Regelbeurteilungszeitraumes (44 Monate). Dieses durchaus große Gewicht (zeitlicher, quantitativer Faktor) hat indes nicht einen solchen Umfang, dass eine andere Bewertung der Einzelmerkmale oder des Gesamturteiles in der Regelbeurteilung 2017 als in der Anlassbeurteilung gleichsam ausgeschlossen wäre. Dementsprechend hatten die Beurteiler bei ihrer von der Anlassbeurteilung 2016 abweichenden Bewertung jeweils die „gedankliche Teilbeurteilung über den unbeurteilten Zeitraum“ von immerhin 14 Monaten schlüssig und plausibel in ihrem Ausmaß niederzulegen, um nachvollziehen zu können, dass die Anlassbeurteilung bei den Einzelmerkmalen wie bei der Gesamtbewertung als konstanter Faktor Berücksichtigung gefunden hat. Diesen Anforderungen genügen - entgegen der Auffassung der Beschwerde - sowohl die ausführlichen Begründungen der Einzelmerkmale als auch der Teil-Gesamt-Urteile. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend wie überzeugend in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt hat, hat der Erstbeurteiler - und ihm folgend der Zweitbeurteiler - den Anlass, die Umstände und das Ausmaß der „Leistungsexplosion“ der Beigeladenen im Einzelnen und plausibel begründet. Da die Beigeladene hiernach über einen beachtlichen Zeitraum in einer deutlich überwiegenden Anzahl der Einzelmerkmale und dementsprechend auch in den Teil-Gesamt-Urteilen statusamtsbezogen die Leistungs- und Befähigungsspitze erreicht hatte, macht dies die jeweiligen Notensprünge trotz des zeitlichen Anteiles von etwa 32 % des Regelbeurteilungszeitraumes erklärbar und ist mit der Gesamtbegründung, die auf die Leistungsentwicklung der Beigeladenen ausdrücklich abstellt und damit die von der Beschwerde eingeforderte Bezugnahme auf die Bewertungen in der Anlassbeurteilung 2016 zum Inhalt hat, noch hinreichend nachvollziehbar und als wertend gewichtende Gesamtschau plausibel. Soweit - worauf die Beschwerde abstellt - in der Regelbeurteilung 2017 die Anlassbeurteilung 2016 als „weitere Erkenntnisquelle“ bezeichnet und ausgeführt wurde, dass sie „berücksichtigt und fortgeschrieben“ worden sei, lässt dies angesichts der Mehrdeutigkeit dieser Aussagen einerseits und im Hinblick auf die textliche Begründung - insbesondere der Teil-Gesamt-Urteile - in der Regelbeurteilung 2017 nicht den Schluss zu, der Erstbeurteiler habe die Anlassbeurteilung 2016 nicht als konstanten Faktor in der Regelbeurteilung 2017 berücksichtigt, sondern lediglich wie einen Beurteilungsbeitrag behandelt.
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Soweit die Beschwerde in Bezug auf die über die Beigeladene erstellte Anlassbeurteilung 2016 rügt, darin seien „entgegen der beurteilungsrechtlichen Grundsätze die Bewertungen der Merkmale 3.6 und 3.7 aus der Regelbeurteilung 2014 nicht fort[ge]schrieb[en]“ worden, zeigt sie damit nicht schlüssig auf, dass diese rechtswidrig wäre. Das nach den hier maßgeblichen Beurteilungsrichtlinien (BRL-PVD) vorgegebene Formblatt für dienstliche Beurteilungen sah diese Einzelmerkmale zum einen schon nicht (mehr) vor. Zum anderen müssen Anlassbeurteilungen zwar aus den Regelbeurteilungen entwickelt werden; sie dürfen diese lediglich fortentwickeln (siehe: BVerwG, Beschluss vom 22. November 2012 - 2 VR 5.12 -, juris = BVerwGE 145, 112 Rn. 30). Das bedeutet jedoch nur, dass Ausgangspunkt der Anlassbeurteilung die in der vorherigen Regelbeurteilung enthaltenen Feststellungen und Bewertungen zu Eignung, Leistung und Befähigung sind und die Anlassbeurteilung ihren Schwerpunkt darin hat aufzuzeigen, inwieweit bei einzelnen Feststellungen und Bewertungen Veränderungen zu verzeichnen sind (BVerwG, Beschluss vom 22. November 2012, a. a. O.). Dies hindert den Richtliniengeber nicht, Einzelmerkmale zu streichen oder hinzuzufügen oder ein gänzlich neues Beurteilungssystem zu implementieren. All dies ist bei der Anlassbeurteilung zu berücksichtigen. Unabhängig vom Vorstehenden hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass selbst im Fall der Übernahme der Einzelmerkmale 3.6 und 3.7 aus der Regelbeurteilung 2014 in die Anlassbeurteilung 2016 dies nicht zu einer schlechteren Beurteilung der Beigeladenen in der Anlassbeurteilung 2016 und damit ebenso wenig in der Regelbeurteilung 2017 geführt hätte. Der deutliche Leistungsvorsprung der Beigeladenen gegenüber dem Antragsteller wäre mithin nach wie vorgegeben.
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Soweit die Beschwerde die Rechtswidrigkeit der über den Antragsteller erstellten Regelbeurteilung 2017 geltend macht, vermag sie auch damit nicht durchzudringen. Allein der Umstand, dass eine dienstliche Beurteilung vom Beamten - wie hier - im Klagewege angegriffen wird, lässt nicht gleichsam ihre Rechtswidrigkeit und damit ihre Unbrauchbarkeit für eine nach Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 GG zu treffenden Auswahlentscheidung annehmen. Vielmehr liegt mit deren Eröffnung eine wirksame (Regel-) Beurteilung über die im Regelbeurteilungszeitraum erbrachte Leistungen des Beamten vor. Die darin enthaltenen Bewertungen in den Teil-Gesamt-Urteilen wie bei den Einzelmerkmalen sind „gesetzt“ und einer erneuten Beurteilung nur entsprechend den Regeln des § 48 VwVfG zugänglich (vgl.: BVerwG, Urteil vom 17. März 2016 - 2 A 4.15 -, juris). Solange eine Beurteilung nicht hiernach wirksam aufgehoben ist, verbleibt es bei ihrer Wirksamkeit. Diesbezügliche Einwendungen sind dementsprechend im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in der Sache zu prüfen (siehe: OVG LSA, Beschluss vom 6. März 2015 - 1 M 3/15 -, juris [m. w. N.]).
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Die von der Beschwerde angebrachten Rügen gegen die Regelbeurteilung 2017 verfangen indes nicht. Soweit sich der Antragsteller auf die Ausführungen der Erstbeurteilerin im Rahmen des Widerspruchsverfahrens gegenüber der Antragsgegnerin beruft, für nicht nachvollziehbar hält, weshalb die Antragsgegnerin stattdessen dem Votum des ebenfalls beteiligten Zweitbeurteilers gefolgt ist, und darin einen unzulässigen Eingriff in den der Erstbeurteilerin zustehenden Beurteilungsspielraum sieht, werden Rechtsfehler nicht schlüssig aufgezeigt. Werden - wie im gegebenen Fall nach den BRL-PVD - aufgrund der einschlägigen Beurteilungsvorschriften ein Erst- und ein Zweitbeurteiler tätig, gibt der Zweitbeurteiler der dienstlichen Beurteilung die abschließende, d. h. maßgebliche Gestalt (vgl. zu dem Ganzen: OVG LSA, Beschluss vom 6. März 2015 - 1 M 2/15 -, juris Rn. 27 f., Beschluss vom 26. August 2009 - 1 M 52/09 -, juris). Ein „Eingriff in den der Erstbeurteilerin zustehenden Beurteilungsspielraum“ scheidet danach bereits dem Grunde nach aus. Ungeachtet dessen verkennt die Beschwerde, dass das Beurteilungsverfahren mit Erstellung und Eröffnung der Beurteilung abgeschlossen ist und die dienstliche Beurteilung damit Wirksamkeit erlangt hat. Soweit in einem nachfolgenden behördlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren die Beurteiler herangezogen werden, erfolgt dies - entgegen der Annahme der Beschwerde - nicht mehr im Beurteilungsverfahren selbst. Daher geht auch der weitere Einwand der Beschwerde in der Sache fehl, der Zweitbeurteiler habe im Rahmen des Widerspruchsverfahrens „entgegen Ziffer 10.3 der … BRL-PVD“ eine Erörterung mit dem Erstbeurteiler verabsäumt. Mit diesen Einwänden wird damit zugleich nicht die Rechtswidrigkeit des Widerspruchsbescheides der Antragsgegnerin vom 15. März 2019 dargelegt.
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Da nach alledem nicht davon auszugehen ist, dass der aus Art. 33 Abs. 2 GG folgende Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers durch eine fehlerhafte Entscheidung des Dienstherrn verletzt ist, kann er vorliegend auch keine erneute Auswahlentscheidung beanspruchen.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht aus Gründen der Billigkeit für erstattungsfähig zu erklären, da sie im gegebenen Fall keinen Erstattungsanspruch mit Erfolg geltend machen könnte (vgl.: OVG LSA, Beschluss vom 7. September 2009 - 1 M 64/09 -, juris; Beschluss vom 18. August 2010 - 1 M 119/10 -; vgl. zudem betreffend das Beschwerdeverfahren über die Nicht-Zulassung der Revision: BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 1995 - 4 B 1.95 -, Buchholz 310 § 162 VwGO Nr. 29).
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3. Die Entscheidung über die Festsetzung der Höhe des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren und unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtes B-Stadt - 5. Kammer - vom 29. Mai 2019 über die Streitwertfestsetzung zugleich für die erste Instanz beruht auf den §§ 63 Abs. 3, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i. V. m. §§ 47, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 bis 4 GKG. Insofern war hier für das Beschwerdeverfahren die Hälfte der Summe der für ein Kalenderjahr nach der Besoldungsgruppe A 11 LBesO LSA (hier: 8. Erfahrungsstufe) zu zahlenden Bezüge im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung (4.143,96 € monatlich) zuzüglich der allgemeinen ruhegehaltfähigen Stellenzulage nach Nr. 13. lit. b) der Vorbemerkungen der Besoldungsordnungen A und B i. V. m. der Anlage 8 (91,04 € monatlich) zugrunde zu legen. Der sich daraus ergebende Betrag war nicht im Hinblick auf ein bloßes Neubescheidungsbegehren weiter zu reduzieren (siehe: OVG LSA, Beschlüsse vom 15. April 2014 - 1 M 31/14 und 1 M 33/14 -, juris [m. w. N.]).
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4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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