Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (1. Senat) - 1 M 129/12

Gründe

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Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Magdeburg - 5. Kammer - vom 26. November 2012, deren Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkt ist, hat in der Sache keinen Erfolg. Die Einwendungen des Antragsgegners rechtfertigen die begehrte Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht.

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Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis erlassen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder wenn die Regelung aus anderen Gründen nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sowie die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit den §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft zu machen. Wird mit einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Hauptsache ganz oder teilweise vorweggenommen und dadurch in aller Regel ein faktisch endgültiger Zustand geschaffen, kann eine Regelung nur ergehen, wenn der Antragsteller in der Hauptsache zumindest überwiegende Erfolgsaussichten hat und schlechthin unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen ausgesetzt wäre, wenn er auf den rechtskräftigen Abschluss eines Klageverfahrens verwiesen werden müsste. Überwiegende Aussichten in der Hauptsache bestehen hingegen nur dann, wenn der geltend gemachte Anspruch mit größter Wahrscheinlichkeit begründet ist und aller Voraussicht nach auch im Hauptsacheverfahren bestätigt werden wird (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 5. Januar 2007 - 1 M 1/07 -, juris [m. w. N.]).

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Die Annahme des Verwaltungsgerichtes, der Antragsgegner habe den aus Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG resultierenden Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers in dem hier streitigen Auswahlverfahren verletzt, wird von der Beschwerde nicht schlüssig in Frage gestellt. Mit Recht rügt das Verwaltungsgericht, dass der Antragsgegner bei dem vorgenommenen Leistungsvergleich lediglich das sich aus den zugrunde gelegten dienstlichen Regelbeurteilungen ergebende Teilgesamturteil bezüglich der Leistung, nicht hingegen auch das Teilgesamturteil betreffend die Befähigung berücksichtigt hat.

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Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt (Leistungsgrundsatz). Danach sind öffentliche Ämter nach Maßgabe des Leistungsgrundsatzes zu besetzen, dessen Geltung durch Art. 33 Abs. 2 GG unbeschränkt und vorbehaltlos gewährleistet wird. Art. 33 Abs. 2 GG vermittelt ein grundrechtsgleiches Recht auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl unmittelbar nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Ein Bewerber um ein öffentliches Amt kann verlangen, dass seine Bewerbung nur aus Gründen zurückgewiesen wird, die durch den Leistungsgrundsatz gedeckt sind (Bewerbungsverfahrensanspruch). Der Bewerberauswahl dürfen nur Gesichtspunkte zugrunde gelegt werden, die den von Art. 33 Abs. 2 GG geforderten Leistungsbezug aufweisen (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 - 2 C 19.10 -, NVwZ 2011, 1270 [m. w. N.]). Eignung, Befähigung und fachliche Leistung bilden in ihrer Einheit und Gesamtheit den Inhalt des Leistungsgrundsatzes des Art. 33 Abs. 2 GG (vgl.: BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2004 - 2 C 23.03 -, BVerwGE 122, 147 [m. w. N.]). Von alledem geht das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung auch zutreffend aus.

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Der von Art. 33 Abs. 2 GG geforderte Leistungsvergleich der Bewerber um ein Beförderungsamt muss im Übrigen anhand aussagekräftiger, d. h. aktueller, hinreichend differenzierter und auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhender dienstlicher Beurteilungen vorgenommen werden. Maßgebend für den Leistungsvergleich ist in erster Linie das abschließende Gesamturteil der Beurteilung, das durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte zu bilden ist (siehe zusammenfassend: BVerwG, Beschluss vom 22. November 2012 - 2 VR 5.12 -, juris [m. w. N.]). Besteht eine dienstliche (Regel-)Beurteilung nicht aus nur einem Gesamturteil, sondern - wie hier - zwei selbständigen Teil-Gesamturteilen, sind beide Teil-Gesamturteile maßgebend für den Leistungsvergleich (vgl. auch: BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 2011 - 2 VR 4.11 -, Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 50 [m. w. N.]).

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Mit welchem Gewicht die jeweiligen Teil-Gesamtbewertungen in den Leistungsvergleich einfließen, obliegt indes allein der Entscheidung des Dienstherrn. Die im Rahmen der Ermessensentscheidung vorzunehmende Beurteilung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ist nämlich ein Akt wertender Erkenntnis, bei dem der Ernennungsbehörde durch Art. 33 Abs. 2 GG ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist mit der Folge, dass Verwaltungsgerichte bei der Überprüfung der behördlichen Entscheidung darauf beschränkt sind, die Einhaltung seiner Grenzen zu kontrollieren, nämlich ob der Dienstherr den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen der Beurteilungsermächtigung verkannt hat, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat (siehe: OVG LSA, Beschluss vom 26. August 2009 - 1 M 52/09 -, juris [m. w. N.]). Der Leistungsgrundsatz im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG fordert insofern lediglich, dass die in der dienstlichen Beurteilung bewerteten Elemente von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ihre Berücksichtigung finden (vgl. auch: BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2004, a. a. O.; OVG Hamburg, Beschluss vom 3. Februar 2009 - 1 Bs 208/08 -, ZBR 2009, 311; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8. September 2008 - 6 B 987/08 -, juris, und Beschluss vom 23. Juni 2004 - 1 B 455/04 -, juris [m. w. N.]; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13. März 1998 - 2 A 11193/97 -, juris). Hierauf hat das Verwaltungsgericht mithin zutreffend abgestellt.

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Da der Antragsgegner - wie die Beschwerde selbst einräumt - infolge des auf die Leistungsbewertung beschränkten Leistungsvergleiches die hierfür ebenfalls maßgebliche Befähigungsbewertung der Bewerber vollständig unberücksichtigt gelassen hat, genügt seine Auswahlentscheidung nicht dem Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG. Da die Berücksichtigung der Befähigungsbeurteilung indes nicht im anhängigen Verwaltungsstreitverfahren nachgeholt werden kann, hat der Antragsgegner hiernach eine neue Auswahlentscheidung zu treffen.

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Aus Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG folgt nämlich auch die Verpflichtung des Dienstherrn, die seiner Entscheidung zugrunde liegenden wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen. Nur durch eine schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahlerwägungen - deren Kenntnis sich der unterlegene Bewerber gegebenenfalls durch Akteneinsicht verschaffen kann - wird der Mitbewerber in die Lage versetzt, sachgerecht darüber befinden zu können, ob er die Entscheidung des Dienstherrn hinnehmen soll oder ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch auf faire und chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung bestehen und er gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen will. Darüber hinaus eröffnet erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen dem Gericht die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen. Schließlich stellt die schriftliche Dokumentation der Auswahlerwägungen sicher, dass die Bewertungsgrundlagen der entscheidenden Stelle vollständig zur Kenntnis gelangt sind; sie erweist sich damit als verfahrensbegleitende Absicherung der Einhaltung der Maßstäbe des Art. 33 Abs. 2 GG (so ausdrücklich: BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2008 - 1 WB 19.08 -, NVwZ-RR 2009, 604, unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 2007 - 2 BvR 206/07-, NVwZ 2007, 1178).

9

Für die Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung kommt es dabei allein auf die Erwägungen an, die der Dienstherr bei seiner Auswahlentscheidung in Ausübung seines Verwendungsermessens und des ihm vorbehaltenen Beurteilungsspielraums hinsichtlich der Eignung der Kandidaten angestellt hat. Mit dieser Entscheidung wird zugleich die Sach- und Rechtslage fixiert, die maßgeblich für die gerichtliche Beurteilung ist. Zwar können Ermessenserwägungen sowie Einschätzungen, bei denen ein Beurteilungsspielraum besteht, in entsprechender Anwendung des § 114 Satz 2 VwGO im gerichtlichen Verfahren ergänzt werden. Hierzu gehört indes nicht die vollständige Nachholung oder die Auswechslung der die Entscheidung tragenden Gründe. Derartige Erwägungen sind vielmehr unzulässig und bei der gerichtlichen Kontrolle der Auswahlentscheidung nicht berücksichtigungsfähig. Gegenteiliges folgt auch nicht aus § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG (i. V. m. § 1 VwVfG LSA), da die Nachholung einer Begründung hiernach bereits dokumentierte materielle Auswahlerwägungen voraussetzt (siehe zum Vorstehenden: BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 2011 - 2 VR 4.11 -, IÖD 2011, 2; Beschluss vom 16. Dezember 2008 - 1 WB 19.08 -, a. a. O.; zudem: OVG LSA, Beschluss vom 26. Oktober 2010 - 1 M 125/10 -, juris [m. w. N.]).

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Da der Antragsgegner - wie ausgeführt - einen unvollständigen und damit unzureichenden Leistungsvergleich vorgenommen hat, mangelt es den schriftlich fixierten Auswahlerwägungen naturgemäß an den gebotenen Ausführungen zur Berücksichtigung der Befähigungsbeurteilung der Bewerber.

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Da der aus Art. 33 Abs. 2 GG folgende Bewerbungsverfahrensanspruch nach alledem durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung des Dienstherrn verletzt ist, kann der Antragsteller vorliegend eine erneute Auswahlentscheidung beanspruchen, weil nach den vorstehenden Ausführungen sich nicht mit der hier erforderlichen Gewissheit feststellen lässt, dass der Antragsteller bei einer erneuten Auswahlentscheidung „offensichtlich chancenlos“ (so: BVerfG, Beschluss vom 1. August 2006 - 2 BvR 2364/03 -, NVwZ 2006, 1401) ist. Dabei ist vom beschließenden Senat zu beachten, dass es im Hinblick auf den dem Dienstherrn bei der Auswahlentscheidung zustehenden Beurteilungs- und Ermessensspielraum grundsätzlich nicht Aufgabe des Gerichtes ist, den besser geeigneten Bewerber zu bestimmen und eine eigene Prognose der Erfolgsaussichten der Bewerbung vorzunehmen (so: BVerfG, Beschluss vom 24. September 2002 - 2 BvR 857/02 -, NVwZ 2003, 200), zumal vorliegend auch die dienstlichen Regelbeurteilungen als Auswahlgrundlage wertend heranzuziehen sind.

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Hiernach hat der Antragsteller den erforderlichen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

13

Auf die weiteren vom Antragsteller geltend gemachten und auch von der Beschwerde in Bezug genommenen Rügen kommt es nach alledem nicht mehr entscheidungserheblich an. Im Hinblick darauf, dass der Antragsgegner eine erneute Auswahlentscheidung zu treffen hat und insoweit die künftige rechtliche Relevanz der Einwendungen des Antragstellers offen bleibt, sieht der Senat auch keinen Anlass, sich im Wege eines obiter dictums mit diesen zu befassen.

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Der Antragsteller hat schließlich auch den erforderlichen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, da sein Bewerbungsverfahrensanspruch ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung ernstlich gefährdet wäre.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht aus Gründen der Billigkeit für erstattungsfähig zu erklären, da diese sich weder dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt noch das Beschwerdeverfahren wesentlich gefördert haben.

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Die Entscheidung über die Festsetzung der Höhe des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i. V. m. § 52 Abs. 1 und 5 Satz 2 GKG.

17

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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