Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. Senat) - 2 L 7/13
Gründe
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I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Solche Zweifel liegen vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt worden sind. Dies ist hier nicht der Fall.
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Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses verstoße nicht gegen Rechte, die dem Schutz des Klägers als benachbartem Grundstückseigentümer zu dienen bestimmt seien. Bauplanungsrechtliche nachbarschützende Vorschriften seien nicht verletzt. Insoweit komme allein ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot in Betracht, wobei dahinstehen könne, ob dieses Gebot für die vorliegende Grundstückskonstellation aus § 34 Abs. 1 BauGB oder § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB abzuleiten sei. Das Vorhaben des Beigeladenen erweise sich als gegenüber dem Kläger nicht rücksichtslos. Auch die Zufahrtsstraße zum Grundstück des Beigeladenen verstoße gegenüber dem Kläger nicht gegen das Rücksichtnahmegebot. Es sei nicht zu befürchten, dass der Zufahrtsweg zum Grundstück des Beigeladenen in einer Weise genutzt werde, die die Grenze des im Nachbarschaftsverhältnis Zumutbaren überschreite. Der Zufahrtsweg führe zwar über mehr als 50 Meter fast an der gesamten Westgrenze des Grundstücks des Klägers entlang. Der Weg sei auch sehr steil. Daher sei durchaus damit zu rechnen, dass Motorengeräusche lauter seien als bei ebenen Wegen. Andererseits werde sich die Nutzungsfrequenz des Zufahrtsweges in Grenzen halten, weil der Weg allein zum Grundstück des Beigeladenen führe und es sich bei dem Bauvorhaben lediglich um ein einzelnes Einfamilienhaus handele. Stellplätze seien auf dem Grundstück des Beigeladenen vorgesehen, so dass das Grundstück des Klägers lärmintensiven Geräuschen durch das Türenschlagen nicht in unmittelbarer Nähe ausgesetzt sei. Insgesamt sei keine Geräuschbelastung zu befürchten, die über das in einem allgemeinen Wohngebiet übliche Maß hinausgehe. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes ergebe sich auch nicht daraus, dass - nach Auffassung des Klägers - eine Erschließung des Grundstücks des Beigeladenen in einer für ihn weniger belastenden Weise auch über den A-Weg möglich gewesen wäre. Dem Nachbar stehe kein „Anspruch auf optimale städtebauliche Planung des Nachbargrundstücks“ in Sinne einer „Idealerschließung“ zu. Vielmehr beschränke sich die verwaltungsgerichtliche Überprüfung auf die Frage, ob die vom Bauherrn gewählte Lösung Nachbarrechte verletze. Ergebe sich hierbei, dass eine „lange“ Zufahrt solche Rechte nicht unzulässig schmälere, könne der Nachbar nicht verlangen, dass eine kürzere Zufahrtsvariante gewählt werde. Allein die abstrakte Gefahr, dass Fahrzeuge auf dem Zufahrtsweg bei Schnee und Glatteis unkontrolliert ausbrechen, auf das Grundstück des Klägers gelangen und dort Personen- und Sachschäden verursachen könnten, begründe keinen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot, zumal der Weg völlig gerade verlaufe. Die Baugenehmigung verstoße auch nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts. Es sei sichergestellt, dass das Gebäude auf dem Grundstück des Beigeladenen für Feuerwehrfahrzeuge erreichbar sei. Der Zufahrtsweg sei hierfür auch nicht wegen der Steigung untauglich. Die städtischen Feuerwehrfahrzeuge bewältigten jedenfalls Steigungen von 25 %.
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Hiergegen wendet der Kläger ein, das Verwaltungsgericht hätte nicht dahinstehen lassen dürfen, ob für das in Streit stehende Wohnhaus § 34 oder § 35 BauGB maßgeblich sei. Das Verwaltungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass das Gebot der Rücksichtnahme auch aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 BauNVO abzuleiten sei. § 15 Abs. 1 BauNVO erfasse auch die in § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO angesprochenen Nebenanlagen. Diese seien darauf hin zu überprüfen, ob sie der Eigenart der vorhandenen Bebauung entsprächen. Bei der hiernach vorzunehmenden Prüfung ergebe sich, dass sich die geplante Grundstückszufahrt in keiner Weise in die Art der vorhandenen Bebauung einfüge, sondern die vorhandene Gebietsstruktur in augenfälliger und gravierender Weise durchbreche. Er habe einen Anspruch darauf, dass die bislang einzige Art und Weise der Grundstückserschließung der oberhalb im Hang gelegenen Grundstücke direkt an den A-Weg nicht in derart evidenter Weise geändert werde. Schon durch die Anbindung des gegenständliche Hauses über die Steilhang-Zufahrt seien gravierende Nachteile für ihn durch ein erhebliches Mehr an Fahrzeugimmissionen gerade im hinteren, bislang der Ruhe und Erholung dienenden Grundstücksteil zu befürchten; ferner Gefahren aufgrund von Eis und Schnee (abstürzende Fahrzeuge auf sein Grundstück, Unmöglichkeit der Durchführung eines Feuerwehreinsatzes und dem damit verbundenen Funkenflug). Vor allem sei aufgrund der drohenden Gebietsentfremdung zu befürchten, dass weitere Häuser über die Zufahrt im Hang erschlossen würden. Dies gelte nicht nur für das Grundstück des Beigeladenen, welches die Errichtung eines weiteren Wohnhauses in der geplanten Größe zulasse, sondern auch für die Grundstücke weiterer Eigentümer in der Verlängerung des A-Weges, so dass am Ende links und rechts seines Grundstücks lange, breite und vor allem steile Zufahrten auf das Niveau des A-Weges hinaufführten, so dass sein Grundstück von Hangzufahrten „eingekreist“ werden könnte.
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Damit kann der Kläger nicht durchdringen. Soweit er geltend macht, das Verwaltungsgericht habe nicht offen lassen dürfen, ob das Vorhaben des Beigeladenen nach § 34 oder § 35 BauGB zu beurteilen sei, hat er bereits nicht im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt, weshalb dies zur Fehlerhaftigkeit des angegriffenen Urteils führen soll.
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Auch soweit er sinngemäß geltend macht, bei der gebotenen Anwendung des § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO ergebe sich die Unzulässigkeit des Vorhabens des Beigeladenen aus der Lage der vorgesehenen Zufahrt, die gebietsunverträglich sei, ergeben sich hieraus keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, der gemäß § 34 Abs. 2 BauGB auch in faktischen Baugebieten gilt, sind die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebietes widersprechen. Die Vorschrift gilt für die Art der baulichen Nutzung und dient dem Schutz vor Beeinträchtigungen durch Bauvorhaben, die in dem betreffenden Baugebiet gemäß den §§ 2 bis 14 BauNVO zwar allgemein zulässig sind oder jedenfalls ausnahmeweise zugelassen werden können, aber im konkreten Einzelfall mit der Eigenart des Baugebietes nicht verträglich sind (OVG LSA, Beschl. v. 12.12.2011 - 2 M 162/11 -, Juris RdNr. 26; Roeser, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 3. Aufl. 2014, § 15 RdNr. 1). Die Vorschrift erfasst auch Nebenanlagen im Sinne des § 14 Abs. 1 BauNVO (BVerwG, Beschl. v. 13.10.1998 - BVerwG 4 B 93.98 -, Juris RdNr. 4; Roeser, in: König/Roeser/Stock, a.a.O., § 15 RdNr. 12) und vermittelt einen Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung eines Baugebietes (OVG LSA, Beschl. v. 12.12.2011 - 2 M 162/11 - a.a.O. RdNr. 25; NdsOVG, Beschl. v. 28.05.2014 - 1 ME 47/14 -, Juris RdNr. 13). „Baugebiet“ im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ist dabei ein Gebiet spezifischer baulicher Nutzung im Sinne der §§ 2 ff. BauNVO (OVG LSA, Beschl. v. 12.12.2011 - 2 M 162/11 - a.a.O. RdNr. 27; NdsOVG, Beschl. v. 28.05.2014 - 1 ME 47/14 - a.a.O. RdNr. 11). Nach diesen Grundsätzen ist das Vorhaben des Beigeladenen nicht wegen der Lage der Zufahrtsstraße nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO unzulässig. Die Beteiligten gehen offenbar übereinstimmend davon aus, dass die Grundstücke des Beigeladenen und des Klägers in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet i.S.d. § 4 BauNVO liegen. Die Prägung dieses Baugebietes als allgemeines Wohngebiet wird durch die Lage der Zufahrtsstraße zu dem Grundstück des Beigeladenen nicht beeinträchtigt. Ein Wohngebiet mit Hanggrundstücken, die nicht von der tiefer gelegenen Landstraße, sondern von der auf gleicher Höhe liegenden Erschließungsstraße erschlossen werden, dessen Aufrechterhaltung der Kläger - wie er offenbar meint - nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO beanspruchen kann, gibt es nach §§ 2 bis 14 BauNVO nicht. Die Zulässigkeit der Lage der Zufahrtsstraße zu dem Grundstück des Beigeladenen, insbesondere wegen der von ihr ausgehenden Geräuschimmissionen, richtet sich vielmehr allein nach der Intensität der Belastung der Nachbarschaft im konkreten Fall nach Maßgabe des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.10.1998 - BVerwG 4 B 93.98 - a.a.O. RdNr. 5 zu einem Wertstoffcontainer).
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Anhaltspunkte dafür, dass die Zufahrt, insbesondere wegen der von ihr ausgehenden Geräuschimmissionen, im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO unzumutbar ist, hat der Kläger nicht im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Beeinträchtigungen der angrenzenden Nachbargrundstücke, die mit der Befahrung einer auf einem sog. Pfeifenstielgrundstück liegenden Zufahrt zu einem in zweiter Reihe gelegenen Grundstück verbunden sind, regelmäßig nicht als rücksichtslos angesehen werden können (HambOVG, Beschl. v. 08.11.2012 - 2 Bs 230/12 -, Juris RdNr. 4). Der Kläger legt nicht dar, weshalb im vorliegenden Fall etwas anderes gelten soll. Auch setzt er sich nicht näher mit dem angefochtenen Urteil auseinander, soweit hierin ausgeführt wird, wegen der niedrigen Nutzungsfrequenz der Zufahrt seien keine über das in einem allgemeinen Wohngebiet übliche Maß hinausgehenden Geräuschimmissionen zu befürchten.
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Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot wird auch durch den Hinweis des Klägers auf „Gefahren aufgrund Eis und Schnee“ nicht hinreichend dargelegt. Auch insoweit fehlt es an der gebotenen Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil.
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Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO werden vom Kläger auch nicht durch die Bemerkung dargelegt, es sei zu befürchten, dass weitere Häuser über eine Zufahrt im Hang erschlossen werden und schließlich links und rechts von seinem Grundstück lange, breite und steile Zufahrten auf das Niveau des A-Wegen hinaufführten. Hiermit macht er bereits keine von dem Vorhaben des Beigeladenen ausgehenden Beeinträchtigungen geltend; vielmehr verweist er auf mögliche zukünftige Vorhaben, die hier nicht in Rede stehen. Zudem hat die dem Beigeladenen erteile Baugenehmigung für diese Vorhaben auch keine Präjudizwirkung, da die Zumutbarkeit der Lage einer Grundstückszufahrt für die Nachbarn in jedem Einzelfall nach den Vorgaben des § 15 Abs. 1 BauNVO zu beurteilen ist. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass es in nächster Zeit zu einer Bebauung von weiteren Hanggrundstücken auf dem Niveau des A-Weges kommen wird, da diese nach den vorliegenden Unterlagen im Außenbereich liegen dürften.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Der Senat stellt bei der von ihm nach § 162 Abs. 3 VwGO zu treffenden Billigkeitsentscheidung in ständiger Rechtsprechung in erster Linie auf die Stellung des Beigeladenen in dem zur Entscheidung anstehenden Interessenskonflikt ab. Er hält daher die Kosten des notwendig beigeladenen Bauherrn, unabhängig davon, ob er einen Antrag gestellt hat, in der Regel für erstattungsfähig, weil er ohne sein Zutun mit einem solchen Verfahren überzogen wird (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 07.10.1996 - A 2 S 397/96 -, Juris RdNr. 2; Beschl. v. 12.12.2011 - 2 M 162/11 - a.a.O. RdNr. 31).
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III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31.05./01.06.2012 und am 18.07.2013 beschlossenen Änderungen.
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Referenzen
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