Urteil vom Verwaltungsgericht Aachen - 1 K 1898/15
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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T a t b e s t a n d :
2Die 1958 geborene Klägerin steht als Justizamtsinspektorin im Dienst des beklagten Landes.
3Mit Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Monschau vom 22. Juni 2005 (Aktenzeichen 6 F 104/04) wurde die Ehe der Klägerin geschieden, ohne das die Klägerin ihrem geschiedenen Ehemann aus der Ehe zum Unterhalt verpflichtet worden war.
4Zuvor hatte das Besoldungsdezernat des Landesamtes für Besoldung und Versorgung Nordrhein-Westfalen (LBV) im Juni 2004 ein Auskunftsersuchens des Amtsgerichts - Familiengerichts - Monschau mit einem sogenannten "Pendelbrief Versorgungsausgleich" an das Dezernat für Versorgung geschickt. Auf einem Empfangsbekenntnis vom 21. Juli 2005 wurde seitens des LBV der Erhalt eines Dokuments in Sachen T. ./.T. (Aktenzeichen 6 F 104/04) vom 19. Juli 2005 quittiert.
5Mit Schreiben vom 21. Juli 2014 teilte die Klägerin dem LBV mit, ihr sei aufgefallen, dass ihre Bezügemitteilungen den Status "verheiratet" aufwiesen, obwohl sie seit 2005 geschieden sei. In den Jahren 2005 und 2006 habe es Veränderungen in der Zahlung des Familienzuschlages bezüglich ihrer beiden Kinder gegeben - sie sei davon ausgegangen, dass dies die Folgen der Scheidung gewesen seien.
6Mit Bescheid vom 16. Dezember 2014 forderte das LBV die Klägerin zur Rückzahlung von 9.948,27 € für die Zeit vom 1. Juni 2005 bis zum 31. August 2014 auf, weil sie bis zum 31. August 2014 den verheirateten Beamten zustehenden Familienzuschlag Stufe 1 erhalten habe, obwohl sie seit dem 22. Juni 2005 rechtskräftig geschieden gewesen sei und kein anderer Grund zur Zahlung des Zuschlages bestanden habe. Von der Rückforderung könne weder ganz noch teilweise abgesehen werden, denn insbesondere sei die Überzahlung nicht überwiegend vom beklagten Land verschuldet worden und weitere Billigkeitsgründe nicht erkennbar.
7Hiergegen legte die Klägerin unter dem 30. Dezember 2014 Widerspruch ein. Die vom LBV getroffene Billigkeitsentscheidung sei fehlerhaft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führe ein überwiegendes Mitverschulden der beteiligten Behörde idR zu einer Reduzierung der Rückforderungssumme iHv 30 Prozent. Das bedeute jedoch nicht, dass ein geringerer Mitverschuldensgrad der Behörde unberücksichtigt bleiben dürfe. Die Rückforderung sei zudem verjährt, weil die Klägerin das Scheidungsurteil bereits 2005 an das LBV übersandt habe - ein entsprechender handschriftlicher Vermerk befinde sich in den Unterlagen der Klägerin. Auch das Amtsgericht - Familiengericht - Monschau habe dem LBV das Scheidungsurteil zugestellt und eine Rechtskraftmitteilung übersandt. Mit der Berechnung des Familienzuschlages für die Kinder in der Bezügemitteilung für Januar 2006 sei den Auswirkungen des Scheidungsurteils Rechnung getragen worden, die Überprüfung der Auszahlung des Verheiratetenzuschlags durch das LBV sei dagegen fehlerhafterweise nicht erfolgt. Auf Grund der Kenntnis des LBV vom Scheidungsurteil seien die Ansprüche für die Zeit bis zum 31.12.2010 im Zeitpunkt der Rückforderung bereits verjährt. Auch wenn sich entsprechende Mitteilungen in den Akten des LBV nicht befänden, sei dem LBV jedenfalls das laufende Scheidungsverfahren bekannt gewesen. Ihren weiteren Vortrag, für den Monat Dezember 2005 habe sie einen Anspruch auf Zahlung des Differenzbetrages zwischen Familienzuschlag Stufe 3 und Stufe 1 mit dem sie aufrechne, hat die Klägerin später ausdrücklich fallengelassen.
8In seinem Widerspruchsbescheid vom 14. September 2015 half das LBV dem Widerspruch der Klägerin teilweise ab. Es nahm von der Rückforderung für den Monat Juni 2005 i.H.v. 75,21 € Abstand und reduzierte die verbliebene Rückforderungssumme i.H.v. 9.873,06 € aus Gründen der Billigkeit wegen seines Mitverschuldens um 30 % (3.037,13 €) auf 6.911,14 €. Zudem räumte das LBV der Klägerin die Möglichkeit der Ratenzahlung ein. Zur Begründung führte es aus, nach der Scheidung der Klägerin von ihrem damaligen Ehemann im Juni 2005 habe es ab Juli 2005 keinen Grund mehr gegeben, den Familienzuschlag der Stufe 1 weiterausgezahlt zu bekommen. Eine Verjährung habe nicht eintreten können, weil es auf die Kenntnis des zuständigen Sachbearbeiters ankomme. Dieser habe im vorliegenden Fall jedoch erst mit Schreiben der Klägerin vom 21. Juli 2014 von der Scheidung Kenntnis erlangt. Ein Wegfall der Bereicherung liege nicht vor, weil von der Klägerin als Beamtin erwartet werde, dass sie ihre Besoldungsunterlagen sorgfältig prüfe und auf Überzahlungen achte. Der Klägerin hätte - auch ohne besondere Kenntnisse des Besoldungsrechts - die Angabe "verheiratet" auf ihren Bezügemitteilungen auffallen müssen und können. Es hätte ihr oblegen, diesen Fehler dem LBV zu melden.
9Die Klägerin hat am 16. Oktober 2015 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Insbesondere weist sie darauf hin, dass es für die Frage der Verjährung auf die Kenntnis des seinerzeit zuständigen Sachbearbeiters ankomme und nicht auf die Kenntnis des jetzigen Sachbearbeiters abgestellt werden dürfe. Durch die Übersendung des Scheidungsurteils im Jahre 2005 habe der damalige Sachbearbeiter aber bereits Kenntnis von der Scheidung erlangt und diese im Hinblick auf den Familienzuschlag für die Kinder auch umgesetzt. Beispielsweise in der Bezügemitteilung für September 2006 (laufende Nr. 035) werde als Familienzuschlag für Kinder lediglich die Differenz zwischen Stufe 1 und Stufe 2 entsprechend der damaligen Teilzeittätigkeit der Klägerin gezahlt. Dies entspreche gerade der Regelung in § 40 Abs. 3 BBesG für geschiedene Beamte.
10Die Klägerin beantragt,
11den Bescheid vom 16. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2015 insoweit teilweise aufzuheben, als eine Rückforderung für die Zeit vor dem 1. Januar 2011 geltend gemacht wird.
12Der Beklagte beantragt - schriftsätzlich -,
13die Klage abzuweisen.
14Er beruft sich auf seinen Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren.
15Unter dem 16. Oktober 2015 hat die Klägerin auch beim Amtsgericht Aachen Klage gegen den hier streitgegenständlichen Bescheid eingereicht. Mit einem weiteren Schreiben vom 16. Oktober 2015 adressiert an das Amtsgericht Aachen, das an das Verwaltungsgericht Aachen weitergeleitet worden ist, hat die Klägerin die Rücknahme der Klage erklärt. Daraufhin ist das vorliegende Verfahren mit Beschluss vom 20. Oktober 2015 eingestellt worden ist. Telefonisch hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin sodann am 21. Oktober 2015 darauf hingewiesen, dass lediglich die vor dem Amtsgericht Aachen, nicht jedoch die vor dem Verwaltungsgericht Aachen eingereichte Klage zurückgenommen werden sollte.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
17E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
18Das Verfahren war trotz des Einstellungsbeschlusses vom 20. Oktober 2015 fortzuführen, weil die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 16. Oktober 2015 nicht die Rücknahme der vorliegenden Klage erklärt hat. Ihre Rücknahmeerklärung vom 16. Oktober 2015 war vielmehr an das Amtsgericht Aachen adressiert und ist ohne Wollen der Klägerin nur deshalb zur Akte des Verwaltungsgerichts Aachen gelangt, weil es innerhalb des Justizzentrums umadressiert worden ist.
19Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Rückforderungsbescheid des LBV vom 16. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
20Rechtsgrundlage für die Rückforderung ist § 12 Abs. 2 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG)/Übergeleitetes Besoldungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (ÜBesG NRW) i.V.m. § 1 Besoldungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (LBesG NRW). Nach dieser Vorschrift regelt sich die Rückforderung zuviel gezahlter Bezüge nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, soweit - wie hier- gesetzlich nichts anderes bestimmt ist.
21Der Rückforderungsbescheid des LBV 16. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2015 ist formell rechtmäßig, insbesondere ist die nach § 28 Abs. 1 VwVfG NRW gebotene Anhörung der Klägerin erfolgt.
22Auch materiell erweisen sich die Rückforderungsbescheide als rechtmäßig.
23Nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung ist ein Besoldungs- bzw. Versorgungsempfänger grundsätzlich dazu verpflichtet, ohne rechtlichen Grund gezahlte Bezüge, zu denen gem. § 1 Abs. 2 Nr. 3 BBesG/ÜBesG NRW auch der Familienzuschlag gehört, zurückzuzahlen (§ 812 BGB). Diese tatbestandlichen Voraussetzungen liegen offenkundig vor. Der Klägerin ist der Familienzuschlag Stufe 1 bis einschließlich August 2014 gezahlt worden, obwohl sie ab Juli 2005 nicht mehr zum Kreis der Berechtigten gem. § 40 Abs. 1 BBesG/ÜBesG NRW gehörte. Danach zählen zur Stufe 1 u.a. folgende Personen: verheiratete Beamte (Nr. 1.) und geschiedene Beamte, die aus der Ehe zum Unterhalt verpflichtet sind (Nr. 3). Diese Voraussetzungen trafen in der Zeit ab Juli 2005 auf die Klägerin nicht (mehr) zu, denn ihre Ehe war bereits am 22. Juni 2005 rechtskräftig geschieden worden, ohne dass es zu einer Unterhaltsverpflichtung der Klägerin gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann gekommen war. Gem. § 41 BBesG/ÜBesG NRW wird der Familienzuschlag für den Monat nicht mehr gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen an keinem Tag (mehr) vorgelegen haben, das war ab Juli 2005 der Fall.
24Die Verpflichtung zur Rückzahlung entfällt gem. § 818 Abs. 3 BGB, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist. Auf den Wegfall der Bereicherung kann sich jedoch nicht berufen, wer den Mangel des rechtlichen Grundes bei Erhalt der Bezüge kannte (§§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB). Der Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes der Zahlung steht es gem. § 12 Abs. 2 Satz 2 BesG/ÜBesG NRW gleich, wenn der Mangel so offensichtlich war, dass der Empfänger ihn hätte erkennen müssen.
25Gegenüber dem dem Grunde nach bestehenden Rückforderungsanspruch kann sich die Klägerin nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen, auch wenn zu ihren Gunsten angenommen werden kann, dass sie gem. § 818 Abs. 3 entreichert ist. Eine Entreicherung liegt vor, wenn der Empfänger im Hinblick auf den vermeintlichen Vermögenszuwachs Aufwendungen gemacht hat, die nicht zu einer Vermehrung seines Vermögens oder zu einer Verminderung seiner Verbindlichkeiten geführt haben. Diese Art des Wegfalls der Bereicherung kommt nicht nur bei Aufwendungen, die außerhalb des Rahmens der sonstigen Lebensgewohnheiten liegen (sog. Luxusausgaben), sondern auch dann in Betracht, wenn die zu viel gezahlten Bezüge zu einer verhältnismäßig geringfügigen Verbesserung der allgemeinen Lebenshaltung aufgewendet worden sind. Denn allgemein ist davon auszugehen, dass Bezügeempfänger ihre Bezüge regelmäßig zur Bestreitung des standesgemäßen Unterhalts für sich und ihre Familie verwenden und daher bei einer Überzahlung nicht mehr bereichert sind. Bei geringfügigen Überzahlungen, die nicht mehr als 10 % der an sich zustehenden Bezüge betragen, wird ein offenbarer Wegfall der Bereicherung unterstellt.
26Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 - 2 C 15/10 -, juris, Rn. 8; OVG NRW, Urteil vom 22. Juni 2016 - 1 A 2580/14 -, juris, Rn. 26 ff m.w.N.; VG Aachen, Urteil vom 4. Oktober 2016 - 1 K 710/15 -, nicht veröffentlicht.
27Bei den - im Vergleich zu einem der Klägerin zustehenden monatlichen Grundgehalt von mehr als 2.000,00 € - relativ geringen Beträgen von monatlich etwa 75,00 bis 100,00 € ist dies hier anzunehmen.
28Die Berufung auf Entreicherung ist der Klägerin jedoch aufgrund einer verschärften Haftung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 BBesG/ÜBesG NRW i.V.m. §§ 818 Abs. 4, 819 BGB deshalb verwehrt, weil der Mangel des rechtlichen Grundes bei Empfang der Leistung so offensichtlich war, dass die Klägerin ihn hätte erkennen müssen.
29Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ein Mangel des rechtlichen Grundes offensichtlich, wenn der Empfänger ihn nur deshalb nicht erkannt hat, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen hat. Dem Beamten ist aufgrund der beamtenrechtlichen Treuepflicht grundsätzlich zuzumuten, die ihm ausgehändigten Besoldungsunterlagen unter Hinzuziehung etwaiger ihm von seinem Dienstherrn an die Hand gegebene Merkblätter oder Erläuterungen sorgfältig zu lesen und - gegebenenfalls mittels Nachdenkens, logische Schlussfolgerungen oder auf andere Weise - auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Zu den Sorgfaltspflichten eines Beamten gehört es aufgrund seiner Treuepflicht auch, die Besoldungsmitteilungen bei besoldungsrelevanten Änderungen im dienstlichen oder persönlichen Bereich auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen und auf Überzahlungen zu achten. Er darf sich insbesondere dann, wenn er ohne erkennbaren Grund höherer Leistungen erhält, nicht ohne weiteres auf die Rechtmäßigkeit der Zahlung verlassen. Offensichtlichkeit im Sinne von § 12 Abs. 2 Satz 2 ÜBesG NRW liegt vor, wenn dem Beamten aufgrund seiner Kenntnisse auffallen muss, dass die ausgewiesenen Beträge nicht stimmen können. Es muss sich ihm aufdrängen, dass die Besoldungsmitteilungen fehlerhaft sind; nicht ausreichend ist es, wenn Zweifel bestehen und es einer Nachfrage bedarf. Die konkrete Höhe der Überzahlung muss hingegen nicht offensichtlich sein.
30Vgl. BVerwG Urteile vom 26. April 2012 - 2 C 4.11 -, juris, Rn. 10 f, und - 2 C 15.10 -, juris, Rn. 16 f; OVG NRW, Urteile vom 15. Oktober 2014 - 1 A 2375/12 -, juris, Rn. 45, und vom 2. Mai 2013 - 1 A 2045/11 -, juris, Rn. 30, m.w.N.; VG Aachen (zu den insoweit gleichen Pflichten eines Soldaten), Urteil vom 4. Oktober 2016 - 1 K 710/15 -, n.V.
31Von jedem Beamten ist zu erwarten, dass er die Grundprinzipien des Beamtenrechts, sein eigenes statusrechtliches Amt nebst besoldungsrechtlicher Einstufung sowie die ihm zustehenden Besoldungsbestandteile wie Grundgehalt und Familienzuschlag kennt. Weitergehende Kenntnisse sind nur von juristisch vorgebildeten oder mit Besoldungsfragen befassten Beamten zu erwarten.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 2004 - 2 C 5.03 -, juris, Rn. 15; OVG NRW, Urteil vom 15. Oktober 2014 - 1 A 2375/12 - juris, Rn. 47; VG Aachen (zu den insoweit gleichen Pflichten eines Soldaten), Urteil vom 4. Oktober 2016 - 1 K 710/15 -, n.V.
33Gemessen an diesen Grundsätzen war die Überzahlung offensichtlich, weil die Klägerin aufgrund ihrer individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten die Überzahlung hätte erkennen müssen. Aus den dem Gericht vorliegenden Bezügemitteilungen des LBV ab Dezember 2005 ergibt sich unmittelbar, dass der Klägerin der "Familienzuschlag Stufe 1 verheiratet, Ehegatte nicht im öffentlichen Dienst" weiterhin gewährt worden ist - ein einfaches Lesen der Mitteilung reichte aus, um die Überzahlung zu erkennen. Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den Bezügemitteilungen für die Monate Juli 2005 bis November 2005 anders dargestellt haben könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
34Der Klägerin steht kein Leistungsverweigerungsrecht nach § 214 Abs. 1 BGB zu, da die jeweils monatlich entstandenen Rückforderungsansprüche noch nicht verjährt sind. Erst mit Ablauf des Jahres 2014 begann die Verjährungsfrist zu laufen.
35Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger (Dienstherr) von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners (Beamter) Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Bei Behörden oder öffentlich-rechtlichen Körperschaften ist hierzu auf die Kenntnis des zuständigen Bediensteten der verfügungsberechtigten Behörde abzustellen; verfügungsberechtigt in diesem Sinne sind dabei solche Behörden, denen die Entscheidungskompetenz für den Rückforderungsanspruch zukommt, wobei die behördliche Zuständigkeitsverteilung zu respektieren ist.
36Vgl. BVerwG, Urteile vom 26. April 2012 - 2 C 4.11 -, juris, Rn. 15, und - 2 C 15.10 -, juris, Rn. 21. m.w.N.; VG Aachen, Urteil vom 30. Juni 2016 - 1 K 2093/15 -, nicht veröffentlicht.
37Danach ist der Rückforderungsanspruch des Beklagten (insgesamt) nicht verjährt. Von einer Kenntnis des für die Besoldung der Klägerin und etwaige Rückforderungsansprüche zuständigen Sachbearbeiters beim LBV von der Ehescheidung erst mit Erhalt des Schreibens der Klägerin vom 21. Juli 2014 auszugehen. Substanzielle Einwendungen gegen diesen Vortrag des LBV hat die Klägerin nicht vorgebracht. Insbesondere musste sich der zuständige Sachbearbeiter des LBV für die Besoldung der Klägerin nicht etwa auf Grund des im Jahre 2004 an das Dezernat Versorgung gerichteten "Pendelbriefs Versorgungsausgleich" einen möglichen Wegfall der Berechtigung zum Erhalt des Familienzuschlag Stufe 1 für den Fall der Scheidung der Klägerin vormerken. Soweit die Klägerin das Urteil des Amtsgerichts Monschau vom 22. Juni 2005 bereits im Jahr 2005 an das LBV gesandt haben will und einen entsprechenden Vermerk in ihren Unterlagen gemacht hat, folgt daraus nicht zwangsläufig, dass das Scheidungsurteil dem zuständigen Bediensteten des LBV zur Kenntnis gelangt ist. Unstreitig befindet sich das Scheidungsurteil nicht in der Besoldungsakte der Klägerin. Aus der Tatsache, dass der Klägerin Familienzuschläge für Kinder in unterschiedlicher Höhe - beispielsweise im Dezember 2005 gar nicht, im Januar 2006 für zwei Kinder, im Juli 2006 für ein Kind - gezahlt worden ist, kann ebenfalls nicht auf eine Kenntnis des zuständigen Sachbearbeiters vom Scheidungsurteil geschlossen werden, weil diese Veränderungen mit der Einkommens- und Ausbildungssituation der zu dem Zeitpunkt bereits volljährigen Kinder der Klägerin zusammenhingen. Es brauchte auch nicht weiter aufgeklärt zu werden, ob das Urteil einem Sachbearbeiter aus dem Dezernat für Versorgung zugegangen ist, denn dessen Kenntnis spielt für die Frage der Kenntnis des zuständigen Sachbearbeiters aus dem Dezernat Besoldung keine Rolle. Ferner stützt das vorgelegte Empfangsbekenntnis eines Mitarbeiters des LBV für ein vom Amtsgericht Monschau übersandtes Schriftstück in der Sache 6 F 104/04 (T. ./.T. ) den Vortrag der Klägerin nicht. Einerseits ist das im Empfangsbekenntnis bezeichnete Dokument vom 19. Juli 2005 nicht das Scheidungsurteil vom 22. Juni 2005. Andererseits genügt für die erforderliche Kenntnis nach § 199 Abs. 1 BGB eben nicht diejenige irgendeines Bediensteten des LBV. Vielmehr entspricht es der Erfahrung mit Massenverwaltungen, dass Vorgänge erst mit erheblicher Zeitverzögerung oder überhaupt nicht den zuständigen Mitarbeitern bekannt werden.
38Letztlich spricht auch die Berechnung des Familienzuschlages für Kinder, wie sie beispielsweise in der Bezügemitteilung 09/06, laufende Nr. 035 enthalten ist, nicht dafür, dass der zuständige Sachbearbeiter für die Besoldung der Klägerin bereits vor dem Hinweis der Klägerin im Jahr 2014 von deren Scheidung Kenntnis erlangt hatte. Anders als die Klägerin meint, hat der Beklagte das Scheidungsurteil nicht im Rahmen der Berechnung des Familienzuschlags für Kinder berücksichtigt. Die von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgetragene Rechnung entspricht zwar in der Tat dem Betrag, der nach § 40 Abs. 3 BBesG/ÜBesG einem ledigen oder geschiedenen Beamten zustünde: die Differenz zwischen Stufe 1 und der jeweils einschlägigen Stufe des Familienzuschlags. Jedoch erstellt das LBV jede Bezügemitteilung in der hier vorgefunden Form. Die Stufe 1 (als Familienzuschlag für Verheiratete) und der darüber hinaus als Familienzuschlag für Kinder gezahlte Differenzbetrag bis zur jeweils einschlägigen Stufe werden grundsätzlich separat ausgewiesen. Würde im Familienzuschlag für Kinder der gesamte Betrag der jeweils einschlägigen Stufe ausgewiesen, bekäme ein verheirateter Beamter die Stufe 1 doppelt ausgezahlt - einmal im Familienzuschlag Stufe 1 für Verheiratete und ein zweites Mal im Familienzuschlag der maßgeblichen Stufe, weil diese aus dem Betrag der Stufe 1 zuzüglich der Kinderzuschläge besteht.
39Die Billigkeitsentscheidung des Beklagten nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG/ÜBesG NRW ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Nach besagter Vorschriften kann aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise von der Rückforderung abgesehen werden. Die Billigkeitsentscheidung bezweckt eine allen Umständen des Einzelfalls gerecht werdende, für die Behörde zumutbare und für den Beamten tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen. Sie ist Ausdruck des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben und stellt eine sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen Grundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung dar, so dass sie vor allem in Fällen der verschärften Haftung von Bedeutung ist. Dabei ist jedoch nicht die gesamte Rechtsbeziehung, aus welcher der Bereicherungsanspruch erwächst, nochmals unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu würdigen, sondern auf das konkrete Rückforderungsbegehren und vor allem auf die Modalitäten der Rückabwicklung und ihre Auswirkung auf die Lebensumstände des Beamten abzustellen. Bei der Billigkeitsentscheidung ist von besonderer Bedeutung, wessen Verantwortungsbereich die Überzahlung zuzuordnen ist und in welchem Maße ein Verschulden oder Mitverschulden hierfür ursächlich war. Ein Mitverschulden der Behörde an der Überzahlung ist in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. Deshalb ist aus Gründen der Billigkeit in der Regel von der Rückforderung teilweise abzusehen, wenn der Grund für die Überzahlung in der überwiegenden behördlichen Verantwortung liegt. In diesen Fällen ist der Beamte entreichert, kann sich aber, wie dargelegt, auf den Wegfall der Bereicherung nicht berufen. Dann muss sich die überwiegende behördliche Verantwortung für die Überzahlung aber in der Billigkeitsentscheidung niederschlagen. Das ist auch unter Gleichheitsgesichtspunkten geboten. Der Beamte, der nur einen untergeordneten Verursachungsbeitrag für die Überzahlung gesetzt hat, muss besser stehen als der Beamte, der die Überzahlung allein zu verantworten hat. Angesichts dessen erscheint ein Absehen von der Rückforderung in der Größenordnung von 30 % des überzahlten Betrages im Regelfall als angemessen. Bei Hinzutreten weiterer Umstände, etwa besonderer wirtschaftlicher Probleme des Beamten, kann auch eine darüber hinausgehende Ermäßigung des Rückforderungsbetrages in Betracht kommen.
40Vgl. BVerwG, Urteile vom 26. April 2012 - 2 C 4.11 -, juris, Rn. 18 ff, und - 2 C 15.10 -, juris, Rn. 24 ff; OVG NRW, Beschluss vom 31. Juli 2014 - 1 A 650/12 -, juris, Rn. 42; VG Aachen, Urteile vom 4. Oktober 2016 - 1 K 710/15 - und vom 30. Juni 2016 - 1 K 2093/15 -, n.V.
41Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Billigkeitsentscheidung nicht zu beanstanden. Das LBV hat den Rückforderungsbetrag in seinem Widerspruchsbescheid um 30 % reduziert, weil es die Überzahlung durch eine fehlerhafte Bearbeitung mitverschuldet hat. Anhaltspunkte dafür, dass eine darüber hinausgehende Ermäßigung geboten sein könnte - etwa besondere wirtschaftliche Probleme - sind nicht vorgetragen. Maßgebend ist insoweit auch, dass die Überzahlung des Familienzuschlages der Stufe 1 für die Klägerin völlig offensichtlich war, weshalb eine weitergehende im Rahmen der Billigkeitsentscheidung einzustellende etwaige Schutzwürdigkeit der Klägerin nicht gegeben ist. Zudem hat das LBV der Klägerin monatliche Ratenzahlungen eingeräumt, welche die Pfändungsfreigrenzen nach §§ 850 ff ZPO einhalten, damit die Alimentierung der Klägerin gesichert bleibt.
42Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
43Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 Sätze 1 und 2 ZPO.
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Referenzen
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- BGB § 819 Verschärfte Haftung bei Kenntnis und bei Gesetzes- oder Sittenverstoß 1x
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- 1 A 2580/14 1x (nicht zugeordnet)
- 6 F 104/04 2x (nicht zugeordnet)
- 1 K 710/15 4x (nicht zugeordnet)
- BGB § 818 Umfang des Bereicherungsanspruchs 1x
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- 6 F 104/04 1x (nicht zugeordnet)
- 1 A 2375/12 2x (nicht zugeordnet)
- 1 A 2045/11 1x (nicht zugeordnet)
- 1 A 650/12 1x (nicht zugeordnet)