Beschluss vom Verwaltungsgericht Aachen - 10 L 164/21.A
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
1
G r ü n d e
2Der wörtlich gestellte Antrag,
3der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass jegliche Abschiebemaßnahmen gegen den Antragsteller zu unterlassen sind und eine Bescheinigung (Aufenthaltsgestattung) dahingehend auszustellen, aus der hervorgeht, dass sein Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland bis zur rechtskräftigen Klageentscheidung in dieser Angelegenheit erlaubt ist,
4hat keinen Erfolg.
5I. Dabei kann die Kammer hier dahinstehen lassen, ob der Antragsteller mit seinem Antrag richtigerweise vorläufigen Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO begehrt, oder ob sein Antrag dem gegenüber als Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO auszulegen ist, gerichtet auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage 10 K 631/21.A gegen die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1. des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 25. Februar 2021.
6Vgl. Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 28. Edition (Stand: 01.01.2021), AsylG § 71 Rn. 31 ff., m. w. N. zu dem insoweit geführten Meinungsstreit; vgl. aus der Rechtsprechung etwa einerseits (für Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO): OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 14. Januar 2019 - 7 B 11544/18 -, juris, Rn. 4; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29. November 2018 - 12 S 2504/18 -, juris, Rn. 15; Hess. VGH, Beschluss vom 13. September 2018 - 3 B 1712/18.A -, juris, Rn. 3 ff.; andererseits (für Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO): VG Magdeburg, Beschluss vom 12. März 2018 ‑ 3 B 68/18 -, juris, Rn. 4 ff.; VG München, Beschluss vom 10. Mai 2017 - M 2 S 17.38234 -, juris, Rn. 10 ff.; VG Dresden, Beschluss vom 11. September 2017 - 13 L 1004/17.A -, juris, 17 ff., jeweils m. w. N.
7Denn der Prüfungsmaßstab beider Verfahren ist im Ergebnis identisch. Für den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gilt gemäß § 71 Absatz 4 AsylG i. V. m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG der Prüfungsmaßstab der „ernstlichen Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts. Ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt voraus, dass der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm der geltend gemachte Anspruch zusteht (Anordnungsanspruch) und dieser Anspruch in einer Weise gefährdet ist, dass er durch eine gerichtliche Entscheidung gesichert werden muss (Anordnungsgrund), § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO. Da der Termin der Abschiebung dem Antragsteller gemäß § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG nicht mehr angekündigt werden darf, hat er jederzeit mit einer Abschiebung auf der Grundlage der bestandskräftigen Abschiebungsandrohung aus dem Asylerstverfahren zu rechnen. Ein Anordnungsgrund liegt daher regelmäßig vor. Für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs ist maßgeblich, ob bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage sein Begehren in der Sache hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, er also einen Anspruch auf das begehrte Wiederaufgreifen des Verfahrens hat. Insoweit wird regelmäßig geprüft, ob - wie beim Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO - ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt getroffenen ablehnenden Entscheidung bestehen.
8Vgl. Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 28. Edition (Stand: 01.01.2021), AsylG § 71 Rn. 38; ebenso VG Düsseldorf, Beschluss vom 5. März 2020 ‑ 10 L 182/20.A -, juris, Rn. 14 ff.; vgl. zudem dazu, dass es grundsätzlich verfassungsrechtlich unerheblich ist, auf welchem Weg Eilrechtsschutz effektiv gewährt wird: BVerfG, Beschluss vom 8. November 2017 - 2 BvR 809/17 -, juris, Rn. 13.
9II. Die Frage, in welchem Verfahren der Antragsteller zulässigerweise vorläufigen Rechtsschutz begehren kann, kann die Kammer ausgehend von Vorstehendem hier offen lassen, weil der Antrag unter Zugrundelegung des identischen Prüfungsmaßstabs jedenfalls unbegründet ist. Denn der angefochtene Bundesamtsbescheid vom 25. Februar 2021 erweist sich als rechtmäßig.
101. Die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts in Ziffer 1. des angefochtenen Bescheids ist rechtlich nicht zu beanstanden.
11Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag u. a. unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist in dem Fall, dass ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.
12Nach Absatz 1 dieser Vorschrift setzt ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens voraus, dass sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG), oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Dabei erfordert § 51 Abs. 1 VwVfG einen schlüssigen Sachvortrag des Antragstellers, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung oder zur Zuerkennung internationalen Schutzes zu verhelfen. Ausreichend ist demnach ein Vortrag, mit dem die Geeignetheit der neuen Umstände für eine dem Antragsteller günstigere Entscheidung schlüssig dargelegt wird.
13Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, juris, Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom 3. März 2000 - 2 BvR 39/98 -, juris, Rn. 32.
14Nach § 51 Abs. 2 VwVfG ist der Antrag dabei nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG muss der Antrag zudem binnen drei Monaten gestellt werden, beginnend mit dem Tag, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.
15Vgl. zu der Frage, ob die Dreimonatsfrist des § 71 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AsylG i. V. m. § 51 Abs. 3 VwVfG im Hinblick auf Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU noch unionsrechtskonform ist: Schlussanträge des Generalanwalts vom 15. April 2021 im Verfahren C-18/20, juris, Rn. 64 ff., 75; VG Cottbus, Beschluss vom 26. Oktober 2020 - 1 L 432/20.A -, juris, Rn. 12 ff., m. w. N.
16Gemessen daran sind die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens hier nicht erfüllt. Der Antragsteller hat keine Wiederaufgreifensgründe i. S. d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG - in Betracht kommt vorliegend allein eine Änderung der Sachlage i. S. d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG - schlüssig dargelegt.
17Geht es um die Frage, ob ein Folgeantrag gemäß § 71 AsylG wegen einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des Betroffenen zulässig ist, genügt es, wenn der Asylsuchende eine Änderung der allgemeinen politischen Verhältnisse oder Lebensbedingungen im Heimatstaat oder der sein persönliches Schicksal bestimmenden Umstände im Verhältnis zu der der früheren Asylentscheidung zugrunde gelegten Sachlage glaubhaft und substantiiert vorträgt. Es genügt mithin schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufgreifensgründe.
18Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2019 - 2 BvR 1600/19 -, juris, Rn. 20.
19Eine Sachlagenänderung hat der Antragsteller jedoch nicht substantiiert vorgetragen. Er stützt seinen Folgeantrag darauf, dass seine Zuwendung zum christlichen Glauben inzwischen eine andere Qualität angenommen habe und sich die öffentliche Verlautbarung seines Bekenntnisses als endgültige und unverzichtbare Glaubensbetätigung darstelle. Er habe sich in den letzten Monaten noch intensiver mit seinem Glaubensbekenntnis bzw. dem christlichen Glauben und der Ausübung seines Glaubens bei fiktiver Rückkehr ins Heimatland beschäftigt und seinen Glauben aus innerer Überzeugung auch nach außen und insbesondere ohne Zurückhaltung gegenüber Muslimen praktiziert bzw. kundgetan. Vor diesem Hintergrund liege ein „Qualitätssprung“ hinsichtlich seiner Konversion vor, den er fristgerecht geltend mache.
20Hiermit ist eine Sachlagenänderung nicht schlüssig dargelegt. Seine Konversion zum Christentum stand bereits im Mittelpunkt seines Vorbringens im Asylerstverfahren. Der Antragsteller hatte sich darauf berufen, bereits in Iran vom Islam abgefallen und zum Christentum konvertiert zu sein. Er habe dort Hauskirchen besucht und zum christlichen Glauben gefunden. In Deutschland sei er - belegt durch Taufurkunde der e. V. - am 10. Juni 2018 getauft worden. Ausweislich einer pfarramtlichen Bescheinigung der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde F. vom 4. Dezember 2019 habe er bis zu seinem Ausbildungsbeginn in Anfang August 2019 regelmäßig die Sonntagsgottesdienste der Gemeinde besucht und an den internationalen Treffen der Gemeinde teilgenommen. In habe er - entsprechend einer pfarramtlichen Bescheinigung der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde B. vom 28. November 2019 - seit September 2019 regelmäßig an den Gottesdiensten der Gemeinde teilgenommen, einen Glaubenskurs besucht und sehr engagiert Kontakt zu den Gemeindemitgliedern aufgenommen. Im Klageverfahren hat er - zuletzt mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung vom 2. Februar 2020 gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 13. Dezember 2019 - u. a. vorgetragen, die Nichtteilnahme an christlich-religiösen Riten sei für ihn unvorstellbar.
21Vor diesem Hintergrund ist ein „Qualitätssprung“ hinsichtlich der Glaubensüberzeugung bzw. Glaubensausübung des bereits im Jahr 2018 christlich getauften Antragstellers nicht erkennbar. Hierzu hat er substantiiert nichts vorgetragen. Allein der Hinweis auf eine zwischenzeitlich intensivere Beschäftigung mit dem Glauben und eine nunmehr tiefere Glaubensüberzeugung vermag ohne schlüssigen Vortrag hierzu einen „Qualitätssprung“ - zumal wenn dieser innerhalb der letzten drei Monate vor der Folgeantragstellung stattgefunden haben müsste (vgl. § 51 Abs. 3 VwVfG) - nicht zu belegen.
22Dieses Ergebnis wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass entgegen der Forderung des Antragstellers eine persönliche Anhörung im Folgeverfahren nicht stattgefunden hat. § 71 Abs. 3 Satz 3 AsylG bestimmt, dass von einer Anhörung des Folgeantragstellers abgesehen werden kann. Es liegt demnach im Ermessen des Bundesamts, ob es im konkreten Einzelfall für eine rechtsfehlerfreie Entscheidung die persönliche Anhörung für notwendig erachtet.
23Vgl. Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 28. Edition (Stand: 01.01.2021), AsylG § 71 Rn. 11; Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 71 Rn. 41; vgl. dazu, dass die Mitgliedstaaten bei einem Folgeantrag eine Ausnahme vom Grundsatz der persönlichen Anhörung des Antragstellers machen dürfen: EuGH, Urteil vom 16. Juli 2020 - C-517/17 -, juris, Rn. 55.
24Dass vorliegend eine Ermessensreduzierung auf Null dahingehend anzunehmen ist, dass zwingend eine persönliche Anhörung des Antragstellers hätte erfolgen müssen, ist nicht ersichtlich. Der Antragsteller ist nicht etwa nach Abschluss des Asylerstverfahrens und zwischenzeitlicher Rückkehr in den Herkunftsstaat erneut eingereist und hat neue Verfolgungsgründe geltend gemacht hat. Er hat mit seinem Folgeantrag auch nicht sonst vollständig Neues vorgetragen.
25Vgl. dazu, dass jedenfalls in diesen Fällen eine Anhörungspflicht in Betracht kommen kann: Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 71 Rn. 41; Müller, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71 Rn. 47, jeweils m. w. N.; eine Anhörungspflicht auch in diesen Fällen jedoch bezweifelnd Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 28. Edition (Stand: 01.01.2021), AsylG § 71 Rn. 11.
26Der Antragsteller hat vielmehr gerade kein neues Verfolgungsschicksal vorgetragen, sondern ausdrücklich Bezug genommen auf die bereits im Erstverfahren vorgetragenen Verfolgungsgründe. Er hat insoweit lediglich - dies allerdings nicht ausreichend substantiiert - eine Veränderung der verfolgungsrelevanten Sachlage („Qualitätssprung“) angesprochen und angekündigt, in einer persönlichen Anhörung hierzu näher vortragen zu wollen. Darauf, dass ihm diese Gelegenheit eingeräumt werde, hat der bereits im Bundesamtsverfahren anwaltlich vertretene Antragsteller sich jedoch nicht verlassen dürfen. Denn aus dem Gesetz ergibt sich gerade keine Anhörungspflicht des Bundesamts. Hierauf wurde er zudem durch das Bundesamt ausdrücklich schriftlich hingewiesen. Dass bei dieser Sachlage das Bundesamt ohne persönliche Anhörung entschieden hat, ist von seinem Ermessensspielraum auch unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung der hier in Rede stehenden Grundrechte gedeckt.
272. Die in Ziffer 2. des angefochtenen Bundesamtsbescheids getroffene Entscheidung, das Verfahren hinsichtlich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht wieder aufzugreifen, erweist sich ebenfalls als rechtmäßig.
28a. Auch die begehrte Feststellung zu Abschiebungsverboten kann nur unter den Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bzw. § 51 Abs. 5 VwVfG i. V. m. §§ 48, 49 VwVfG erfolgen. Denn es existiert auch insoweit nach wie vor die ablehnende und rechtskräftig bestätigte Entscheidung des Bundesamts vom 16. Januar 2018. Einer erneuten inhaltlichen Befassung mit dem Vorliegen von Abschiebungsverboten steht daher zunächst die (materielle) Bestandskraft des Ablehnungsbescheides entgegen. Erst wenn dieser - nicht nichtige und nicht erledigte - Bescheid durch Rücknahme nach § 48 VwVfG bzw. Widerruf nach § 49 VwVfG von Amts wegen oder im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens nach § 51 VwVfG auf Antrag aufgehoben und hierdurch seine materielle Bestandskraft überwunden worden ist, ist nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen Raum für eine neue Sachentscheidung (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG).
29Vgl. etwa Leisner-Egensperger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 2. Auflage 2019, § 43 Rn. 21 ff., m. w. N.
30Dem steht § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift hat das Bundesamt in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge zusätzlich festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Hiermit sollte die materielle Bestandskraft entgegenstehender Entscheidungen nicht kraft Gesetzes aufgehoben werden. Wenn auch der Wortlaut der Regelung nahelegen mag, dass das Bundesamt bei einer Entscheidung über einen unzulässigen Folgeantrag (in jedem Fall) eine Sachentscheidung zu Abschiebungsverboten zu treffen hat,
31in diesem Sinne wohl BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 -, juris, Rn. 20; OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2019 - 13 A 3930/18.A -, juris, Rn. 30,
32so stehen einer solchen Auslegung Entstehungsgeschichte und Normzweck der Regelung offenkundig entgegen.
33Vgl. VG Regensburg, Urteil vom 6. Oktober 2020 - RN 15 K 19.31639 -, juris, Rn. 27 ff.; VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 31. August 2020 - 34 K 233.19 A -, juris, Rn. 27 ff.; VG Hamburg, Urteil vom 12. Juni 2020 - 8 A 486/17 -, juris, Rn. 37 ff., und Beschluss vom 16. März 2020 - 17 AE 1084/20 -, juris, Rn. 26 ff.; VG Trier, Urteil vom 21. Januar 2020 - 1 K 3689/18.TR -, juris, Rn. 16; offengelassen von: OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2019 - 13 A 3930/18.A -, juris, Rn. 25 ff.; VG Aachen, Gerichtsbescheid vom 1. Februar 2021 - 10 K 442/19.A -, juris, Rn. 21 f., jeweils m. w. N. zum Streitstand.
34Bis zur Änderung des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG durch Art. 6 Nr. 11 lit. c des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939) entsprach es allgemeiner Auffassung, dass die Feststellung von (nationalen) Abschiebungsverboten bei Folgeanträgen vom Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 48 ff. VwVfG abhängig ist.
35Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 15. Januar 2001 - 9 B 475.00 -, juris, Rn. 5.
36Aus der Entstehungsgeschichte der Änderung des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber durch die Änderung dem Bundesamt nunmehr und in Abkehr von der bis dahin allgemein vertretenen Auffassung die Verpflichtung auferlegen wollte, in jedem Asylfolgeverfahren erneut in die vollständige Prüfung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot einzutreten. In den Blick zu nehmen ist in diesem Zusammenhang, dass durch Art. 6 Nr. 7 des Integrationsgesetzes zugleich auch § 29 AsylG geändert wurde. (Erst) Seitdem zählen auch Folgeanträge zu den unzulässigen Asylanträgen. Aus der Begründung der Änderung des § 29 AsylG ergibt sich, dass die möglichen Gründe einer Unzulässigkeit eines Asylantrags in Absatz 1 der Vorschrift lediglich „zur besseren Übersichtlichkeit und Vereinfachung der Rechtsanwendung in einem Katalog zusammengefasst“ wurden und hierzu „nunmehr auch die Gründe, aus denen ein Antrag bisher als unbeachtlich betrachtet wurde“, zählen sollten.
37Vgl. BT-Drs. 18/8615, S. 51.
38§ 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist vor diesem Hintergrund dahingehend geändert worden, dass die Vorschrift statt für „unbeachtliche“ nunmehr für „unzulässige“ Asylanträge gilt. Konsequent beschränkt sich die Begründung der Gesetzesänderung insoweit auch auf den Hinweis, dass es sich um eine „Folgeänderung“ handele.
39Vgl. BT-Drs. 18/8615, S. 52.
40Der Gesetzgeber war sich ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs der Tragweite, die der (redaktionellen) Änderung des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG von Teilen der Rechtsprechung seitdem zugeschrieben wird,
41vgl. etwa VG Bayreuth, Urteil vom 30. September 2020 - B 2 K 18.31976 -, juris, Rn. 34; VG Magdeburg, Urteil vom 16. Juni 2020 - 8 A 49/20 -, juris, Rn. 21; Sächs. OVG, Urteil vom 21. Juni 2017 - 5 A 109/15.A -, juris, Rn. 26, jeweils m. w. N.,
42daher offenkundig nicht bewusst.
43Vgl. Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 28. Edition (Stand: 01.01.2021), AsylG § 71 Rn. 28; VG Regensburg, Urteil vom 6. Oktober 2020 - RN 15 K 19.31639 -, juris, Rn. 33; VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 31. August 2020 - 34 K 233.19 A -, juris, Rn. 31; VG Hamburg, Urteil vom 12. Juni 2020 - 8 A 486/17 -, juris, Rn. 40.
44Auch Sinn und Zweck der Gesetzesänderung widersprechen einer Auslegung, nach der das Bundesamt verpflichtet sein soll, bei jedem Folgeantrag unabhängig vom Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen und ungeachtet der Bestandskraft der entgegenstehenden Entscheidung aus dem Erstverfahren erneut eine vollständige materiell-rechtliche Prüfung nationaler Abschiebungsverbote vorzunehmen.
45Gesetzgeberisches Ziel der Regelungen über Folge- und Zweitanträge ist es, einer Instrumentalisierung von weiteren Asylanträgen nur zur Aufenthaltsverlängerung entgegenzuwirken. Zu einer inhaltlichen Prüfung in einem weiteren Asylverfahren soll es daher regelmäßig nur kommen, wenn ein Wiederaufgreifensgrund besteht.
46Vgl. Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 28. Edition (Stand: 01.01.2021), AsylG § 71 Rn. 3 und 28.
47Dieser gesetzgeberische Zweck sollte durch das Integrationsgesetz nicht konterkariert werden. Ziel war es vielmehr u. a., das Asylverfahren „effizienter“ auszugestalten.
48Vgl. BT-Drs. 18/8615, S. 26.
49Wäre das Bundesamt verpflichtet, in ausnahmslos jedem Asylfolgeverfahren erneut in eine vollständige Sachprüfung hinsichtlich des Vorliegens von Abschiebungsverboten einzutreten, stellte dies einen Anreiz dar, auch offensichtlich unzulässige Folgeanträge - ggf. wiederholt - zu stellen, um eine Vollprüfung jedenfalls hinsichtlich des Abschiebungsschutzes zu erreichen und hierdurch das Verfahren zu verzögern. Dies liefe der Zielrichtung der gesetzlichen Regelungen aber erkennbar zuwider.
50Vgl. Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 28. Edition (Stand: 01.01.2021), AsylG § 71 Rn. 28; VG Regensburg, Urteil vom 6. Oktober 2020 - RN 15 K 19.31639 -, juris, Rn. 35; VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 31. August 2020 - 34 K 233.19 A -, juris, Rn. 32; VG Hamburg, Urteil vom 12. Juni 2020 - 8 A 486/17 -, juris, Rn. 40.
51Letztlich wäre ein solches Ergebnis auch systemwidrig. Denn auf isolierte Folgeschutzanträge, die allein auf eine Abänderung der im Erstverfahren ergangenen Entscheidung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten abzielen, ist § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG mangels gleichzeitig ergehender Unzulässigkeitsentscheidung nicht anwendbar. Beschränkt ein Antragsteller daher seinen Antrag auf eine Abänderung der Entscheidung zu den nationalen Abschiebungsverboten, ist der Antrag zusätzlich an den Voraussetzungen des § 51 VwVfG zu messen. Fiele diese Einschränkung aber weg, wenn (bzw. weil) er zusätzlich einen - auch offensichtlich unzulässigen - Folgeantrag stellte, führte dies zu einem Wertungswiderspruch. Denn für diese Ungleichbehandlung seines Abschiebungsschutzbegehrens fehlte eine sachliche Rechtfertigung. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass ein solcher Wertungswiderspruch vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen worden ist.
52Vgl. Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 28. Edition (Stand: 01.01.2021), AsylG § 71 Rn. 28; VG Regensburg, Urteil vom 6. Oktober 2020 - RN 15 K 19.31639 -, juris, Rn. 35; VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 31. August 2020 - 34 K 233.19 A -, juris, Rn. 33.
53b. Das Verfahren hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten war hier nicht wieder aufzugreifen.
54aa. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG sind - wie bereits dargelegt - nicht erfüllt. Es fehlt an der schlüssigen Darlegung von Wiederaufgreifensgründen.
55bb. Auch die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für ein sog. „Wiederaufgreifen im weiteren Sinn“ liegen nicht vor.
56Danach kann die Behörde, auch wenn - wie hier - die in § 51 Abs. 1 VwVfG normierten Voraussetzungen nicht vorliegen, ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren wieder aufgreifen und eine neue, der gerichtlichen Überprüfung zugängliche Entscheidung treffen (sog. Wiederaufgreifen im weiteren Sinn). Hinsichtlich der in § 51 Abs. 5 VwVfG i. V. m. §§ 48, 49 VwVfG zu sehenden Ermächtigung zum Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinn, die die Korrektur inhaltlich unrichtiger Entscheidungen ermöglicht, besteht für den Betroffenen allerdings nur ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung. Denn der Gesetzgeber räumt bei der Aufhebung bestandskräftiger belastender Verwaltungsakte in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise weder dem Vorrang des Gesetzes noch der Rechtssicherheit als Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips einen generellen Vorrang ein. Die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von Verwaltungsakten stehen vielmehr gleichberechtigt nebeneinander.
57Vgl. BVerwG, Urteile u. a. vom 13. August 2020 - 1 C 23.19 -, juris, Rn. 19, vom 20. November 2018 - 1 C 23.17 -, juris, Rn. 25 ff., vom 21. Juni 2017 - 6 C 43.16 -, juris, Rn. 9, und vom 21. März 2000 - 9 C 41.99 -, juris, Rn. 10 f., jeweils m. w. N.
58Hiernach besteht zunächst (nur) ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung, ob das Bundesamt das Verfahren wieder aufnimmt und eine bestandskräftige - und hier zudem rechtskräftig gerichtlich bestätigte - frühere Entscheidung zurücknimmt oder widerruft. Das Bundesamt handelt grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn es ein Wiederaufgreifen im Hinblick auf den rechtskräftigen Bescheid im Asylerstverfahren ablehnt. In diesen Fällen bedarf es regelmäßig keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägungen des Bundesamts. Umstände, die ausnahmsweise eine erneute Sachentscheidung gebieten, das Ermessen der Behörde also zugunsten des Betroffenen verdichten, müssen von einer den in § 51 Abs. 1 VwVfG geregelten zwingenden Wiederaufgreifensgründe vergleichbaren Bedeutung und Gewicht sein.
59Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2009 - 1 C 26.08 -, juris, Rn 20.
60Eine begründete Ermessensentscheidung hat das Bundesamt vorliegend getroffen. Es hat sich ausdrücklich mit einem Wiederaufgreifen im weiteren Sinn auseinandergesetzt und seine ablehnende Entscheidung nachvollziehbar begründet. Auf die Bescheidgründe wird insoweit Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
61Mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit besteht jedoch ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung „schlechthin unerträglich“ ist, was von den Umständen des Einzelfalls und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte abhängt. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn der Ausländer bei einer Abschiebung einer extremen individuellen Gefahrensituation ausgesetzt würde und das Absehen von einer Abschiebung daher verfassungsrechtlich zwingend geboten ist. In einem solchen Fall reduziert sich das der Behörde eingeräumte Ermessen auf Null und verdichtet sich der Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung zu einem Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots im Wege des Wiederaufgreifens (im weiteren Sinn).
62Vgl. BVerwG, Urteile vom 13. August 2020 - 1 C 23.19 -, juris, Rn. 19, vom 20. November 2018 - 1 C 23.17 -, juris, Rn. 26, und vom 20. Oktober 2004 - 1 C 15.03 -, juris, Rn. 16; OVG NRW, Beschluss vom 2. August 2018 - 4 A 2385/14.A -, juris, Rn. 12, jeweils m. w. N.
63Eine derartige, dem Antragsteller drohende extreme individuelle Gefahrensituation vermag die Kammer, wie sich aus den vorstehenden Erwägungen zu seinem unsubstantiierten Vortrag zu einer Sachlagenänderung und mit Blick auf die rechtskräftige und im Folgeverfahren nicht erschütterte Feststellung im Asylerstverfahren, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen, nicht zu erkennen. Andere Umstände, die neben dem vorgetragenen „Qualitätssprung“ hinsichtlich der Glaubensüberzeugung bzw. -ausübung des Antragstellers im Rahmen der Entscheidung zu Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG berücksichtigt werden müssten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
64Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 83b AsylG.
65Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- 17 AE 1084/20 1x (nicht zugeordnet)
- § 77 Abs. 2 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvR 39/98 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80 4x
- 8 A 49/20 1x (nicht zugeordnet)
- § 71 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 12 S 2504/18 1x
- VwVfG § 48 Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes 3x
- Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (7. Senat) - 7 B 11544/18 1x
- VwGO § 123 4x
- § 71 Absatz 4 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvR 809/17 1x (nicht zugeordnet)
- 13 L 1004/17 1x (nicht zugeordnet)
- § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- 1 L 432/20 1x (nicht zugeordnet)
- 1 K 3689/18 1x (nicht zugeordnet)
- 8 A 486/17 3x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 51 Wiederaufgreifen des Verfahrens 14x
- § 83b AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 3 B 68/18 1x (nicht zugeordnet)
- 10 L 182/20 1x (nicht zugeordnet)
- 10 K 631/21 1x (nicht zugeordnet)
- Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (5. Kammer) - 5 A 109/15 1x
- § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- 4 A 2385/14 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 580 Restitutionsklage 1x
- 13 A 3930/18 2x (nicht zugeordnet)
- § 71 Abs. 3 Satz 3 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 49 Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes 3x
- VwVfG § 43 Wirksamkeit des Verwaltungsaktes 1x
- § 80 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 3 B 1712/18 1x (nicht zugeordnet)
- § 29 AsylG 2x (nicht zugeordnet)
- 2 BvR 1600/19 1x (nicht zugeordnet)
- § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG 5x (nicht zugeordnet)
- 10 K 442/19 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 48 ff. VwVfG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 920 Arrestgesuch 1x
- § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 294 Glaubhaftmachung 1x