Urteil vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 3 K 5877/11
Tenor
Die dem Beigeladenen durch den Beklagten erteilte Genehmigung vom 2. September 2011 zur Errichtung und zum Betrieb einer Anlage zur Haltung und Aufzucht mit 124.200 (davon 39.900 Bestand) Mastgeflügelplätzen (Masthähnchen) sowie Lagerung von brennbaren Gasen von 9,6 t (davon 3,2 t Bestand) einschließlich der erforderlichen Nebeneinrichtungen in der Gestalt des Genehmigungsbescheides vom 11. März 2013 und des Nachtragsbescheides vom 28. April 2014 wird aufgehoben.
Der Beklagte und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte; hiervon ausgenommen sind ihre außergerichtlichen Kosten, die sie jeweils selbst tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist Eigentümer und Bewohner des Anwesens I. 3 in X. , genannt O. . Das Umfeld der Hofstelle ist geprägt durch eine Reihe anderer Hofstellen und Tierhaltung. Auch der Kläger selbst betrieb auf seinem Hof früher Ackerbau und Tierhaltung. Heute hält er nur noch sechs Ponys bzw. Pferde.
3Der Beigeladene ist Eigentümer des Anwesens I. 2 in X. . Er betreibt dort einen Masthähnchenstall in einer Größe von 39.900 Tierplätzen. Das Anwesen liegt ca. 200 m nördlich vom O. . Mit Schreiben vom 24. April 2010 beantragte der Beigeladene eine (Erweiterungs-)Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage zum Halten und zur Aufzucht von insgesamt 124.200 Mastgeflügelplätzen.
4Ca. 200 m vom O. entfernt liegt in östlicher Richtung auf halber Höhe zwischen dem O. und dem Anwesen des Beigeladenen ein weiterer Hof (T. ), auf dem ebenfalls eine Hähnchenmastanlage in einer Größe von 39.900 Tierplätzen betrieben wird. Für diesen Betrieb erteilte der Beklagte mit Bescheid vom 4. Dezember 2012 eine Genehmigung zur Erweiterung und zum Betrieb einer Anlage zur Haltung und zur Aufzucht von Mastgeflügel mit 121.900 Tierplätzen. Hiergegen hat der Kläger zwischenzeitlich vor der erkennenden Kammer unter dem Aktenzeichen 3 K 356/13 Klage erhoben.
5Der Kläger erhob gegen den Antrag des Beigeladenen im Genehmigungsverfahren u. a. mit Schreiben vom 2. September 2010 Einwendungen. Er machte insbesondere geltend: Alle Immissionsuntersuchungen beschränkten sich auf eine isolierte Betrachtung des beantragten Vorhabens. Unberücksichtigt bleibe damit das Vorhaben „T. “ und der Umstand, dass sein – des Klägers – Anwesen durch beide Vorhaben „in die Zange genommen“ werde. Auch sei nicht sichergestellt, dass die beiden Vorhaben tatsächlich von verschiedenen Personen betrieben würden. Von jedem der Vorhaben gingen schädliche Umwelteinwirkungen aus, welche mit Gesundheitsgefahren für die Bewohner seines Anwesens sowie mit einem erheblichen Wertverlust des Eigentums einhergingen. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die zu erwartende Belastung durch Geruch und Bioaerosole. Auch sei mit unzumutbaren Lärmbelästigungen zu rechnen.
6Mit Bescheid vom 2. September 2011 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen die Genehmigung zur Errichtung und Betrieb der beantragten Anlage. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass gemäß § 3 a und b UVPG und Ziffer 7.3.1 der Anlage 1 zum UVPG die Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden sei und die Genehmigung eine Baugenehmigung nach § 63 BauO NRW sowie eine Befreiung gemäß § 67 BNatSchG einschließe.
7In dem Bescheid heißt es zur Begründung unter dem Punkt VI. auszugsweise:
8„2. (...)Der landwirtschaftliche Betrieb erfüllt entsprechend der Stellungnahme vom 06.07.2010 der Landwirtschaftskammer NRW nicht die Voraussetzungen des § 201 Baugesetzbuches (BauGB), da die Tierhaltung nicht auf überwiegend eigener Futtergrundlage betrieben werden kann.Das Vorhaben war damit planungsrechtlich nach § 35 (1) Nr. 4 BauGB zu beurteilen und ist im Außenbereich zulässig. (…)Gemäß § 5 (1) BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können.Als Nachweis wird auf die Immissionsprognose des Ingenieurbüros für Abfallwirtschaft und Immissionsschutz Richters und Hüls vom 21.09.2010 verwiesen. An dem nächstgelegenen unbeteiligten Wohnhaus des ehemaligen landwirtschaftlichen Betriebes „O. “ wird eine Gesamtbelastung von 12 % erreicht. Demnach wird festgestellt, dass durch die Erweiterung der Tierhaltungsanlage die zulässigen Immissionsrichtwerte an den benachbarten Wohngebäuden eingehalten werden.(…)“
9In der Anlage 2 zum Bescheid sind u. a. folgende Auflagen bestimmt:
10„56.Die Immissionsprognose vom 21.09.2009 von Richters und Hüls (Az.: G-1275-02) ist Bestandteil des Bescheides und bei der Errichtung und dem Betrieb der Anlage zu beachten.“(…)
11In dem der Genehmigung zu Grunde liegenden Gutachten des Sachverständigenbüros S. und I1. vom 21. September 2009 heißt es zum Ergebnis der Ausbreitungsberechnung hinsichtlich des Geruchs:
12„An den im Außenbereich gelegenen Häusern, die sich im Umkreis von 600 m um die geplanten Ställe der Hofstelle G. befinden, wird im Planzustand in der Gesamtbelastung ein maximaler Immissionswert von 0,15 erreicht.Durch diese Ergebnisse wird nachgewiesen, dass der Immissionswert der Geruchsimmissionsrichtlinie für Wohnhäuser im Außenbereich (IW = 0,25) eingehalten wird.“
13Für den Hof des Klägers ist auf einer Rasterkarte eine Belastung von 0,12 einschließlich Vor- und Eigenbelastung angegeben. Die Eigenimmission des Hofes wird mit 0,01 beschrieben. Das Gutachten wurde in Anwendung der KTBL-Schrift 333 (1989), „Geruchs- und NH3-Emissonen aus der Tierhaltung“, erstellt, wonach als Geruchsemissionsfaktoren bei der Tierhaltung für Masthähnchen bis 35 Tage und Masthähnchen bis 49 Tage „50 GE/s/GV bzw. GE/(s*m²)“ zu Grunde gelegt werden.
14Am 29. September 2011 hat der Kläger gegen die dem Beigeladenen erteilte Genehmigung Klage erhoben.
15Einen Antrag des Beigeladenen auf Anordnung der sofortigen Vollziehung der Genehmigung vom 2. September 2011 lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 17. Oktober 2011 ab. Den entsprechenden Antrag des Beigeladenen an die erkennende Kammer lehnte diese mit Beschluss vom 14. Februar 2012 - 3 L 1590/11 - ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte ebenfalls keinen Erfolg (Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 3. August 2012 - 8 B 290/12 -).
16Im Laufe des Eilverfahrens legte der Beigeladene ein Ergänzungsgutachten des Ingenieurbüros S. und I1. vom 14. März 2012 vor. Dieses berücksichtigt nunmehr die VDI-Richtlinie 3894 und verwendet als Ansatz bei der Ermittlung der Geruchsimmission der Masthähnchen eine konkrete Emissionszeitreihe von 180 GE/(s*GV). Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis:
17„Am Wohnhaus der Hofstelle H. wird im Planzustand in der Gesamtbelastung ein maximaler Immissionswert für die Fremdbelastung von 0,17 erreicht.“
18Mit Bescheid vom 11. März 2013 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen eine Genehmigung zur Installation und zum Betrieb der Abluftreinigungsanlage „Aerocleaner“ für die fraglichen Hähnchenmaststallungen. Der Genehmigung liegt ein weiteres Gutachten des Ingenieurbüros S. und I1. vom 6. November 2012 zu Grunde, welches neben der VDI-Richtlinie 3894 den Einsatz der Abluftreinigungsanlage berücksichtigt. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis:
19„An den im Außenbereich gelegenen Häusern, die sich im Umkreis von 600 m um die geplanten Ställe der Hofstelle G. befinden, wird im Planzustand in der Gesamtbelastung ein maximaler Immissionswert von 0,19 erreicht.“
20Das Gericht hat Beweis erhoben zu den Fragen, ob bezogen auf den Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Bescheides, also den 2. September 2011, der im Gutachten des Ingenieurbüros S. und I1. vom 21. September 2009 gewählte Ansatz von „50 GE/s/GV bzw. GE/(s*m²)“ für Masthähnchen bis 35 Tage und bis 49 Tage zutreffend sei, und wenn nicht, welcher Wert in Ansatz zu bringen sei und ob von der geplanten Anlage des Beigeladenen – unter Einbeziehung der bestehenden Vorbelastungen – schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG durch Gerüche ausgingen, die geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für den Kläger als Nachbarn herbeizuführen, durch Einholung eines Gutachtens des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV NRW). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des LANUV NRW vom 4. Februar 2014 verwiesen. Danach ist am Wohnhaus des Klägers ohne Berücksichtigung einer Abluftreinigungsanlage mit einer Gesamtbelastung von bis zu 23 % Jahresgeruchshäufigkeit zuzüglich einer Eigenbelastung von bis zu 7 % zu rechnen. Im Gutachten ist weiter ausgeführt, dass nach der GIRL im Außenbereich ein Wert von 0,25 für Tierhaltungsgerüche als maximaler Immissionswert vorgesehen sei, wenn die speziellen Randbedingungen des Einzelfalles dies zuließen. Bei der Wohnnutzung von tierhaltenden Betrieben dürfte danach ein Immissionswert bis 0,25 ohne Berücksichtigung der Eigenbelastung durch eigene Tierhaltung zumutbar sein.
21Mit Nachtragsbescheid vom 28. April 2014 ergänzte der Beklagte den Genehmigungsbescheid vom 11. März 2013 im Wesentlichen dahingehend, dass er für den Betrieb der neuhinzutretenden Stallungen den Einsatz der Abluftreinigungsanlage „Aerocleaner“ vorschreibt. Dabei wird angeordnet, dass der „Aerocleaner“ in allen Stallungen dauerhaft mindestens eine Geruchsreduzierung von 40 % erzielen muss. Weiterhin enthält der Bescheid eine Prüfung „der speziellen Randbedingungen des Einzelfalles“ im Sinne der Auslegungshinweise der GIRL. Diese Prüfung enthält zum Hof des Klägers die Feststellung:
22„Bei dem O. handelt es sich um einen ehemaligen landwirtschaftlichen Betrieb mit Tierhaltung. Derzeit wird auf der Hofstelle noch Pferde- und Hühnerhaltung als Hobbylandwirtschaft betrieben. (…)Die spezielle Prüfung des Einzelfalles hat insgesamt ergeben, dass es sich bei allen Immissionsorten um landwirtschaftliche Hofstellen im Außenbereich handelt. (…) Die sonstigen Immissionsorte stellen ebenfalls landwirtschaftliche Hofstellen dar, welche jedoch nicht mehr im Vollerwerb sondern teilweise noch als Landwirtschaft mit Hobbytierhaltung betrieben werden.Aufgrund dieser Fakten sowie der Empfehlungen des LANUV kommt die spezielle Prüfung des Einzelfalles zu dem Ergebnis, dass eine Überschreitung von 0,15 für Dorfgebiete zulässig ist, da alle Immissionsorte einen für den Außenbereich typischen landwirtschaftlichen Bezug haben. Ein Immissionswert von 0,25 kann somit für alle Immissionsorte als zulässig angesehen werden.“
23Der Kläger macht zur Begründung seiner Klage geltend:
24Die Genehmigung vom 2. September 2011 sei fehlerhaft. Schon die Frist für die öffentliche Bekanntmachung gemäß § 10 Abs. 3 BImSchG sei zu kurz berechnet worden. Soweit die Immissionsprognose vom 21. September 2009 in der Auflage Nr. 56. zum Bestandteil der Genehmigung gemacht worden sei, sei diese Auflage zu unbestimmt.
25Auch seien die vorgelegen Immissionsprognosen unzureichend. So stehe inzwischen fest, dass in der Gesamtbelastung an seinem Wohnhaus der maximale Immissionswert von 0,15 überschritten werde. Deshalb sei eine eingehende sachverständige Überprüfung der speziellen Randbedingungen des Einzelfalles notwendig. Diese könne nicht durch die Behauptung ersetzt werden, dass er mit Rücksicht auf die frühere landwirtschaftliche Tierhaltung nicht schutzwürdig sei.
26In tatsächlicher Hinsicht sei dabei zu berücksichtigen, dass die in Richtung Norden, also zum Hof des Beigeladenen, zeigenden Fenster und Türen zu insgesamt drei Wohneinheiten gehörten. Im Baugenehmigungsverfahren habe er – der Kläger – sich verpflichtet, künftig auf dem Hof kein Nutzvieh zu halten. Dementsprechend würden heute nur noch Tiere aus Liebhaberei gehalten, nämlich drei Ponys und drei Pferde.
27Durch die Genehmigung der Abluftreinigungsanlage sei die ursprüngliche Genehmigung weder geändert noch ergänzt worden. Insbesondere stelle der Einbau der Abluftreinigungsanlage keine Auflage für den Betrieb der Mastanlage dar. Der Beigeladene sei nicht verpflichtet, von der Genehmigung der Abluftreinigungsanlage Gebrauch zu machen.
28Maßgeblicher Zeitpunkt für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Verfügung sei der 11. März 2013, also der Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheides.
29Planungsrechtlich sei das Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB n. F. zu beurteilen, da der Antrag des Beigeladenen vor dem maßgeblichen Stichtag nicht bescheidungsfähig gewesen sei. Die Antragsunterlagen des Beigeladenen hätten die Umweltauswirkungen des Vorhabens nicht ausreichend dargestellt. Unter Berücksichtigung der EG-UVP-Richtlinie sei es geboten, bei einer Kumulation von Vorhaben, hier des Vorhabens des Beigeladenen und des Vorhabens T. , diese als Bewerbungseinheit anzusehen und zu prüfen.
30Gegen den federführend mit der Gutachtenerstellung beauftragten Bediensteten des LANUV NRW, Herrn H1. , bestehe die Besorgnis der Befangenheit. Dieser sei mit der Sache bereits befasst gewesen und habe das ursprüngliche Gutachten des Ingenieurbüros S. und I1. als plausibel bewertet.
31Der Kläger beantragt,
32die dem Beigeladenen durch den Beklagten erteilte Genehmigung vom 2. September 2011 zur Errichtung und zum Betrieb einer Anlage zur Haltung und Aufzucht mit 124.200 (davon 39.900 Bestand) Mastgeflügelplätzen (Masthähnchen) sowie Lagerung von brennbaren Gasen von 9,6 t (davon 3,2 t Bestand) einschließlich der erforderlichen Nebeneinrichtungen in der Gestalt des Genehmigungsbescheides vom 11. März 2013 und des Nachtragsbescheides vom 28. April 2014 aufzuheben.
33Der Beklagte beantragt,
34die Klage abzuweisen.
35Er beruft sich im Wesentlichen auf die Begründung des ursprünglich angefochtenen Bescheides sowie des Änderungs- und des Nachtragsbescheides.
36Der Beigeladene beantragt,
37die Klage abzuweisen.
38Er macht geltend:
39Die planungsrechtliche Qualifikation sei nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB a. F. zu beurteilen. Zum Stichtag 4. Juli 2012 sei die Genehmigung bereits auf der Grundlage eines im Jahre 2010 durchgeführten Erörterungstermins erteilt und im Rahmen des Genehmigungsverfahrens eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem UVPG durchgeführt worden.
40Bei der Beurteilung, ob die mit der Tierhaltung verbundenen Geruchsimmissionen nicht mehr zumutbar seien, habe der Beklagte zu Recht auf die Regeln der GIRL abgestellt. Die vorgelegte Beurteilung sei mit Blick auf Plausibilität und Nachvollziehbarkeit der Eingabewerte, der Rechenmethode und der Ergebniswertung auf entsprechende Nachfrage durch den Beklagten vom LANUV als den maßgeblichen technischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechend bewertet worden. Das Gutachten komme zu dem Ergebnis, dass von der genehmigten Anlage des Beigeladenen an der Wohnnutzung des Klägers im Außenbereich Geruchshäufigkeiten von 12 % der Jahresstunden wahrgenommen würden. Diese Werte habe der Beklagte berechtigterweise seiner Bewertung zur Beurteilung der Zumutbarkeit der Geruchsbelastungen für die Wohnnutzungen auf der Hofstelle des Klägers zu Grunde gelegt. Er habe sich dabei an den Immissionswerten gemäß Nr. 3.1 Tabelle 1 der GIRL orientiert. Danach seien sogar in Dorfgebieten Werte von 0,15 nicht als schädliche Umwelteinwirkungen i. S. d. § 3 Abs. 1 BImSchG anzusehen. Aufgrund dieser nach den für den Beklagten geltenden Vorgaben zu treffenden Beurteilung sei das Vorhaben als mit den nachbarschützenden Vorgaben der Betreiberpflichten gemäß § 5 Abs. 1 BImSchG vereinbar anzusehen gewesen. Anlass für eine Beurteilung im Einzelfall an Hand von Nr. 5 der GIRL habe nicht bestanden.
41Im September 2011 sei die VDI-Richtlinie 3894 Bl. 1 als verbindliche Ausgabe erschienen. Auf Anfrage des Beklagten habe das LANUV als zuständige und kompetente Fachbehörde mitgeteilt, dass im laufenden Genehmigungsverfahren noch zu Recht auf ein Gutachten nach KTBL 333 abgestellt werden dürfe.
42Unabhängig davon habe der Beigeladene das Gutachten vom 14. März 2012 erstellen lassen. Dieses komme zu dem Ergebnis, dass durch die Fremdbelastung an den Wohnnutzungen auf der Hofstelle des Klägers an keiner Stelle Werte von 0,17 überschritten würden. Dabei gelte nach den Auslegungshinweisen zu Nr. 5 Spiegelstrich 7 i. V. m. denen zu Nr. 1 der GIRL, dass Wohnhäuser benachbarter Tierhaltungsanlagen gar nicht in die Beurteilung der Geruchssituation einzubeziehen seien. Dieser Gedanke sei im Hinblick auf die frühere Tierhaltung auf dem Hof des Klägers heranzuziehen. Jedenfalls liege die Grenze der erheblichen Belästigung deutlich über der, die bei unbeteiligten Dritten anzusetzen wäre. In den Auslegungshinweisen zu Nr. 3.1 Spiegelstrich 4 der GIRL werde ausgeführt, dass es im Außenbereich möglich sei, unter Prüfung der speziellen Randbedingungen des Einzelfalles bei der Geruchsbeurteilung einen Wert von jedenfalls 0,25 für landwirtschaftliche Gerüche heranzuziehen. Solche Einzelfallumstände lägen hier vor. So sei die Wohnnutzung auf der Hofstelle des Klägers eine landwirtschaftlich bezogene Wohnnutzung. Dem Beigeladenen sei aufgrund der konkreten Umgebungsprägung eine andere Standortwahl nicht möglich. Die Wohnnutzung auf der Hofstelle des Klägers sei nach Süden orientiert. Die Umgebung der Hofstelle des Klägers sei insgesamt landwirtschaftlich und durch Tierhaltungsbetriebe geprägt.
43Im Gutachten des LANUV vom 4. Februar 2014 sei zutreffend ausgeführt, dass auch unter Berücksichtigung der Privilegierung des Vorhabens nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB auf den Immissionswert 0,25 zurückzugreifen sei. In diesem Zusammenhang erscheine auch von Bedeutung, dass der Gutachter bei seiner Wertung darauf hinweise, dass die Zusatzbelastung durch das Vorhaben des Beigeladenen lediglich 0,06 betrage.
44Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten des Klage- und des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
45Entscheidungsgründe:
46Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet.
47Der Genehmigungsbescheid des Beklagten vom 2. September 2011 in der Gestalt des Genehmigungsbescheides vom 11. März 2013 und des Nachtragsbescheides vom 28. April 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger als von dem Vorhaben des Beigeladenen in seiner materiellen Rechtsposition betroffenen Grundstücksnachbarn dadurch in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
48Die Anlage des Beigeladenen ist bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Genehmigungsbescheides nicht gemäß der §§ 4, 6 BImSchG genehmigungsfähig, denn sie verursacht unzulässig hohe Geruchsimmissionen zum Nachteil des Klägers; die gleichwohl erteilte Genehmigung beachtet nicht hinreichend die Vorgaben der nordrhein-westfälischen Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) in der Fassung vom 29. Februar 2008 und einer Ergänzung vom 10. September 2008 einschließlich der Begründung und Auslegungshinweise.
49In der vorliegenden Situation des Nachbarstreits hat das Gericht nicht zu entscheiden, ob die angefochtene immissionsschutzrechtliche Genehmigung in jeder Hinsicht rechtmäßig erteilt wurde. Ein nachbarliches Abwehrrecht des Klägers gegen das genehmigte Vorhaben besteht vielmehr nur dann, wenn die genehmigte Anlage gerade gegen solche Vorschriften verstößt, die für ihn Wirkung entfalten.
50Vorliegend steht dem Kläger ein Abwehrrecht aus § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG zu.
51Danach sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können. Bei der Beurteilung, ob Geruchsbelastungen erheblich im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sind, kann – bis zum Erlass bundesrechtlicher Vorschriften – auf die GIRL in der Fassung vom 29. Februar 2008 und einer Ergänzung vom 10. September 2008 zurückgegriffen werden. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die Geruchsimmissions-Richtlinie bei der tatrichterlichen Bewertung der Erheblichkeit von Geruchsbelastungen als Orientierungshilfe herangezogen werden kann; sie enthält technische Normen, die auf den Erkenntnissen und Erfahrungen von Sachverständigen beruhen und insoweit die Bedeutung von allgemeinen Erfahrungssätzen und antizipierten generellen Sachverständigengutachten haben.
52Vgl. nur Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 3. August 2012 (im zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes) - 8 B 290/12 -, juris, Rn. 13 f. m. w. N.
53Nach Nr. 3.1 Tabelle 1 der GIRL gilt für Wohn-/Mischgebiete ein Immissionswert von 0,10 (10 % der Jahresgeruchsstunden) und für Gewerbe-/Industriegebiete ein Immissionswert von 0,15 (15 % der Jahresgeruchsstunden). Für Dorfgebiete gilt ebenfalls ein Immissionswert von 0,15; einen Immissionswert für den Außenbereich regelt die GIRL nicht ausdrücklich. Sonstige Gebiete, in denen sich Personen nicht nur vorübergehend aufhalten, sind entsprechend den Grundsätzen des Planungsrechts den einzelnen Spalten der Tabelle 1 zuzuordnen. In der Begründung und den Auslegungshinweisen zu Nr. 3.1 der GIRL ist erläuternd ausgeführt, dass das Wohnen im Außenbereich mit einem immissionsschutzrechtlich geringeren Schutzanspruch verbunden sei. Vor diesem Hintergrund sei es möglich, unter Prüfung der speziellen Randbedingungen des Einzelfalls bei der Geruchsbeurteilung im Außenbereich einen Wert bis zu 0,25 für landwirtschaftliche Gerüche heranzuziehen.
54Zur Ermittlung der zu erwartenden Geruchshäufigkeit bedarf es grundsätzlich (vorbehaltlich hier nicht vorliegender Ausnahmen) einer „auf der sicheren Seite“ liegenden Prognose, bei der aus der Vor- und der Zusatzbelastung im Wege einer Ausbreitungsrechnung die voraussichtliche Gesamtbelastung ermittelt wird.
55Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 3. August 2012, a. a. O., Rn. 17 f. m. w. N.
56Eine solche Prognose, die unzumutbare Geruchsbelästigungen des Klägers verlässlich ausschließt, liegt nicht vor.
57Der angegriffenen Genehmigungsentscheidung liegt das Gutachten des Sachverständigenbüros S. und I1. vom 21. September 2009 (Az.: G-1275-02) zu Grunde. Darin wird für den Hof des Klägers auf einer Rasterkarte eine Belastung von 0,12 einschließlich Vor- und Eigenbelastung angegeben. Die Eigenimmission des Hofes wird mit 0,01 beschrieben. Damit wäre zwar der nach Nr. 3.1 der GIRL maßgebliche Wert von 0,15 nicht überschritten.
58Das Gutachten vermag aber eine tragfähige Grundlage für eine auf der sicheren Seite liegende Prognose schon deshalb nicht darzustellen, weil es (noch) in Anwendung der KTBL-Schrift 333 (1989), „Geruchs- und NH3-Emissonen aus der Tierhaltung“, erstellt wurde, wonach als Geruchsemissionsfaktoren bei der Tierhaltung für Masthähnchen bis 35 Tage und Masthähnchen bis 49 Tage „50 GE/s/GV bzw. GE/(s*m²)“ zu Grunde gelegt werden. Dieser Ansatz von 50 GE/(s*GV) als mittlerer Emissionsfaktor für die Hähnchenmast über ein ganzes Jahr ist unzutreffend, weil er zu einer systematischen Unterschätzung der Geruchshäufigkeiten führt.
59Vgl. dazu Beschluss der Kammer vom 14. Februar 2012 (im zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes) - 3 L 1590/11 -, juris, Rn. 23.
60Richtig ist vielmehr, die VDI-Richtlinie 3894 zu berücksichtigen und als Ansatz bei der Ermittlung der Geruchsimmission der Masthähnchen eine konkrete Emissionszeitreihe von 180 GE/(s*GV) zu verwenden.
61Vgl. Urteil der Kammer vom 24. April 2012 - 3 K 6274/09 -, juris, Rn. 86 – bestätigt durch OVG NRW, Beschluss vom 9. Dezember 2013 - 8 A 1451/12 -, juris, Rn. 26 ff.
62Ohne Bedeutung ist im vorliegenden Zusammenhang der Einwand des Beigeladenen, dass die VDI-Richtlinie 3894 erst nach der Genehmigungserteilung verbindlich geworden sei. Die Anwendung der VDI-Richtlinie 3894 führt nämlich nicht zu einer Veränderung der Sach- und Rechtslage, sondern stellt lediglich eine neue Erkenntnisquelle und Orientierungshilfe zur Beurteilung der Zumutbarkeit von Gerüchen dar.
63Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3. August 2012, a. a. O., Rn. 11 f. m. w. N.
64Die erforderliche auf der sicheren Seite liegende Prognose kann auch nicht unter Heranziehung der anderen drei im Verwaltungs- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten getroffen werden. Diese wenden zwar die VDI-Richtlinie 3894 an. Sie prognostizieren aber sämtlich eine Überschreitung des oben genannten Grenzwertes von 0,15 an der nächstgelegenen Wohnbebauung des Klägers.
65Nach den Auslegungshinweisen zu Nr. 3.1 der GIRL ist es zwar im Außenbereich unter Prüfung der speziellen Randbedingungen des Einzelfalles möglich, bei der Geruchsbeurteilung eine Überschreitung des Wertes von 0,15 auf bis zu 0,25 für landwirtschaftliche Gerüche zu tolerieren. Bei den von der genehmigten Anlage ausgehenden Geruchsimmissionen würde es sich aber nicht um landwirtschaftliche Gerüche handeln. Ausweislich der Feststellungen in der angegriffenen Genehmigung erfüllt der Betrieb des Beigeladenen nicht die Voraussetzungen des § 201 BauGB, da die Tierhaltung nicht überwiegend auf eigener Futtergrundlage betrieben werden kann und ist deshalb nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB beurteilt worden. Die Gerüche einer gewerblichen Tierhaltung sind aber fachlich nicht wie Gerüche eines landwirtschaftlichen Betriebes zu behandeln.
66Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. September 2012 - 8 B 762/11 -, juris, Ls. 4 und Rn. 42 sowie Beschluss der Kammer vom 7. Mai 2013 - 3 L 169/13 -, juris, Rn. 32 f.
67Die Kammer vermag der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht nicht zu folgen, zu den landwirtschaftlichen Gerüchen im Sinne der GIRL zählten alle Gerüche aus Tierhaltung, unabhängig davon, ob diese einen landwirtschaftlichen oder gewerblichen Zuschnitt hätten, da sich der Geruch eines einzelnen Tieres nicht danach unterscheide, ob es in einem landwirtschaftlichem oder gewerblichen Betrieb gehalten werde.
68Zwar ist es richtig, dass nach der GIRL im Ansatz alle Tiergerüche in die Betrachtung einzubeziehen sind. Dies gilt für Gerüche aus landwirtschaftlichen oder gewerblichen Betrieben ebenso wie für Gerüche aus einer Hobbytierhaltung. Daraus folgt aber gerade nicht, dass bei der Frage, welche Gerüche von Tieren Dritten zumutbar sind, dann keine Unterscheidung erfolgt. Vielmehr privilegieren die Auslegungshinweise zu Nr. 3.1 der GIRL nur landwirtschaftliche Gerüche und damit auch nur Gerüche aus landwirtschaftlicher Tierhaltung für den Außenbereich dahingehend, dass eine Überschreitung des Wertes von 0,15 auf bis zu 0,25 unter speziellen Umständen zu tolerieren ist. Insoweit drängt sich eine Parallele zu der bauplanungsrechtlichen Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB geradezu auf. Beiden Regelungen ist der Grundgedanke gemein, dass ein landwirtschaftlicher Betrieb in besonderer Weise auf seinen Standort im Außenbereich angewiesen ist und die heutzutage im Außenbereich anzutreffende Kulturlandschaft maßgeblich von der Landwirtschaft geschaffen und geprägt wird.
69Vgl. dazu näher Urteil der Kammer vom 18. Juni 2013 - 3 K 1744/12 -, juris, Rn. 39 ff.
70Unabhängig vom bisher Festgestellten ist eine unzumutbare Geruchsbelästigung des Klägers aber auch deshalb nicht verlässlich ausgeschlossen, weil das Gericht selbst eine Überschreitung des Wertes von 0,25 auf der Grundlage der vorliegenden Gutachten, die unter Beachtung der VDI-Richtlinie 3894 und des Erfordernisses einer konkreten Emissionszeitreihe von 180 GE/(s*GV) erstellt wurden, nicht auszuschließen vermag.
71Nach den Auslegungshinweisen zu Nr. 3.1 Punkt 4 der GIRL ist es zwar im Außenbereich unter Prüfung der speziellen Randbedingungen des Einzelfalls möglich, bei der Geruchsbeurteilung eine Überschreitung des Wertes von 0,15 auf bis zu 0,25 für landwirtschaftliche Gerüche zu tolerieren. Bei diesem Wert (0,25) handelt es sich selbst aber um eine absolute Obergrenze, die nicht überschritten werden darf.
72Vgl. hierzu mit weiteren Hinweisen: Urteil der Kammer vom 24. April 2012 - 3 K 6274/09 -, a. a. O., Ls. 1 und Rn. 85 ff.
73Von einer solchen Überschreitung ist aber hier auszugehen.
74So kommt zwar das Ergänzungsgutachten des Ingenieurbüros S. und I1. vom 14. März 2012 zu dem Ergebnis, dass am Wohnhaus der Hofstelle des Klägers im Planzustand in der Gesamtbelastung ein maximaler Immissionswert für die Fremdbelastung von 0,17 erreicht werde. Bei näherer Betrachtung wird aber erkennbar, dass die Gutachter die Gesamtbelastung (IGb) am Wohnhaus des Klägers mit Werten bis zu 0,29 prognostizieren. Die im Ergebnis des Gutachtens festgestellte niedrigere Belastung kommt nur dadurch zu Stande, dass die Gutachter von der prognostizierten Gesamtbelastung die vom Kläger verursachte Eigenbelastung bis zu 0,12 in Abzug bringen. Ohne einen solchen Abzug wird der Grenzwert von 0,25 am Wohnhaus des Klägers dagegen deutlich überschritten.
75Ähnliche Ergebnisse liefert das Gutachten des LANUV NRW vom 4. Februar 2014. Danach ist am Wohnhaus des Klägers mit einer Gesamtbelastung von bis zu 23 % Jahresgeruchshäufigkeit zuzüglich einer Eigenbelastung von bis zu 7 % zu rechnen. Auch hier wird also bei der Gesamtbelastung am Wohnhaus des Klägers der Grenzwert von 0,25 deutlich überschritten, wenn man die Gesamtbelastung unter Einschluss der Eigenbelastung betrachtet.
76Beide genannten Gutachten kommen nur dadurch zu dem Ergebnis, dass der Grenzwert von 0,25 unterschritten wird, in dem sie die festgestellte Eigenbelastung von der Gesamtbelastung in Abzug bringen bzw. bei der Gesamtbelastung erst gar nicht einberechnen. Beides ist nach der GIRL nicht vorgesehen und damit sachlich falsch und führt als Folge davon zur materiellen Rechtswidrigkeit.
77Vgl. Urteil der Kammer vom 18. Juni 2013 - 3 K 5158/12 -, juris, Rn. 41 sowie Beschluss der Kammer vom 17. Juli 2013 - 3 L 818/13 -, juris, Rn. 25 f.
78Schließlich steht auch das Gutachten des Ingenieurbüros S. und I1. vom 6. November 2012 der Einschätzung nicht entgegen, dass dem Kläger eine unzumutbare Geruchsbelästigung in Form der Überschreitung des Höchstwertes von 0,25 droht. Das Gutachten kommt zwar zu dem Ergebnis, dass im Umkreis von 600 m im Planzustand in der Gesamtbelastung ein maximaler Immissionswert von 0,19 erreicht werde. Hierzu kommt das Gutachten aber nur dadurch, dass es sowohl bei der Ermittlung der Vorbelastung (Hofstelle T. ) als auch der Zusatzbelastung den Einsatz der Abluftreinigungsanlage „Aerocleaner“ der Firma I2. & M. (Agrartechnik) mit einer Minderung der Geruchsemissionen von 40 % berücksichtigt.
79Die Annahme, dass die Abluftreinigungsanlage „Aerocleaner“ zu einer Geruchsminderung von 40 % führt, beruht auf einer in tatsächlicher Hinsicht nicht hinreichend gesicherten Grundlage. Die Kammer hat dies bereits in ihrem Beschluss vom 7. Mai 2013 im Verfahren 3 L 169/13 festgestellt, welchem die parallele Genehmigung des Vorhabens T. und das diesbezügliche Gutachten des Ingenieurbüros S. und I1. vom 11. Juni 2012, bei dem ebenfalls der Einsatz des „Aerocleaner“ mit einer Geruchsminderung von 40 % berücksichtigt wurde, zu Grunde lag. Die Kammer verbleibt auch unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus beiden Verfahren bei ihrer Einschätzung, dass für die Annahme einer Geruchsemissionsminderung von mindestens 40 % gesicherte Erkenntnisse nicht vorliegen.
80Diesbezüglich enthalten die Gutachten vom 11. Juni 2012 und vom 6. November 2012 keinerlei nähere Ausführungen oder weiterführende Nachweise. In den Gutachten wird schon nicht nachvollziehbar, wie, in welcher Form und bei welchem Schritt der Abzug der 40 % von der Geruchsbelastung vorgenommen wurde. Eine nähere Begründung für die behauptete Geruchsminderung oder gar ein ordnungsgemäßer Nachweis hierzu fehlen gänzlich. Dies gilt auch für die vorgelegten übrigen Verwaltungsvorgänge.
81Soweit der Beklagte sich auf die Gründe der (eine Nachbarklage gegen eine Mastanlage abweisenden) Entscheidung des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 19. November 2010 - 2 A 163/09 - beruft, überzeugt dies die Kammer ebenfalls nicht. Auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Osnabrück enthält nicht die geforderten tatsächlichen Feststellungen. Sie stützt sich in tatsächlicher Hinsicht im Wesentlichen auf einen Messbericht der A. -Ingenieurgesellschaft vom 31. Juli 2009. Dieser lag aber dem Beklagten bei seiner Entscheidung nicht vor und er liegt auch bis heute dem Gericht nicht vor. Zwar hat der Beigeladene zwischenzeitlich die Ablichtung eines Messberichts der A. -Ingenieurgesellschaft vorgelegt. Das Gericht vermag damit aber nichts anzufangen, da alle maßgeblichen Angaben auf der Ablichtung geschwärzt sind. Dies gilt selbst für das (in der mündlichen Verhandlung genannte) Datum des Berichts, so dass das Gericht auch nicht feststellen kann, ob es sich hierbei überhaupt um den in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Osnabrück genannten Bericht handelt. Festzustellen ist allerdings jedenfalls, dass sich der von dem Beigeladenen vorgelegte Bericht überhaupt nicht auf die hier in Rede stehende Abluftreinigungsanlage „Aerocleaner“ bezieht.
82Soweit der Beklagte sich auf Angaben des Herstellers des „Aerocleaners“ stützt, hat die Kammer in ihrem Beschluss vom 7. Mai 2013 ausgeführt:
83„Zum anderen bezieht sich der Antragsgegner in seinem Vermerk auf die Erwähnung einer (undatierten) schriftlichen Mitteilung der Firma I2. + M1. im Urteil des Verwaltungsgerichts, wonach bei Hähnchenmastanlagen Reduzierungsraten von 50 % bei Geruch realisierbar seien. Dabei verkennt er schon, dass die Mitteilung nur im Tatbestand des Urteils erwähnt wird und sich das niedersächsische Gericht diese Feststellung nicht zu eigen macht. Zudem widerspricht diese Angabe denen, welche die Firma I2. + M1. in ihrem Merkblatt „Zusammenfassung der Ergebnisse aus den Emissionsmessungen von Staub und Geruch im Rahmen der Diplomarbeit von Frau S1. an der Universität C. “ publiziert (…). Danach sei vielmehr aufgrund der stark schwankenden Messergebnisse zur Geruchstoffkonzentration die Minderungsleistung des Aerocleaners hinsichtlich Geruch weiter zu validieren. In Ergänzung würden derzeit Versuche bei erweiterter Funktionalität des Aerocleaners durchgeführt. Ziel sei es, die Behandlung der Stallluft derart vorzunehmen, dass die Messergebnisse zum Geruch weniger variierten.Unabhängig davon versteht es sich von selbst, dass die Frage der Wirksamkeit des Aerocleaners für das vorliegende Verfahren nicht alleine auf der Grundlage der Angaben des Herstellers entschieden werden kann; hierzu bedarf es vielmehr gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse von neutraler Seite.“
84Die Kammer sieht sich in ihrer Einschätzung auch durch den Erlass des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 19. Februar 2013 – V 2 – (sog. Filtererlass) bestätigt. Darin wird hinreichend deutlich, welche Anforderungen an den Nachweis der ausreichenden Wirksamkeit einer Abluftreinigungsanlage im Allgemeinen zu stellen sind. Danach ist der Nachweis entweder über die Vorlage eines die Wirksamkeit der Anlage bestätigenden Sachverständigengutachtens oder eine entsprechenden Zertifizierung zu führen. Die Kammer sieht keine Veranlassung, im vorliegenden Fall hinter diesen Standard zurückzufallen.
85Ist die Wirksamkeit der Abluftreinigungsanlage in tatsächlicher Hinsicht unbewiesen, lässt sich dieses Manko nicht durch eine rechtliche Regelung im Genehmigungsbescheid ausgleichen. Soweit der Beklagte im Nachtragsbescheid vom 28. April 2014 anordnet, dass der „Aerocleaner“ in allen Stallungen dauerhaft mindestens eine Geruchsreduzierung von 40 % erzielen müsse, schließt dies eine unzumutbare Geruchsbelästigung des Klägers nicht aus. Eine andere Betrachtung würde verkennen, dass der Kläger einen Anspruch auf eine in tatsächlicher Hinsicht auf der sicheren Seite liegende Geruchsprognose hat. Die Genehmigungsbehörde kann diese nicht dadurch ersetzen, dass sie in dem Bescheid Auflagen stellt, deren tatsächliche Erfüllbarkeit sie nicht nachzuweisen vermag.
86Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 und 3, 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO und die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
87Gründe für eine Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.
88Beschluss:
89Der Streitwert wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.
90Gründe:
91Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 1 GKG erfolgt; sie berücksichtigt die Nummern 19.2 und 2.2.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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