Urteil vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 13 K 28/15
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffer 2 des Bescheides vom 7. Juli 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2014 verpflichtet, die gemäß § 55c Absatz 1 Satz 1 SVG erfolgte Kürzung der Versorgungsbezüge des Klägers ab dem 1. Juli 2013 in Höhe der von ihm im Versorgungsausgleich aus dem Beschluss des Amtsgerichts X. vom 5. Dezember 2014 (64 F 94/13) erlangten Versorgungsanrechte gemäß §§ 35, 36 VersAuglG auszusetzen, solange und soweit der Kläger aus diesen Anrechten keine Leistungen beziehen kann.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der Kläger begehrt die Aussetzung der Kürzung seiner Versorgungsbezüge nach § 35 Absatz 1 Versorgungsausgleichsgesetz (VersAusglG) ab dem 1. Juli 2013.
3Der Kläger ist mit Urteil des Amtsgerichts X. vom 24. August 1984 von seiner ersten Ehefrau geschieden worden. Zugleich wurden die dem Kläger gegenüber der Beklagten zustehenden Versorgungsanwartschaften nach dem Soldatenversorgungsgesetz in Höhe von monatlich 122,68 DM zu Gunsten seiner geschiedenen Ehefrau übertragen.
4Unter dem 25. März 2013 stellte der Kläger beim Amtsgericht X. gemäß § 51 VersAusglG einen Antrag zur Abänderung seines Versorgungsausgleichs. Zugleich beantragte der Kläger bei der Beklagten die Anpassung seiner Versorgungsbezüge nach §§ 35, 36 VersAusglG, da seine Versorgungsbezüge infolge seiner mit Ablauf des 30. Juni 2013 bevorstehenden Versetzung in den Ruhestand gekürzt würden, er jedoch seinerseits keine Leistungen aus seinem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht beziehen könne (Bl. 34 Heft 2 der Beiakten).
5Mit Ablauf des 30. Juni 2013 wurde der Kläger als Berufssoldat der Bundeswehr gemäß § 44 Absatz 2 Soldatengesetz (SG) in den Ruhestand versetzt. Mit Bescheid vom 3. Juli 2013 stellte die Beklagte fest, dass die festgesetzten Versorgungsbezüge des Klägers (vgl. Bescheid vom 1. Juli 2013, Bl. 44 Heft 2 der Beiakten) mit Wirkung vom 1. Juli 2013 der Kürzungsregelung des § 55c Soldatenversorgungsgesetz (SVG) unterlägen (Bl. 55 Heft 2 der Beiakten).
6Das Amtsgericht X. hat am 5. Dezember 2013 im Wege eines Abänderungsverfahrens zum Versorgungsausgleich entschieden, dass im Wege der internen Teilung zulasten der Versorgung des Klägers und zu Gunsten seiner geschiedenen Ehefrau ein Anrecht in Höhe von 51,87 Euro, bezogen auf den 31. Oktober 1983, übertragen werde. Zu Gunsten des Klägers und zulasten seiner geschiedenen Ehefrau werde im Gegenzug ein Anrecht bei der Deutschen Rentenversicherung Bund in Höhe von 1,5594 Entgeltpunkten, bezogen auf den 31. Oktober 1983, übertragen. Die Abänderung wirke ab dem 1. April 2013.
7Mit Zulassungsbescheid vom 31. März 2014 erhielt der Kläger von der Deutschen Rentenversicherung Bund die Berechtigung, für den Zeitraum vom 1. Juni 2013 bis 31. März 2014 freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung zu zahlen und damit die allgemeine Wartezeit nach § 50 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) zu erfüllen (Bl. 88 Heft 2 der Beiakten). Unter dem 6. Mai 2014 teilte der Kläger der C. X. mit, dass er alle Voraussetzungen zur Umsetzung des Versorgungsausgleichs erfüllt habe und bat dies bei der Bezügeabrechnung zu berücksichtigen (Bl. 79 Heft 2 der Beiakten).
8Mit Bescheid vom 7. Juli 2014 (Ziffer 2) wurde der von den Versorgungsbezügen des Klägers abzuziehende Versorgungsausgleich für die Zeit vom 1. April 2014 bis zum 31. Dezember 2019 in der Höhe ausgesetzt, in der der Kläger aus dem zu seinen Gunsten begründeten Anspruch zurzeit noch keinen Anspruch geltend machen könne (Bl. 94 Heft 2 der Beiakten). Gemäß § 36 Absatz 2 i.V.m. § 34 Absatz 3 VersAusglG wirke die Anpassung ab dem ersten Tag des Monats nach Antragstellung, frühestens ab dem Monat nach Rechtskraft des Beschlusses über den Versorgungsausgleich, frühestens ab dem Zeitpunkt der Erfüllung der gesetzlichen Wartezeit für eine Altersrente nach dem SGB VI, hier also ab dem 1. April 2014. Insoweit werde auf das Schreiben der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 31. März 2014 verwiesen.
9Der Kläger erhob unter dem 16. Juli 2014 Widerspruch (Bl. 102 Heft 2 der Beiakten). Es sei rechtlich unzulässig, die Anpassungswirkung gemäß § 35 VersAusglG erst ab dem 1. April 2014 eintreten zu lassen. Aus dem Gesetz ergebe sich ausschließlich, dass die Anpassung ab dem ersten Tag des Monats, der auf den Monat der Antragstellung folge, wirke. Dies sei an sich der 1. April 2013, jedoch könne eine Anpassungswirkung natürlich nicht vor Beginn der Versorgungskürzung, hier also dem 1. Juli 2013, eintreten. Es gebe keine Rechtfertigung dafür, die Anpassungswirkung vom Zeitpunkt der Erfüllung der gesetzlichen Wartezeit für eine gesetzliche Altersrente abhängig zu machen. Das Familiengericht habe in seinem Beschluss zu seinen Gunsten ohne weitere Einschränkungen rückwirkend zum 1. April 2013 1,5594 Entgeltpunkten übertragen.
10Mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 2014 wies die C. X. den Widerspruch des Klägers zurück. Der Ausgleichsanspruch von 1,5594 Entgeltpunkten, den der Kläger gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau besitze, entspreche gemäß § 52 Absatz 1 SGB VI (durch die Zahl 0,0313 geteilt) einer rentenrechtlichen Wartezeit von 50 Monaten. Da der Bezug einer Rente aber eine Wartezeit von mindestens 60 Monaten voraussetze (§ 34 i.V.m. § 50 SGB VI), könne der Kläger eine Rente aus dem zu seinen Gunsten übertragenen Anwartschaftsrecht zu dem in Rede stehenden Zeitpunkt – d.h. dem 1. April 2013 bzw. 1. Juli 2013 – nicht beanspruchen. Denn die Wartezeit sei erst ab April 2014 erfüllt. § 35 VersAusglG beabsichtige etwaige leistungsrechtliche Auswirkungen in den Fällen abzumildern, in denen die ausgleichspflichtige Person aufgrund einer besonderen Altersgrenze vorzeitig in den Ruhestand tritt und ihre eigene Versorgung gekürzt wird, sie gleichzeitig aber aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht noch keine Leistungen erhalten kann, weil sie die in diesem Versorgungssystem geltende allgemeine Altersgrenze noch nicht erreicht hat. Dies bedeute wiederum, dass alle übrigen in § 34 Absatz 1 SGB VI genannten rentenrechtlichen Voraussetzungen – so auch die Mindestversicherungszeit (Wartezeit) – zur Verwirklichung des Leistungsbezugs erfüllt sein müssten. Entsprechendes ergebe sich auch aus der Systematik des § 36 Absatz 4 VersAusglG. Hiernach habe die ausgleichpflichtige Person den Versorgungsträger, der die Kürzung ausgesetzt habe, unverzüglich darüber zu unterrichten, sobald sie aus einem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht eine Leistung im Sinne des § 35 Absatz 1 VersAusglG beziehen könne. Auch hier sei das Vorliegen der Mindestversicherungszeit zwingend erforderlich. Eine vom Versorgungsträger durchgeführte Aussetzung der Kürzung nach § 35 VersAusglG, die ohne Berücksichtigung einer nachgewiesenen Wartezeiterfüllung der ausgleichpflichtigen Personen erfolgen würde, hätte zur Folge, dass die Kürzung nach § 35 VersAusglG über die maßgebliche rentenrechtliche Altersgrenze hinaus ausgesetzt bliebe, wenn die ausgleichpflichtige Person zwar ein erworbenes Anrecht auf eine Leistung hätte, diesen Anspruch aufgrund der nicht erfüllten Wartezeit beim Rentenversicherungsträger jedoch nicht durchsetzen könnte.
11Hiergegen hat der Kläger am 2. Januar 2015 Klage erhoben.
12Zur Begründung bezieht sich der Kläger auf seine Ausführungen aus dem Verwaltungsverfahren. Ergänzend trägt er vor, dass sich aus § 36 Absatz 3 VersAusglG i.V.m. § 34 Absatz 3 VersAusglG eindeutig ergebe, dass die Anpassung schon ab dem ersten Tag des Monats, der auf dem Monate der Antragstellung folge, wirke.
13Der Kläger beantragt sinngemäß,
14die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 2 des Bescheides vom 7. Juli 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2014 zu verpflichten, die gemäß § 55c Absatz 1 Satz 1 SVG erfolgte Kürzung der Versorgungsbezüge des Klägers ab dem 1. Juli 2013 in Höhe der von ihm im Versorgungsausgleich aus dem Beschluss des Amtsgerichts X. vom 5. Dezember 2014 (64 F 94/13) erlangten Versorgungsanrechte gemäß §§ 35, 36 VersAusglG auszusetzen, solange und soweit der Kläger aus diesen Anrechten keine Leistungen beziehen kann.
15Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Zur Begründung ergänzt sie ihre bisherigen Ausführungen aus dem Verwaltungsverfahren, auf die sie im Übrigen verweist, dahingehend, dass § 35 VersAusglG nicht den Zweck verfolge, rentenrechtliche Voraussetzungen wie z.B. die allgemeine Wartezeit für den Zeitraum einer möglichen Anpassung außer Kraft zu setzen.
18Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 30. April 2015 (Blatt 47 der Gerichtsakte) und 19. Mai 2015 (Bl. 49 der Gerichtsakte) ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
19Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend Bezug genommen.
20Entscheidungsgründe:
21Im Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht gemäß § 101 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
22Die Einzelrichterin ist für die Entscheidung zuständig, nachdem ihr die Sache mit Beschluss der Kammer vom 2. Juni 2015 übertragen worden ist (Bl. 51 der Gerichtsakte).
23Die zulässige Verpflichtungsklage,
24zur statthaften Klageart vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 13. Januar 2014 – 23 K 3480/12 –, juris, Rn. 23,
25ist begründet.
26Ziffer 2 des angegriffenen Bescheides vom 7. Juli 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Denn der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Aussetzung des von den Versorgungsbezügen abzuziehenden Versorgungsausgleichs für die Zeit ab dem 1. Juli 2013 (§ 113 Absatz 5 Satz 1 VwGO).
27Anspruchsgrundlage ist § 35 Absatz 1 VersAusglG in der Fassung vom 3. April 2009.
28Nach dieser Vorschrift wird die Kürzung einer laufenden Versorgung aufgrund des Versorgungsausgleichs auf Antrag ausgesetzt, solange die ausgleichspflichtige Person eine laufende Versorgung wegen Invalidität oder Erreichens einer besonderen Altersgrenze erhält und sie aus einem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine Leistung beziehen kann (Absatz 1). Gemäß Absatz 2 der Vorschrift gilt § 33 Absatz 2 VersAusglG entsprechend, wonach eine Anpassung bei geringfügigen Kürzungen nicht erfolgt (bei einem Rentenbetrag als maßgeblicher Bezugsgröße nur bei einer Kürzung von mindestens 2 % am Ende der Ehezeit). Die Kürzung ist höchstens in Höhe der Ausgleichswerte aus denjenigen Anrechten im Sinne des § 32 VersAusglG auszusetzen, aus denen die ausgleichspflichtige Person keine Leistung bezieht (§ 35 Absatz 3 VersAusglG). Für die Durchführung dieser Aussetzung gilt § 36 VersAusglG. Nach Absatz 1 der Vorschrift entscheidet über die Anpassung der Versorgungsträger, bei dem das auf Grund des Versorgungsausgleichs gekürzte Anrecht besteht. Antragsberechtigt ist die ausgleichspflichtige Person. Gemäß § 36 Absatz 3 in Verbindung mit § 34 Absatz 3 VersAusglG wirkt die Anpassung ab dem ersten Tag des Monats, der auf den Monat der Antragstellung folgt. Gemäß § 36 Absatz 4 VersAusglG hat die ausgleichspflichtige Person nach erfolgter Aussetzung der Kürzung den Versorgungsträger zu informieren, sobald sie aus einem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht eine Leistung beziehen kann.
29Vorliegend sind die vorstehend genannten Anspruchsvoraussetzungen erfüllt.
30Der Kläger hat unter dem 25. März 2013 einen Antrag auf Aussetzung der Kürzung seiner Versorgung bei der Beklagten, als der für die Entscheidung zuständigen Versorgungsträgerin, beantragt. Als ausgleichspflichtige Person ist er auch nach § 36 Absatz 3 VersAusglG antragsberechtig.
31Der Kläger ist auch eine ausgleichspflichtige Person im Sinne des § 35 Absatz 1 VersAusglG, weil das Amtsgericht X. mit Beschluss vom 5. Dezember 2013 zulasten seines Versorgungsanrechts bei der Beklagten zugunsten seiner geschiedenen Ehefrau ein Anrecht in Höhe von 52,87 Euro monatlich übertragen hat. Er erhält seit Beginn des Ruhestandes im Juli 2013 laufende Versorgungsbezüge wegen Erreichens einer besonderen Altersgrenze (vgl. § 44 Absatz 2 SG), welche gemäß § 32 Nr. 2 VersAusglG in den Anwendungsbereich des § 35 Absatz 1 VersAusglG fallen und mit Wirkung vom 1. Juli 2013 nach § 55c SVG zugunsten seiner geschiedenen Ehefrau gekürzt werden. Zugleich kann er jedoch aus den ihm durch den Versorgungsausgleich aus den Anrechten seiner geschiedenen Ehefrau übertragenen Anrechten (1,5594 Entgeltpunkte von der Deutschen Rentenversicherung Bund) keine Leistungen erhalten, solange er die für ihn geltende Regelaltersgrenze zum Bezug einer Altersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung bzw. der entsprechenden an das Erreichen einer Regelaltersgrenze geknüpften Versorgungsleistung der Deutschen Rentenversicherung Bund noch nicht erreicht hat. Die Geringfügigkeitsgrenze gemäß §§ 35 Absatz 2, 33 Absatz 2 VersAusglG ist überschritten.
32Entgegen der Ansicht der Beklagten, liegen die Voraussetzungen des § 35 Absatz 1 VersAusglG bereits seit dem 1. Juli 2013 vor.
33Der Wortlaut der §§ 35, 36 VersAusglG setzt nicht voraus, dass die Mindestversicherungszeit (Wartezeit) gemäß §§ 34 Absatz 1, 50 SGB VI für die Aussetzung der Kürzung der laufenden Versorgungsbezüge vorliegt. Vielmehr wirkt die Anpassung gemäß § 36 Absatz 3 in Verbindung mit § 34 Absatz 2 VersAusglG ab dem ersten Tag des Monats, der auf den Monat der Antragstellung folgt. Hierdurch wird
34„ein Gleichklang des maßgeblichen Zeitpunkts für die Anpassungen nach Rechtskraft gemäß § 32 ff. VersAusglG und für die Abänderungsverfahren nach den §§ 225 und 226 FamFG-VAE hergestellt“.
35BT-Drucksache 16/10144, S. 73.
36Der Kläger beantragte die Anpassung des Versorgungsausgleichs bereits am 25. März 2013. Da er aber erst zum 1. Juli 2013 in den Ruhestand getreten ist, kann die Anpassung auch erst ab diesem Zeitpunkt erfolgen.
37Auch die systematische, historische und teleologische Auslegung der einschlägigen Normen führt nicht zu einem anderen Ergebnis.
38Entgegen der Ansicht des Beklagten folgt nicht aus der Systematik des § 36 Absatz 4 VersAusglG, dass die Wartezeit des § 34 Absatz 1 SGB VI für die Aussetzung der Kürzung der Versorgungsbezüge nach § 35 VersAusglG erfüllt sein muss. Danach hat die ausgleichspflichtige Person, sobald sie aus einem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht eine Leistung im Sinne des § 35 Absatz 1 beziehen kann, den Versorgungsträger, der die Kürzung ausgesetzt hat, unverzüglich darüber zu unterrichten. Inwieweit hieraus das Erfordernis der rentenrechtlichen Mindestversicherungszeit abzuleiten ist, erschließt sich dem Gericht nicht. Absatz 4 stellt ausweislich der Gesetzesbegründung lediglich sicher,
39„dass der Versorgungsträger die Kürzung der Versorgung wieder realisieren kann, wenn der Grund für die Aussetzung der Kürzung wegfällt: Das ist der Fall, wenn die ausgleichspflichtige Person Leistungen aus einem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht erhalten kann, beispielsweise deshalb, weil sie wegen einer Veränderung ihres Gesundheitszustands jetzt auch die Voraussetzungen für den Leistungsbezug aus dem erworbenen Anrecht erfüllt. Darüber muss sie den Versorgungsträger daher informieren.“
40BT-Drucksache 16/10144, S. 75.
41Der Versorgungsträger kann die Kürzung der Versorgung im vorliegenden Fall erst dann realisieren, wenn die rentenrechtlichen Voraussetzungen des § 34 Absatz 1 SGB VI vorliegen. In diesem Zusammenhang vermag das Gericht ebenso wenig zu erkennen, dass hierdurch rentenrechtliche Voraussetzungen außer Kraft gesetzt würden. Gemäß § 34 Absatz 1 SGB VI haben Versicherte und ihre Hinterbliebenen Anspruch auf Rente, wenn die für die jeweilige Rente erforderliche Mindestversicherungszeit (Wartezeit) erfüllt ist und die jeweiligen besonderen versicherungsrechtlichen und persönlichen Voraussetzungen – beispielsweise die Vollendung eines bestimmten Lebensalters – vorliegen. Dem Kläger steht ein Anspruch aus dem zu Lasten seiner geschiedenen Ehefrau bei der Deutschen Rentenversicherung Bund zu Gunsten des Klägers übertragenen Anrechts erst zu, wenn diese Voraussetzungen vorliegen. Solange dies aber – wie vorliegend – (noch) nicht der Fall ist, hat er gemäß § 35 VersAusglG gerade einen Anspruch auf Aussetzung der Kürzung seiner Versorgung.
42Für eine solche Auslegung spricht schließlich auch der Sinn und Zweck des § 35 VersAusglG. Die Norm enthält eine Regelung für Härtefälle, die daraus entstehen können, dass die beiderseitigen Anrechte nicht mehr – wie nach dem am 31. August 2009 außer Kraft getretenen früheren Versorgungsausgleichsrecht – saldiert werden, sondern jedes einzelne Anrecht isoliert ausgeglichen wird. Wenn die zu teilenden Anrechte unterschiedliche Leistungsvoraussetzungen haben, kann dieses Ausgleichssystem zu unbilligen Ergebnissen führen, etwa weil die laufende Versorgung eines Ehegatten aufgrund des Versorgungsausgleichs gekürzt wird, er aber aus den erworbenen Anrechten des anderen Ehegatten noch keine Leistungen beziehen kann. Das ist insbesondere der Fall, wenn der ausgleichspflichtige Ehegatte vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze vorzeitige Rentenzahlungen wegen Invalidität oder einer besonderen Altersgrenze erhält.
43Breuers in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 35 VersAusglG, Rn. 2.
44Wären die in § 50 SGB VI geregelten Wartezeiten bereits bei der Anwendung des § 35 VersAusglG zu berücksichtigen, entstünde dem Kläger ein Nachteil, indem seine Versorgung bis zur Erfüllung der Wartezeit gekürzt würde, ohne dass er seinerseits Leistungen aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht zu Lasten seiner geschiedenen Ehefrau beziehen könnte. Dies stünde im Widerspruch zu dem vorstehend genannten Sinn und Zweck der Regelung. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen Nachteile, die ansonsten Beamtinnen und Beamten sowie Soldatinnen und Soldaten, für die besondere Altersgrenzen – wie § 44 Absatz 2 SG – gelten, ausgeglichen werden:
45„Die neue Regelung beruht auf einem Vorschlag von Experten der DRV Bund und mildert etwaige leistungsrechtliche Auswirkungen der Strukturreform ab. Es geht darum, die Ehegatten nach der Reform nicht schlechter zu stellen als nach dem bisherigen Recht. Härten könnten insofern im Einzelfall dann auftreten, wenn die ausgleichspflichtige Person vor Erreichen der Altersgrenze invalide wird und beispielsweise aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine um den Ausgleichsbetrag gekürzte Erwerbsminderungsrente erhält, nicht jedoch aus einem durch den Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht bei einem anderen Versorgungsträger, beispielsweise einer berufsständischen Versorgung. Das könnte der Fall sein, wenn nach der Versorgungsordnung des erworbenen Anrechts eine Leistung für den Fall der Erwerbsminderung nicht vorgesehen ist oder an besondere Voraussetzungen geknüpft ist, die bei der ausgleichspflichtigen Person (noch) nicht vorliegen. Dann stünde die ausgleichspflichtige Person schlechter als nach bislang geltendem Recht, denn hiernach würde sich ihre Erwerbsminderungsrente nur um den Saldo aus den Versorgungen beider Eheleute reduzieren.
46BT-Drucksache 16/10144, S. 74.
47Durch die Einfügung in § 35 Abs. 1 VersAusglG wird der Anwendungsbereich der Vorschrift auf die Fälle des Leistungsbezugs wegen Erreichens einer besonderen Altersgrenze erweitert. Hierdurch werden etwaige leistungsrechtliche Auswirkungen der geänderten Ausgleichsstruktur in den Fällen abgemildert, in denen die ausgleichspflichtige Person aufgrund einer besonderen Altersgrenze vorzeitig in den Ruhestand tritt und ihre eigene Versorgung gekürzt wird, sie gleichzeitig aber aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht noch keine Leistungen erhalten kann, weil sie die in diesem Versorgungssystem geltende allgemeine Altersgrenze noch nicht erreicht hat. In diesen Fällen steht die ausgleichspflichtige Person wie in den Fällen des § 35 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG-RegE schlechter als nach dem bislang geltenden Ausgleichssystem, das auf der Saldierung der Ehezeitanteile beruhte. Deshalb soll auch hier ein Nachteilsausgleich gewährt werden. Von dieser Regelung profitieren vor allem Beamtinnen und Beamte mit vorgezogenen Altersgrenzen sowie Soldatinnen und Soldaten.“
48BT-Drucksache 16/11903, S. 55.
49Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO.
50Die Regelung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Absatz 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
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